VwGH 2007/18/0077

VwGH2007/18/007714.6.2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des FA, geboren 1963, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Februar 2007, Zl. BMI- 1006905/0002-II/3/2006, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §73;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §6 Abs1;
AVG §73;
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z11;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §9 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer den Aufwand in Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom 17. November 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen tunesischen Staatsangehörigen, gemäß § 49 Abs. 1 und § 48 Abs. 1 iVm § 39 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 29. November 2005 fristgerecht Berufung. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien sprach über die Berufung nicht innerhalb der sechsmonatigen Entscheidungsfrist des § 73 Abs. 1 AVG ab. Am 12. Juli 2006 stellte der Beschwerdeführer einen Devolutionsantrag an den Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde). Dieser gab mit Bescheid vom 1. Februar 2007 dem Devolutionsantrag statt und wies die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 73 Abs. 1 und 2 AVG und § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ab.

Der Beschwerdeführer sei seit dem 1. Februar 1988 mit der österreichischen Staatsbürgerin Monika B. verheiratet. Vom 14. Oktober 1998 bis zum 13. Oktober 2003 sei er im Besitz einer von der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gewesen. Der Beschwerdeführer habe mit seiner Ehefrau mehrere Jahre in Deutschland gewohnt. Die Wiedereinreise nach Österreich sei im Februar 2002 erfolgt. In Stattgebung seines Antrages vom 29. Juli 2002 sei dem Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnis für den Zweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher/in" gewährt worden. Am 1. März 2004 sei dem Beschwerdeführer als begünstigten Drittstaatsangehörigen einer Österreicherin gemäß § 49 Abs. 1 FrG eine Niederlassungsbewilligung für die Dauer eines Jahres bewilligt worden. Trotz seiner - näher ausgeführten - bedingten Verurteilungen sei ihm am 21. Juni 2005 auf Grund seines Antrages vom 28. Jänner 2005 ein auf zehn Jahre befristeter Niederlassungsnachweis erteilt worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. Oktober 2005 sei der Beschwerdeführer in der Folge wegen gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls gemäß § 127, § 129 Z. 1, § 130

2. Fall StGB und wegen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt worden. Die bedingten Strafnachsichten vom 9. September 2002 und vom 25. September 2004 seien widerrufen worden.

Gemäß § 125 Abs. 1 FPG komme im vorliegenden Verfahren das FPG zur Anwendung. § 9 Abs. 1 (Z. 2) FPG besage, dass über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nichts anderes bestimmt sei, die Sicherheitsdirektion in letzter Instanz entscheide, wenn es sich beim Berufungswerber nicht um einen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen handle. Gemäß § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG würden als begünstigte Drittstaatsangehörige "der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers gelten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, insofern diese Drittstaatsangehörigen den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleite, begleiten oder ihm nachzögen". In seiner Entscheidung vom 13. Oktober 2006, G 26/06, habe der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, "dass Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers nicht als begünstigte Drittstaatsangehörige iSd § 9 Abs. 1 FPG anzusehen" seien. Daher sei die Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien zur Behandlung der Berufung des Beschwerdeführers gegeben gewesen. Der Beschwerdeführer habe am 29. November 2005 gegen den erstinstanzlichen Bescheid fristgerecht Berufung eingebracht. Bis zu dem mit 12. Juli 2006 datierten Devolutionsantrag sei keine Entscheidung durch diese Behörde ergangen. Dem Devolutionsantrag sei daher stattzugeben gewesen. In der Sache selbst bestätigte die belangte Behörde das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot aus näher dargestellten Gründen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. § 2 Abs. 4 Z. 10 und 11 FPG idF BGBl. I Nr. 157/2005, lautet:

"(4) Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist

  1. 1. (...)
  2. 10. Drittstaatsangehöriger: ein Fremder, der nicht EWR-Bürger ist;

    11. begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte oder Verwandte des Ehegatten in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine gemeinschaftsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht;"

    § 9 Abs. 1 FPG in der angegebenen Fassung lautet:

"(1) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,

1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und

2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz."

Den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zufolge hat der Beschwerdeführer am 1. Februar 1988 in Wien eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Im Jahr 1998 verreiste er mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland und ließ sich dort mit ihr mehrere Jahre nieder. Im Februar 2002 kehrte das Ehepaar nach Österreich zurück und ist seither hier niedergelassen.

Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde ist der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z. 11 FPG, weil er seine ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmende - dafür, dass sie dies nicht getan hätte, gibt es keinen Anhaltspunkt - österreichische Ehefrau nach Österreich begleitet hat. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG hätte daher über seine Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Wien entscheiden müssen. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien hätte die Berufung gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die genannte zuständige Behörde weiterleiten müssen. Dies gilt auch für die im Devolutionsweg angerufene belangte Behörde.

2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

3. Der Zuspruch von Kosten beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 14. Juni 2007

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