Normen
ABGB §1332;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §10 Abs2 impl;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §46 Abs1;
ABGB §1332;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §10 Abs2 impl;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §46 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 9. Juli 2003 gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei festgestellt. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 15. Juli 2003 beim Bundesasylamt ausgefolgt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer die erst am 2. August 2003 per Telefax eingebrachte Berufung, die in der Folge mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Juni 2004 als verspätet zurückgewiesen wurde.
Nach der am 29. April 2004 erfolgten Zustellung des Verspätungsvorhaltes der Berufungsbehörde stellte der Beschwerdeführer mit dem am 11. Mai 2004 per Telefax an das Bundesasylamt übermittelten Schriftsatz den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Zur Begründung wurde vorgebracht, der Beschwerdeführer habe bei der Verfassung der Berufung die Hilfe der Rechtsberatungsstelle der Diakonie in T. in Anspruch genommen. Er sei bei seiner Vorsprache am 22. Juli 2003 gefragt worden, wann ihm der Bescheid zugestellt worden sei. Entgegen der üblichen Praxis habe dieser Bescheid (offenbar gemeint: die ihm übergebene Ausfertigung) auf der letzten Seite nämlich keinen Stempel aufgewiesen, der die Ausfolgung des Bescheides "per Datum und Unterschrift" bestätige. Da kein Dolmetsch zur Verfügung gestanden sei, habe der Beschwerdeführer mit den wenigen Worten, die er auf Deutsch spreche, zu erklären versucht, dass er den Bescheid "heute vor einer Woche" erhalten habe. Leider sei er missverstanden und auf der Kopie des Bescheides im Akt der Beratungsstelle vermerkt worden, dass er den Bescheid "heute", also am 22. Juli 2003, erhalten habe. Aus diesem Grund sei das Ende der Berufungsfrist fälschlich mit 5. August 2003 berechnet und die Berufung von der Beratungsstelle - "im guten Glauben, in offener Frist zu handeln" -
am 2. August 2003 an das Bundesasylamt gesendet worden. Der Beschwerdeführer habe nicht auffallend sorglos gehandelt, weil er korrekt angegeben habe, wann ihm der Bescheid zugestellt wurde, und für ihn nicht erkennbar gewesen sei, dass er missverstanden worden sei. Es sei für ihn daher nicht absehbar gewesen, dass seine Berufung verspätet abgeschickt werde; vielmehr habe er im guten Glauben davon ausgehen können, dass seine Berufung fristgerecht "erledigt" werden würde. Auch aus der Sicht des Beraters habe kein Grund bestanden, an der Richtigkeit des Zustelldatums, das er verstanden habe, zu zweifeln.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates (der belangten Behörde) vom 8. September 2004 wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag "im Grunde des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG" abgewiesen.
Die belangte Behörde legte das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag zugrunde und kam aus rechtlichen Überlegungen zu dessen mangelnder Berechtigung, wobei sie folgende - im angefochtenen Bescheid wörtlich wiederholte - "Bewertung" des Bundesasylamtes für zutreffend erachtete:
"Es muss von Personen, die um die Gewährung von Asyl ansuchen, erwartet werden, dass sie dem Verfahrensablauf und insbesondere der Zustellung von behördlichen Schriftstücken erhöhte Aufmerksamkeit widmen. Selbst wenn die Behauptung des Antragstellers, dass der an ihn ausgefolgte Bescheid keinen Vermerk bezüglich des Zeitpunktes der Ausstellung (gemeint: Zustellung) beinhaltet (den Beweis dafür blieb er im Übrigen schuldig), so ist daraus für ihn nichts zu gewinnen, das behauptete Missverständnis hätte leicht an Hand eines Kalenders ausgeräumt werden können. Dass der (den) Antragsteller an der Versäumung der Frist kein Verschulden oder lediglich ein minderer Grad des Versehens trifft, kann nicht erkannt werden.
Seiner Verantwortung betreffend des Fehlens eines Vermerkes über den Zeitpunkt der Ausfolgung des Bescheides kann auch deswegen nicht gefolgt werden, zumal Schriftstücke, die per Post (etwa mit RSa) zugestellt werden, nach Entfernen des Rückscheines (zumeist) keinen Vermerk über den Zeitpunkt der Zustellung beinhalten und auch in diesem Fall vom Empfänger erhöhte Sorgfalt betreffend den Zeitpunkt der Zustellung geboten ist."
Daran anschließend argumentierte die belangte Behörde dahin,
der Beschwerdeführer gestehe selbst zu, dass "hinsichtlich einer
zentralen - und offenbar einzigen - Kommunikation mit der
'Rechtsberatungsstelle der Diakonie in T. ... kein
Dolmetsch zur Verfügung stand', dies, obwohl der
Berufungswerber offenbar selbst nur 'wenige Wörter ... auf
Deutsch' spricht und obwohl - dies ist mangels irgendeines anderen Anhaltspunktes in der vom Wiedereinsetzungswerber selbst gegebenen Schilderung anzunehmen - offenbar auch keine reibungslose Kommunikation in einer Drittsprache möglich war." Die belangte Behörde erachtete "die Führung einer derartigen Kommunikation als auffallende Sorglosigkeit, und zwar nicht nur seitens der 'Rechtsberatungsstelle der Diakonie', sondern auch seitens des Wiedereinsetzungswerbers". Dieser habe nämlich aufgrund der in türkischer Sprache beigegebenen Übersetzung des Bescheidspruches und der Rechtsmittelbelehrung sowohl über den normativen Inhalt des Bescheides als auch über die Bedeutung der Einhaltung der Berufungsfrist nicht im Unklaren sein können. Auffallende Sorglosigkeit schließe jedoch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG aus.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei (unter anderem) gegen die Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Die belangte Behörde hat zum Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag keine Ermittlungen durchgeführt und es demzufolge auch keiner Beweiswürdigung unterzogen, sondern es seiner rechtlichen Beurteilung zur Gänze zugrundegelegt. Davon ausgehend ist zunächst hervorzuheben, dass der Mitarbeiter der genannten Rechtsberatungsstelle vom Beschwerdeführer nicht bevollmächtigt wurde. Dem Beschwerdeführer ist daher - anders als bei einem Vertreter - dessen Verschulden nicht zuzurechnen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. April 2005, Zl. 2005/20/0080, mit weiteren Nachweisen). Soweit die belangte Behörde daher auch eine auffallende Sorglosigkeit "seitens der Rechtsberatungsstelle" annahm, steht das der Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht entgegen. Maßgeblich ist daher, ob den Beschwerdeführer selbst ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden daran trifft, dass die Berufung zu spät erhoben wurde.
Das könnte zunächst dann der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer ein solches Verschulden bei der Auswahl oder bei der erforderlichen Überwachung der Hilfsperson vorzuwerfen wäre. Auf ein Auswahlverschulden deutet im vorliegenden Fall nichts hin. Zur Überwachungspflicht hat der Verwaltungsgerichtshof bereits judiziert, einen Asylwerber, für den sich kein Anlass ergeben habe, an der Verlässlichkeit eines von ihm beigezogenen Beraters zu zweifeln, treffe kein und jedenfalls kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes, als auffallende Sorglosigkeit zu wertendes Verschulden, wenn er sich nicht im nachhinein davon zu überzeugen versucht, dass der Berater die vom Asylwerber unterfertigte Berufung, wie zugesagt, fristgerecht eingebracht hat (vgl. das schon zitierte Erkenntnis vom 21. April 2005, Zl. 2005/20/0080, mit weiteren Nachweisen). Diese Überlegungen gelten mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch für den vorliegenden Fall. Dem entsprechend hat die belangte Behörde - zutreffend - eine Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines groben Auswahlverschuldens oder einer grob schuldhaften Verletzung einer Überwachungspflicht auch nicht in Betracht gezogen.
Vor diesem Hintergrund war der Beschwerdeführer aber - entgegen der Meinung der belangten Behörde in einem weiteren Begründungsteil - auch nicht gehalten, im Wiedereinsetzungsantrag ein Vorbringen zu erstatten, welches unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis im Sinne der eingangs zitierten Bestimmung einer Übermittlung des am 22. Juli 2003 unterfertigten Berufungsschriftsatzes innerhalb der am 29. Juli 2003 endenden Berufungsfrist entgegen gestanden sei.
Die auffallende Sorglosigkeit des Beschwerdeführers erblickte die belangte Behörde vor allem darin, dass er trotz der zugestandenen mangelnden Deutschkenntnisse dem Beratungsgespräch keinen Dolmetsch beigezogen habe. Werden dadurch - so bemerkte die belangte Behörde aus Anlass der Aktenvorlage erläuternd - "(nahezu) vollständige sprachliche Barrieren beim einzigen, der Vorbereitung der Einbringung eines Rechtsmittels dienenden Gespräch bestehen" gelassen, dann provoziere eine derartige Haltung geradezu zwangsläufig - leicht vorhersehbare - kommunikative Missverständnisse der in Rede stehenden Art. Diese Überlegungen der belangten Behörde scheinen außer Acht zu lassen, dass es für den diesbezüglichen Verschuldensvorwurf allein auf den Horizont des Beschwerdeführers ankommt. Nach dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag hat er dem Berater den Zustellzeitpunkt aber korrekt mitgeteilt. Der aus der (von der belangten Behörde übernommenen) Begründung des erstinstanzlichen Bescheides entnehmbare Vorwurf, der Beschwerdeführer habe dem Zustellzeitpunkt nicht die gehörige Aufmerksamkeit gewidmet, ist daher nicht nachvollziehbar, was auch in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird. Gleiches gilt für den Hinweis, das behauptete Missverständnis hätte leicht an Hand eines Kalenders ausgeräumt werden können, weil das voraussetzt, das Bestehen eines Missverständnisses sei erkannt worden. Davon kann aber nach dem - zugrunde zu legenden, bei dessen wörtlicher Wiedergabe im angefochtenen Bescheid insoweit jedoch weggelassenen - Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht ausgegangen werden. Danach war für den Beschwerdeführer nämlich nicht erkennbar, dass er in Bezug auf das Zustelldatum falsch verstanden wurde. Von daher bestand für den Beschwerdeführer - aus seiner allein maßgeblichen Sicht - auch kein ausreichender Anlass, insoweit die Notwendigkeit der Beiziehung einer sprachkundigen Person zu erkennen oder sonst weitere Aufklärungen zum Zustellzeitpunkt zu geben. Erachtete der Berater die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich des Zeitpunkts der Bescheidausfolgung offenbar für ausreichend verständlich, wäre es ein Überspannen der Sorgfaltspflichten, würde man dem Beschwerdeführer vorwerfen, er habe deshalb das zumutbare Maß an Aufmerksamkeit so extrem unterschritten, dass sich darauf das Urteil auffallender Sorglosigkeit gründen lässt, weil er nicht von sich aus einen Dolmetsch beigezogen hat.
Das hat die belangte Behörde verkannt, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. Oktober 2006
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