VwGH 2005/07/0169

VwGH2005/07/01696.7.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Bumberger, Dr. Beck, Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Chlup, über die Beschwerde 1. des JA und

2. der CA, beide in S, beide vertreten durch Dr. Walter Hasibeder und Dr. Josef Strasser, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Roßmarkt 1, gegen den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit betreffend die Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung (Beteiligte gemäß § 8 AVG: 1. Stadtgemeinde M und 2. Gemeinde S, beide vertreten durch Dr. Werner Ungeringer und Dr. Anton Ullmann, Rechtsanwälte in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 20), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs9;
VwGG §39;
VwGG §62 Abs2;
AVG §66 Abs2;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §36 Abs9;
VwGG §39;
VwGG §62 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in Verbindung mit § 66 Abs. 2 AVG wird der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B vom 28. Mai 1982 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Bezirkshauptmannschaft B zurückverwiesen.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In den Jahren 1956 bis 1970 ließen die Stadtgemeinde M und die Gemeinde S (im Folgenden: Mitbeteiligte) am Sch-Bach ohne wasserrechtliche Bewilligung Regulierungsarbeiten durchführen.

1969 führten die Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer bei der Bezirkshauptmannschaft B (BH) Beschwerde darüber, dass durch diese Regulierungsmaßnahmen der Wasserzufluss zu ihrer Fischzuchtanlage beeinträchtigt worden sei.

Mit dem im Devolutionsweg gemäß § 73 AVG ergangenen Bescheid vom 8. August 1972 verpflichtete der Landeshauptmann von Oberösterreich (LH) die Mitbeteiligten, entweder nachträglich um die wasserrechtliche Bewilligung für die Regulierungsarbeiten anzusuchen oder die eigenmächtig vorgenommene Neuerung zu beseitigen. Einer gegen diesen Bescheid von den Mitbeteiligten eingebrachten Berufung wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 23. August 1973 keine Folge gegeben.

In der Folge beantragten die Mitbeteiligten bei der BH die nachträgliche Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung für die Regulierung.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juli 1977 wurde den Mitbeteiligten die beantragte wasserrechtliche Bewilligung erteilt; die Anträge und Einwendungen der Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer wurden zurückgewiesen.

Dieser Bescheid wurde auf Grund einer Beschwerde u.a. der nunmehrigen Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. November 1979, 1893/77, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben. Begründet wurde diese Entscheidung damit, die belangte Behörde habe sich zwar teilweise mit den Einwendungen der Beschwerdeführer auseinander gesetzt, jedoch nicht in erschöpfender Weise; somit sei erkennbar, dass die belangte Behörde mit ihrer Bestätigung der Zurückweisung der erhobenen Einwendungen in Wahrheit keine Sachentscheidung habe fällen wollen. Die belangte Behörde habe nämlich in ihrer knapp gehaltenen Bescheidbegründung nicht eindeutig erkennen lassen, welchen Zeitpunkt sie als für die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und einer allfälligen Beeinträchtigung für maßgebend erachtet habe. Die Beschwerdeführer seien mit ihrem Einwand im Recht, dass durch das Vorgehen der Mitbeteiligten ohne wasserrechtlichen Konsens und ohne entsprechende seinerzeitige Erhebungen über den Grundwasserstand ein Beweisnotstand herbeigeführt worden sei. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes wäre mit entsprechender Erhärtung durch Sachverständigengutachten - unter Bedachtnahme auf die ursprünglich im Zeitpunkt des Beginnes der Regulierungsarbeiten gegebenen bzw. zu vermutenden Verhältnisse - in möglichst genauer Weise zu ermitteln gewesen, welche hydrogeologischen und hydrologischen Verhältnisse im Zeitpunkt der Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung mutmaßlicherweise dann bestanden hätten, wenn die konsenslos durchgeführten Regulierungsarbeiten bisher gar nicht vorgenommen worden wären. Von diesem fiktiven Zustand wäre auszugehen, um beurteilen zu können, ob und inwieweit die - tatsächlich bereits gesetzwidrig erfolgten - Regulierungsmaßnahmen Rechte der Beschwerdeführer berühren würden. Den Beschwerdeausführungen sei auch insofern Berechtigung zuzusprechen, als zu wenig auf näher bezeichnete Sachverständigenausführungen eingegangen worden sei. Insbesondere sei den von den Beschwerdeführern vorgetragenen Argumenten über den Ausschluss möglicher sonstiger Ursachen für den Rückgang des Wasserdargebotes nicht die entsprechende Beachtung geschenkt worden.

Im fortgesetzten Verfahren wurden durch die Oberbehörde die Bescheide der Unterinstanzen aufgehoben.

Im Zuge des von der BH neu durchgeführten Verfahrens vertraten die Beschwerdeführer weiterhin unter Hinweis auf von ihnen vorgelegte Unterlagen den Standpunkt, die Regulierung und der durch sie geschaffene Zustand seien die Ursache für einen enormen Rückgang der Wasserzufuhr zu ihrer Fischzuchtanlage; diese Regulierung verletze daher ihre Rechte.

Mit Bescheid vom 28. Mai 1982 erteilte die BH den mP neuerlich die wasserrechtliche Bewilligung für die durchgeführten Regulierungsmaßnahmen; die Einwendungen der Beschwerdeführer gegen diese Bewilligung wurden abgewiesen, Schadenersatzforderungen zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführer beriefen. Zur Entscheidung über diese Berufung wurde auf Grund eines Devolutionsantrages die belangte Behörde zuständig.

Das von der belangten Behörde eingeholte Amtssachverständigengutachten kam mit eingehender Begründung zu dem Ergebnis, die Regulierung des Sch-Baches habe keinen Einfluss auf das Wasserdargebot für die Fischzuchtanlage der Beschwerdeführer.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 1996 wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der BH vom 28. Mai 1982 ab.

Dieser Bescheid wurde von den Beschwerdeführern mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft. Dieser hob den Bescheid mit Erkenntnis vom 6. August 1998, 97/07/0080, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Begründet wurde diese Entscheidung damit, die belangte Behörde habe sich nicht mit Stellungnahmen und Privatgutachten der Beschwerdeführer auseinander gesetzt.

Im fortgesetzten Verfahren holte die belangte Behörde ein ergänzendes Amtssachverständigengutachten ein und brachte es den Beschwerdeführern zur Kenntnis. Dieses Gutachten verneint einen Zusammenhang zwischen Sch-Bachregulierung und Verringerung des Wasserdargebotes für die Fischzuchtanlage.

Die Beschwerdeführer erstatteten dazu eine Stellungnahme, der ein Privatgutachten angeschlossen war, welches einen kausalen Zusammenhang zwischen der Sch-Bachregulierung und dem Rückgang des Wasserdargebotes für ihre Fischzuchtanlage belegen sollte.

Mit Schriftsatz vom 12. März 2004 teilten die Beschwerdeführer der belangten Behörde mit, im Verfahren zur Erweiterung der Abwasserbeseitigungsanlage der Gemeinde S seien umfangreiche Beweissicherungsmaßnahmen durchgeführt worden, in die auch die Beschwerdeführer eingebunden gewesen seien. Da sich das Beweissicherungsgebiet in wesentlichen Bereichen mit dem Sch-Bachregulierungsgebiet decke, habe sich die Möglichkeit geboten, umfangreiche weitere technische Daten zu gewinnen und damit eine Befundgrundlage zu schaffen, die allen Anforderungen entspreche. Diesem Schriftsatz angeschlossen war eine von einem Privatgutachter erstellte "Befundaufnahme und Beweissicherung". Darin heißt es abschließend, durch diese Befundaufnahme hätten sechs näher umschriebene, bis dato ungelöste Problemstellungen zur Begutachtung durch den Amtssachverständigen aufbereitet werden können. Die Beschwerdeführer beantragten, diese Unterlage dem Amtssachverständigen zur Erstellung seines weiteren im Verfahren noch notwendigen Gutachtens zur Verfügung zu stellen.

Mit Schriftsatz vom 20. April 2005 übermittelten die Beschwerdeführer der belangten Behörde ein Gutachten zweier Professoren der Universität für Bodenkultur vom 14. Februar 2005, welches zu dem Ergebnis kommt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Sch-Bachregulierung und dem Rückgang der Quellschüttung bei der Fischzucht der Beschwerdeführer bestehe.

Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2005 legten die Mitbeteiligten ein Gutachten eines Privatgutachters vor, welches einen Zusammenhang zwischen Sch-Bachregulierung und Grundwasserabfluss verneint.

Außerdem wurden der belangten Behörde von den Verfahrensparteien seit der Aufhebung ihres Bescheides vom 14. Oktober 1996 durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. August 1998, 97/07/0080, noch weitere Unterlagen (Gerichtsurteile, Zusammenstellungen von Unterlagen etc. ) vorgelegt.

Die belangte Behörde selbst holte Unterlagen von Unterbehörden ein.

Da die belangte Behörde keine Entscheidung über ihre Berufung traf, erhoben die Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Eine Entscheidung durch die belangte Behörde erfolgte auch nicht innerhalb der vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Frist zur Nachholung des versäumten Bescheides.

Die Zuständigkeit ist daher auf den Verwaltungsgerichtshof übergegangen.

Dieser hat in der Sache erwogen:

§ 66 Abs. 2 AVG lautet:

"(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen."

Die Beschwerdeführer behaupten, durch die Sch-Bachregulierung komme es zu einem Eingriff in ihre wasserrechtliche geschützten Rechte, weil durch diese Regulierung der Zufluss von Wasser zu ihrer Fischzuchtanlage verringert werde. Den beteiligten Parteien hätte daher nicht die (nachträgliche) Bewilligung für diese Sch-Bachregulierung erteilt werden dürfen.

Zur Frage, ob ein Kausalzusammenhang zwischen der Sch-Bachregulierung und der behaupteten Beeinträchtigung der Wasserbenutzungsrechte der Beschwerdeführer besteht, gibt es eine Reihe von Gutachten und Stellungnahmen, von denen ein Teil einen solchen Kausalzusammenhang bejaht, während ein Teil ihn verneint.

Darüber hinaus haben die mitbeteiligten Parteien im Säumnisbeschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in einem Schriftsatz vom 22. Mai 2006 behauptet, jene Wasserrechte, deren Beeinträchtigung durch die Sch-Bachregulierung von den Beschwerdeführern behauptet werde, seien mittlerweile erloschen.

Der dem Verwaltungsgerichtshof vorliegende Sachverhalt ist daher völlig ungeklärt und somit mangelhaft im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG.

Zu klären ist zunächst, ob die Behauptung der mitbeteiligten Parteien zutrifft, dass jene Wasserrechte, deren Beeinträchtigung durch die Sch-Bachregulierung die Beschwerdeführer geltend machen, erloschen sind. Wenn dies zu verneinen ist, ist die Frage zu beantworten, ob durch die Sch-Bachregulierung, deren (nachträgliche) wasserrechtliche Bewilligung Gegenstand des bekämpften Bescheides der BH vom 28. Mai 1982 ist, die wasserrechtlich geschützten Rechte der Beschwerdeführer beeinträchtigt werden.

Angesichts der Komplexität des Sachverhaltes, die sich nicht zuletzt in den bisher vorliegenden, einander widersprechenden Gutachten widerspiegelt, scheint die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 2004, 2001/10/0231, in welchem der Gerichtshof ausgesprochen hat, dass Komplexität der zu klärenden Sach- und Rechtsfragen ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG rechtfertigt). Nur wenn den Parteien Gelegenheit geboten wird, die zu klärenden Fragen, insbesondere auch erforderliche Gutachten, in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern, ist im Beschwerdefall zu erwarten, dass der Sachverhalt so geklärt und aufbereitet wird, dass er für eine rechtliche Beurteilung des Falles ausreicht.

Ist eine Säumnisbeschwerde zulässig, so kann der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 36 Abs. 9 VwGG das zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes erforderliche Ermittlungsverfahren durch die von ihm selbst zu bestimmende Gerichtsbehörde oder Verwaltungsbehörde durchführen oder ergänzen lassen, woraus sich ergibt, dass der Verwaltungsgerichtshof die Ermittlungen auch selbst durchführen kann (vgl. das Erkenntnis vom 27. Juni 1990, 90/18/0010).

§ 36 Abs. 9 VwGG bedeutet nicht, dass der Verwaltungsgerichtshof im Falle einer Säumnisbeschwerde nicht von der Möglichkeit des § 66 Abs. 2 AVG Gebrauch machen kann. Im Säumnisbeschwerdeverfahren ist § 66 Abs. 2 AVG auf Grund des § 62 Abs. 2 VwGG subsidiär anzuwenden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juni 1975, 249/75).

Die Durchführung des erforderlichen Ermittlungsverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof scheidet im Beschwerdefall schon deswegen aus, weil der Veraltungsgerichtshof nicht über den für Sachverhaltsermittlungen dieser Komplexität erforderlichen Apparat verfügt.

Die Beauftragung einer Verwaltungsbehörde scheint wegen der damit verbundenen Trennung von entscheidungsbefugter Instanz und verfahrensführender Stelle bei einem Verfahren von der Komplexität des vorliegenden nicht zweckmäßig.

Es war daher von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, den erstinstanzlichen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückzuverweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 6. Juli 2006

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