VwGH 2002/15/0076

VwGH2002/15/007626.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde der D KEG in S, vertreten durch Dr. Frank Riel, Dr. Wolfgang Grohmann und Dr. Josef Cudlin, Rechtsanwälte in 3500 Krems/Donau, Gartenaugasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VIIa) vom 13. März 2002, GZ. RV/35-17/02, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 1997 bis 1999, zu Recht erkannt:

Normen

31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13 TeilA Abs1 litc;
BAO §289 Abs1;
BAO §303 Abs4;
BAO §305 Abs1;
EStG 1988 §22;
EStG 1988 §23;
UStG 1994 §6 Abs1 Z19;
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art13 TeilA Abs1 litc;
BAO §289 Abs1;
BAO §303 Abs4;
BAO §305 Abs1;
EStG 1988 §22;
EStG 1988 §23;
UStG 1994 §6 Abs1 Z19;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Gesellschaft Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Die beschwerdeführende KEG (in der Folge: Beschwerdeführerin) betreibt ein Ambulatorium für elektrophysikalische Medizin und Hydrotherapie. Persönlich haftender Gesellschafter ist Dr. med. Peter N., Kommanditisten der Beschwerdeführerin sind Dr. med. Heinz N. und Rosemarie N.

1.2. In den Umsatzsteuererklärungen der Streitjahre erklärte die Beschwerdeführerin neben Umsätzen, die mit dem Normalsteuersatz bzw. mit dem ermäßigten Steuersatz zu versteuern waren, auch steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug (§ 6 Abs. 1 Z. 19 UStG 1994).

1.3. Die Veranlagung zur Umsatzsteuer wurde jeweils erklärungsgemäß vorgenommen.

2.1. Im Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Buch- und Betriebsprüfung bei der Beschwerdeführerin vom 3. Jänner 2001 wurde unter Tz 27, Wiederaufnahme des Verfahrens, Folgendes ausgeführt:

"Hinsichtlich nachstehend angeführter Abgabenarten und Zeiträume wurden Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme eines Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen:

Abgabenart

Zeitraum

Hinweis auf Tz

Umsatzsteuer

1997 - 1999

16 - 17

einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung

1997 - 1999"

 

Unter den verwiesenen Tz 16 und 17 ist Folgendes wörtlich

ausgeführt:

"Tz 16

Umsatzermittlung - steuerfreie Umsätze

UStG § 6 (1) 19 in Verbindung mit EStG § 22

Grundlagen für die Umsatzermittlung stellen die Honorarnoten dar, die auf Grund der Aufzeichnungen der Patientenkartei erstellt werden. Diese Aufzeichnungen ermöglichen eine exakte Zuordnung zu den 10 und 20 prozentigen Umsätzen einerseits, als auch zu den nach § 6 (1) 19 UStG steuerfreien Umsätzen ohne Vorsteuerabzug, andererseits.

Die steuerfreien Umsätze resultieren aus Erst- und Abschlussuntersuchungen, die von den Gesellschaftern Dr. Peter N., Dr. Heinz N. und der Angestellten Dr. Magdalena N. durchgeführt werden.

Der Kommandit-Erwerbsgesellschaft (KEG) gehören Dr. Peter N. als persönlich haftender Gesellschafter sowie Dr. Heinz N. und Rosemarie N. als Kommanditisten an, wobei Dr. Peter und Dr. Heinz N. innerhalb der KEG selbständig als Ärzte tätig sind, ihre Leistungen jedoch nicht im eigenen Namen, sondern für die KEG abrechnen.

Durch die Finanzbehörde war nunmehr zu prüfen, ob die Voraussetzungen für steuerfreie Umsätze gemäß § 6 (1) 19 UStG gegeben sind.

Entscheidungsgründe:

UStG 94 § 6 (1) 19 in Verbindung mit EStG 88 § 22

Die Umsätze der KEG sind ab 1.1.1997 unecht steuerbefreit, wenn die Gewinnanteile den Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit im Sinne des § 22 Z. 3 EStG zuzuordnen sind.

Für eine Mitunternehmerschaft mit Einkünften aus selbständiger Arbeit ist dabei gem. § 22 Z. 3 EStG Voraussetzung, dass

 

1997

1998

1999

steuerfreie Umsätze lt. Erkl.

2,514.818,--

2,438.326,--

2,391.670,--

= 10 % Umsätze lt. BP

2,286.198,18

2,216.660,--

2,174.245,45

Umsätze 10 % gesamt

26,228.817,85

25,976.132,26

26,699.505,27

Die steuerfreien Umsätze des Jahres 1999 wurden in der USt-Erklärung in gleicher Höhe wie 1998 ausgewiesen. Durch die BP erfolgte die Berichtigung laut Saldenliste Konto 40400.

Die Daten für den Nachschauzeitraum wurden dem Fax vom 21.12.2000 entnommen.

1-8/2000 umsatzsteuerfrei 1,351.398,00 1,10 = 1,228.543,73

davon 10 % USt 122.854,37

Tz 17

Vorsteuern

Die im Zusammenhang mit den steuerfrei erklärten Umsätzen vorgenommene Vorsteuerkürzung in Höhe von 5.000,-- p.a. wird durch die BP storniert."

2.2. Das Finanzamt nahm mit Bescheiden vom 22. Februar 2001 die Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für das jeweilige Streitjahr gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf. In der Begründung wurde in den gleich lautenden Bescheiden ausgeführt, die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolge gemäß § 303 Abs. 4 BAO auf Grund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus sei auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen Bescheid zu ersehen.

Das Finanzamt erließ auch neue Sachbescheide für die Streitjahre, in denen die ursprünglich unecht steuerfrei belassenen Umsätze nunmehr den 10 %igen Umsätzen hinzugerechnet wurden.

2.3. Die Beschwerdeführerin erhob Berufungen vom 8. März 2001 sowohl gegen die Wiederaufnahme der Verfahren als auch gegen die Sachbescheide. Darin beantragte sie die ersatzlose Aufhebung der Bescheide hinsichtlich der Wiederaufnahme der Verfahren. Die Betriebsprüfung gehe davon aus, dass die Steuerfreiheit der Umsätze aus der ärztlichen Tätigkeit nicht anzuerkennen sei, weil an der Beschwerdeführerin auch eine Kommanditistin beteiligt sei, die keine Berufsbefugnis als Ärztin habe. Dieser Umstand sei dem Finanzamt jedoch seit Jahren bekannt. Weiters sei bekannt, dass die Steuerbefreiung für die Leistungen aus einer ärztlichen Tätigkeit geltend gemacht worden seien.

Zu den Sachbescheiden führte die Beschwerdeführerin aus, die Befreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z. 19 UStG für eine ärztliche Tätigkeit gelte dann, wenn die Leistung selbständig erbracht werde. Dies treffe für die Leistungen der Gesellschafter Dr. Heinz N. und Dr. Peter N. zu. Die beiden seien darüber hinaus für die gegenständlichen Leistungen aus ärztlicher Tätigkeit bei der Ärztekammer umlagepflichtig. Die beiden würden diese Leistungen mit getrennten Honorarnoten den Leistungsempfängern in Rechnung stellen, sodass diesen Leistungsempfängern auch klar ersichtlich sei, dass die Leistungen von einem selbständigen Arzt erbracht werden. Eine Aufstellung dieser Beträge findet sich in einer Anlage zur Berufung.

2.4. Die Betriebsprüfer führten in einer Stellungnahme zu den Berufungen u.a. wörtlich aus:

"...

Im Rahmen der Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass die Erst- und Abschlussuntersuchungen ausschließlich von den Gesellschaftern Dr. Peter N. und Dr. Heinz N., nicht aber auch von der Gesellschafterin Frau Rosemarie N., durchgeführt werden. Diese verrechnen dann ihre ärztlichen Leistungen an die betreffenden Leistungsempfänger. Vorgenannte Ausgangsrechnungen werden danach in der Buchhaltung der KEG auf dem Konto 40400 'Erlöse Ordination unecht befreit' verbucht und fließen damit in das Rechenwerk der KEG ein, an dem beide als Gesellschafter beteiligt sind (siehe Kopie AR 825 v. 3.9.1998).

..."

2.5. Mit Berufungsvorentscheidung vom 4. Oktober 2001 gab das Finanzamt den Berufungen hinsichtlich der Wiederaufnahmsbescheide statt; die Wiederaufnahmsbescheide wurden aufgehoben. Mit weiterem Bescheid vom 4. Oktober 2001 wurden die Berufungen gegen die neuen Sachbescheide Umsatzsteuer 1997 und 1999 gemäß § 273 Abs. 1 BAO zurückgewiesen, weil zufolge der stattgebenden Berufungsvorentscheidung hinsichtlich der Wiederaufnahmeverfahren diese Sachbescheide aus dem Rechtsbestand ausgeschieden seien.

3.1. Mit Bescheiden vom 9. Oktober 2001 nahm das Finanzamt die Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer 1997 bis 1999 wieder auf und erließ neue Sachbescheide. In der (gesonderten) Begründung der Wiederaufnahme der Verfahren wurde ausgeführt, im Rahmen des Betriebsprüfungsverfahrens bzw. des Berufungsverfahrens betreffend die Wiederaufnahme dieser Verfahren sei festgestellt worden, dass die Abrechnung der Erst- und Abschlussuntersuchungen der Beschwerdeführerin unterschiedlich erfolgt sei. Aus den Honorarnoten sei ersichtlich, dass verschiedene Leistungserbringer diese Untersuchungen im Streitzeitraum abgerechnet hätten. Honorarnoten seien von Dr. Peter N., Dr. Heinz N., Dr. Magdalena N. und von der Beschwerdeführerin ausgestellt worden. Somit ergebe sich als neue Tatsache, dass nach außen hin nicht nur die Ärzte Dr. Heinz N. bzw. Dr. Peter N. persönlich, sondern auch eine Dienstnehmerin der Beschwerdeführerin und die Beschwerdeführerin selbst ärztliche Leistungen erbracht hätten. Diese Umsätze seien unter Inanspruchnahme des § 6 Abs. 1 Z. 19 UStG 1994 als unecht befreit behandelt und dementsprechend abgerechnet worden. Dies sei auf Grund der Aktenlage, den abgegebenen Steuererklärungen und deren Beilagen nicht erkennbar gewesen. Die Kenntnis dieser neu hervorgekommenen Tatsache hätte jedoch anders lautende Bescheide zur Folge gehabt. Die Wiederaufnahme sei unter Bedachtnahme auf das Ergebnis der durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung bzw. des Berufungsverfahrens betreffend die Wiederaufnahme dieser Verfahren und der sich daraus ergebenden Gesamtauswirkung erfolgt. Bei der Interessensabwägung sei dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit (Parteieninteresse an der Rechtskraft) einzuräumen gewesen.

Zu den Sachbescheiden wurde in dieser Begründung ausgeführt, für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z. 19 UStG 1994 sei ausschlaggebend, wer die Leistung konkret erbringe und als Leistungserbringer den Patienten gegenüber in Erscheinung trete. Werde die Leistung vom Arzt als selbständig auftretenden Unternehmer erbracht, so sei die Leistung gemäß § 6 Abs. 1 Z. 19 UStG steuerbefreit. Werde hingegen die Leistung vom Ambulatorium oder durch einen Dienstnehmer des Ambulatoriums erbracht, so unterliege sie gemäß § 10 Abs. 2 Z. 15 UStG dem ermäßigten Steuersatz von 10 %.

3.2. Die Beschwerdeführerin erhob Berufungen vom 7. November 2001. Darin wurde ausgeführt, im Zuge des Betriebsprüfungsverfahrens sei auch damit argumentiert worden, dass die die Ärzte betreffenden Leistungen von diesen mit gesonderten Honorarnoten abgerechnet worden und die Rechnungen an die Patienten getrennt ausgefolgt worden seien. Diese Honorarnoten seien dem Prüfer auch auszugsweise vorgelegt worden. Auch bei der Besprechung im Zuge des Prüfungsabschlusses sei dieses Thema angeschnitten und die Argumentation wiederholt worden. Die Bescheide über die Wiederaufnahme seien unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht dahingehend begründet worden, dass an der Beschwerdeführerin auch Nichtärzte beteiligt seien. Die neuerliche Wiederaufnahme stütze sich auf die Argumentation der Beschwerdeführerin im Betriebsprüfungsverfahren über die von den Ärzten gesondert erstellten Honorarnoten. Darin werde nun eine neue Tatsache erblickt. Die im Zuge des Betriebsprüfungsverfahrens vorgelegten Unterlagen seien durch eine "USt-Nachschau" nochmals festgestellt worden. Daraus ergebe sich, dass vom Finanzamt die fehlenden Wiederaufnahmsgründe aus den mittlerweile aufgehobenen Wiederaufnahmebescheiden in den nunmehrigen Bescheiden dadurch ersetzt worden seien, dass schon im Betriebsprüfungsverfahren von der Beschwerdeführerin geltend gemachte und damals von der Behörde nicht als stichhaltig betrachtete und nicht als im Einklang mit der Rechtslage stehende Argumentationen nunmehr als Wiederaufnahmsgründe herangezogen werden. Die nunmehr ausgesprochene Wiederaufnahme stelle eine willkürliche Handlung dar, die noch dazu unter Missbrauch der Vorschriften über die Ermessensentscheidungen getroffen worden sei.

3.3. Die Betriebsprüfung nahm auch zu diesen Berufungen Stellung. Darin wurde u.a. wörtlich ausgeführt:

"...

Dazu ist anzuführen, dass erst durch das BP-Verfahren festgestellt wurde, dass überhaupt eine derartige Rechnungslegung, nämlich von selbständig tätigen Ärzten und von Dienstnehmern des Ambulatoriums erfolgte. Die Nichtverwertung dieser Feststellung für die Wiederaufnahme bzw. die Verwendung eines anderen Wiederaufnahmegrundes ändert nichts daran, dass das erstmalige Erkennen der verschiedenen Abrechnungsart im BP-Verfahren, also das Hervorkommen neuer Tatsachen, einen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstellt, welcher bereits vor Erlassung der erstmaligen Wiederaufnahmebescheide bestanden hat.

..."

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde den Berufungen keine Folge gegeben. In der Begründung wurde nach einer Darstellung des Verwaltungsverfahrens im Erwägungsteil ausgesprochen, strittig sei, ob die neuerliche Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 1997 bis 1999 zulässig sei. Das Finanzamt sei grundsätzlich nicht gehindert, hinsichtlich eines Verfahrens, das bereits einmal Gegenstand eines Wiederaufnahmebescheides gewesen sei, neuerlich die Wiederaufnahme zu verfügen. Allerdings dürfe die neuerliche Wiederaufnahme des Verfahrens nur aus anderen Gründen verfügt werden, als aus jenen im früheren Wiederaufnahmebescheid. Wenn - wie im vorliegenden Fall - das Finanzamt bereits im Zuge des Rechtsmittelverfahrens zum Ergebnis komme, dass der herangezogene Wiederaufnahmegrund eine amtswegige Wiederaufnahme nicht rechtfertige und demzufolge den Wiederaufnahmebescheid ohne die Abgabenbehörde zweiter Instanz damit zu befassen, mit stattgebender Berufungsvorentscheidung aufhebt und in weiterer Folge eine neuerliche Wiederaufnahme unter Heranziehung eines anderen Wiederaufnahmegrundes durchführe, so könne darin keine Rechtswidrigkeit erblickt werden. Für den im gegenständlichen Rechtsmittelverfahren zu beurteilenden Wiederaufnahmegrund bleibe festzuhalten, dass das Finanzamt erstmalig im Zuge der Betriebsprüfung Kenntnis darüber erlangt habe, dass die an der Beschwerdeführerin mitbeteiligten Ärzte für ihre selbständig erbrachten Leistungen im Rahmen der Tätigkeit der Beschwerdeführerin Honorarnoten gelegt haben. Die Nichtverwertung der Kenntnis dieser neuen Tatsache im Wiederaufnahmebescheid vom 22. Februar 2001 führe allerdings nicht dazu, dass diese Tatsache als "verbrauchter" Wiederaufnahmegrund zu werten sei, weil durch die den Berufungen vom 8. März 2001 stattgebenden Berufungsvorentscheidungen das Abgabenverfahren wieder in den Stand zurückversetzt worden sei, in dem es sich vor der verfügten (ersten) Wiederaufnahme befunden habe. In diesem Stadium des Verfahrens ist von der Kenntnis einer neuen Tatsache auszugehen.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs. 4 BAO unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein und in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 Abs. 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Auch die Wiederaufnahme von Amts wegen ist nur aus den gesetzlichen Wiederaufnahmegründen zulässig. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gemäß § 305 Abs. 1 BAO für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde. Demnach kann Sache, über die die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 289 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, bei einer Berufung der Partei gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gemäß § 305 Abs. 1 BAO zuständige Finanzamt nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen sein, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hatte. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Bei einem verfahrensrechtlichen Bescheid wie dem der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens von Amts wegen wird die Identität der Sache über die abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa die hg. Erkenntnisse vom 14. Mai 1991, 90/14/0262, vom 23. März 1999, 97/14/0069, und vom 20. Juli 1999, 97/13/0131).

Die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist nur dann zulässig, wenn im wiederaufgenommenen Verfahren ein anders lautender Bescheid zu erlassen ist. Dies trifft im Beschwerdefall nicht zu: In den wiederaufzunehmenden Verfahren betreffend Umsatzsteuer 1997 bzw. 1999 wurden die als "Erlöse Ordination (unecht befreit)" bezeichneten Umsätze gemäß § 6 Abs. 1 Z. 19 UStG 1994 als steuerfrei behandelt. Mit Bescheiden vom 22. Februar 2001 nahm das Finanzamt diese Verfahren wieder auf, weil an der Beschwerdeführerin mit Rosemarie N. eine Person beteiligt ist, die nicht freiberuflich im Sinn des § 22 Z. 3 EStG 1988 tätig ist. Die Umsätze "Erlöse Ordination (unecht befreit)" wurden daher den 10 %igen Umsätzen der Beschwerdeführerin hinzugerechnet. Diese Wiederaufnahme wurde über Berufung der Beschwerdeführerin mit Berufungsvorentscheidung vom 4. Oktober 2001 aufgehoben. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2001 nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend Umsatzsteuer 1997 bis 1999 neuerlich wieder auf. Im Rahmen der Betriebsprüfung sei bekannt geworden, dass nicht nur die Gesellschafter Dr. Peter N. und Dr. Heinz N. persönlich, sondern auch die Beschwerdeführerin und eine ihrer Dienstnehmerinnen ärztliche Leistungen erbracht hätten und diese Umsätze unter Inanspruchnahme des § 6 Abs. 1 Z. 9 UStG 1994 im Rechenwerk der Beschwerdeführerin als unecht steuerbefreit behandelt worden seien. Die von den Gesellschaftern Dr. Peter N. und Dr. Heinz N. erbrachten Leistungen seien aus dem Rechenwerk der Beschwerdeführerin auszuscheiden. Die der Beschwerdeführerin zuzurechnenden ärztlichen Leistungen unterlägen gemäß § 10 Abs. 2 Z. 15 UStG 1994 dem ermäßigten Steuersatz von 10 %.

Bei dieser Beurteilung geht die belangte Behörde offenbar auch von der im Betriebsprüfungsbericht vertretenen Rechtsansicht aus, weil wegen der Beteiligung einer nicht freiberuflich tätigen Kommanditistin ertragsteuerlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorlägen, könne auch die Befreiungsbestimmung des § 6 Abs. 1 Z. 19 UStG 1994 nicht in Anspruch genommen werden. Damit hat die belangte Behörde allerdings die Rechtslage verkannt: Z. 19 des § 6 Abs. 1 UStG 1994 zählt Berufe auf, die zwar auch in § 22 EStG 1988 unter Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit genannt sind. Ein Verweis auf diese Bestimmung oder gar eine rechtliche Bindung an sie findet sich in der Z. 19 nicht. Die umsatzsteuerrechtliche Steuerbefreiung ist vor allem auch vor dem Hintergrund des Gemeinschaftsrechts zu sehen und kann daher auch dann zur Anwendung kommen, wenn einkommensteuerrechtliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorliegen (vgl. z.B. Ruppe, UStG, 3. Auflage, § 6 Tz 417/2). Nach Auffassung des EuGH ist die Steuerbefreiung des Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. c der 6. MWSt-RL (inhaltgleich mit § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994) beispielsweise von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten Leistungen erbringt, unabhängig (vgl. auch dazu Ruppe, a.a.O. Tz 417/17, mit Hinweisen auf die Judikatur des EuGH), sodass allein wegen der Beteiligung Berufsfremder an einer ärztliche Leistungen erbringenden Gesellschaft die Steuerbefreiung noch nicht versagt werden könnte.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob bei den von der Beschwerdeführerin, einem Ambulatorium für elektrophysikalische Medizin und Hydrotherapie, erbrachten ärztlichen Leistungen nicht ohnehin der Grundsatz der Einheitlichkeit der Leistung hätte zur Anwendung kommen müssen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 26. Jänner 2006

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