VwGH 2002/13/0177

VwGH2002/13/017713.4.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Keidel LL.M., über die Beschwerde 1) des Dr. MB (2002/13/0177) in W und 2) des Mag. JM (2002/13/0178) in B, beide vertreten durch Dr. Christian Leskoschek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19/17, gegen die Bescheide der Abgabenberufungskommission Wien vom 26. Juni 2002, Zlen. 1) ABK - B 40/01 (2002/13/0177) und 2) ABK - M 45/01 (2002/13/0178), betreffend jeweils Haftung nach §§ 7 und 54 WAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1 idF 1992/040;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1 idF 1992/040;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheiden des Magistrates der Stadt Wien vom 17. Oktober 2000 wurden die Beschwerdeführer in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der D. GmbH für rückständige Abgaben dieser Gesellschaft, und zwar "Kommst/DGA Rest 1-9/98" im Betrag von S 38,-- "lt. Rev.v.25.1.99", "Kommst/DGA 10/98" im Betrag von S 17.789,-- "lt. Rev.v.25.1.99" und "Säumniszuschlag 10/98" im Betrag von S 357,--, in Summe S 18.184,-- ("entspr. 1.321,48 EURO"), zur Haftung herangezogen.

In ihren gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen machten die Beschwerdeführer (der Zweitbeschwerdeführer durch Verweis auf die Berufung des Erstbeschwerdeführers) geltend, dass sie am Unterbleiben der fristgerechten Entrichtung der Kommunalsteuer für den Monat Oktober 1998 kein Verschulden treffe. Diese sei erst am 16. November 1998 fällig geworden. Da sich zum Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für den Monat Oktober 1998 liquide Mittel in Höhe von S 4,8 Millionen auf dem Konto der D. GmbH bei ihrer Muttergesellschaft, der D. Bank AG, befunden hätten, sei von der Möglichkeit fristgerechter Begleichung der Kommunalsteuer für den Monat Oktober 1998 auszugehen gewesen. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für den Monat Oktober 1998 sei für die Beschwerdeführer nicht vorhersehbar gewesen, dass es der D. GmbH am 19. Oktober 1998 nicht mehr möglich sein würde, über ihre Konten bei der D. Bank AG zu verfügen.

Mit Berufungsvorentscheidungen jeweils vom 13. Februar 2001 wurden die Berufungen vom Magistrat der Stadt Wien als unbegründet abgewiesen. Anlässlich einer Revision sei festgestellt worden, dass die Löhne und Gehälter bis inklusive November 1998 ausbezahlt worden seien, während eine Entrichtung der am 15. November fälligen Kommunalsteuer für Oktober 1998 unterblieben sei, wird in der Begründung dieser Bescheide ausgeführt. Würden Löhne ausbezahlt, ohne die entsprechenden lohnabhängigen Abgaben abzuführen, dann werde mit einer solchen Vorgangsweise das Gebot der Gleichbehandlung aller Gläubiger verletzt. Dass den Beschwerdeführern die Erfüllung der sie treffenden Pflichten nicht möglich gewesen sei, hätten sie nicht nachgewiesen.

In ihren Anträgen auf Entscheidung über die Berufungen durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz traten die Beschwerdeführer dem Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung entgegen und brachten nach Wiederholung des Vorbringens in der Berufungsschrift ergänzend vor, dass ihnen das Unterbleiben einer Entrichtung der Kommunalsteuer für den Monat Oktober 1998 trotz Auszahlung der Gehälter für den Monat November 1998 mit Buchungstag vom 26. November 1998 nicht zur Last gelegt werden könne. Es habe im November 1998 nämlich die Einlagensicherung der Österreichischen Banken und Bankiers GmbH der D. Bank AG, welche damals unter Geschäftsaufsicht gestanden sei, zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt, damit diese der D. GmbH die für die Bezahlung der laufenden Gehälter erforderlichen Mittel zur Verfügung stelle. Die Gelder seien der D. GmbH mit der Auflage zur Verfügung gestellt worden, dass damit nur die laufenden Gehälter für den Monat November 1998 beglichen werden dürften. Jede andere Verfügung wäre den Beschwerdeführern untersagt und von der D. Bank AG als der kontoführenden Bank auch nicht durchgeführt worden. Zum Beweis für dieses Vorbringen beantragten die Beschwerdeführer die Vernehmung des "zu ladenden Geschäftsführers" der Einlagensicherung der Österreichischen Banken und Bankiers GmbH und die Vernehmung des Dr. X.Y., "ehemals Vorstand der D. Bank AG". Das Unterbleiben einer Zahlung der Gehälter für November 1998 hätte die Mitarbeiter zum vorzeitigen Austritt berechtigt, weshalb die Einlagensicherung der Österreichischen Banken und Bankiers GmbH die zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt habe. Auf die Entrichtung der Kommunalsteuer für den Monat Oktober 1998 hätten die Beschwerdeführer ab 19. Oktober 1998 keinen Einfluss mehr gehabt, weshalb ihnen das Unterbleiben der Entrichtung auch nicht vorgeworfen werden könne. Zum Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für Oktober 1998 habe die Gesellschaft noch über ausreichende liquide Mittel verfügt und sei auch nicht überschuldet gewesen.

Eine Aufforderung zur Nennung der Wohnadresse des als Zeugen geführten Dr. X.Y. wurde von den Beschwerdeführern mit der Mitteilung beantwortet, dass ihnen der Aufenthaltsort des Zeugen nicht bekannt sei.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen in der Sache als unbegründet ab. Unbestritten sei die Vertreterstellung der Beschwerdeführer und das Entstehen der haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen, auch deren Uneinbringlichkeit oder die Erschwerung ihrer Einbringlichkeit stehe zufolge Aufhebung des Konkurses über das Vermögen der D. GmbH mangels Kostendeckung fest, wird in den im Wesentlichen gleich lautend gestalteten Begründungen der angefochtenen Bescheide eingangs ausgeführt. Die Pflichtverletzung durch die Beschwerdeführer ergebe sich aus der Missachtung der Vorschriften über den Zeitpunkt der Entrichtung der Abgaben, wonach der Abgabepflichtige für jeden Monat längstens bis zum 15. des darauf folgenden Monats den Abgabenbetrag zu entrichten habe. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer habe die D. GmbH im Haftungszeitraum ausreichende liquide Mittel gehabt. Zum Beweis für ihre Behauptung, sie hätten über diese Mittel ab 19. Oktober 1998 nicht mehr verfügen können, weil die Konten der Primärschuldnerin eingefroren gewesen seien, hätten die Beschwerdeführer die Vernehmung des Dr. X.Y. beantragt, eine "ladungsfähige Adresse" des beantragten Zeugen aber nicht bekannt geben können. Die Einstellung eines wegen Übertretung des Kommunalsteuergesetzes anhängig gewesenen Verwaltungsstrafverfahrens habe keine Bedeutung für die Beurteilung der rechtlichen Voraussetzungen der Vertreterhaftung. Zur Beantwortung der entscheidenden Frage des Bestehens einer Verfügungsmöglichkeit der Beschwerdeführer über Gesellschaftsmittel "im Haftungszeitraum" könne eine Vernehmung des Geschäftsführers der Einlagensicherung der Österreichischen Banken und Bankiers GmbH "nichts beitragen", weshalb von der Aufnahme dieses Beweises habe Abstand genommen werden können. Da die Beschwerdeführer ihrem eigenen Vorbringen nach bis 18. Oktober 1998 über ausreichende Gesellschaftsmittel hätten verfügen können, fehle es für vor diesem Zeitpunkt fällig gewordene Abgaben an einer Behauptung der Unmöglichkeit der Abgabenentrichtung. Die Behauptung, sie hätten ab dem 19. Oktober 1998 über die - mit ausreichenden Mitteln gespeisten - Konten der Primärschuldnerin nicht mehr verfügen können, hätten die Beschwerdeführer nicht nachgewiesen. Es entspreche die Geltendmachung der Haftung auch den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit, weil Geschäftsführer, die ihre Pflichten verletzten, nicht besser als solche gestellt werden dürften, die ihre Pflichten erfüllten. Bei der Übung des "Auswahlermessens" sei davon auszugehen gewesen, dass jeden der Beschwerdeführer keine geringere Verantwortung als den zweiten Geschäftsführer treffe, der ebenfalls zur Haftung herangezogen worden sei.

Über die gegen diese Bescheide von den Beschwerdeführern gemeinsam erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 7 Abs. 1 WAO in der im gegenständlichen Fall anzuwendenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 40/1992 haften die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter und sonstigen Verpflichteten neben den Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern und sonstigen Verpflichteten auferlegten Pflichten, sei es abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten, bei den Abgabepflichtigen nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden können, insbesondere im Falle der Konkurseröffnung.

Nach § 54 Abs. 1 WAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Geschäftsführers, darzutun, weshalb er den auferlegten Pflichten nicht entsprochen habe, insbesondere nicht habe Sorge tragen können, dass die Gesellschaft die angefallenen Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war. Der Geschäftsführer haftet für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden sind, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschulden im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten (siehe etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Jänner 2005, 2004/13/0156, vom 24. September 2003, 2001/13/0286, und vom 22. März 2000, 97/13/0080, mwN, sowie die zur Bestimmung des § 9 Abs. 1 BAO ergangenen hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 2004, 2002/13/0218, und vom 17. Dezember 2003, 99/13/0032, mwN).

Die Beschwerdeführer werfen der belangten Behörde vor, das Fehlen eines ihnen anzulastenden Verschuldens nicht erkannt und zu Unrecht die von ihnen beantragten Beweise nicht aufgenommen zu haben. Wären die Beschwerdeführer über das Konto der D. GmbH bei der D. Bank AG zum maßgeblichen Zeitpunkt noch dispositionsfähig gewesen, dann hätte es einer Beistellung liquider Mittel durch die Einlagensicherung der Österreichischen Banken und Bankiers GmbH gar nicht bedurft, weil auf dem Konto der D. GmbH, über das die Beschwerdeführer aber - wie viele andere Kunden der D. Bank AG auch - ab dem 19. Oktober 1998 nicht mehr hätten verfügen können, ausreichende Mittel gelegen wären, tragen die Beschwerdeführer vor.

Für die bis Mitte Oktober 1998 fällig gewordenen Abgabenschulden der Gesellschaft haben die Beschwerdeführer, worauf von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend hingewiesen wird, im Verwaltungsverfahren kein Vorbringen erstattet, dem sich hätte entnehmen lassen, dass und weshalb die Beschwerdeführer am Unterbleiben fristgerechter Entrichtung solcher Abgabenteilbeträge kein Verschulden hätte treffen sollen. Anders verhält es sich allerdings hinsichtlich später, nämlich ab dem 19. Oktober 1998, fällig gewordener Abgaben. Dass das hinsichtlich solcher - den zahlenmäßig wesentlichen Teil der Haftungsschuld ausmachenden - Abgabenschulden erstattete Vorbringen der Beschwerdeführer grundsätzlich geeignet sein konnte, sie für den Fall seiner Erweislichkeit vom erhobenen Schuldvorwurf zu entlasten, hat auch die belangte Behörde nicht in Abrede gestellt, das Entlastungsvorbringen der Beschwerdeführer aber als nicht erwiesen angesehen. Diese Beurteilung der belangten Behörde aber ist Ergebnis eines mangelhaften Verfahrens.

Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeutet nicht, dass die Behörde von jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre; entspricht der Geschäftsführer nämlich seiner Obliegenheit, das Nötige an Behauptung und Beweisanbot zu seiner Entlastung darzutun, dann liegt es an der Behörde, erforderlichenfalls Präzisierungen und Beweise vom Geschäftsführer abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die von ihm angebotenen Entlastungsbehauptungen zu treffen (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2003, 2000/15/0119, sowie das zur Bestimmung des § 9 Abs. 1 BAO ergangene hg. Erkenntnis vom 28. November 2002, 2002/13/0151, mwN, und das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, 91/13/0037, 0038, Slg. N.F. Nr. 7.038/F).

Das Unterbleiben einer Vernehmung des Zeugen Dr. X.Y. werfen die Beschwerdeführer der belangten Behörde zwar ohne Grund vor, weil es an ihnen gelegen wäre, der belangten Behörde eine Ladung dieses Zeugen zu ermöglichen, doch durfte die belangte Behörde deswegen allein das Entlastungsvorbringen der Beschwerdeführer nicht ohne jedwede Ermittlungstätigkeit schon als unbewiesen abtun. Mag es auch zweifelhaft sein, ob mit dem Begehren auf Vernehmung des "zu ladenden Geschäftsführers" der Einlagensicherung der Österreichischen Banken und Bankiers GmbH mangels Nennung von Namen und Anschrift der zu vernehmenden Person ein ordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden war, war die belangte Behörde nach der Vorschrift des § 90 Abs. 3 WAO, welche den Abgabenbehörden aufträgt, Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen, trotzdem verhalten, das auf den ersten Blick nicht unplausibel anmutende Entlastungsvorbringen der Beschwerdeführer mit allen ihr zu Gebote stehenden Ermittlungsmaßnahmen zu prüfen.

Indem die belangte Behörde dies unterlassen hat, ist ihr eine Verletzung von Verfahrensvorschriften unterlaufen, bei deren Unterbleiben das Ergehen eines im Spruche anders lautenden Bescheides nicht ausgeschlossen werden kann.

Die angefochtenen Bescheide waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich - gemäß § 59 Abs. 1 VwGG in Bindung an den gestellten Antrag - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 13. April 2005

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