VwGH 2002/08/0229

VwGH2002/08/02297.9.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerden der H in L, vertreten durch Dr. Norbert Rinderer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 24, gegen die auf Grund von Beschlüssen des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheide der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol,

  1. 1. vom 7. Juni 2002, Zl. LGSTi/V1216/2293 25 07 65-707/2002, und
  2. 2. vom 8. Oktober 2002, Zl. LGSTi/V/1216/2293 25 07 65-707/2002, jeweils betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.982,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen

Begründung

I.

Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice forderte die Notstandshilfe beziehende Beschwerdeführerin zur Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme "Bewerbungstraining" mit Beginn am 8. April 2002 auf. Nachdem die Beschwerdeführerin ab dem 9. April 2002 nicht mehr zum Kurs erschienen war, wurde bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Niederschrift (ohne Datumsangabe) über die Gründe der Nichtteilnahme an der Maßnahme aufgenommen, in welcher die Beschwerdeführerin angab, bereits 1994 an einem Berufsorientierungskurs teilgenommen zu haben. Auf Grund dieses Kurses habe sie sich für eine Ausbildung als Pflegehelferin entschieden und diese auch beendet. Zur Zeit übe sie eine geringfügig entlohnte Beschäftigung als Taxilenkerin aus, welche sie nicht verlieren wolle. Vom Leiter des BWT (gemeint: Bewerbungstraining) sei ihr mitgeteilt worden, sie könne in dem angebotenen Kurs nicht viel lernen, weil sie diesen Kurs bereits einmal besucht habe.

Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle vom 24. April 2002 wurde ausgesprochen, die Beschwerdeführerin habe ihren Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum 8. April 2002 bis 19. Mai 2002 gemäß § 38 AlVG i.V.m. § 10 AlVG verloren, weil sie nicht bereit gewesen sei, an der Maßnahme "Bewerbungstraining" zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Wie bereits in der Niederschrift über die Gründe der Nichtteilnahme an der Maßnahme führte die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung gegen diesen Bescheid aus, sie habe bereits 1994 an einem Berufsorientierungskurs teilgenommen und daraufhin den Beruf einer Pflegehelferin erlernt. Sie habe für ein Kind zu sorgen und verlöre ihre derzeitige Teilzeitarbeitsstelle, wenn sie den von ihr ohnehin schon absolvierten Kurs nochmals besuchte.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 7. Juni 2002 wurde der Berufung keine Folge gegeben.

In der Begründung führte die belangte Behörde nach Gesetzeszitaten und einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, die Beschwerdeführerin müsse als Bezieherin von Notstandshilfe umso mehr bereit sein, alles in ihrem Verantwortungsbereich Mögliche zu unternehmen, um ihre Arbeitslosigkeit zu beenden. Nachdem das Arbeitsmarktservice versucht hätte, die Beschwerdeführerin an mehreren Stellen unterzubringen, sie diese jedoch wegen ihrer Kinderbetreuung bzw. geringfügigen Beschäftigung abgelehnt hätte, sei ihr der Besuch des Bewerbungstrainings empfohlen worden, um ihre Arbeitswilligkeit zu prüfen bzw. ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen. Daran ändere auch nichts, dass sie im Jahr 1994 den erwähnten Kurs besucht habe. Die Ausübung der geringfügig entlohnten Beschäftigung berechtige die Beschwerdeführerin nicht, eine andere Beschäftigung von vornherein abzulehnen, weil sie trotz geringfügiger Beschäftigung auch das Recht habe, Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe zu beziehen. Bezüglich ihrer Obsorgepflichten sei der Beschwerdeführerin die Möglichkeit einer Kinderbetreuungshilfe angeboten worden bzw. hätte sie bereit sein müssen, sich um eine Unterbringungsmöglichkeit zu kümmern. Sowohl der Wohnort der Beschwerdeführerin als auch der Ort des angebotenen Kurses lägen in L, weshalb auf familiäre Obsorgepflichten nicht einzugehen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 2002/08/0229 protokollierte Beschwerde.

II.

Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice erteilte am 17. Juli 2002 der Beschwerdeführerin den Auftrag, an der Maßnahme "BWT zur Wiedereingliederung bei Ibis" teilzunehmen. Als Kursbeginn wurde der 29. Juli 2002 genannt. Da die Beschwerdeführerin nicht zu der Maßnahme erschien, wurde von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice abermals eine Niederschrift (ohne Datumsangabe) aufgenommen. Als Grund für ihr Fernbleiben von der Maßnahme gab die Beschwerdeführerin an, sie wolle ihr Kind nicht in fremde Betreuung geben.

Mit Beschluss der regionalen Geschäftsstelle vom 8. August 2002 wurde ausgesprochen, die Beschwerdeführerin habe ihren Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum von 29. Juli 2002 bis 22. September 2002 auf Grund ihres Fernbleibens von der zugeteilten Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verloren.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, sie werde bereits zum dritten Mal in denselben Kurs geschickt. Da sie diesen bereits einmal besucht habe, könne sie in der Zuweisung keine Weiterbildung erblicken und hege den Verdacht, die Zuweisung diene lediglich der Verschönerung der Statistik des Arbeitsmarktservice. Zudem stelle es eine psychische Belastung für sie dar, ihr Kind in fremde Hände geben zu müssen. Die Beschwerdeführerin habe die Teilnahme an dem ihr angebotenen Kurs nicht verweigert, sondern keine Sinnhaftigkeit darin gesehen. Zudem habe sie eine Teilzeitstelle in Aussicht, welche sie bei einer Teilnahme am Kurs nicht antreten könnte.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2002 gab die belangte Behörde auch dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf ihren Bescheid vom 7. Juni 2002 (siehe Punkt I.), in welchem bereits ausgeführt worden sei, Bezieher von Notstandshilfe müssten bereit und willig sein, ihre Arbeitslosigkeit durch raschestmögliche Arbeitsaufnahme beenden zu helfen. Gebe die Beschwerdeführerin an, ihre Tochter nicht in fremde Betreuung geben zu wollen, so schränke sie ihre Arbeitsbereitschaft entsprechend ein und stehe der Arbeitsvermittlung letztendlich nicht zur Verfügung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 2002/08/0251 protokollierte Beschwerde.

III.

Die Beschwerdeführerin beantragt in ihren Beschwerden die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten der Verwaltungsverfahren vorgelegt und jeweils eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

IV.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen.

Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs (unter weiteren Voraussetzungen: acht) Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Nach ständiger Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Jänner 2000, Zl. 99/03/0132, und vom 15. März 2005, Zl. 2004/08/0047) kann aus den §§ 9 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AlVG nicht abgeleitet werden, dass es im freien Belieben des Arbeitsmarktservice stünde, einem Arbeitslosen (auch einem Langzeitarbeitslosen) entweder eine Arbeitsstelle zu vermitteln oder ihm eine Nach- oder Umschulung zuzuweisen.

Eine solche Zuweisung vermöge sich insbesondere nicht auf die vom Arbeitslosen auch wiederholt an den Tag gelegte Unwilligkeit, eine ihm durch das Arbeitsmarktservice zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, zu stützen. Für eine solche Maßnahme sei vielmehr Voraussetzung, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind. Das Arbeitsmarktservice habe diese Voraussetzung zu ermitteln und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung -

zur Kenntnis zu bringen. Von einer den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) nach sich ziehenden ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an einer ihm zugewiesenen Nach- oder Umschulungsmaßnahme teilzunehmen, könne demgemäß nur dann gesprochen werden, wenn sich diese Zuweisung konkret auf eine solche Maßnahme beziehe und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes und der Zumutbarkeit sowie Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolge.

Diese Subsidiarität gilt - angesichts des nach wie vor bestehenden Vorranges der Eingliederung bzw. Vermittlung einer dem Arbeitslosen zumutbaren Beschäftigung durch seine eigenen, von ihm zu entfaltenden Bemühungen oder durch das Arbeitsmarktservice - in entsprechender Weise auch im Verhältnis zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Demgemäß liegt eine ungerechtfertigte Weigerung eines Arbeitslosen, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, nur dann vor, wenn feststeht, dass die Kenntnisse und Fähigkeiten des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend sind und es daher solcher Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bedarf, und wenn schließlich das Arbeitsmarktservice das Ergebnis des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht hat und der Arbeitslose dennoch ohne wichtigen Grund die Teilnahme an dieser Maßnahme ablehnt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung die Erkenntnisse vom 19. März 2003, Zl. 2000/08/0087 und vom 15. März 2005, Zl. 2004/08/0047).

Ein Arbeitsloser ist zwar grundsätzlich verpflichtet, jedes Verhalten zu unterlassen, das objektiv geeignet ist, den Erfolg der Maßnahme zu vereiteln, dies gilt jedoch nicht, wenn sich die Zuweisung zur Maßnahme als rechtswidrig erweist (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis vom 15. März 2005).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin im gesamten Verwaltungsverfahren nicht darüber informiert wurde, weshalb gerade die Maßnahme "Bewerbungstraining" für sie ausgewählt worden ist und welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Beschwerdeführerin für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes fehlen.

Der Auffassung der belangten Behörde in der Begründung des zu 2002/08/0229 angefochtenen Bescheides, der Besuch des Bewerbungstrainings sei der Beschwerdeführerin empfohlen worden, "um ihre Arbeitswilligkeit zu prüfen bzw. ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen", ist - wie bereits oben ausgeführt - zu entgegnen, dass sich die Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung keineswegs auf eine etwaige zurückliegende Unwilligkeit, eine durch das Arbeitsmarktservice zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, stützen darf. Maßgeblich für eine Zuteilung zu einer Maßnahme sind allein die fehlenden Qualifikationen des Arbeitslosen für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung.

Die angefochtenen Bescheide und die vorgelegten Akten lassen nicht erkennen, dass der Beschwerdeführerin im Sinne der dargestellten Rechtsprechung bestimmte Kenntnisse und Fähigkeiten gefehlt hätten, die ihr durch die Maßnahme, deren Erfolg sie vereitelt haben soll, vermittelt worden wären. Überdies wurde ihr das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens hierüber unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Vereitelung nicht zur Kenntnis gebracht. War dies aber nicht geschehen, so konnte sich die Beschwerdeführerin weigern, an der Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen, ohne dass dies die Rechtsfolgen des § 10 Abs. 1 AlVG ausgelöst hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. März 2005, Zl. 2004/08/0047).

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. September 2005

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