VwGH 2003/06/0184

VwGH2003/06/018422.6.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hofer, über die Beschwerde des Dr. MV in W, vertreten durch Dr. Dieter Beimrohr, Rechtsanwalt in 9900 Lienz, Rosengasse 8, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 30. September 2003, Zl. Ve1-8-1/65-1, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde H, vertreten durch Dr. Bernd Oberhofer, Mag. Markus Lechner und Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schöpfstraße 6b), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §18 Abs4;
AVG §56;
GdO Tir 2001 §45 Abs2;
GdO Tir 2001 §45;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §18 Abs4;
AVG §56;
GdO Tir 2001 §45 Abs2;
GdO Tir 2001 §45;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Baugesuch vom 5. Februar 2003 begehrte die mitbeteiligte Gemeinde die Baubewilligung für den Neubau eines Friedhofes mit Kapelle und Nebenräumen auf einem dem Grundstück des Beschwerdeführers benachbarten Grundstück, auf welchem sich auch die Burg H befindet. Mit Kundmachung der Baubehörde erster Instanz vom 6. Februar 2003 wurde für 25. Februar 2003 eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle angeordnet und der Beschwerdeführer dazu auch persönlich geladen.

Der Beschwerdeführer erstattete in einer am 21. Februar 2003 beim Gemeindeamt der mitbeteiligten Gemeinde eingelangten Stellungnahme Einwendungen gegen das Bauvorhaben, insbesondere hinsichtlich der Widmung des verfahrensgegenständlichen Grundstücks als "Vorbehaltsfläche Friedhof".

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18. März 2003 in Abwesenheit des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 16. April 2003 gemäß § 26 Abs. 6 der Tiroler Bauordnung (TBO), LGBl. Nr. 15/1998, nach Maßgabe der Baupläne unter Vorschreibung bestimmter Auflagen die Baubewilligung für den Neubau eines Friedhofes mit Kapelle und Nebenräumen auf dem näher angeführten Grundstück erteilt und hinsichtlich der Einwendungen des Beschwerdeführers im Wesentlichen damit begründet, dass diese im Sinne des § 25 TBO nicht relevant seien und als unzulässig zurückgewiesen würden. Der Beschwerdeführer habe die gleichen bzw. ähnliche Einwendungen im Zuge des Flächenwidmungsverfahrens vorgebracht, diese seien vom Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde behandelt worden. Der Widmung sei mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 27. November 2002 die aufsichtsbehördliche Genehmigung erteilt worden. Sie habe am 18. Dezember 2002 Rechtskraft erlangt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er zusammengefasst damit begründete, dass die Absicht, in den Steilhang unter der Burg mit Gewalt einen Friedhof hineinzupressen, als abwegig zu bezeichnen sei.

Die in den vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens enthaltene Niederschrift der Sitzung des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 27. Mai 2003, in welcher die Berufung des Beschwerdeführers behandelt wurde, enthält diesbezüglich folgende Ausführungen:

"Der Vorsitzende stellt den Antrag der Berufung von Dr. MV vom 5. Mai 2003 Folge zu geben. Das Abstimmungsergebnis hierüber lautet:

4 Stimmen: 1 Für-Stimme, 2 Gegenstimmen, 1 Enthaltungen Nachdem eine Stimmenthaltung gem. § 45, Abs. 2 TGO als

Gegenstimme gewertet wird, wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.

Vor der Bescheidstellung ist allerdings zu prüfen, ob die Widmung des Friedhofsbereiches rechtskräftig ist und dort keine Formalfehler entstanden sind."

Auf Grund dieses Vorganges wurde mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 1. Juli 2003 die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass das Mitspracherecht des Nachbarn gemäß § 6 TBO 2001 auf bestimmte Rechtspositionen, wie Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein "Emissionsschutz" verbunden ist, Bestimmungen über den Brandschutz, Festlegungen des Bebauungsplanes und Abstandsbestimmungen beschränkt sei. Eine Verletzung derartiger öffentlich-rechtlicher Nachbarschutzvorschriften habe der Beschwerdeführer jedoch nicht geltend gemacht. Auch die allgemeinen Ausführungen, dass Sprengarbeiten erforderlich sein könnten und dadurch eine Gefährdung der Liegenschaften des Beschwerdeführers eintreten könnte, seien zu wenig konkret, insbesondere seien konkrete Sprengungen nicht Gegenstand des angefochtenen Bescheides. Ein Schutz vor derartigen Beeinträchtigungen ergebe sich jedoch nach den geltenden Rechtsvorschriften des Privatrechtes.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Vorstellung, in der er im Wesentlichen ausführte, dass im Gemeindevorstand lediglich zwei (von vier) Vorstandsmitgliedern für die Abweisung seiner Berufung gestimmt hätten, und im Übrigen sein Berufungsvorbringen wiederholte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Vorstellung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Dies wurde nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der Rechtsvorschriften im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer weder bis zum Tag der mündlichen Verhandlung noch bei der Bauverhandlung selbst zulässige Einwendungen im Sinne des § 25 Abs. 3 TBO 2001 erhoben habe. Die anlässlich der Bauverhandlung aufgenommenen Einwendungen des Beschwerdeführers vom 21. Februar 2003 und vom 14. März 2003 träfen auch nicht ansatzweise bau- und raumordnungsrechtliche Vorschriften entsprechend der Aufzählung in § 25 Abs. 3 TBO. Damit habe der Beschwerdeführer seine Parteistellung verloren und es wäre die Berufung als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Durch die Abweisung der Berufung sei der Beschwerdeführer jedoch nicht in Rechten verletzt worden.

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hinzuweisen, dass einem schlüssigen Sachverständigengutachten mit bloßen Behauptungen ohne Argumentation auf gleicher Ebene in tauglicher Art und Weise nicht entgegengetreten werden könne. Auch könne von Seiten der belangten Behörde keine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht dahingehend erblickt werden, dass dem Beschwerdeführer die Akten der Baubehörde entgegen seinem Wunsch nicht an das Magistratische Bezirksamt für den 1. Bezirk in Wien übermittelt worden seien, weil § 17 Abs. 1 zweiter Satz AVG bloß bestimme, dass sich die Parteien an Ort und Stelle Abschriften selbst anfertigen könnten oder nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten auf ihre Kosten Kopien anfertigen lassen könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Auch die - in zweifacher Hinsicht - mitbeteiligte Gemeinde erstattete eine Gegenschrift und beantragte ebenfalls die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 45 der Tiroler Gemeindeordnung 2002 - TGO, LGBl. Nr. 36/2001, lautet:

"§ 45

Abstimmungsverfahren

(1) Der Bürgermeister hat nach dem Schluss der Beratungen festzulegen, in welcher Reihenfolge über die Anträge abgestimmt werden soll. Die zur Abstimmung gebrachten Anträge sind genau zu bezeichnen.

(2) Zu einem gültigen Beschluss des Gemeinderates ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder des Gemeinderates erforderlich. Stimmenthaltung gilt als Ablehnung. Bei Stimmengleichheit gilt ein Antrag als abgelehnt.

(3) In der Regel ist offen durch Aufheben der Hand abzustimmen. Ist das Abstimmungsergebnis zweifelhaft, so hat der Bürgermeister die Gegenprobe, eine neuerliche Abstimmung oder die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen anzuordnen.

(4) Der Gemeinderat kann auf Antrag des Bürgermeisters oder eines Mitgliedes beschließen, namentlich oder geheim abzustimmen. Zur namentlichen Abstimmung hat der Schriftführer die Namen aller Mitglieder des Gemeinderates zu verlesen. Jedes Mitglied hat nach dem Aufruf seines Namens die Stimme abzugeben. Die Namen sind mit der abgegebenen Stimme in die Niederschrift aufzunehmen. Die geheime Abstimmung ist mit Stimmzetteln durchzuführen.

(5) Über die Besetzung von Stellen ist geheim abzustimmen. Der Gemeinderat kann auf Antrag des Bürgermeisters oder eines Mitgliedes beschließen, offen abzustimmen. Wahlen sind jedenfalls in geheimer Abstimmung durchzuführen."

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall verkannt, dass dem bei ihr angefochtenen Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde nach der Niederschrift Nr. 05/2003 über die Sitzung des Gemeindevorstandes vom Dienstag, den 27. Mai 2003, kein diese Entscheidung tragender Beschluss zu Grunde lag. Zum einen fand darin nämlich bloß der Antrag des Vorsitzenden, der Berufung des Beschwerdeführers Folge zu geben, keine ausreichende Mehrheit. Ein Beschluss, die Berufung abzuweisen, wurde nicht gefasst. Dies ist auch aus der Formulierung zu entnehmen, vor der Bescheiderstellung wäre noch zu prüfen, ob die Widmung des Friedhofsbereiches rechtskräftig ist und dort keine Formalfehler entstanden sind. Lag aber dem vor ihr bekämpften Bescheid des Gemeindevorstandes kein rechtmäßig zu Stande gekommener Kollegialbeschluss des Gemeindevorstandes zu Grunde, so hätte die belangte Behörde diesen - in der Vorstellung geltend gemachten - Mangel aufgreifen und den vor ihr bekämpften Bescheid im Hinblick auf diesen als Unzuständigkeit anzusehenden Mangel aufheben müssen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 8. Oktober 1982, Zl. 82//08/0117, 0118, VwSlg. 10847/A, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/04/0188). Der Beschwerdeführer hatte im Übrigen die Parteistellung im Hinblick auf einen bloß mangelhaften Hinweis gemäß § 41 Abs. 2 zweiter Satz AVG in den Verständigungen für die Verhandlungen vom 25. Februar 2003 und 18. März 2003 nicht verloren.

Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, der sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 22. Juni 2004

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