Normen
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC Z5;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 (insgesamt daher EUR 4.956,--) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger der (ehemaligen) Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Er ist Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin und Vater der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer, reiste nach seinen Angaben gemeinsam mit diesen am 11. Mai 1999 illegal nach Österreich ein und beantragte -
ebenso wie die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer - am 29. Juni 1999 die Gewährung von Asyl.
Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 9. August 1999 begründete der Erstbeschwerdeführer seinen Asylantrag wie folgt:
"Warum haben sie den Kosovo verlassen ?
Wir wollten den Kosovo nicht verlassen, die Serben haben uns
während des Krieges gewaltsam vertrieben.
Alle Bewohner unseres Ortes und der ganzen Region wurden vertrieben. Haben sie auch noch andere Fluchtgründe ?
Mein Haus wurde zerstört, mein Laden wurde niedergebrannt, und auch die serbischen Zivilisten in unserem Dorf haben uns nicht in Ruhe gelassen.
Mir werden die ‚Feststellungen des Bundesasylamtes zur Situation im Kosovo' zur Kenntnis gebracht, dazu gebe ich folgendes an:
Ich stimme mit den darin enthaltenen Aussagen überein. Mein Fluchtgrund ist auch nicht mehr aufrecht.
Gibt es Gründe, daß sie nicht in den Kosovo zurückkehren könnten? Es ist mir klar, daß ich irgendwann in den Kosovo zurückkehren muß. Ich ersuche aber solange hierbleiben zu können bis die Lage auch in meinem Heimatort Kosovo Mitrovica so ist, daß ich dort wieder in Frieden leben kann. Jetzt gibt es dort noch viele Serben. Hätten sie eine gegen sie gerichtete Bedrohung zu erwarten ? Nein, aber ich fürchte um mein Leben und um das Leben meiner Familie."
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 9. August 1999 zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer Folgendes vor:
"Mit werden die Fluchtweg und die Fluchtgrundangaben meines Gatten zur Kenntnis gebracht. Ich bestätige diese Angaben vollinhaltlich und möchte nur noch bestärken, daß alle Kosovoalbaner aus unserer Gegend vertrieben wurden. Es ist mir auch klar, daß unser Fluchtgrund nicht mehr aufrecht ist. Ich stimme auch den mir zur Kenntnis gebrachten ‚Feststellungen des Bundesasylamtes zur Situation im Kosovo' überein. Haben sie im Falle ihrer Rückkehr in den Kosovo mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen?
Nein, aber das Gebiet wo wir herkommen, Kosovska Mitrovica , ist noch nicht endgültig befriedet.Wenn wir zurückgehen, dann dorthin wo wir zu Hause sind."
Auf Grund der Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide des Bundesasylamtes jeweils vom 12. August 1999, mit denen die Asylanträge der Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in den Kosovo gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt worden war, führte die belangte Behörde am 29. November 2002 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Erstbeschwerdeführer unter anderem Folgendes vorbrachte (AW1 = Erstbeschwerdeführer, VL = Verhandlungsleiter):
"AW1: Das was auf dem Papier steht, das entspricht vielleicht der Wahrheit, aber meiner Meinung nach ist nicht alles realisiert. Aber in der Ortschaft, wo ich gelebt habe, gibt es immer noch keine Infrastruktur. Ich habe gewohnt in der Gemeinde Zvecan, dort gibt es erstens keine Sicherheit, dort bewegen sich immer noch die Patrouillen namens 'Roja e ures' und andere militante Gruppierungen, die bis in Mitrovica tätig waren.
VL: Um welche Patrouillen soll es sich dabei handeln.
AW 1: Um serbische Gruppierungen. Die Bewegungen der Menschen von einem Teil der Stadt in den anderen Teil verhindern wollen.
VL: Wo liegt die Gemeinde Zvecan genau?
AW1: Da ist nördlich von Mitrovica, ca. 5 - 6 km von Mitrovica entfernt. Es grenzt fast an Serbien, es kommt Zvecan, weiter nördlich Leposavic, danach Rashka, welches schon zu Serbien gehört. Die Albaner, die in diesen Dörfern zurückgekehrt sind, brauchen den Schutz der KFOR-Soldaten, diese begleiten auch die Kinder zur Schule. Die leben in der Gemeinde Zvecan aber sie müssen nach Mitrovica fahren, um die Schule zu besuchen. Zvecan selbst ist rein ethnisch serbisch.
VL: Aber die Lage hat sich doch grundlegend geändert. Die KFOR ist nunmehr zum Schutz der ethnisch Kosovo-Albaner da und es besteht nunmehr keine Gefährdung mehr durch serbische Übergriffe. Selbst der Nordteil von Mitrovica soll nunmehr neuesten Meldungen zu Folge unter Kontrolle der UNO stehen.
AW 1: So wurde auch geschrieben und wurde davon berichtet. Die Realität sieht anders aus. Z. B. 28. November ist ein Nationalfeiertag in ganz Kosovo wurde gefeiert außer im Nordteil von Mitrovica, dies wurde gestern Abend im Fernsehen berichtet von den kosovarischen Sendern.
VL: Was würde Ihnen konkret und von wem zustoßen, wenn Sie in den Kosovo, entweder nach Zvecan oder in einen anderen Teil des Kosovos zurückkehren würden?
AW1: Da wäre für uns ein Neuanfang, wenn wir in einem anderen Teil des Kosovo hingehen würden, mit dem Unterschied, dass wir dort die Sprache beherrschen. Die wirtschaftliche Lage ist sehr schlecht. Wir haben hier Fuß gefasst und wie gesagt und unten müssten wir wieder von Neuem anfangen. (...) Wir haben Asyl deshalb beantragt, weil wir in unserer Heimat alles verloren haben und wie wir mit unserem Trauma weiterleben werden, dass wissen nur wir. Ich bin quasi zum zweiten Mal am 11. Mai 1999 geboren. Politisch verfolgt bin ich nicht, aber in meiner Heimat gibt es nicht eine systematische Verfolgung seitens der Serben, aber wenn ich zurückkehren würde, könnte ich mich nicht frei bewegen. ....
Wir haben sehr wenig Kontakt mit den Leuten dort. Meine meisten Verwandten leben in Deutschland. Ein Onkel von mir lebt noch unten in Prizren. Wir haben keine Perspektive dort unten, in Zvecan gibt es meiner Ansicht nach keine Sicherheit, es liegt im Grenzgebiet zu Serbien. (...) Wenn ich im Kosovo bin, kann ich mit Sicherheit nicht in meine Heimat gehen. Weil früher wollten die Serben uns nicht mehr sehen. Wir können nicht in einer anderen Stadt wohnen. Wir können zu unserem Haus in Zvecan nicht mehr zurück. Dort sind die Serben. Wir würden auch heute noch von den Serben bedroht werden. In einem anderen Teil des Kosovo würden wir zwar keiner Verfolgung ausgesetzt sein, dort haben wir aber nichts."
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte in dieser Berufungsverhandlung unter anderem vor:
"(...) Ich möchte nicht zurückkehren, denn die Erinnerungen würden dann zurückkommen. Meine Söhne arbeiten, meine Töchter gehen zur Schule, es geht uns gut hier. Ich bin traumatisiert und habe immer noch Angst, wenn ich einen Polizisten auf der Straße sehe."
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG ab und stellte gleichzeitig fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die Bundesrepublik Jugoslawien, autonome Provinz Kosovo, gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen übereinstimmend aus, dass die Beschwerdeführer im März bzw. Anfang April 1999 "durch Serben" vertrieben worden seien und in der Folge im Mai 1999 illegal in das Bundesgebiet eingereist seien. Nach Ausführungen zur allgemeinen Situation im Kosovo und der Wiedergabe des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung sowie der angewendeten Rechtsgrundlagen führte die belangte Behörde weiter aus, dass die Asylanträge "in Folge des Wegfalles der im März 1999 noch bestanden habenden Verfolgungsgefahr, sohin mangels Vorliegens einer aktuellen Bedrohungssituation" abzuweisen gewesen seien. Mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer, sie hätten Angst, in ihren Heimatort Zvecan zurückzukehren, da in diesem Ort überwiegend Serben leben würden und die Familie im Falle der Rückkehr in den Kosovo "zwischen zwei Fronten" stehen würde, sei keine aktuelle Verfolgungsgefahr konkret dargetan worden. "Jedenfalls" bestünde für die Beschwerdeführer die Möglichkeit, in einem anderen Landesteil des Kosovo, etwa im südlichen Teil von Mitrovica oder in Prizren, wo ein Verwandter des Erstbeschwerdeführers und seiner Familie lebe, Aufenthalt zu nehmen und auf diese Weise allfälligen, wenn auch nicht wahrscheinlichen, Übergriffen von serbischen Privatpersonen in Zvecan zu entgehen. Daher sei unter dem Gesichtspunkt des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative die Berufung gemäß § 7 abzuweisen gewesen. Zu § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dass nicht erkannt werden könne, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Kosovo die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Insoweit der Erstbeschwerdeführer und seine Familie darauf hingewiesen hätten, dass sie mittlerweile in Österreich integriert seien und die Rückkehr in den Kosovo einen Neuanfang bedeuten würde, da im Kosovo keinerlei Anknüpfungspunkte mehr bestehen würden, so komme dem Maß der Integration des Erstbeschwerdeführers und seiner Familie in Österreich keine Relevanz zu.
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer, deren Behandlung der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges verbunden und hierüber erwogen hat:
Die belangte Behörde hat mit den beschwerdeführenden Parteien zu Beginn der Berufungsverhandlung Berichtsteile erörtert (und diese in den angefochtenen Bescheiden der Entscheidung zugrunde gelegt), nach deren abschließender "Zusammenfassung" der Einmarsch der KFOR-Truppen in den Kosovo und der Aufbau der UNMIK-Verwaltung bewirkt hätten, dass "im Allgemeinen" Kosovo-Albaner "aus Orten im Kosovo, in denen die Angehörigen ihrer Volksgruppe die Mehrheit bilden, ohne individuelle Schutzprobleme zurückkehren" könnten. "Für sie" sei die frühere Verfolgungsgefahr nicht mehr gegeben.
Dem hielten die beschwerdeführenden Parteien entgegen, sie kämen aus einem "rein ethnisch serbischen" Ort nördlich von Mitrovica, unweit der Grenze zu Serbien, und eine gefahrlose Rückkehr dorthin sei für sie nach wie vor nicht möglich.
Die belangte Behörde hat dies nicht zum Anlass für ergänzende Feststellungen über die Verhältnisse in diesem Gebiet genommen. Auf die Berichtslage betreffend die Rückkehrmöglichkeiten von Kosovo-Albanern aus "rein ethnisch serbischen" Teilgebieten des Kosovo, im Besonderen aus der Herkunftsregion der beschwerdeführenden Parteien, wird in den angefochtenen Bescheiden nicht Bezug genommen. Die in der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde zum Ausdruck gebrachte Ansicht, "Übergriffe etwa von serbischen Privatpersonen" seien dort "ohnedies nicht wahrscheinlich", entbehrt daher - angesichts des ethnisch dominierten Charakters der Auseinandersetzungen im Kosovo - einer nachvollziehbaren Begründung.
Es kommt somit darauf an, ob die Eventualbegründung der belangten Behörde, die beschwerdeführenden Parteien könnten in einem anderen Landesteil des Kosovo Aufenthalt nehmen, um Übergriffen in ihrem Herkunftsort zu entgehen, die angefochtenen Bescheide zu tragen vermag. Dass eine solche Ausweichmöglichkeit schon im Zeitpunkt der Vertreibung aus dem Herkunftsort und der Flucht nach Österreich bestanden habe, versucht die belangte Behörde nicht aufzuzeigen und kann auch angesichts der hg. Judikatur zu den Verhältnissen im Kosovo in der Zeit zwischen Mitte März 1999 und dem 20. Juni 1999 nicht angenommen werden (vgl. die Bezugnahme darauf in dem hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359).
Eine nunmehrige Verweisung der beschwerdeführenden Parteien auf eine erst nachträglich entstandene "Ausweichmöglichkeit" innerhalb des Herkunftsstaates - bei weiterhin aufrechter Verfolgungsgefahr am Herkunftsort - widerspräche aber dem in einem Informationspapier des UNHCR vom März 1995 über die Auslegung des Art. 1 FIKonv nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zutreffend formulierten Grundsatz, dass sich die Rechtsfigur der "internen Fluchtalternative" gegen die Flüchtlingseigenschaft einer Person nur ins Treffen führen lässt, wenn die Möglichkeit, in einem anderen Landesteil Schutz zu finden, auch schon im Zeitpunkt der Flucht gegeben war ("The possibility to find safety in other parts of the country must have existed at the time of flight and continue to be available when the eligibility decision is taken").
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. August 2004
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