VwGH 2003/01/0040

VwGH2003/01/004016.4.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des YC in H, vertreten durch Dr. Wolfgang Stolz, Rechtsanwalt in 5550 Radstadt, Schernbergstraße 19, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 9. Dezember 2002, Zl. 2- 11. C/450-02/12, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs4 Z1;
StbG 1985 §10 Abs5 Z3;
StbG 1985 §11;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
StbG 1985 §10 Abs4 Z1;
StbG 1985 §10 Abs5 Z3;
StbG 1985 §11;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 9. Dezember 2002 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 4 iVm § 39 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab. Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der 1978 geborene Beschwerdeführer - ein türkischer Staatsangehöriger - erstmals am 19. Dezember 1995 im Bundesgebiet zur Anmeldung gelangt sei und somit hier noch nicht über einen zehnjährigen Wohnsitz verfüge. Im Hinblick darauf komme die Verleihung der Staatsbürgerschaft nur dann in Frage, wenn ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund dafür vorliege. Ein solcher habe jedoch nicht festgestellt werden können. Die Stadtgemeinde S, die Bezirkshauptmannschaft L (politische Expositur G) sowie der Gendarmerieposten S hätten zwar gegen eine Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer keine Bedenken erhoben, von diesen Stellen sei jedoch auch kein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für eine vorzeitige Verleihung angeführt worden. Das "Arbeitsmarktservice Steiermark" habe sich (hingegen) gegen eine vorzeitige Einbürgerung des Beschwerdeführers ausgesprochen, weil "aus arbeitsmarktpolitischer Sicht" kein Grund für eine vorzeitige Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vorliege und die Qualifikation des Einbürgerungswerbers als Hilfsarbeiter am heimischen Arbeitsmarkt nicht gesucht werde. Darüber hinaus stünden dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht nur inländische, sondern auch ausländische Fachkräfte für diese Tätigkeit arbeitslos zur Verfügung und erhielten Leistungen aus öffentlichen Mitteln. Aus der vom Einbürgerungswerber vorgelegten "Versicherungszeitenbestätigung" gehe - so die belangte Behörde weiter - hervor, dass er im Zeitraum 12. Dezember 1996 bis 18. März 2002 über insgesamt zwei Jahre hindurch keiner geregelten Beschäftigung nachgegangen sei bzw. Arbeitslosengeld bezogen habe. Darüber hinaus schienen zahlreiche, auch länger dauernde Unterbrechungen auf. Gemäß seinen Angaben sei der Beschwerdeführer vom 2. April 2002 bis 27. Juni 2002 beschäftigt und vom 27. Juni 2002 bis 8. September 2002 (verschiedentlich ist im bekämpften Bescheid auch vom 9. September 2002 die Rede) wiederum ohne Beschäftigung gewesen. "Somit" habe er im Jahr 2002 drei verschiedene Arbeitgeber gehabt. Rechtlich ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer in Österreich zwar beruflich integriert sei, es jedoch an der "Nachhaltigkeit" dieser Integration fehle. Damit könne ungeachtet dessen, dass der Beschwerdeführer eine nachhaltige persönliche Integration aufweise (er spreche gut Deutsch und habe ein unbefristetes "Visum", seine Eltern lebten in Österreich) nicht vom Vorliegen des besonders berücksichtigungswürdigen Grundes nach § 10 Abs. 5 Z 3 StbG ausgegangen werden, weil dieser den Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration voraussetze. Dafür, dass ein anderer besonders berücksichtigungswürdiger Grund gegeben sei, existierten keine Anhaltspunkte.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde, zu der die belangte Behörde eine Gegenschrift erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Da der Beschwerdeführer unbestritten nicht auf einen ununterbrochenen zehnjährigen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet zu verweisen vermag, kommt fallbezogen eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nur nach § 10 Abs. 4 Z 1 StbG - Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes - in Betracht. § 10 Abs. 5 leg. cit. enthält eine demonstrative Aufzählung, was unter einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund zu verstehen ist. Als solcher gilt ua. nach der hier allein in Rede stehenden Z 3 dieser Bestimmung der "Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration". Dazu führen die ErläutRV zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 (1283 BlgNR 20. GP 8), mit der § 10 StbG neu gefasst wurde, aus, dass der Nachweis "dann als erbracht gelten (wird), wenn der Fremde sowohl beschäftigungsrechtlich (zB Arbeitserlaubnis, Befreiungsschein) als auch fremdenrechtlich (zB unbefristete weitere Niederlassungsbewilligung) eine bis auf Weiteres gesicherte Position in Österreich hat und hier persönlich nachhaltig verankert ist (zB Familie lebt mit dem Fremden in Österreich, Kinder besuchen die Schule usw.)".

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde im Hinblick auf die guten Deutschkenntnisse des im Alter von 17 Jahren nach Österreich eingewanderten Beschwerdeführers und - insoweit im Einklang mit den eben erwähnten Materialien - angesichts dessen, dass er über ein unbefristetes "Visum" (richtig: Niederlassungsbewilligung) verfügt, und dass auch seine Eltern in Österreich leben, zutreffend eine nachhaltige persönliche Integration angenommen. Eine nachhaltige berufliche Integration vermochte sie jedoch nicht zu erkennen, wobei sie insbesondere die Arbeitslosigkeit vom 27. Juni 2002 bis 8. September 2002 sowie den mehrfachen Arbeitgeberwechsel im Jahr 2002 ins Treffen führte. Bei ihrer diesbezüglichen Beurteilung wäre allerdings im Sinn der wiedergegebenen Materialien auch darauf Bedacht zu nehmen gewesen, dass der Beschwerdeführer zufolge der in den Verwaltungsakten erliegenden Stellungnahme der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 8. Juli 2002 "gemäß dem Abkommen zwischen Österreich und der Türkei" (gemeint offenbar:

Beschluss des Assoziationsrates EWG - Türkei (ARB) Nr. 1/1980) über einen bis zum 8. April 2006 gültigen Befreiungsschein (offenkundig nach § 4c Abs. 2 AuslBG) verfügt. In der besagten Stellungnahme wird im Übrigen darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer "auf Grund des Aufenthaltes in Österreich integriert" sei. Von einer ablehnenden Haltung dem Einbürgerungsantrag gegenüber (weil aus "arbeitsmarktpolitischer Sicht" kein Grund für eine vorzeitige Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft vorliege) ist dagegen keine Rede, auch darüber, dass dem österreichischen Arbeitsmarkt nicht nur inländische, sondern auch ausländische Fachkräfte für "diese Tätigkeit" arbeitslos zur Verfügung stünden und Leistungen aus öffentlichen Mitteln erhielten, finden sich in der Stellungnahme vom 8. Juli 2002 keine Ausführungen. Unter der Annahme, die belangte Behörde habe die Akten des Verwaltungsverfahrens vollständig vorgelegt, erweisen sich die entsprechenden Bezugnahmen im bekämpften Bescheid (siehe oben) damit als aktenwidrig. Hinzu kommt Folgendes: Im Verwaltungsakt erliegt die Bestätigung eines Installationsunternehmens vom 13. September 2002, wonach der Beschwerdeführer in diesem Unternehmen seit 9. September 2002 beschäftigt sei. Die belangte Behörde hat dazu keine expliziten Feststellungen getroffen, ihre Ausführungen dahingehend, der Beschwerdeführer sei vom 27. Juni 2002 bis 8. September 2002 ohne Beschäftigung gewesen, lassen jedoch erkennen, dass sie beginnend mit 9. September 2002 wiederum die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu Grunde legte. Jedenfalls angesichts einer solchen erneut aufgenommenen Erwerbstätigkeit lässt sich die in § 10 Abs. 5 Z 3 StbG geforderte "nachhaltige berufliche Integration" nicht schlichtweg damit verneinen, dass der Beschwerdeführer immer wieder "Unterbrechungen" in seinem Arbeitsverlauf aufweise (insbesondere zuletzt vom 27. Juni 2002 bis 8. September 2002) und dass er verschiedene Arbeitgeber (drei alleine im Jahr 2002) gehabt habe (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 2000/01/0189). Hinsichtlich der "Unterbrechungen" kommt es vielmehr (siehe dazu das eben erwähnte Erkenntnis) auf deren Gründe an, was konkret im Sinn der Beschwerdeausführungen bedeutet, dass auf allfällige berufstypische Gegebenheiten, wie etwa die hier behauptete saisonale Arbeitslosigkeit, Bedacht zu nehmen ist (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2000, Zl. 2000/01/0015). In einem Fall wie dem vorliegenden - dem Beschwerdeführer kommt offenkundig eine nach dem ARB Nr. 1/1980 privilegierte Rechtsstellung zu - wäre überdies zu bedenken, dass nur bei Überschreitung eines angemessenen Zeitraumes für eine neuerliche Beschäftigungsaufnahme die mit dieser Rechtsstellung verbundene und im gegebenen Zusammenhang nicht vernachlässigbare spezifische Verankerung auf dem inländischen Arbeitsmarkt verloren geht (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 15. März 2000, Zl. 98/09/0054, mit Hinweisen auf Judikatur des EuGH).

In ihrer Gegenschrift bringt die belangte Behörde selbst das angesprochene Vorerkenntnis vom 12. März 2002 ins Spiel. Sie beruft sich allerdings auf die dort enthaltene Wendung, wonach wechselnden Beschäftigungsverhältnissen und dazwischen liegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit bei der Beurteilung des Anteiles der beruflichen Integration an einer in einer Gesamtbetrachtung zu prüfenden überdurchschnittlichen Integration wesentliche Bedeutung zukomme. Mit dieser Formulierung sollte indes - wie sich aus dem Zusammenhang klar ergibt - die zuvor in dem zitierten Erkenntnis getroffene Aussage, wonach diese Umstände der Annahme einer besonderen beruflichen Integration nicht entgegenstünden, nicht in Frage gestellt werden. Vielmehr ging es darum ("Gesamtbetrachtung"), unter Bezugnahme auf die schon im hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0081, zum Ausdruck gebrachte Ansicht, wonach eine "nachhaltige persönliche und berufliche Integration" (im Sinne eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes) nur dann vorliege, wenn bei einer Gesamtbetrachtung der dafür maßgeblichen Umstände jedenfalls ein solches Maß an Integration gegeben sei, dass sich der Fall des Einbürgerungswerbers von der üblichen Situation, in der sich ein Fremder nach einem gleich langen inländischen Aufenthalt bei üblicherweise zu erwartenden Integrationsbemühungen befinde, deutlich abhebe, die Bedeutung dieser Umstände im Rahmen einer solchen "Gesamtbetrachtung" aufzuzeigen. Eine derartige Gesamtbetrachtung hat die belangte Behörde nicht vorgenommen, in eine solche hätte im Übrigen gegebenenfalls auch der vom Beschwerdeführer behauptete Umstand einzufließen, dass er schon vor 1995 als Kind immer wieder bei seinem Vater in Österreich gewesen sei.

Richtig ist, dass der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht darauf hingewiesen hat, dass seine Arbeitsunterbrechungen saisonal bedingt seien. Im Hinblick auf die im Verwaltungsakt erliegende Stellungnahme der Stadtgemeinde S vom 14. Mai 2002, wonach der Beschwerdeführer "in der Gastronomie" beschäftigt sei, wären Überlegungen in diese Richtung jedoch indiziert gewesen, weshalb sich die belangte Behörde nicht mit dem bloßen Verweis auf Arbeitsunterbrechungen begnügen durfte (vgl. sinngemäß auch das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 2000/01/0216). Im Hinblick auf die erwähnte Stellungnahme der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark gilt dies umso mehr bezüglich der Rechtsstellung des Beschwerdeführers nach dem ARB Nr. 1/1980.

Nach dem Gesagten leidet der bekämpfte Bescheid an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 16. April 2004

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