Normen
FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §8 Abs6 idF 1993/531;
FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §8 Abs6 idF 1993/531;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 991,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom Mai 2000 beantragte der am 10. Juni 1971 geborene Beschwerdeführer durch seine Sachwalterin die Gewährung von Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag wegen Behinderung (auch rückwirkend für die letzten fünf Jahre). Er legte eine Bescheinigung des Amtsarztes vom 12. Mai 2000 vor, in welchem der Grad der Behinderung ("Minderbegabung, geistige Behinderung") mit 100% angegeben ist. In der Bescheinigung wird ausgeführt, die Behinderung sei vor dem 21. Lebensjahr eingetreten.
Mit Bescheid vom 6. Juli 2000 wies das Finanzamt den Antrag ab. Es habe kein Nachweis dafür erbracht werden können, dass der Beschwerdeführer (wegen einer vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Behinderung) voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Voraussetzungen für den Familienbeihilfenanspruch seien somit nicht gegeben.
In der Berufung gegen diesen Bescheid wird vorgebracht, die geistige Behinderung des Beschwerdeführers betrage 100% und sei bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten. Bereits aus dem Grad der Behinderung ergebe sich, dass der Beschwerdeführer sich nicht den Unterhalt verschaffen könne.
Mit Eingabe vom 15. September 2000 legte der Beschwerdeführer eine Bescheinigung des Amtsarztes vom 11. September 2000 vor, in welcher u.a. bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und dass die Behinderung (Minderung der Erwerbsfähigkeit) schon vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 6. November 2000 ab. Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe gem § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 für einen volljährigen behinderten Vollwaisen, wenn er wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinde. Der Beschwerdeführer sei sowohl vor dem 21. Lebensjahr als auch nachher "bis dato" erwerbstätig gewesen. Die Beschäftigungsverhältnisse seien zwar jeweils von eher kurzer Dauer. Dem Beschwerdeführer sei es aber trotz seiner Behinderung möglich gewesen, auch Arbeitsstellen in größerer Entfernung anzutreten und die damit verbundenen Erschwernisse zu bewältigen. Der Beschwerdeführer sei in den vergangenen Jahren nicht nur für seinen eigenen Unterhalt aufgekommen, sondern habe darüber hinaus auch noch die Unterhaltsverpflichtung für seinen unehelichen Sohn übernommen. Zudem habe er seine Mutter gepflegt und mehrere Tiere versorgt. Das Finanzamt gehe sohin davon aus, dass keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wird eingewendet, es sei nicht richtig, dass sich der Beschwerdeführer in den vergangenen Jahren den Unterhalt selbst verschafft habe. Aus der Dauer der Arbeitsverhältnisse ergebe sich, dass die ärztlichen Feststellungen betreffend die Selbsterhaltungsfähigkeit richtig seien. Der Beschwerdeführer sei arbeitswillig und bemühe sich immer wieder um Beschäftigung. Aufgrund der Behinderung sei er jedoch nie in der Lage, die Anforderungen eines Arbeitsverhältnisses längerfristig zu erfüllen. Somit sei er nie über das Stadium von kurzfristigen Arbeitsversuchen hinausgekommen. Der Beschwerdeführer sei auch nicht in der Lage gewesen, sein Einkommen bzw die Notstandshilfe zweckmäßig für seine Grundbedürfnisse zu verwenden. Die Situation sei so lange eskaliert, bis er schließlich hoch verschuldet gewesen sei und öffentliche Stellen auf seine Wohn- und Lebenssituation aufmerksam geworden seien. Die Behauptung, der Beschwerdeführer habe seine Mutter gepflegt, sei verwunderlich. Der Beschwerdeführer habe die Unterhaltsverpflichtung für ein Kind übernommen; er habe aber auch sonst zahlreiche Pflichten mit Rechtsgeschäften übernommen, habe diese aber nie erfüllen können.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Erhebungen beim Sozialversicherungsträger hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer sowohl vor als auch nach der Vollendung des 21. Lebensjahres über Jahre hindurch erwerbstätig gewesen sei. Für die Jahre 1993 bis 1997 seien Beitragsgrundlagen einschließlich der Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung von insgesamt 486.450 S verzeichnet, die über den Gesamtzeitraum einen monatlichen Durchschnitt von 8.107 S ergäben. Aus diesem Monatsbetrag sei ableitbar, dass sich der Beschwerdeführer in den angeführten Jahren und somit noch lange nach Vollendung des 21. Lebensjahres durch seine nicht nur als gescheitert zu wertenden Beschäftigungen den Unterhalt habe verschaffen können. Es sei unerheblich, unter welchen Voraussetzungen die Erwerbstätigkeit stattgefunden habe, wie oft der Dienstgeber gewechselt worden sei und ob ein Sachwalter bestellt worden sei. Die angegebenen Monatsbeträge lägen über dem für Ausgleichszulagenempfänger maßgebenden Richtsatz (1993: 7.000 S; 1997: 7.887 S). Es bestehe sohin kein Anspruch auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag wegen Behinderung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie u.a. wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.
§ 8 FLAG idF BGBl 531/1993 (in Verbindung mit Art 33 §§ 1 und 10 des Arbeitsmarktservice-Begleitgesetzes, BGBl 314/1994) lautet auszugsweise:
"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes ... nachzuweisen. Kann auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden, hat das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen. Zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid hat die Finanzlandesdirektion ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzuholen. Benötigt das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hiefür ein weiteres Sachverständigengutachten, sind die diesbezüglichen Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen."
In der Beschwerde wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei von Geburt an behindert, der Behinderungsgrad betrage 100%. Der Beschwerdeführer befinde sich nicht in Anstaltspflege. Die belangte Behörde habe das vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen, aus dem sich der Anspruch auf Familienbeihilfe ergebe, nicht "überzeugend verworfen". Aus dem nicht widerlegten amtsärztlichen Gutachten ergebe sich, dass der Beschwerdeführer dauerhaft außerstande sei, sich den Unterhalt zu verschaffen. Die belangte Behörde habe sich ohne nähere Prüfung auf Versicherungszeiten gestützt. Erhebungen bei den Arbeitgebern hätten die mit Schriftsatz vom 15. September 2000 vorgelegte ärztliche Bescheinigung vom 14. September 2000 bestätigt, aus der sich ergebe, dass der Beschwerdeführer voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich den Unterhalt zu verschaffen. Zudem habe die belangte Behörde auch keinerlei Erhebungen in medizinischer Sicht gepflogen und damit keine Feststellungen getroffen, aus welchen Gründen "entgegen der amtsärztlichen Ansicht" die Fähigkeit der Verschaffung des Unterhaltes bestehen sollte. Die belangte Behörde hätte sich der amtsärztlichen Bescheinigung anschließen und die Feststellung treffen müssen, dass die Versicherungszeiten nur auf Arbeitsversuche zurückzuführen seien, die nach relative kurzer Zeit jeweils gescheitert seien.
Im Beschwerdefall ist entscheidend, dass der Beschwerdeführer die Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes vorgelegt hat, aus der sich ergibt, dass eine geistige Behinderung des Beschwerdeführers, deren Grad 100% beträgt, vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei und er voraussichtlich dauerhaft außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Beschwerde zeigt zutreffend auf, dass die belangte Behörde die Ausführungen in der ärztlichen Bescheinigung nicht dem Gesetz entsprechend widerlegt hat. § 8 Abs 6 FLAG ordnet an, dass die Finanzlandesdirektion (Berufungsbehörde) ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzuholen hat. Es ist nicht erkennbar, aus welchem Grund die belangte Behörde von der Verpflichtung zur Einholung dieses Gutachtens entbunden gewesen wäre (vgl hiezu etwa die hg Erkenntnisse vom 27. März 2003, 2002/13/0104, und vom 26. Jänner 1999, 98/14/0036). Die ärztliche Bestätigung vom 14. September 2000 hat - von dem im Beschwerdefall nicht strittigen Fehlen einer Anstaltspflege abgesehen - sämtliche durch § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 geforderten Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere auch den Eintritt der Behinderung vor dem Ablauf des 21. Lebensjahres, als gegeben angesehen. Die belangte Behörde hat lediglich mit dem Verweis auf Zeiten tatsächlicher Beschäftigung die ärztliche Bestätigung als widerlegt betrachtet, sich aber nicht konkret mit dem Berufungsvorbringen auseinander gesetzt, dass der Beschwerdeführer nie über das Stadium kurzfristiger Arbeitsversuche hinausgekommen sei, weil er längerfristig die Anforderungen eines Arbeitsverhältnisses nicht erfüllen könne. Zudem hat die belangte Behörde lediglich für die Jahre 1993 bis 1997 Feststellungen über die Höhe der Einkünfte getroffen.
Der angefochtene Bescheid ist sohin, weil die belangte Behörde die Vorschrift des § 8 Abs 6 FLAG nicht beachtet hat, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs 2 Z 1 aufzuheben.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II 333/2003.
Wien, am 23. November 2004
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)