VwGH 2002/10/0148

VwGH2002/10/014828.6.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde des Mag. pharm. G in Judenburg, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG in 1014 Wien, Tuchlauben 17, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 22. Juli 2002, Zl. 334.620/1- VII/13/02, betreffend Untersagung des Inverkehrbringens eines als Verzehrprodukt angemeldeten Produktes, zu Recht erkannt:

Normen

62000CJ0150 Kommission / Österreich;
AMG 1983 §1 Abs1 Z1;
AMG 1983 §1 Abs1 Z2;
AMG 1983 §1 Abs1 Z3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z4;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
LMG 1975 §18;
62000CJ0150 Kommission / Österreich;
AMG 1983 §1 Abs1 Z1;
AMG 1983 §1 Abs1 Z2;
AMG 1983 §1 Abs1 Z3;
AMG 1983 §1 Abs1 Z4;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
LMG 1975 §18;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 26. April 2002 meldete der Beschwerdeführer das Produkt "Glucosaminsulfat plus Kapseln" gemäß § 18 LMG als Verzehrprodukt an.

Der von der belangten Behörde beigezogene Amtssachverständige legte dar, bei dem Produkt handle es sich nach der allgemeinen Verkehrsauffassung um ein Arzneimittel und demnach um eine zulassungspflichtige Arzneispezialität.

In der dazu erstatteten Stellungnahme legte der Beschwerdeführer dar, die Aussagen des Sachverständigen reichten für eine Einstufung des Produktes als Arzneimittel nicht aus. Es handle sich um Standardformulierungen, denen jeder Bezug zum Produkt fehle. Das Gutachten erschöpfe sich in kurzen Worten in einer allgemeinen Beschreibung von Glucosaminsulfat und dessen Funktion und Bedeutung im Stoffwechsel. Ein quantitativer Zusammenhang mit dem vorliegenden Produkt sei nicht gegeben. Aus den Darlegungen des Sachverständigen gehe nicht hervor, aufgrund welcher Erfahrungssätze und wissenschaftlichen Erkenntnissen dieser zum Ergebnis gelange, dass ein Arzneimittel vorliege. Insbesondere fehlten Angaben, ab welcher Konzentration bzw. ab welcher Dosierung arzneiliche Wirkungen zu erwarten seien. Glucosamin sei - wie auch aus beigelegten Unterlagen hervorgehe - aus ernährungsphysiologischer Sicht als Nährstoff zu beurteilen .Die physiologisch notwendige Menge bzw. der Tagesbedarf liege weit über der im gegenständlichen Produkt enthaltenen Dosierung.

Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte die belangte Behörde gemäß § 18 Abs. 2 LMG das Inverkehrbringen des gegenständlichen Produktes. In der Bescheidbegründung wurde nach Darstellung der Rechtslage und unter Berufung auf das als schlüssig erachtete Gutachten des Amtssachverständigen dargelegt, das Produkt sei nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als Arzneimittel und in der Folge als zulassungspflichtige Arzneispezialität zu beurteilen. An pharmakologisch wirksamen Bestandteilen enthalte es 333 mg Glucosaminsulfat pro Kapsel. Die Einnahmeempehlung laute: 3 x täglich eine Kapsel. Laut einschlägiger Fachliteratur (u.a. Hager's Handbuch der pharmazeutischen Praxis; Martindale: The Extra Pharmacopeia; Hunnius: Pharmazeutisches Wörterbuch, usw.) kämen den Inhaltsstoffen des in Rede stehenden Erzeugnisses im Hinblick auf das vorliegende Produkt zweifelsfrei spezifische pharmakologische Wirkungen zu. Glucosamin bzw. dessen Salze, z.B. das Sulfat, sei ein im Körper natürlich vorkommender Aminozucker. Er werde zur Biosynthese von Hyaluronsäure und von Proteoglykanen, der Grundsubstanz der Gelenkknorpel, benötigt. Liege eine metabolische Dysfunktion der Glucosamin- und Proteoglykanbiosynthese vor, käme es zu einer Osteoarthrose (chronisch schmerzhafte, zunehmend funktionsbehindernde Gelenksveränderungen). Durch die Zufuhr von Glucosamin könne eine Funktionsverbesserung und Schmerzlinderung insbesondere bei leichter bis mittelschwerer Gonarthrose erreicht werden. Die oben angeführten pharmakologischen Wirkungen seien aufgrund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten. Die vorliegende Dosierung bewege sich in jenem Rahmen, der in der oben erwähnten Fachliteratur zur Vorbeugung oder Behandlung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden beschrieben sei. Das Produkt sei demnach objektiv geeignet, Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 AMG hervorzurufen. Es sei daher als Arzneimittel einzustufen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Zusammenhang mit der Frage der Arzneimitteleigenschaft von Vitaminpräparaten aufgrund ihrer objektiven Zweckbestimmung vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die Begründung eines Bescheides, mit dem das Inverkehrbringen eines Produktes als Verzehrprodukt deshalb untersagt werde, weil dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukämen, entspreche nur dann dem Gesetz, wenn dargelegt wird, welche objektiv-arzneilichen Wirkungen im konkreten Fall, insbesondere aufgrund des Gehaltes an bestimmten Substanzen, unter der Annahme des bestimmungsgemäßen Gebrauches zu erwarten sind. Ein Bescheid, der lediglich auf der nicht zum Gehalt an bestimmten Inhaltsstoffen in Beziehung gesetzten Annahme beruht, die den Inhaltsstoffen im Allgemeinen zukommenden pharmakologischen Wirkungen seien aufgrund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten, entbehre einer nachvollziehbaren Begründung (vgl. zuletzt die Erkenntnisse vom 18. Mai 2004, Zlen. 2004/10/0074-0077 jeweils mwN, sowie das Urteil des EuGH vom 29. April 2004, C-150/00 -Kommission/Österreich). Dies gilt auch dann, wenn es sich bei den Inhaltsstoffen des in Rede stehenden Produkts nicht um Vitamine, sondern - wie hier - um andere Substanzen handelt.

Im vorliegenden Beschwerdefall hängt die Entscheidung somit davon ab, ob in der Bescheidbegründung dargelegt wurde, welche objektiv-arzneilichen Wirkungen im konkreten Fall, insbesondere aufgrund des Gehaltes an bestimmten Substanzen, unter der Annahme des bestimmungsgemäßen Gebrauches zu erwarten sind.

In diesem Zusammenhang macht der Beschwerdeführer geltend, er habe im Verwaltungsverfahren die wissenschaftlichen Werke vorgelegt, auf die sich der Bescheid bzw. der Amtssachverständige berufe. In einem der Werke werde Glucosaminsulfat überhaupt nicht erwähnt, im anderen würden dieser Substanz keine konkreten pharmakologischen Wirkungen zugeschrieben. Keinesfalls lasse sich diesen Literaturstellen entnehmen, dass ein Erzeugnis, das im Zusammenhang mit der Einnahmeempfehlung zu einer Tagesaufnahme von 1 g Glucosaminsulfat führe, arzneiliche Wirkungen aufweise. Es sei ferner im Verwaltungsverfahren ein ausführliches, mit zahlreichen Literaturzitaten versehenes Gutachten zur Frage vorgelegt worden, ob Erzeugnisse mit Glucosamin bzw. Glucosaminsulfat Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel seien. Nach den Darlegungen dieses Gutachtens sei das in Rede stehende Produkt als Verzehrprodukt einzustufen. Dem gegenüber ließen die Darlegungen des Amtssachverständigen nicht erkennen, ob Glucosaminsulfat in jeder Konzentration arzneilich wirksam sei oder ob es einen Richtwert "für den Beginn pharmakologischer Wirkungen" gebe. Weder die Stellungnahme des Amtssachverständigen noch der angefochtene Bescheid nenne Erfahrungssätze oder wissenschaftliche Erkenntnisse, auf deren Grundlage sich die Schlüssigkeit der Auffassung, dem fraglichen Produkt kämen aufgrund seiner qualitativen und quantitativen Zusammensetzung pharmakologische Wirkungen zu, überprüfen ließe.

Die Beschwerde ist mit ihrem Vorwurf von Ermittlungs- und Feststellungsmängeln im Recht. Im Gutachten des Amtssachverständigen und der auf diesem aufbauenden Bescheidbegründung finden sich Darlegungen zu den Wirkungen der im gegenständlichen Produkt enthaltenen Substanz, die nicht zum Gehalt des Produkts an diesem Inhaltsstoff bzw. zur Dosierung bei bestimmungsgemäßem Verbrauch des Produktes in Beziehung gesetzt werden.

Diese Ausführungen entsprechen nicht den oben dargelegten Anforderungen an die gesetzmäßige Begründung eines Bescheides, mit dem das Inverkehrbringen eines Produktes als Verzehrprodukt deshalb untersagt wird, weil dem Produkt objektiv-arzneiliche Wirkungen im Sinne des § 1 Abs. 1 Z. 1 bis 4 AMG zukommen; denn es fehlen konkrete Feststellungen, wonach dem Produkt im Hinblick auf seine konkrete Zusammensetzung, also seinem quantitativen Gehalt an einem bestimmten Stoff, bei bestimmungsgemäßer Verwendung (der Einnahmeempfehlung entsprechend) eine objektiv-arzneiliche Wirkung zukommt. In der hier entscheidenden Frage nach den Wirkungen des gegenständlichen Produktes beschränkt sich der Bescheid auf die Annahme, dass "die angeführten pharmakologischen Wirkungen aufgrund der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung des Produktes auch zu erwarten sind", und den Hinweis, dass sich die vorliegende Dosierung in jenem (allerdings nicht genannten) Rahmen bewege, der in der angeführten (nicht jedoch unter Angabe der genauen Fundstellen wiedergegebenen) Fachliteratur zur Vorbeugung und Behandlung entsprechender Mangelkrankheiten beschrieben sei. Erfahrungssätze oder wissenschaftliche Erkenntnisse, auf deren Grundlage sich die Schlüssigkeit der Annahme, dem Produkt kämen bei Einhaltung der Einnahmeempfehlungen objektiv-arzneiliche Wirkungen zu, überprüfen ließe, werden jedoch nicht angeführt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. Juni 2004

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