VwGH 2001/20/0558

VwGH2001/20/055822.7.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des S in W, geboren 1978, vertreten durch Dr. Rudolf Krilyszyn, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 39, gegen den am 21. Mai 2001 verkündeten und am 27. Juni 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 219.140/3-II/04/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Sikh indischer Staatsangehörigkeit, reiste am 20. April 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte mit Schriftsatz vom 25. April 2000 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28. August 2000 gab er im Wesentlichen an, "seit Ende 1994" seien "ca. zwei bis vier Mal pro Monat" unbekannte Männer, von denen der Beschwerdeführer annehme, es habe sich um "Extremisten" gehandelt, zum Elternhaus des Beschwerdeführers in Tharu gekommen. Sie seien bewaffnet gewesen und hätten Verpflegung gefordert. Wegen dieser Vorgänge sei der Beschwerdeführer "Ende 1995" von der Polizei verhaftet, drei Tage lang festgehalten und während dieser Zeit geschlagen und getreten worden. Eine strafbare Handlung sei ihm nicht vorgeworfen worden, er sei auch nicht der Zusammenarbeit mit einer bestimmten Gruppe verdächtigt worden. Die Polizei habe ihn nach drei Tagen "einfach aus der Haft entlassen". Eine Anzeige gegen ihn sei nicht erfolgt. Zwei Tage nach der Entlassung habe die Polizei den Vater des Beschwerdeführers festgenommen. Sie habe eigentlich nach dem Beschwerdeführer gesucht und seinen Vater festgenommen, weil sie angenommen habe, er hätte den Beschwerdeführer weggeschickt. Sein Vater sei zwei Tage in Haft gewesen. Der Beschwerdeführer, der sich bei seinen Großeltern in einem etwa 30 km entfernten Ort aufgehalten habe, sei dort geblieben, als er von der Verhaftung des Vaters erfahren habe. Anfang 1996 sei er nach Neu Delhi gefahren, wo er bis zu seiner Ausreise nach Moskau etwa sieben bis acht Monate lang gelebt habe. Bei einer Rückkehr nach Indien fürchte er, von der Polizei umgebracht zu werden. Er habe in Moskau erfahren, dass einer seiner Freunde von der Polizei getötet worden sei. "Auch er" sei "wie ich" verdächtigt worden, "mit Sikh-Extremisten zusammenzuarbeiten". Von seinem Freund habe der Beschwerdeführer einen Brief erhalten, wonach die Polizei den Beschwerdeführer "mehrmals zu Hause gesucht" hätte. Auch seine Eltern hätten ihm dies bestätigt. In Neu Delhi sei er nicht geblieben, denn auch dort hätte ihn die Polizei festnehmen können. Die Polizei habe dem Vater des Beschwerdeführers erklärt, dieser wisse, "wo die Extremisten illegale Waffen versteckt hätten".

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 6. September 2000 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien fest. Es erachtete die Furcht des Beschwerdeführers vor polizeilicher Verfolgung als unbegründet.

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid und über weitere Berufungen anderer indischer Asylwerber führte die belangte Behörde am 21. Mai 2001 eine gemeinsame mündliche Berufungsverhandlung durch. Der Beschwerdeführer brachte nun vor, er befürchte "eine Gefährdung vornehmlich durch die Punjab Polizei", die ihn "schon einmal (1994)" verhaftet habe, weil er - durch Drohungen genötigt - Angehörigen der Sangha Party "4 bis 5 mal" Lebensmittel gegeben und ihnen Waren vom Bazar besorgt habe. Sie hätten sich ihm gegenüber als Angehörige der erwähnten Partei "zu erkennen gegeben" und überdies habe er "in der Zeitung von diesen ein Foto gesehen". Nach der Freilassung des Beschwerdeführers aus der Polizeihaft seien auch seine "Eltern" kurzfristig verhaftet worden. Zwei bis drei Tage vor der Berufungsverhandlung sei dem Beschwerdeführer gesagt worden, die Polizei habe "wieder begonnen", seinen Eltern "Probleme zu bereiten". Dies wegen des gerade geschilderten Vorfalls (gemeint: von 1994). Während des Aufenthalts in Neu Delhi habe die Polizei auch dort einmal nach dem Beschwerdeführer gesucht, ihn aber in seinem Zimmer nicht angetroffen, wie ihm Freunde gesagt hätten.

Nach Vorhalt von Ausführungen des zur Berufungsverhandlung beigezogenen Sachverständigen Mag. Brüser über die Lage in Indien gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, wenn der Sachverständige sage, der Beschwerdeführer müsse keine Angst vor der Polizei haben, so "könnte das richtig sein; ich habe jedoch auch Angst vor den Angehörigen der Sangha-Party", bei denen es sich um Sikh-Terroristen handle. Ein vom Beschwerdeführer namentlich genanntes "Mitglied dieser Gruppe" lebe noch und könnte den Beschwerdeführer überall in Indien finden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat keinerlei Sachverhaltsfeststellungen getroffen und sich in Bezug auf eine drohende Verfolgung durch die Polizei mit dem Hinweis begnügt, es sei "jedenfalls nunmehr eine Gefährdung des Berufungswerbers durch indische Polizeiorgane, sogar im Punjab, jedenfalls nicht iSd § 7 AsylG genügend 'glaubhaft' bzw. naheliegend". Dies ergebe sich aus den "- nachvollziehbaren und schlüssigen - Darlegungen des Sachverständigen", an denen die belangte Behörde umso weniger zweifle, als sie auch den Beschwerdeführer überzeugt hätten.

Für das Bestehen der vom Beschwerdeführer "am Ende der Berufungsverhandlung einzig noch befürchteten Gefahr" der Verfolgung durch einen bestimmten Sikh-Terroristen bestünden nach einem bestimmten Absatz in den Ausführungen des Sachverständigen "jedenfalls außerhalb des Punjab" keine konkreten Anhaltspunkte.

Da überdies "auch eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Berufungswerbers nicht zu besorgen" sei, sei die Berufung vollinhaltlich abzuweisen.

Diese Begründung vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen, wenn man - wozu es angesichts des völligen Fehlens einer auf die Glaubwürdigkeit des Vorbringens bezogenen Beweiswürdigung der belangten Behörde keine Alternative gibt - vom Vorbringen des Beschwerdeführers ausgeht. Die Formulierung, mit der die Reaktion des Beschwerdeführers auf die Ausführungen des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung protokolliert wurde, erlaubt nicht den - von der belangten Behörde auch nicht gezogenen - Schluss, dass der Beschwerdeführer damit die Wahrheitswidrigkeit seiner Behauptungen zugestehe (vgl. in diesem Zusammenhang auch das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0550). Diesen Behauptungen zufolge würde die indische Polizei den schon 1996 aus Indien ausgereisten Beschwerdeführer noch im Mai 2001 wegen der Vorfälle von 1994 gesucht und in diesem Zusammenhang sogar begonnen haben, den Eltern des Beschwerdeführers "wieder Probleme zu bereiten". Vor der Ausreise nach Moskau würde die indische Polizei das "Zimmer" des Beschwerdeführers in Neu Delhi ausfindig gemacht und ihn dort gesucht haben. Dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien auch ausgehend von einem so intensiven und lang anhaltenden Interesse der indischen Polizei an seiner Person ungefährlich wäre oder der Beschwerdeführer trotz des knappen Davonkommens in Neu Delhi auf Ausweichmöglichkeiten innerhalb Indiens verwiesen werden könne, lässt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen, auf die sich die belangte Behörde gestützt hat, aber nicht ableiten (vgl. ähnlich etwa auch die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0018 und Zl. 2001/20/0564).

Die belangte Behörde wird sich - jedenfalls dann, wenn sich eine derartige Begründung auch im fortgesetzten Verfahren nicht als möglich erweisen sollte - daher einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu unterziehen und ihre Entscheidung auf die Ergebnisse dieser Würdigung zu gründen haben.

Da dies bisher nicht geschehen ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juli 2004

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