VwGH 2003/17/0196

VwGH2003/17/019625.11.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Zens als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, in den Beschwerdesachen 1. des LB und 2. der IB, beide in K, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Kunert, Rechtsanwalt in 2000 Stockerau, Th. Pampichler-Straße 1a, jeweils gegen den Gemeinderat der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in jeweils einer Wasseranschlussabgabensache für die Liegenschaft Kammersdorf 55 (Zl. 2003/17/0196) bzw. Kammersdorf 25 (Zl. 2003/17/0197), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art132;
GdO NÖ 1973 §60 Abs1 Z1;
LAO NÖ 1977 §232 Abs2;
LAO NÖ 1977 §47;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §47;
VwGG §55 Abs1;
VwGG §55 Abs2;
VwGG §56;
VwGG §58;
B-VG Art132;
GdO NÖ 1973 §60 Abs1 Z1;
LAO NÖ 1977 §232 Abs2;
LAO NÖ 1977 §47;
VwGG §27 Abs1;
VwGG §36 Abs2;
VwGG §47;
VwGG §55 Abs1;
VwGG §55 Abs2;
VwGG §56;
VwGG §58;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als gegenstandslos geworden erklärt und die Verfahren eingestellt.

Die Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.351,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 31. Dezember 2001 schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf den Beschwerdeführern für deren an der Adresse Kammersdorf 55 gelegene Liegenschaft gemäß § 6 des Niederösterreichischen

Gemeindewasserleitungsgesetzes 1978, LGBl. 6930, und der Wasserabgabenordnung der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf vom 22. Mai 1995 eine Wasseranschlussabgabe in der Höhe von S 64.402,80 vor.

Mit Bescheid vom gleichen Tag schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf den Beschwerdeführern für ihre an der Adresse Kammersdorf 25 gelegene Liegenschaft unter Heranziehung der gleichen Bestimmungen eine Waseranschlussabgabe in der Höhe von S 19.633,35 vor.

Gegen beide Vorschreibungen erhoben die Beschwerdeführer jeweils am 30. Jänner 2002 (Datum der Postaufgabe) Berufung.

Mit an die belangte Behörde gerichteten Devolutionsanträgen je vom 26. August 2002 begehrten die Beschwerdeführer infolge Verletzung der Entscheidungspflicht durch den Gemeindevorstand der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf eine Sachentscheidung über ihre Berufungen durch die belangte Behörde.

Mit ihren am 15. Mai 2003 zur Post gegebenen Säumnisbeschwerden machen die Beschwerdeführer die Verletzung der Entscheidungspflicht der belangten Behörde in Ansehung ihrer Devolutionsanträge vom 26. August 2002 geltend. Sie beantragen, der Verwaltungsgerichtshof möge auf Grund ihrer Berufungen in der Sache erkennen und die erstinstanzlichen Bescheide je vom 31. Dezember 2001 ersatzlos beheben; in Ansehung der Liegenschaft Kammersdorf Nr. 55 wird hilfsweise die Vorschreibung (nur) einer Ergänzungsabgabe beantragt.

Mit Verfügungen je vom 22. Mai 2003 trug der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde gemäß § 36 Abs. 2 VwGG auf, die versäumten Bescheide binnen drei Monaten zu erlassen und eine Abschrift derselben vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege.

Mit Eingaben je vom 22. September 2003 legte die Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf zwei Bescheide ihres Gemeindevorstandes je vom 18. September 2003, den Beschwerdeführern zugestellt am 19. September 2003, vor, mit welchen diese Behörde über die Berufungen der Beschwerdeführer jeweils abweislich entschieden hat.

Die Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf brachte in diesem Zusammenhang vor, § 232 der Niederösterreichischen Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400 (im Folgenden: NÖ AO), sehe eine Devolution nur für den Fall einer Säumnis der erstinstanzlichen Abgabenbehörde vor. Die von den Beschwerdeführern eingebrachten Devolutionsanträge seien daher unzulässig gewesen. Sie hätten keinen Übergang der Entscheidungspflicht in Ansehung der Berufungen der Beschwerdeführer auf die belangte Behörde bewirkt. Eine Säumnis der belangten Behörde in Ansehung einer Sachentscheidung sei daher keinesfalls gegeben. Es wurde "die Abweisung der Beschwerden als unbegründet" beantragt.

Mit Note vom 30. September 2003 forderte der Verwaltungsgerichtshof die Parteien der beiden verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf, sich zur Frage zu äußern, ob durch die Erlassung der Bescheide des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf je vom 18. September 2003 eine sonstige Gegenstandslosigkeit des Beschwerdeverfahrens eingetreten sei.

Die Beschwerdeführer äußerten sich daraufhin dahingehend,

dass dies der Fall sei.

Die belangte Behörde gab keine Äußerung ab.

§ 232 NÖ AO lautet:

"§ 232

(1) Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen (§ 62) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.

(2) Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind, der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; er ist abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist."

Gemäß § 47 NÖ AO richtet sich die sachliche Zuständigkeit der Abgabenbehörden nach den Vorschriften über ihren Wirkungsbereich. Gemäß § 60 Abs. 1 Z 1 der Niederösterreichischen Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000, geht der Instanzenzug in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches gegen Bescheide des Bürgermeisters an den Gemeindevorstand. Gegen Berufungsbescheide des Gemeindevorstandes nach Z 1 leg. cit. ist eine weitere Berufung unzulässig.

Zutreffend weist die Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf darauf hin, dass die NÖ AO - und nur diese ist vorliegendenfalls anzuwenden - in § 232 Abs. 2 ein schriftliches Verlangen der Partei auf Übergang der Zuständigkeit nur im Falle einer Säumnis einer erstinstanzlichen Abgabenbehörde vorsieht. Daraus folgt, dass der an die belangte Behörde gerichtete Devolutionsantrag, welcher sich auf eine Säumnis der zweitinstanzlichen Abgabenbehörde mit der Erledigung einer Berufung gründete, unzulässig war.

Dessen ungeachtet traf die belangte Behörde aber auch in Ansehung dieses unzulässigen Devolutionsantrages eine Entscheidungspflicht; sie wäre nämlich gehalten gewesen, diesen als unzulässig zurückzuweisen (vgl. zur Verpflichtung der Behörden zur Zurückweisung unzulässiger Anträge das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr. 9458/A).

Da es die belangte Behörde ungeachtet der sie treffenden Entscheidungspflicht unterließ, über die Devolutionsanträge der Beschwerdeführer je vom 26. August 2002 innerhalb der in § 27 Abs. 1 VwGG genannten sechsmonatigen Frist zu entscheiden, waren die Beschwerdeführer auch befugt, die Verletzung der Entscheidungspflicht der belangten Behörde in Ansehung ihrer Devolutionsanträge mit Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG geltend zu machen.

Als solche Geltendmachung der Verletzung der Entscheidungspflicht der belangten Behörde in Ansehung der Devolutionsanträge ist die vorliegende Säumnisbeschwerde aber anzusehen, wird dort doch vorgetragen, dass die in Rede stehenden Devolutionsanträge am 26. August 2002 erhoben worden seien und die darauf folgende Untätigkeit der belangten Behörde die Beschwerdeführer in ihrem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung verletzt habe.

Die - nach dem Vorgesagten verfehlten - Anträge der Beschwerdeführer betreffend die inhaltliche Ausgestaltung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes, nämlich in Stattgebung der Devolutionsanträge eine den Berufungen der Beschwerdeführer stattgebende Sachentscheidung zu treffen, stehen der Zulässigkeit der vorliegenden Säumnisbeschwerden nicht entgegen, da - wie oben aufgezeigt - eine Verletzung der Entscheidungspflicht jedenfalls vorliegt.

Vorliegendenfalls hat die zuständige Berufungsbehörde nach Erhebung der Säumnisbeschwerde eine Sachentscheidung über die Berufungen der Beschwerdeführer getroffen. Wie sich aus § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG ergibt, kommt die Einstellung eines Verfahrens über die Säumnisbeschwerde nach dieser Gesetzesstelle nur in Frage, wenn "der Bescheid erlassen wird" oder "vor Einleitung des Vorverfahrens erlassen wurde". Mit diesen Formulierungen nimmt der letzte Satz des § 36 Abs. 2 VwGG auf die beiden ersten Sätze dieser Gesetzesbestimmung Bezug. Es muss also jener Bescheid nachgeholt worden sein, mit dessen Erlassung die belangte Behörde bis zur Beschwerdeerhebung säumig war.

Nach dem Vorgesagten lag die Säumnis der belangten Behörde in der Nichterledigung der an sie gerichteten Devolutionsanträge. Über diese Devolutionsanträge wurde aber durch die Bescheide der Abgabenbehörde zweiter Instanz vom 18. September 2003 nicht abgesprochen, sodass in deren Erlassung keine Bescheidnachholung im Verständnis des § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG erblickt werden kann.

Im vorliegenden Beschwerdefall haben die Beschwerdeführer jedoch erklärt, ihre Devolutionsanträge seien gegenstandslos geworden, weil nunmehr durch den Gemeindevorstand der Marktgemeinde Nappersdorf-Kammersdorf eine Erledigung ihrer Berufungen erflogt sei. Durch diese Erklärung brachten die Beschwerdeführer zum Ausdruck, dass sie sich durch die Erlassung der Bescheide vom 18. September 2003 als klaglos gestellt erachteten. Damit haben sie zu erkennen gegeben, dass sie kein rechtliches Interesse mehr daran haben, dass der Verwaltungsgerichtshof über die vorliegende Säumnisbeschwerde entscheide. Das Säumnisbeschwerdeverfahren war daher in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und einzustellen (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 24. Jänner 1997, Zl. 95/19/0945).

§ 56 VwGG, nach welcher Bestimmung die Frage des Anspruches über Aufwandersatz bei Klaglosstellung des Beschwerdeführers so zu beurteilen ist, als ob der Beschwerdeführer obsiegt hätte, kommt nur bei einer formellen Klaglosstellung zur Anwendung. Wird die Klaglosstellung hingegen dadurch bewirkt, dass dem Begehren des Beschwerdeführers auf andere Weise voll entsprochen wird, kommt

§ 56 VwGG nicht zur Anwendung. Bei einer Bescheidbeschwerde kann die formelle Klaglosstellung nur durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides, im Säumnisbeschwerdeverfahren nur durch Nachholung des versäumten Bescheides bewirkt werden, wobei für den Fall der Klaglosstellung im Säumnisbeschwerdeverfahren die Frage des Zuspruches von Aufwandersatz in § 55 Abs. 1 zweiter Satz VwGG gesondert geregelt ist.

Da im vorliegenden Fall aber nach dem Vorgesagten keine formelle Klaglosstellung durch Nachholung des versäumten Bescheides erfolgt ist, sondern das Interesse des Beschwerdeführers an einer Sachentscheidung nach Einbringung der Säumnisbeschwerde auf andere Weise weggefallen ist, ist die Frage des Aufwandersatzes nicht nach § 56 VwGG, sondern nach § 58 leg. cit. zu beurteilen.

Da - wie oben aufgezeigt - der versäumte Bescheid nicht im Verständnis des § 36 Abs. 2 letzter Satz VwGG erlassen wurde und die belangte Behörde überdies keinen Grund aufzeigt, der sie an der rechtzeitigen Bescheiderlassung gehindert hätte (vgl. § 55 Abs. 2 VwGG), war sie gemäß § 58 Abs. 2 VwGG in Verbindung mit § 47 VwGG zum Aufwandersatz zu verpflichten.

Die Entscheidung über die Höhe dieses Ersatzes gründet sich im Rahmen des geltend gemachten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 25. November 2003

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