VwGH 2002/20/0199

VwGH2002/20/01993.7.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des A in M, geboren 1964, vertreten durch Dr. Bernhard Schatz, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Jänner 2002, Zl. 225.758/0-VII/43/02, betreffend § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §5 Abs1 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §5 idF 1999/I/004;
B-VG Art129c Abs1;
B-VG Art140;
B-VG Art140a;
B-VG Art83 Abs2;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs4;
MRK Art13;
MRK Art3;
MRK Art8;
AsylG 1997 §5 Abs1 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §5 idF 1999/I/004;
B-VG Art129c Abs1;
B-VG Art140;
B-VG Art140a;
B-VG Art83 Abs2;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs4;
MRK Art13;
MRK Art3;
MRK Art8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 25. August 2001 mit einem französischen Visum auf dem Luftweg gemeinsam mit seinen Eltern in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl.

Mit Bescheid vom 7. Jänner 2002 wies das Bundesasylamt, ohne in die Sache einzutreten (eine Befragung des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen war bis dahin nicht erfolgt), den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Gleichzeitig sprach die Erstbehörde aus, dass Frankreich gemäß Art. 5 Abs. 4 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Antrages, BGBl. III Nr. 165/1997 (Dubliner Übereinkommen, im Folgenden kurz: DÜ), für die Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers zuständig sei und dass der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet nach Frankreich ausgewiesen werde.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, er könne auf Grund der konkreten politischen Umstände und Ereignisse in Frankreich keineswegs mit der Durchführung eines fairen Asylverfahrens rechnen, weil Frankreich seit Jahren eine sogenannte "Appeasement-Politik" gegenüber dem Iran verfolge und das iranische Regime unter Missachtung jeder politischen Vernunft in unverständlicher Weise "hofiere". Als Beispiele dafür nannte der Beschwerdeführer die Ermordung eines ehemaligen iranischen Spitzenpolitikers in Paris im Auftrag des nunmehrigen Regimes seines Heimatstaates. Die französische Justiz habe trotz Identifizierung der Täter dieselben nicht in Haft genommen. Die Beschwichtigungspolitik Frankreichs gegenüber dem Iran zeige sich auch in der durch Frankreich erzwungenen Ausreise eines namentlich genannten Führers der iranischen Widerstandsbewegung Ende der 80-iger Jahre sowie im "pogromartigen" Vorgehen der französischen Behörden bei der Weltmeisterschaft 1999 gegen iranische Fußballfans, die ihre Sympathie für die iranische Befreiungsbewegung bekundet hatten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ab. Begründend ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer unstrittig mit einem französischen Visum in das Bundesgebiet eingereist sei und dass sich Frankreich bereit erklärt habe, den Beschwerdeführer rückzuübernehmen und den Asylantrag inhaltlich zu prüfen. Dem Einwand des Beschwerdeführers, er könne in Frankreich mit keinem fairen Asylverfahren rechnen, sei zunächst entgegenzuhalten, dass sich die Vertragsstaaten des DÜ und damit auch Frankreich völkerrechtlich zur Durchführung eines der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Asylverfahrens verpflichtet hätten und dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in einem am 2. Oktober 1997 in Amsterdam unterzeichneten Protokoll festgehalten hätten, dass sie füreinander "als sichere Herkunftsländer" gelten. Daraus lasse sich nach Ansicht der belangten Behörde zweifelsfrei ableiten, dass diese Staaten auch sichere Drittstaaten seien. Festzuhalten sei weiters, dass dem Beschwerdeführer nach dem DÜ kein subjektives Recht auf Durchführung eines Asylverfahrens in einem bestimmten Staat zukomme. Zwar komme den Vertragsstaaten des DÜ nach Art. 3 Abs. 4 dieses Übereinkommens ein Selbsteintrittsrecht zu, dessen Gebrauch aber in ihrem Ermessen liege. Da bei dieser Ermessensausübung nach Ansicht der belangten Behörde die Kriterien des Art. 9 DÜ analog heranzuziehen seien und im Beschwerdefall humanitäre Gründe im Sinne der letztgenannten Bestimmung nicht vorlägen, sehe die belangte Behörde gegenständlich keine Veranlassung, vom genannten Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

Auch inhaltlich könne die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer in der Berufung dargelegten Befürchtungen nicht teilen, weil der Beschwerdeführer nicht dargetan habe, inwieweit er persönlich von der angeblichen "Iranfreundlichkeit Frankreichs" in einem allfälligen Asylverfahren betroffen wäre. Dem diesbezüglich bloß allgemeinen Vorbringen des Beschwerdeführers halte die belangte Behörde entgegen, dass sämtliche vom Beschwerdeführer gegen Frankreich vorgebrachten Einwendungen auch auf Österreich zuträfen. Auch in Österreich seien "vor nicht allzu langer Zeit iranische Spitzenpolitiker wahrscheinlich von iranischen Agenten ermordet" worden und die Ausreise der mutmaßlichen Täter sei von Österreich "unter zumindestens aufklärungsbedürftigen Umständen nicht behindert" worden. Auch österreichische Spitzenpolitiker rühmten sich der jahrelangen guten Beziehungen zum Iran und auch in Österreich würden Länderfußballspiele zu politischen Manifestationen benützt, wogegen Sicherheitskräfte nötigenfalls mit Gewalt vorgingen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der inhaltlichen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung abermals geltend macht, im Falle der Abschiebung nach Frankreich könne er in diesem Staat mit keinem fairen Asylverfahren rechnen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, hat der Verwaltungsgerichtshof in Anlehnung an die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G 117/00 u.a., vertretene Ansicht ausgeführt, er halte an seinen Rechtssätzen, wonach § 5 AsylG keiner verfassungskonformen Auslegung im Sinn einer Bedachtnahme auf Art. 3 undArt. 8 EMRK zugänglich sei und dem Asylwerber (Antragsteller) kein subjektivöffentliches Recht auf Eintritt eines nach dem Wortlaut des DÜ unzuständigen Mitgliedstaates (Österreich) in die Prüfung des Asylantrages zustehe, nicht fest, sondern schließe sich der (dort näher wiedergegebenen) Ansicht des Verfassungsgerichtshofes an. Daran anschließend hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2000/01/0386, ausgesprochen, die Asylbehörde habe die Frage, ob mit der Ausweisung des Asylwerbers nach § 5 AsylG eine Verletzung seiner nach Art. 3 EMRK gewährten Rechte einherginge, anhand nachvollziehbar begründeter, konkreter Feststellungen über den effektiven Vollzug der gesetzlichen Regelung im Drittstaat - abgesehen vom Asylverfahren -

insbesondere im Hinblick auf einen effektiven Schutz gegen Refoulement zu beantworten. Ein solcher effektiver Schutz des Asylwerbers im Drittstaat könne jedenfalls nicht schon aus völkervertraglichen Zusicherungen abgeleitet werden (vgl. zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2001/20/0407).

Demgegenüber vertritt die belangte Behörde, wie erwähnt, (auch) im vorliegenden Beschwerdefall die Auffassung, dem Beschwerdeführer komme ein subjektiv-öffentliches Recht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts Österreichs in das Asylverfahren nach Art. 3 Abs. 4 DÜ nicht zu und meint andererseits - ohne die Fluchtgründe des Beschwerdeführers zu kennen (dieser wurde, wie ausgeführt, im Verwaltungsverfahren dazu nicht befragt) und ohne Feststellungen zum Vollzug der asylrechtlichen und der den Abschiebungsschutz betreffenden Vorschriften Frankreichs zu treffen -, schon alleine die im angefochtenen Bescheid genannten völkerrechtlichen Erklärungen gewährleisteten die Einhaltung der hier maßgeblichen völkerrechtlichen Verträge (wie insbesondere der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK). Da diese Auffassung der belangten Behörde nach dem Gesagten im Widerspruch mit der dargestellten Rechtsprechung steht, erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Denn auch mit ihren (im Übrigen mangels Ermittlungsergebnissen nicht nachvollziehbaren) Ausführungen über die (politische) Situation in Österreich wird die belangte Behörde den genannten Anforderungen in Bezug auf konkrete Feststellungen - zum betroffenen Drittstaat -

nicht gerecht.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 3. Juli 2003

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