VwGH 2002/18/0180

VwGH2002/18/018027.2.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des R, geboren 1977, vertreten durch Mag. Thomas Schweiger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Huemerstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 28. Mai 2002, Zl. St 181/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §45;
BBetrG 1991 §2 Abs1 idF 1994/314;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;
AsylG 1997 §45;
BBetrG 1991 §2 Abs1 idF 1994/314;
FrG 1997 §36 Abs2 Z7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 28. Mai 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen russischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 7 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen.

Nach den Feststellungen der Erstbehörde sei der Beschwerdeführer am 7. November 2001 von Exekutivorganen aufgegriffen worden, nachdem er zuvor (nach dem Akteninhalt: am selben Tag) illegal in das Bundesgebiet eingereist sei. An Barmitteln habe der Beschwerdeführer lediglich S 915,-- (EUR 66,50) vorweisen können. Zu den persönlichen Verhältnissen habe die Erstbehörde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Gattin illegal in das Bundesgebiet eingereist wäre und bis auf die Gattin keinerlei familiäre oder sonstige Bindungen in Österreich hätte.

In der Berufung vom 29. November 2001 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, nach seiner Einreise sofort zu erkennen gegeben zu haben, dass er Flüchtling wäre. Seine Gattin und das Kind wären von Anfang an in die Bundesbetreuung aufgenommen worden. Er selbst hätte nach Entlassung aus der Schubhaft am 14. November 2001 die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz erhalten. Auf Grund des Umstandes, dass er den "Wettlauf" mit den Exekutivorganen verloren hätte, hätte er nicht selbst außerhalb einer Vorführung den Asylantrag einbringen können, was zur Nichtanwendbarkeit des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG geführt hätte. Es wäre jedoch zu beachten, dass er als mittelloser Asylwerber einen Rechtsanspruch auf Bundesbetreuung hätte.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG sei schon deshalb erfüllt, weil der Beschwerdeführer nicht habe entkräften können, dass er über keine ausreichenden Barmittel verfüge. Zum Hinweis auf das Bundesbetreuungsgesetz sei auszuführen, dass auf Unterstützungen nach diesem Gesetz niemandem ein Rechtsanspruch zukomme.

Da der Beschwerdeführer außer der Beziehung zu seiner Gattin keine familiären oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet habe und keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehe, werde durch das Aufenthaltsverbot nicht in relevanter Weise in das Privat- und Familienleben eingegriffen. Eine Erörterung, ob die Maßnahme im Grund des § 37 FrG zulässig sei, erübrige sich daher.

Aber selbst wenn ein solcher Eingriff vorläge, wäre die Verhinderung des Aufenthalts undokumentierter, mittelloser, illegal ins Bundesgebiet gelangter und sich hier nicht rechtmäßig aufhaltender Fremder zweifellos dringend geboten. Die Mittellosigkeit bedinge zwar nicht zwangsläufig die Begehung strafbarer Handlungen. Die Gefahr, dass sich der Beschwerdeführer den nötigen Lebensunterhalt durch strafbare Handlungen verschaffen werde, könne jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Es sei daher nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Da unter Abwägung aller oben angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer zu stellende negative Prognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, sei das Aufenthaltsverbot auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig.

§ 21 Abs. 1 Asylgesetz 1997 finde auf den Beschwerdeführer keine Anwendung, weil er den Asylantrag nicht in einer der in den

Z. 1 oder 2 dieser Gesetzesbestimmung angeführten Weisen eingebracht habe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, bei seiner am Tag der Einreise erfolgten Anhaltung nur einen Betrag von S 915,-- (EUR 66,50) bei sich gehabt zu haben.

Gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG erfüllt sei, führt er - wie bereits in der Berufung - ins Treffen, dass er seit 14. November 2001 in der Unterkunft betreut werde, in der sich seine Frau und das gemeinsame Kind bereits seit der Einreise im Rahmen der Bundesbetreuung aufhielten. Er habe "auf Grund eines bestehenden Kontrahierungszwanges und verfassungsrechtlicher Aspekte als 'mittelloser Asylwerber' einen rechtlichen Anspruch auf Bundesbetreuung".

1.2. Die §§ 1 und 2 Abs. 1 des Bundesbetreuungsgesetzes, BGBl. Nr. 314/1994 idF des § 45 Asylgesetz 1997 haben folgenden Wortlaut:

"§ 1. (1) Der Bund übernimmt die Betreuung hilfsbedürftiger Fremder, die einen Antrag nach § 3 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der geltenden Fassung, gestellt haben (Asylwerber). Die Bundesbetreuung umfasst Unterbringung, Verpflegung und Krankenhilfe sowie sonstige notwendige Betreuungsmaßnahmen. Die einzelnen Leistungen können unter Berücksichtigung des Grades der Hilfsbedürftigkeit auch teilweise gewährt werden.

(2) Die Möglichkeit, Leistungen auf Grund dieses Bundesgesetzes zu erhalten, lässt Ansprüche auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften unberührt.

(3) Auf die Bundesbetreuung besteht kein Rechtsanspruch.

§ 2. (1) Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf einschließlich der Unterbringung für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann. Leistungen, die von dritter Seite erbracht werden, sind bei Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit mit zu berücksichtigen."

Die Gewährung von Bundesbetreuung setzt somit gemäß § 2 Abs. 1 Bundesbetreuungsgesetz voraus, dass der Asylwerber nicht über ausreichende eigene Unterhaltsmittel für sich und seine Familie verfügt. Der vorgebrachte Umstand, dass dem Beschwerdeführer Bundesbetreuung gewährt werde, bestätigt demnach geradezu die Beurteilung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG erfüllt sei. Gegen diese Beurteilung bestehen daher keine Bedenken.

2. Da aus dem Fehlen eigener Unterhaltsmittel die Gefahr der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft und - jedenfalls nach allfälliger Beendigung der Bundesbetreuung - die Gefahr der illegalen Mittelbeschaffung resultiert, kann die Ansicht der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, nicht als rechtwidrig erkannt werden.

3.1. Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, das mit einem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Fremden verbunden ist, nur zulässig, wenn es zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 37 Abs. 2 erster Satz leg. cit. darf ein Aufenthaltsverbot jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

Darüber hinaus räumt § 36 Abs. 1 FrG der Behörde insofern Ermessen ein, als sie ermächtigt wird, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots trotz Vorliegens der in den §§ 36 bis 38 FrG normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und gegebenenfalls welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbots sprechen, und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots nach § 37 FrG - öffentliche Interessen zu Gunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbots nach § 37 FrG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 36 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden. (Vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 98/18/0220).

3.2. Bei der - für den Fall des Vorliegens eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers vorgenommenen -

Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde zu Gunsten des Beschwerdeführers ausschließlich den inländischen Aufenthalt seiner Gattin berücksichtigt. Davon ausgehend vertrat sie die Ansicht, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer, der sich nach illegaler Einreise ohne Dokumente nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und mittellos sei, im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG gerechtfertigt sei.

Zu dem der Behörde gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbots abzusehen, enthält der angefochtene Bescheid keine Ausführungen.

3.3. Nach dem bei den Verwaltungsakten (bei OZ 1) erliegenden "Personendatenblatt Nr. 1 von 1 zu GZ P A1/565/01" wurde beim Beschwerdeführer ein Reisepass vorgefunden, der im Rahmen der ersten Klassifizierung vor Ort als echt angesehen worden ist. Bei den Verwaltungsakten befinden sich überdies Kopien aus diesem Reisepass. Weiters befinden sich bei den Verwaltungsakten ein Schreiben des Bundesasylamtes vom 14. November 2001 (OZ 7) und ein Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 15. November 2001 (OZ 8), aus welchen Schriftstücken sich jeweils ergibt, dass dem Beschwerdeführer mit 14. November 2001 die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zuerkannt worden ist.

Die belangte Behörde gelangte dennoch - ohne auf diese aktenkundigen Umstände einzugehen - zur Ansicht, dass der Beschwerdeführer ohne Dokumente nach Österreich eingereist sei und sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

Das Berufungsvorbringen, wonach sich nicht nur die Gattin, sondern auch das gemeinsame Kind in Österreich aufhalte, welche Personen sofort nach der Einreise am 7. November 2001 in die Bundesbetreuung aufgenommen worden seien, hat die belangte Behörde zwar wiedergegeben, dazu jedoch keine Feststellungen getroffen. Insbesondere hat sie bei der Interessenabwägung gemäß § 37 FrG auf den inländischen Aufenthalt des Kindes keine Rücksicht genommen.

3.4. Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde, hätte sie die dargestellten aktenkundigen Umstände und das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers berücksichtigt, im Bereich der Abwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG oder auf Grund der Ausübung des Ermessens gemäß § 36 Abs. 1 leg. cit. zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwandersatz ein Ersatz von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.

Wien, am 27. Februar 2003

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