VwGH 2002/11/0244

VwGH2002/11/024421.1.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des R in M, vertreten durch Winkler - Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 28. Oktober 2002, Zl. IIb2-3-7-1- 821/1, betreffend Aufforderung zur Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG-GV 1997 §5 Abs1 Z4 litb;
AVG §45 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4 idF 2002/I/081;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG-GV 1997 §5 Abs1 Z4 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Aus einer der Bezirkshauptmannschaft Lienz zugegangenen Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg vom 21. September 2001 geht hervor, dass der Beschwerdeführer am 12. August 2001 aus der Schweiz kommend nach Österreich eingereist und dabei im Besitz von 1,5 g Cannabiskraut und 0,6 g Psilocybin-Pilzen gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe angegeben, eine Packung Cannabiskraut in Zürich erworben zu haben. Zu den Pilzen habe er keine Angaben gemacht. In seiner Begleitung hätten sich sein Bruder und zwei Freunde befunden, welche ebenfalls im Besitz von geschmuggelten Suchtgiften gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe angegeben, er habe mit Cannabiskraut "Kontakt" und "gestern solches" geraucht. Wie die Pilze in seine Tasche gekommen seien, wisse er nicht. Er sei bereits vor zwei Jahren beim Grenzübergang in M. mit Suchtmitteln "beanstandet" worden.

Im Akt erliegt weiters eine Stellungnahme des Amtsarztes der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 11. Februar 2002, der zufolge dieser den Beschwerdeführer am 30. November 2001 untersucht habe. Der Beschwerdeführer habe bestätigt, dass er "gelegentlich" einen Joint rauche. Dieser reduziere den Druck auf den Augapfel und auch den Stress, sodass er besonders bei der Bildschirmtätigkeit konzentriert arbeiten könne. Sein Haschischkonsum sei nicht häufiger als einmal monatlich gewesen. Das letzte Mal habe er möglicherweise vor einem Monat geraucht. Den "Psychotest" habe er im Dezember 2000 in K. absolviert. Dieser Test sei unauffällig ausgefallen. Im Anschluss an den Untersuchungsbefund, in dem ua. ausgeführt wurde, hinsichtlich "Alkohol und Drogen" liege (beim Beschwerdeführer) eine "unkritische Einstellung" vor, führte der Amtsarzt anschließend aus, auf Grund der "Gesamtinformation (Anamnese, Akteninhalt, eigene Untersuchung)" seien eine Harnuntersuchung auf Cannabinoide, eine psychiatrische verkehrsmedizinische Stellungnahme sowie die Einholung der letzten verkehrspsychologischen Stellungnahme und eventuell die Anforderung einer neuerlichen Stellungnahme erforderlich. Sowohl die Harnuntersuchung als auch die psychiatrische verkehrsmedizinische Stellungnahme seien "notwendig und indiziert, da auf Grund des Akteninhaltes, der Angaben des Probanden und der eigenen Untersuchung Drogenmissbrauch anzunehmen ist". Eine Stellungnahme hinsichtlich § 8 des Führerscheingesetzes (FSG) sei ohne diese ergänzenden Informationen nicht möglich.

In Erledigung der Vorstellung des Beschwerdeführers gegen ihren Mandatsbescheid vom 17. April 2002 forderte die Bezirkshauptmannschaft Lienz mit Bescheid vom 24. Juni 2002 den Beschwerdeführer auf, sich hinsichtlich seiner gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen vom Amtsarzt untersuchen zu lassen und das amtsärztliche Gutachten binnen vier Monaten, gerechnet ab 25. April 2002, der Bezirkshauptmannschaft Lienz vorzulegen. Als Rechtsgrundlage waren §§ 8 und 24 Abs. 4 FSG angegeben. Begründend wurde ausgeführt, auf Grund einer der Bezirkshauptmannschaft Lienz übermittelten Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg wegen des Verdachts eines Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz sei unter anderem die Untersuchung des Beschwerdeführers im Hinblick auf dessen gesundheitliche Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeugs veranlasst worden. Nach Wiedergabe der Stellungnahme des Amtsarztes führte die Bezirkshauptmannschaft Lienz aus, auf Grund dieses "schlüssigen und in sich nicht widersprüchlichen vorläufigen Ergebnisses der amtsärztlichen Untersuchung" stehe außer Zweifel, dass zumindest begründete Bedenken an der gesundheitlichen Lenkeignung des Beschwerdeführers bestünden.

In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, der Konsum von Cannabisprodukten einmal im Monat könne die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht in Frage stellen.

Der Landeshauptmann von Tirol wies die Berufung mit Bescheid vom 28. Oktober 2002 gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet ab, änderte den Spruch jedoch dahingehend ab, als für die Beibringung des amtsärztlichen Gutachtens eine Frist von vier Monaten ab Rechtskraft des Aufforderungsbescheides bestimmt wurde. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Tirol nach Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens sowie der einschlägigen Rechtslage aus, aus der Anzeige des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg vom 21. September 2001 wegen des Verdachts eines Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz gehe hervor, dass der Beschwerdeführer am 12. August 2001 aus der Schweiz kommend nach Österreich eingereist sei und dabei im Besitz von 1,5 g Cannabiskraut und 0,6 g Psilocybin-Pilzen gewesen sei. Weiters sei der Beschwerdeführer in Begleitung seines Bruders und zweier Freunde gewesen, welche ebenfalls im Besitz von geschmuggelten Suchtgiften gewesen seien. In einer ersten Einvernahme am 12. August 2001 habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er in Zürich die erwähnten Suchtmittel erworben habe. Dabei habe er angegeben, dass er mit Cannabiskraut Kontakt habe und "gestern" Cannabiskraut geraucht habe. Wie die Pilze in seine Tasche gekommen seien, wisse er nicht. Weiters habe er angegeben, dass er vor etwa zwei Jahren beim Grenzübertritt in M. mit Suchtmitteln beanstandet worden sei. Aus dem von der Erstbehörde eingeholten amtsärztlichen "Gutachten" vom 30. November 2001 gehe hervor, dass der Beschwerdeführer gelegentlich einen Joint rauche, welcher den Druck auf den Augapfel und auch den Stress reduziere, sodass er bei der Bildschirmtätigkeit konzentriert arbeiten könne. Der Haschischkonsum des Beschwerdeführers sei nicht häufiger als einmal monatlich gewesen. Der Beschwerdeführer habe laut eigener "Einlassung" am 8. November 2001 in Zürich Suchtmittel erworben und bei dieser Gelegenheit auch Cannabis geraucht. Weiters konsumiere der Beschwerdeführer Cannabisprodukte, um bei seiner Bildschirmtätigkeit konzentriert arbeiten zu können. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beschwerdeführer "in Begleitung seines Bruders und zwei weiteren Personen, welche gleichfalls Suchtmittel bei sich führten, Kontakt hat" und er schon einmal beim Grenzübergang in M. wegen Suchtmittel beanstandet worden sei, ergebe sich "zweifelsfrei ein enger Kontakt zur Suchtmittelszene und das über einen längeren Zeitraum". Auf Grund dieses Sachverhaltes habe die Erstbehörde davon ausgehen müssen, dass der Beschwerdeführer nicht nur einmal pro Monat Cannabis konsumiere, sondern während der Arbeit vor dem Bildschirm genauso wie beim Erwerb von Cannabiskraut selbst. Der zusätzliche Besitz der Pilze lege den Verdacht nahe, dass nicht nur ausschließlich Cannabisprodukte konsumiert würden. Im Zusammenhang mit dem engen Kontakt zur Suchtmittelszene sei die Aussage des Beschwerdeführers, nur gelegentlich bzw. einmal pro Monat Suchtmittel zu konsumieren, als äußerst unglaubwürdig zu qualifizieren. Hinsichtlich des Drogenkonsums stehe für die Behörde zweifelsfrei fest, dass begründete Bedenken an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen beim Berufungswerber bestünden und nur ein amtsärztliches Gutachten unter Beibringung der geforderten Befunde den Verdacht des Suchtmittelmissbrauchs bestätigen oder entkräften könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Für die Überprüfung des angefochtenen Bescheides ist, wie auch die belangte Behörde zutreffend erkennt, mangels Übergangsbestimmungen für bereits anhängige Verfahren in der FSG-Novelle BGBl. I Nr. 81/2002 das FSG in der Fassung der zuletzt genannten Novelle maßgeblich. Die einschlägigen Bestimmungen des FSG lauten (auszugsweise):

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

3. Gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung

Allgemeines

§ 24.

...

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. ... Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung einem rechtskräftigen Bescheid mit der Aufforderung, sich ärztlich untersuchen zu lassen ...., keine Folge, so ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen."

1.2. Die einschlägigen Bestimmungen der FSG-GV lauten (auszugsweise):

"Gesundheit

§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:

...

4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:

  1. a) Alkoholabhängigkeit oder
  2. b) andere Abhängigkeiten, die das sichere Beherrschen des Kraftfahrzeuges und das Einhalten der für das Lenken des Kraftfahrzeugs geltenden Vorschriften beeinträchtigen könnten,

    ...

    Alkohol, Sucht- und Arzneimittel

§ 14. (1) Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind oder den Konsum dieser Mittel nicht so weit einschränken können, dass sie beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt sind, darf, soweit nicht Abs. 4 anzuwenden ist, eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden. Personen, bei denen der Verdacht einer Alkohol-, Suchtmittel- oder Arzneimittelabhängigkeit besteht, haben eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen.

..."

2. Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs. 4 FSG sind, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat, begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei geht es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen (vgl. zB. das hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 2000/11/0231). Im gegebenen Zusammenhang wäre somit der Aufforderungsbescheid rechtmäßig, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden hätten, dem Beschwerdeführer fehle infolge Suchtmittelabhängigkeit die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Derartige Anhaltspunkte hat die belangte Behörde jedoch nicht frei von Verfahrensmängeln festgestellt.

Vorauszuschicken ist, dass, wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls betont hat, ein gelegentlicher Konsum von Cannabis die gesundheitliche Eignung des Inhabers einer Lenkberechtigung nicht berührt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Mai 2000, Zl. 99/11/0340, und vom 24. April 2001, Zl. 2000/11/0231).

Die belangte Behörde hat sich zunächst - wie bereits die Erstbehörde - auf die Stellungnahme des Amtsarztes der Erstbehörde vom 11. Februar 2002 gestützt. Diese basiert einerseits auf Angaben des Beschwerdeführers, denen zufolge er (damals) einmal pro Monat Cannabis konsumiert hätte, andererseits aber auf einer darüber hinausgehenden Einschätzung des Amtsarztes, wonach "auf Grund des Akteninhaltes, der Angaben des Probanden und der eigenen Untersuchung Drogenmissbrauch anzunehmen" sei. Diese Einschätzung des Amtsarztes, in der ein Verdacht auf eine Suchtgiftabhängigkeit des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich erwähnt wird, bietet der Behörde keinen ausreichenden Hinweis für einen solchen Verdacht. Selbst wenn aber der Amtsarzt mit dem von ihm gewählten Ausdruck "Drogenmissbrauch" eine Suchtmittelabhängigkeit gemeint haben sollte, so wäre es für den Verwaltungsgerichtshof mangels näherer Begründung in der Stellungnahme des Amtsarztes nicht nachvollziehbar, weshalb bei einem Cannabiskonsumverhalten, wie es der Beschwerdeführer angegeben hat, bereits von einer Suchtmittelabhängigkeit gesprochen werden könnte. Es ist jedenfalls nicht notorisch, dass ein Cannabiskonsum einmal pro Monat bereits ein Verhalten darstellt, das den Verdacht einer Abhängigkeit begründet. Indem die belangte Behörde, wie schon die Erstbehörde, die Stellungnahme des Amtsarztes ihrem Bescheid zu Grunde legte, belastete sie ihn mit einem Begründungsmangel.

Soweit die belangte Behörde aber - und zwar entgegen den Ausführungen in der Gegenschrift - erstmals die Feststellung traf, der Beschwerdeführer konsumiere Cannabis auch während der Bildschirmarbeit, so ist ihr entgegen zu halten, dass diese Feststellung getroffen wurde, ohne dass dem Beschwerdeführer zu dieser Sachverhaltsannahme Parteiengehör eingeräumt worden ist. Mit seinem Beschwerdevorbringen, dass er bei Einräumung des Parteiengehörs darauf hingewiesen hätte, während der Arbeit vor dem Bildschirm bei seinem Arbeitgeber nicht Cannabis zu konsumieren, sondern gelegentlich den Eindruck zu haben, dass die Reduzierung des Drucks auf den Augapfel Folge eines Cannabiskonsums am Vorabend gewesen sei, zeigt der Beschwerdeführer die Relevanz dieses Verfahrensmangels auf. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde, wie der Beschwerdeführer zu Recht rügt, in der Formulierung ihrer Bescheidbegründung den Eindruck erweckt, als sei bereits die Bezirkshauptmannschaft Lienz davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer während der Arbeit vor dem Bildschirm Cannabiskraut konsumiere. Eine derartige Feststellung ist dem erstinstanzlichen Bescheid jedoch nicht zu entnehmen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

4. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof wolle der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkennen.

Wien, am 21. Jänner 2003

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