Normen
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
SittenpolG Vlbg 1976 §1 Abs1;
SittenpolG Vlbg 1976 §18 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
SittenpolG Vlbg 1976 §1 Abs1;
SittenpolG Vlbg 1976 §18 Abs1 lita;
StVO 1960 §4 Abs5;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 2. September 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 Z 9 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen. Dabei ging die belangte Behörde im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:
Der Beschwerdeführer sei am 8. Jänner 1990 "zur Arbeitsaufnahme in Österreich sichtvermerksfrei" eingereist. Am 12. Februar 1990 habe er mit einer namentlich genannten österreichischen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen. Über seinen Antrag sei ihm am 14. Mai 1990 ein Sichtvermerk erteilt worden. Mit einem näher bezeichneten Urteil vom 13. Juni 1991 sei die erwähnte Ehe für nichtig erklärt worden. Auf Grund der Feststellungen in diesem Urteil, die insbesondere auf die übereinstimmenden und glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehegattin gestützt worden seien, stehe auch für die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer diese Ehe lediglich deshalb eingegangen sei, um eine Aufenthaltsberechtigung sowie eine Arbeitserlaubnis in Österreich zu erlangen, dass ein gemeinsames Familienleben nie geführt worden sei und dass der Beschwerdeführer für die Zustimmung zur Eheschließung S 60.000,-- bezahlt habe.
Der Beschwerdeführer habe im März 1992 seinen Wohnsitz nach Vorarlberg verlegt und arbeite seit 3. August 1992 bei einem näher genannten Unternehmen in Hörbranz. Über seinen Antrag sei dem Beschwerdeführer (zuletzt) eine Aufenthaltsbewilligung für die Zeit vom 29. November 1994 bis 14. Oktober 1996 erteilt worden. Weiters verfüge er über einen gültigen Befreiungsschein.
Rechtlich ging die belangte Behörde von der Verwirklichung des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z 9 FrG aus. Entgegen dem Berufungsvorbringen sei aus dem "langen Zeitablauf seit der Eheschließung" nichts zu gewinnen, weil sich der Beschwerdeführer in der Folge nicht wohlverhalten habe. So sei er 1996 und 1997 wegen folgender Verwaltungsübertretungen rechtskräftig bestraft worden:
"X-32270-1997 | §§ 4 Abs. 5 und 99/3 lit. b StVO vom 31.10.1997zu ATS 1.000,-- |
X-8450-1996 | §§ 18/1 lit. a und 1/1 Sittenpolizeigesetz vom 24.6.1996zu ATS 1.000,--." |
Dem erstgenannten Straferkenntnis liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 22. Oktober 1997 nach einem Verkehrsunfall "mit bloßem Sachschaden", an dem er ursächlich beteiligt gewesen sei, nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt habe, obwohl er dem Geschädigten nicht seinen Namen und seine Anschrift nachgewiesen habe. Das zweite Straferkenntnis beruhe darauf, dass der Beschwerdeführer am 29. März 1996 in einem näher bezeichneten Reitstall öffentlich den Anstand verletzt habe, indem er sich vor einer namentlich genannten weiblichen Person (im Zuge von Annäherungsversuchen) entblößt habe. Entgegen dem Berufungsvorbringen handle es sich dabei nicht um geringfügige Übertretungen. Das zugrunde liegende Verhalten zeige deutlich die "negative Sinnesart" des Beschwerdeführers. Diese Übertretungen verstärkten daher die Annahme, dass sein weiterer Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe.
Die belangte Behörde bejahte im Hinblick auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit 1990 und seine langjährige Beschäftigung einen Eingriff in das Privatleben, der jedoch dadurch relativiert werde, dass sein Aufenthalt und seine "etwaige Integration" nur auf einer Scheinehe beruhten. Die belangte Behörde erachtete das Aufenthaltsverbot insbesondere wegen des Eingehens einer Scheinehe im Hinblick auf das eminente Interesse an einem geordneten Fremdenwesen für dringend geboten im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG und kam "unter Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der gegenläufigen Interessen" zu dem Ergebnis, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes weit schwerer wögen als dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach § 36 Abs. 2 Z 9 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nie geführt und für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet hat.
Die Beschwerde bestreitet nicht die Feststellungen der belangten Behörde zur Scheinehe und tritt der rechtlichen Schlussfolgerung, dass dadurch der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 9 FrG erfüllt sei, nicht entgegen. Der Beschwerdeführer meint jedoch, das Aufenthaltsverbot lasse sich nicht auf die genannte Bestimmung stützen, weil sie gemäß § 111 FrG erst am 1. Jänner 1998 in Kraft getreten und auf vorher verwirklichte Sachverhalte nicht anzuwenden sei. Letzteres lässt sich aber der genannten Bestimmung nicht entnehmen. Die belangte Behörde hat daher auch auf den vorliegenden Fall zu Recht § 36 Abs. 2 Z 9 FrG angewendet.
In den weiteren Ausführungen verweist die Beschwerde darauf, dass die erwähnte Eheschließung vor mehr als neun Jahren erfolgt sei und somit "nach fremdenrechtlichen Aspekten nicht mehr negativ ins Gewicht fallen" könne. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde - im Ergebnis - zum Erfolg:
Zur Beurteilung, ob das den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 9 FrG erfüllende Fehlverhalten die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigt, ist eine Prognose erforderlich. Um eine solche treffen zu können, ist nicht allein auf dieses Fehlverhalten Bedacht zu nehmen, sondern - unter der Voraussetzung seitherigen Wohlverhaltens - auch auf den seit seiner Verwirklichung verstrichenen Zeitraum. Je länger die Eheschließung zurückliegt, umso mehr Gewicht ist dem Wohlverhalten des Fremden seit diesem Zeitraum für die zu treffende Prognose zuzumessen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0252).
Obwohl seit dem Zeitpunkt der Eheschließung - nur dieser und nicht der Zeitraum seit der letztmaligen Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung ist maßgeblich - mehr als fünf Jahre vergangen sind, durfte die belangte Behörde die rechtsmissbräuchliche Eheschließung im Jahre 1990 im Hinblick auf das weitere fremdenrechtlich relevante Fehlverhalten des Beschwerdeführers zwar noch berücksichtigen, doch ist sie im Hinblick auf die bis zur Bescheiderlassung vergangene Zeit von etwa neuneinhalb Jahren in ihrem Gewicht für die Prognosebeurteilung deutlich gemindert (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2002, Zl. 99/21/0255); und zwar derart, dass auch - entgegen der Meinung der belangten Behörde - in Verbindung mit den dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen keine negative Zukunftsprognose im Sinne des § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt erscheint. Die den verwaltungsrechtlichen Bestrafungen zugrunde liegenden Fehlverhalten betreffen nämlich in keiner Weise das durch die Scheineheschließung berührte öffentliche Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt Fremder regelnden Vorschriften. Sie stellen sich vielmehr als davon unabhängige, singuläre Verhaltensweisen dar, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides überdies bereits mehr als drei bzw. fast zwei Jahre zurücklagen. Es handelt sich im Übrigen auch um keine der im § 36 Abs. 2 Z 2 FrG erwähnten Verwaltungsübertretungen.
Angesichts der dargestellten Umstände kann die Einschätzung der belangten Behörde, das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers rechtfertige die Annahme nach § 36 Abs. 1 FrG, nicht geteilt werden.
Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Es bedarf daher keiner Auseinandersetzung mit den in der Beschwerde weiters relevierten Fragen, ob dem Beschwerdeführer unter Bedachtnahme darauf, dass ihm nach der Nichtigerklärung der Scheinehe weitere Aufenthaltstitel erteilt wurden, angesichts seiner langjährigen Beschäftigung ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 zukommt, und ob die Beurteilung der belangten Behörde im Grunde des § 37 FrG einer Überprüfung standhält.
Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, wobei eine Umrechnung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG in Euro vorzunehmen war.
Wien, am 30. Jänner 2003
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