VwGH 2002/04/0063

VwGH2002/04/00636.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Gruber, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Weiss, über die Beschwerde der P Bestattungs- und Grabstättenfachbetriebs GesmbH in K, vertreten durch Dr. Wilhelm Duregger, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Pfarrhofgasse 2/I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 4. April 2002, Zl. 7-G-GWB-348/5/2002, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand i.A. gewerbliche Betriebsstätte, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Klagenfurt wurde der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 4 AVG abgewiesen.

In der Begründung dieses Bescheides heißt es u.a., im Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist sei ausgeführt worden, dass der in Frage stehende Bescheid mit 25. September 2001 an die Kanzlei des Rechtsvertreters der beschwerdeführenden Partei zugestellt worden und das Fristende auch richtiger Weise am 9. Oktober 2001 eingetragen worden sei. Der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei habe die Berufung am 8. Oktober 2001 diktiert. Der Schriftsatz sei von seiner Mitarbeiterin schriftlich verfasst und am 9. Oktober 2001, nach Korrektur des Schriftsatzes, endgefertigt worden. Der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei habe gegen 19.00 Uhr die Kanzlei verlassen, wobei er mit Sicherheit davon ausgehen habe können, dass der Schriftsatz fristgerecht am Hauptpostamt Klagenfurt aufgegeben werde. Am Vormittag des 10. Oktober 2001 sei der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei beruflich für seine Mitarbeiterin nicht erreichbar gewesen, sodass er, als er gegen Mittag in die Kanzlei zurückgekehrt sei, erfahren habe, dass seine Mitarbeiterin den Schriftsatz nicht mehr habe aufgeben können, weil das Postamt um

21.30 Uhr bereits geschlossen gewesen sei, die Mitarbeiterin aber aus ihrer früheren Tätigkeit im vollen Glauben gewesen sei, dass das Hauptpostamt Klagenfurt bis Mitternacht geöffnet halte. Die Kanzleiangestellte des Rechtsvertreters habe das Postamt gegen

21.45 erreicht. Zu diesem Zeitpunkt sei es für sie völlig überraschend bereits geschlossen gewesen, sodass sie sich wieder in die Kanzlei zurückbegeben und versucht habe, den Schriftsatz an den Magistrat der Stadt Villach mittels Telefax zu übersenden; was jedoch nicht gelungen sei (und wird dies näher ausgeführt).

In ihrer rechtlichen Beurteilung kommt die erstinstanzliche Behörde zum Schluss, aus dem gesamten Ablauf lasse sich deutlich auf ein - über das bloße Unterlassen der Postausfertigungsüberwachung hinausgehendes - dem Rechtsvertreter (und damit der durch ihn vertretenen beschwerdeführenden Partei) zuzurechnendes Organisationsverschulden (Nichtentsprechen der Unterweisungs- und Leitungspflicht) schließen.

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG bestätigt.

Zur Begründung stützt sich die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass es ein unvorhergesehenes Ereignis darstelle, wenn einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan werde, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler unterlaufe. Die Kontrolle, ob eine erfahrene oder zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführe, sei dem Rechtsanwalt sicherlich nicht zumutbar, wolle man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Im gegenständlichen Fall habe der Rechtsvertreter der beschwerdeführenden Partei jedoch nicht glaubhaft darlegen können, dass er die Sekretärin über die geänderten Öffnungszeiten der Post eingewiesen habe. Es sei dem Rechtsanwalt sicherlich nicht zuzumuten, die manipulative Tätigkeit einer zuverlässigen Kanzleikraft zu überprüfen. Es sei ihm aber wohl zuzumuten, die Kanzleikraft über geänderte Rahmenbedingungen in Kenntnis zu setzen. Eine Einweisung der auch sehr zuverlässigen Kanzleikraft hinsichtlich der geänderten Öffnungszeiten der Post wäre aus der Sorgfaltspflicht heraus geboten gewesen, zumal die sorgfältige Kanzleikraft wahrscheinlich dazu in der Lage gewesen wäre, den neuen Zeitrahmen durchaus einzuhalten. Da es der Rechtsvertreter versäumt habe, seine Kanzleikraft über die geänderten und für eventuelle Rechtsmittel wichtige Fristen in Kenntnis zu setzen, sei es diesem nicht möglich gewesen, glaubhaft zu machen, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Frist zur Erhebung der Berufung gehindert gewesen sei, noch dass ihm daran ein minderer Grad des Versehens getroffen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Das entscheidende Gewicht wird in der Beschwerde darauf gelegt, die Begründung der belangten Behörde sei rechtswidrig, weil sie die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ad absurdum führe, dass ein Rechtsvertreter bei Fristeingaben mit Recht davon ausgehen könne, dass er einer bis dato fehlerlos arbeitenden, zuverlässigen Mitarbeiterin, die - wie im gegenständlichen Fall - seit 30 Jahren Mitarbeiterin in Rechtsanwaltskanzleien sei, die Postaufgabe überlassen könne. Es sei realitätsfremd anzunehmen, dass sich der Rechtsvertreter auf eine zuverlässige Kanzleikraft zwar hinsichtlich der Postaufgabe verlassen dürfe, andererseits aber beim Postamt regelmäßig nachzufragen habe, ob sich die Postöffnungszeiten geändert hätten. Diesbezügliche Nachfragen würden ja indizieren, dass der Rechtsvertreter sich hinsichtlich der Postaufgabe eben nicht auf eine zugegebener Maßen pflichtgetreue und zuverlässige Kanzleimitarbeiterin verlassen dürfe, was ein Widerspruch in sich selbst sei.

Die beschwerdeführende Partei ist damit im Recht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes Letzterem (und damit auch der Partei) nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle über den Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem Angestellten, dessen Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach der Kontrolle desselben durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Ein Rechtsanwalt kann vielmehr rein technische Vorgänge beim Abfertigung von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 2001/18/0114, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Kann sich ein Rechtsanwalt aber darauf verlassen, dass eine bewährte Kanzleikraft einen fertig gestellten und unterschriebenen Schriftsatz noch am selben Tag auftragsgemäß zur Post geben oder überreichen werde (vgl. nochmals das vorzitierte hg. Erkenntnis vom 27. November 2001), so ist dies vom Gedanken einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierenden Betriebsführung getragen. Dieser Gesichtspunkt würde (wiederum) verlassen und die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwaltes überspannt werden, wenn es als zweckmäßig und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen würde, dass bei einer verlässlichen Kanzleikraft - was von der belangten Behörde gar nicht in Zweifel gezogen wird - sich der Rechtsanwalt über Postöffnungszeiten und deren allfällige Änderungen zu informieren und sie diesbezüglich einzuweisen habe.

Bei ihrer gegenteiligen Sicht hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501 /2001. Das Mehrbegehren auf Zuerkennung von "ES" und "USt" war im Hinblick auf die Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes abzuweisen. Wien, am 6. November 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte