VwGH 2000/19/0153

VwGH2000/19/015321.12.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des MO, vertreten durch Dr. Reinhard Kohlhofer, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Fasangartengasse 35, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 31. August 2000, Zl. 126.480/2- III/11/00, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10 Abs2 Z1;
FrG 1997 §10 Abs2;
AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z2;
FrG 1997 §10 Abs2 Z1;
FrG 1997 §10 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 31. August 2000 wies der Bundesminister für Inneres einen am 6. September 1999 gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) ab. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, der Beschwerdeführer sei mit Schreiben vom 21. Juli 2000 darüber informiert worden, dass zu prüfen sei, ob die Voraussetzungen zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen Erwerbstätigkeit" vorlägen. In diesem Zusammenhang sei er aufgefordert worden, die gültige Niederlassungsbewilligung seiner Ehefrau, deren arbeitsmarktrechtliche Bewilligung, eine Bestätigung über ihr monatliches Nettoeinkommen der letzten sechs Monate und deren Mietvertrag vorzulegen, sowie bekanntzugeben, für wie viele Personen sie sorgepflichtig sei. Mit Schreiben vom 8. August 2000 habe der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers die geforderten Unterlagen vorgelegt. Aus diesen gehe hervor, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers vom 17. Dezember 1999 bis 30. März 2000 und vom 13. Juni 2000 bis 30. Juni 2000 einer Erwerbstätigkeit am J. Hof nachgegangen sei. Zwischendurch habe sie laut den vorgelegten Unterlagen vom 14. Oktober 1999 bis 16. Dezember 1999 Notstandshilfe (täglich S 331,50) und vom 10. April 2000 bis 15. April 2000 sowie vom 25. April 2000 bis 12. Juni 2000 Arbeitslosengeld (täglich S 245,80) bezogen. Letztendlich sei eine Bestätigung eines Rechtsanwaltes darüber vorgelegt worden, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers seit 1. April 1999 in dessen Kanzlei als Raumpflegerin beschäftigt sei. Für den Zeitraum 1. Jänner 2000 bis 30. Juni 2000 sei ein Gesamteinkommen von S 7.798,--, welches ein monatliches Nettoeinkommen von ca. S 1.298,-- ergebe, belegt worden. Gleichzeitig habe der Beschwerdeführer bekanntgegeben, dass seine Ehegattin für drei Kinder (geboren 1986, 1996 und 1997) sorgepflichtig und unterhaltspflichtig sei. Im Fall des Beschwerdeführers sei festgestellt worden, dass laut den Sozialhilferichtsätzen für das Bundesland Tirol für die Familie des Beschwerdeführers ein Mindestbedarf von S 20.805,-- zur Verfügung stehen müsse (Haushaltsvorstand S 4.410,--, Familienangehörige ohne Anspruch auf Familienbeihilfe S 3.065,--, drei Familienangehörige mit Anspruch auf Familienbeihilfe drei Mal S 1.710,-- = S 5.130,--, sowie die monatliche Mietbelastung von S 6.500,-- zuzüglich S 1.700,-- für Betriebskosten), um den Lebensunterhalt des Beschwerdeführers zu sichern. Da der Beschwerdeführer für seine Ehefrau jedoch lediglich ein regelmäßiges monatliches Nettoeinkommen von durchschnittlich S 1.298,-- belegt habe, sei die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ausgeschlossen, weil seine Ehefrau mit diesem Einkommen nicht in der Lage sei, den Lebensunterhalt für eine fünfköpfige Familie zu sichern. Selbst für den Fall, dass die Ehegattin wieder einer Erwerbstätigkeit am J. Hof nachgehen würde oder Arbeitslosenunterstützung beziehen würde, wäre das ihr zustehende Entgelt nicht ausreichend und würde der nach den Sozialhilferichtsätzen erforderliche Mindestbedarf von S 20.805,-- nicht annähernd erreicht werden. Aus den angeführten Gründen erscheine der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers in Österreich keinesfalls gesichert und sei sein Antrag gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 abzuweisen gewesen. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen sei davon auszugehen, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten "absolute Priorität" eingeräumt werden müsste, weil die der erkennenden Behörde nachgewiesenen Unterhaltsmittel der Ehegattin im Ausmaß von regelmäßig durchschnittlich S 1.298,-- pro Monat nicht als ausreichend zu qualifizieren seien, den Lebensunterhalt einer fünfköpfigen Familie zu decken bzw. zur Gänze zu sichern. Es sei davon auszugehen, dass die der Familie zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht dazu ausreichten, um ohne finanzielle Unterstützung der Sozialhilfeträger auszukommen. In weiterer Folge sei davon auszugehen, dass die Sozialhilfeträger beim Zuzug des Beschwerdeführers Geldmittel zuschießen müssten. Diese Vorgangsweise liege nicht "im Sinne des Gesetzes".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Da der Beschwerdeführer weder nach derAktenlage noch nach seinem Vorbringen jemals über einen Aufenthaltstitel verfügte, wertete die belangte Behörde den Antrag zu Recht als solchen auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung.

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des FrG 1997 lauten (auszugsweise):

§ 10.

...

(2) Die Erteilung eines Einreise- oder Aufenthaltstitels kann wegen Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 8 Abs. 3 Z. 2) insbesondere versagt werden, wenn

1. der Fremde nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt oder nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder - bei der Erteilung eines Einreise- oder befristeten Aufenthaltstitels - für die Wiederausreise verfügt;

..."

§ 4 Abs. 1 lit. a der aufgrund des Tiroler Sozialhilfegesetzes erlassenen Sozialhilfeverordnung der Tiroler Landesregierung, LGBl. Nr. 68/1974, in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung der Verordnung LGBl. Nr. 22/2000, lautet:

§ 4. (1) Soweit die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form von Geldleistungen gegeben wird, sind unter Anrechnung der nach § 7 des Tiroler Sozialhilfegesetzes einzusetzenden eigenen Kräfte und Mittel zu gewähren:

a) Zur Deckung des Aufwandes im Sinne des § 1 lit. a monatliche Leistungen bis zu folgenden Höchstbeträgen (Richtsätze):

  1. 1. Für Alleinstehende S 5.150,--
  2. 2. für Haushaltsvorstände S 4.410,--
  3. 3. für Haushaltsangehörige ohne Anspruch auf Familienbeihilfe

    S 3.065,--

  1. 4. für sonstige Familienangehörige S 1.710,--

    ..."

    Die belangte Behörde begründet die Versagung der vom Beschwerdeführer angestrebten Niederlassungsbewilligung ausschließlich damit, dass ihrer Auffassung nach der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 verwirklicht sei, weil der Lebensunterhalt des Beschwerdeführers nicht gesichert sei.

    Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. Dezember 1999, Zl. 99/19/0094, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargelegt hat, finden infolge der Gleichartigkeit des in Rede stehenden Versagungsgrundes die zu § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Rechtssätze auch für die Beurteilung, ob der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 vorliegt, Anwendung. Danach darf sich die Behörde bei Berechnung des Unterhaltsbedarfs einer Familie im Regelfall nur an jenem Gesamtbetrag orientieren, welcher nach Auffassung der jeweiligen Landesregierung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Deckung des Bedarfes für einen Haushaltsvorstand und der jeweiligen Zahl der unterhaltsberechtigten Haushaltsangehörigen auch dann ausreichend ist, wenn daneben keine weiteren Mittel, also auch keine Familienbeihilfe, zur Verfügung stehen. Es ist daher bei der Berechnung des Unterhaltsbedarfes auch eines Kindes, für welches Familienbeihilfe bezogen wird, der höhere Ansatz für Familienangehörige ohne Anspruch auf Familienbeihilfe in Anrechnung zu bringen. Andererseits aber ist die für ein solches Kind bezogene Familienbeihilfe den der Familie insgesamt zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel hinzuzuzählen.

    Demnach hätte sich die belangte Behörde bei Heranziehung der Sozialhilferichtsätze für das Jahr 2000 bei der Berechnung des Bedarfs der Familie des Beschwerdeführers mangels anderer Anhaltspunkte nur am Richtsatzbedarf für einen Haushaltsvorstand, für vier Familienangehörige ohne Anspruch auf Familienbeihilfe sowie den Wohnkosten zuzüglich der Betriebskosten orientieren dürfen.

    Allerdings ist es dem Verwaltungsgerichtshof verwehrt, zu Lasten des Beschwerdeführers den Unterhaltsbedarf desselben sowie seiner Familie, der nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes von der Behörde konkret festzustellen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2001, Zl. 2000/19/0020 mwN), zu korrigieren. Der Verwaltungsgerichtshof legte daher seinen weiteren Überlegungen den von der belangten Behörde festgestellten Bedarf der Familie des Beschwerdeführers in Höhe von S 20.805,-- zugrunde.

    Nach dem bisher Gesagten wären diesem Unterhaltsbedarf sämtliche der Familie des Beschwerdeführers zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel gegenüberzustellen gewesen. Zu diesen hätte auch die für drei Kinder zur Verfügung stehende Familienbeihilfe (nach dem Alter dieser Kinder gemäß § 8 Abs. 2 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 79/1998 für das erste Kind S 1.700,--, für das zweite Kind S 1.625,-- und für das dritte Kind S 1.800,--, insgesamt somit S 5.125,--) gehört. Im Übrigen wäre bei der Berechnung der zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel, wie ebenfalls im bereits erwähnten hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 1999 ausgeführt, festzustellen gewesen, ob der Ehegattin des Beschwerdeführers auch Sonderzahlungen zustehen.

    Da die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid erstmals, unter Bezugnahme auf das Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren, die Auffassung vertreten hat, die von der Ehefrau des Beschwerdeführers aufgebrachten Unterhaltsmittel reichten nicht aus, den Unterhalt des Beschwerdeführers und seiner Familie zu sichern, unterliegt mangels Vorhaltes dieser Annahme das Beschwerdevorbringen nicht dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot. Dieses Vorbringen zeigt die Relevanz der unterlaufenen Verfahrensmängel auf.

    Unstrittig ist zunächst die Höhe des monatlichen Einkommens der Ehegattin des Beschwerdeführers aus ihrer geringfügigen Beschäftigung bei einem Rechtsanwalt. Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, hat die belangte Behörde, ohne dies näher zu begründen, in dem im angefochtenen Bescheid festgestellten monatlichen Nettoeinkommen von S 1.298,-- bereits Sonderzahlungen inkludiert. Unter Zugrundelegung des von der belangten Behörde festgestellten Unterhaltsbedarfs von S 20.805,-- ergäbe sich unter der Annahme eines Einkommens aus Familienbeihilfe in Höhe von S 5.125,-- sowie des erwähnten monatlichen Einkommens in Höhe von S 1.298,-- ein Fehlbetrag in Höhe von S 14.382,--.

    Gegen die Annahme der belangten Behörde, das Einkommen der Ehegattin des Beschwerdeführers würde selbst dann zur Deckung des Bedarfes nicht ausreichen, wenn sie wieder einer Erwerbstätigkeit am J. Hof nachgehen würde oder Arbeitslosenunterstützung beziehen würde, bringt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde vor, die belangte Behörde sei offensichtlich davon ausgegangen, das dort erzielte Einkommen werde nicht regelmäßig bezogen, was jedoch unzutreffend sei. Es könne keineswegs darauf geschlossen werden, dass es sich hiebei lediglich um Gelegenheitsarbeiten handle. Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers steht im Einklang mit einer in den vorgelegten Verwaltungsakten erliegenden (undatierten) Bestätigung des J. Hofes, derzufolge die Ehegattin des Beschwerdeführers seit dem 17. Dezember 1999 als Zimmermädchen mit einem Nettoeinkommen von S 13.000,-- beschäftigt sei. Aus den von der belangten Behörde selbst erwähnten Unterlagen, die der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegt hat, geht hervor, dass seine Ehegattin jedenfalls im Juni 2000 wieder beim J.Hof beschäftigt war. Nachvollziehbare Feststellungen dahingehend, dass eine durchgehende Beschäftigung der Ehegattin des Beschwerdeführers von Seiten ihres Arbeitgebers gar nicht intendiert sei, hat die belangte Behörde nicht getroffen. Sollte die Ehegattin des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, (unbefristet) beim J.Hof beschäftigt sein und über ein Nettoeinkommen von aus dieser Tätigkeit von S 13.000,-- verfügen, so wäre unter Zugrundelegung der Annahme, dass der Ehegattin auch Sonderzahlungen zustehen, davon auszugehen, dass bei aliquoter Einrechnung der Sonderzahlungen in das Monatsnettoeinkommen ein Betrag von mehr als S 15.000,-- zur Verfügung stünde. Dieser Betrag überschritte den oben dargestellten Fehlbetrag von S 14.382,--.

    Bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers wäre es demnach nicht ausgeschlossen, dass die belangte Behörde bei Unterlassung der ihr zur Last fallenden Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

    Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

    Wien, am 21. Dezember 2001

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