VwGH 2000/18/0148

VwGH2000/18/01486.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des ND in Asten, geboren am 13. März 1973, vertreten durch Dr. Anton Moser und Mag. Klaus Zorn, Rechtsanwälte in 4050 Traun, Johann-Roithner-Straße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 25. Mai 2000, Zl. St 013/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 25. Mai 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Nach den Feststellungen der Erstbehörde befinde sich der Beschwerdeführer seit 1990 in Österreich und sei wie folgt gerichtlich verurteilt worden:

Am 2. März 1994 wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe;

am 4. April 1995 wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe;

am 6. Oktober 1995 wegen Hehlerei zu einer Geldstrafe,

"Probezeit drei Jahre".

Weiters sei er nach den Feststellungen der Erstbehörde in den Jahren 1993 und 1994 dreimal nach dem Finanzstrafgesetz mit Geldstrafen belegt worden:

am 5. Juni 1993 wegen §§ 35 Abs. 1 und 44 Abs. 1 Finanzstrafgesetz zu einer Geldstrafe von S 960,-- (verfallene Gegenstände im Wert von S 1.320,--);

am 24. August 1993 wegen §§ 35 Abs. 1, 11, 13 und 44 Abs. 1 lit. c Finanzstrafgesetz zu einer Geldstrafe von S 2.000,--;

am 17. August 1994 wegen §§ 37 Abs. 1 lit. a, 46 Abs. 1 lit. a zu einer Geldstrafe von S 10.000,-- (verfallene Gegenstände im Wert von S 11.460,--). Hiebei habe es sich um den Ankauf von

6.200 Stück geschmuggelter Zigaretten gehandelt.

Weiters sei der Beschwerdeführer nach den genannten Feststellungen wie folgt verwaltungsbehördlich bestraft worden:

Im Jahr 1995 wegen unbefugter Gewerbeausübung zu einer Geldstrafe von S 2.000,--;

im Jahr 1996 wegen unbefugter Gewerbeausübung zu einer Geldstrafe von S 3.000,--;

im Jahr 1991 u.a. wegen Fahrerflucht zu einer Geldstrafe von S 4.800,--;

im Jahr 1995 wegen Fahrerflucht zu einer Geldstrafe von S 1.000,--;

im Jahr 1996 wegen aggressiven Verhaltens gegen Beamte (§ 82 Sicherheitspolizeigesetz) und wegen Meldegesetzübertretungen zu einer Geldstrafe von S 2.000,-- und

im Jahr 1996 wegen Nichtvorzeigens der aufenthaltsrechtlichen Dokumente (§ 16 FrG) zu einer Geldstrafe von S 2.000,--.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers habe die Erstbehörde ausgeführt, dass er seit 1996 verheiratet wäre. Sein Kind aus einer früheren Beziehung lebte im Ausland.

In der Berufungsschrift habe der Beschwerdeführer ausgeführt, bis auf kurze Unterbrechungen immer im Arbeitsprozess gestanden zu sein. In Österreich würden sich seine Brüder, die Schwester, eine Tante und ein Cousin aufhalten. Die Straftaten lägen bereits einige Jahre zurück und stammten aus der Zeit des "jugendlichen Leichtsinns". 1995 hätte der Beschwerdeführer versucht, Schritte in die Selbstständigkeit zu unternehmen. Dies wäre mit erheblichen Problemen verbunden gewesen. Weiters habe der Beschwerdeführer in der Berufung ausgeführt, dass die von der Erstbehörde festgestellten gewerberechtlichen Verwaltungsstrafen noch nicht rechtskräftig wären. Er würde ausgezeichnet Deutsch sprechen und eine gute Beziehung zu seiner Gattin haben.

Auf Grund der Vorlage des Verwaltungsaktes an den Verwaltungsgerichtshof habe das Verfahren erst am 1. März 2000 fortgesetzt werden können. Mit Schreiben von diesem Tag sei der Beschwerdeführer auf seine mittlerweile begangenen weiteren strafbaren Handlungen hingewiesen worden. Er sei am 13. Februar 1998 nach § 164 Abs. 1 StGB (zu einer Geldstrafe) und am 22. Dezember 1998 nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB bzw. nach § 50 Abs. 1 Z. 3 Waffengesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt worden. Mit dem letztgenannten Urteil sei er schuldig gesprochen worden, in der Nacht zum 8. März 1998 vor einem Lokal zwei Personen durch die Äußerung "geht hinaus oder ich töte jemanden hier", wobei der Beschwerdeführer eine Pistole aus dem Hosenbund gezogen, repetiert und die Pistole gegen die beiden Personen gerichtet habe, mit dem Tod gefährlich bedroht zu haben, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Weiters liege dieser Verurteilung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von 1. bis 3. März 1998 entgegen einem rechtskräftigem Waffenverbot eine Gaspistole besessen habe. Erschwerend habe das Gericht zwei einschlägige Verurteilungen und die Begehung eines weiteren Vergehens gewertet. Mildernd sei hingegen kein Umstand gewesen.

In seiner Stellungnahme vom 17. Mai 2000 habe der Beschwerdeführer die Tatsache seiner Verurteilungen bestätigt. Bezüglich der Verurteilung vom 13. Dezember 1999 (offensichtlich gemeint: 13. Februar 1998) habe der Beschwerdeführer ausgeführt, das gestohlene Mobiltelefon in Wahrheit nicht gekauft zu haben. Er hätte jedoch ein Geständnis abgelegt, um Milderungsgründe in Anspruch nehmen zu können. Der Verurteilung wegen gefährlicher Drohung würde zu Grunde liegen, dass er permanenten Drohungen seitens des Bruders seiner "österreichischen Gattin" ausgesetzt gewesen wäre. Zum Schutz vor tätlichen Angriffen seines Schwagers hätte ihm seine Gattin eine Gaspistole überlassen. Bei einem Tumult vor einem Lokal hätte er angenommen, von seinem Schwager angegriffen zu werden, weshalb er die Gaspistole gezogen hätte.

In Anbetracht der gerichtlichen Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Das Aufenthaltsverbot stelle zweifellos einen sehr gewichtigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Der Beschwerdeführer gehe im Inland einer Beschäftigung nach. Es sei ihm eine der Dauer des Aufenthalts entsprechende Integration zuzubilligen, dies auch in beruflicher Hinsicht.

Dem stehe jedoch gegenüber, dass sich der Beschwerdeführer weder durch rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen noch durch die Einleitung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens von der Begehung weiterer Straftaten habe abhalten lassen. Er habe sein Verhalten der Schwere nach sogar gesteigert und zuletzt eine gefährliche Drohung begangen. Da es von der Drohung mit Gewalt bis zur Ausführung oftmals nur ein kleiner Schritt sei, sei ein derartiges Delikt als sehr schwer zu werten. Beim Beschwerdeführer komme hinzu, dass er sich zur Unterstützung seiner Drohung einer Waffe bedient habe. Aus seiner Verantwortung gehe hervor, dass er sich nicht gescheut hätte, diese Waffe auch (gegen den Bruder seiner Gattin) einzusetzen. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer die Waffe gegen Personen gerichtet habe, sei seine Bereitschaft, Konflikte mit Waffengewalt zu lösen, ersichtlich. Da sich der Beschwerdeführer auch durch ständige Bestrafungen und Verurteilungen nicht von der Begehung weiterer Straftaten habe abhalten lassen, sei die Behörde verpflichtet, als "ultima ratio" von der Möglichkeit eines Aufenthaltsverbotes Gebrauch zu machen.

Aus den angeführten Gründen sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Licht des § 37 Abs. 1 leg. cit. zulässig. Zudem sei das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers doch "schwer wiegenderer" Art, weshalb von der Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG habe Gebrauch gemacht werden müssen. Unter Abwägung aller angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer zu stellende negative Prognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit., die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes. Im vorliegenden Fall fänden daher auf den Beschwerdeführer, wäre er, wie er in der Berufung vorgebracht hat, Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen, die Bestimmungen des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, derzufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Der Umstand, dass die belangte Behörde nicht festgestellt hat, ob die Gattin des Beschwerdeführers tatsächlich Österreicherin ist, bewirkt für sich allein keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers, weil § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG, auf welche Bestimmungen das Aufenthaltsverbot gestützt worden ist, auch bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, insofern von Bedeutung sind, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 2001, Zl. 2000/18/0138).

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 48 Abs. 1 bzw. § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist -

nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 2000/18/0138).

Die belangte Behörde hat lediglich hinsichtlich der zuletzt erfolgten Verurteilung des Beschwerdeführers wegen gefährlicher Drohung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten Feststellungen zu der zu Grunde liegenden Straftat getroffen. Hinsichtlich der übrigen Verurteilungen hat sie lediglich den verwirklichten Tatbestand des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe festgestellt. Bezüglich der Verwaltungsstrafen enthält der angefochtene Bescheid - durch Wiedergabe der Ausführungen im Erstbescheid - lediglich hinsichtlich zweier Übertretungen des Finanzstrafgesetzes Hinweise auf den Wert der verfallenen Gegenstände und in einem Fall die Anmerkung, dass es sich um den Ankauf von 6.200 Stück geschmuggelter Zigaretten handle. Bezüglich der von der Erstbehörde festgestellten Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen unbefugter Gewerbeausübung wird im angefochtenen Bescheid das Berufungsvorbringen, wonach diese Bestrafungen nicht rechtskräftig seien, wiedergegeben. Ausführungen dazu, ob diese Bestrafungen rechtskräftig seien, enthält der angefochtene Bescheid ebenso wenig wie Feststellungen über Art, Schwere und Zeitpunkt der den übrigen Bestrafungen und Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten.

Dies bewirkt, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei auf Grund der Straftaten des Beschwerdeführers die besagte Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht - nach den genannten Kriterien - überprüft werden kann, zumal nicht bereits aus den festgestellten Deliktstypen im Zusammenhang mit der Höhe der festgestellten Strafen und der Häufigkeit der Begehung der Delikte ersichtlich ist, dass vom Beschwerdeführer eine derart große Gefahr für die maßgeblichen öffentlichen Interessen ausgeht, dass das Gerechtfertigtsein der besagten Annahme offenkundig ist.

2. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 6. November 2001

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