VwGH 2000/09/0069

VwGH2000/09/006918.12.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des L M in Heidenreichstein, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf-Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. Jänner 2000, Zl. OB. 214-292598-000, betreffend Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §52;
AVG §60;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §90 Abs1;
AVG §37;
AVG §52;
AVG §60;
KOVG 1957 §4 Abs1;
KOVG 1957 §90 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Eingabe vom 29. April 1998 beantragte der Beschwerdeführer die Zuerkennung einer Beschädigtenrente wegen eines Splitters in der rechten Hüfte, die ihm durch eine Granate im Zuge der Kriegshandlungen am 19. April 1945 zugefügt worden war.

Nach Einholung eines chirurgischen sowie eines neurologischen fachärztlichen Gutachtens wies das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland mit Bescheid vom 24. Februar 1999 diesen Antrag ab.

Begründend ging die Behörde erster Instanz davon aus, nach dem eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 25. Januar 1999, das als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung dem Bescheid zugrundegelegt werde, sich folgende Richtsatzeinschätzung ergebe:

Narben im Bereiche des Trochanter maior rechts IX/c/702 mit einer MdE von 0 %. Hinsichtlich der Gesundheitsschädigung "Splitter in der rechten Hüfte" seien weder im Sonogramm des KH Zwettl noch im Röntgenbefund vom 17. Dezember 1998 Anhaltspunkte für einen Splitter bzw. Weichteilsplitter nachweisbar gewesen. Der im KH Zwettl festgestellte Glutealabszess sei "somit" nicht auf eine Splitterverletzung zurückzuführen gewesen, da der Splitter "offensichtlich knapp nach der Verletzung entfernt" worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, die er im Wesentlichen damit begründete, er habe nach seiner kriegsbedingten Verletzung im Narbenbereich immer Schmerzen gehabt, so dass er wiederholte Injektionen rund um die Narbe erhalten habe. Am 6. Dezember 1997 habe man dann den Glutealabszess festgestellt und punktiert, am 8. Dezember 1997 sei der Abszess operativ entfernt worden, wobei der operierende Arzt, Dr. W., einen Kausalzusammenhang mit der Kriegsverletzung eindeutig bejaht habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27. Jänner 2000 wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13. Januar 2000 die Berufung gemäß § 94 KOVG 1957 in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG mit der Maßgabe ab, dass die Dienstbeschädigung (§ 4 KOVG)

"Reaktionslose Narben im Bereich des Trochanter major rechts nach Splitterverletzung und Entfernung desselben (Kausaler Anteil 1/1)"

zu lauten habe.

Nach Darstellung des Verfahrensganges, insbesondere der Ermittlungsergebnisse des Verfahrens erster Instanz sowie wörtlicher Wiedergabe des von der belangten Behörde selbst ergänzend eingeholten Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Chirurgie Dr. St., führte die belangte Behörde resümierend aus, im Hinblick auf das medizinische Beweismaterial und nach fachkundlicher ärztlicher Beratung sei die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zur Auffassung gelangt, dass die geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Splitter in der rechten Hüfte und Folgen nach Glutealabszess nach Splitterverletzung" nicht als Dienstbeschädigungen anzuerkennen seien. Dem bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers sei das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht worden, die vorgebrachten Einwendungen dagegen seien aber nicht geeignet gewesen, die Beweiskraft des ärztlichen Sachverständigengutachtens zu mindern. Insbesondere sei zu entgegnen, dass die in beiden Instanzen eingeholten ärztlichen Gutachten im Ergebnis überein stimmten, so dass keine Veranlassung bestanden habe, ein weiteres Gutachten einzuholen. Die medizinische Vorfrage sei hinreichend geprüft und schlüssig beantwortet worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 1 KOVG 1957 ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.

Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges im Sinne dieser Bestimmung setzt voraus, dass der Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 90 KOVG 1957 geregelten Verfahren geklärt wird und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsvorgeschichte von der Behörde ermittelt und festgestellt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1994, Zl. 93/09/0295, und die dort wiedergegebene Judikatur). Der ursächliche Zusammenhang und die - nach dem Gesetz ausreichende - Wahrscheinlichkeit dieses Zusammenhanges sind Rechtsbegriffe, ob der Kausalzusammenhang, und zwar (wenigstens) mit Wahrscheinlichkeit gegeben ist, ist somit Gegenstand der rechtlichen Beurteilung. Die Behörde hat im Rahmen des von ihr durchzuführenden Ermittlungsverfahrens den ärztlichen Sachverständigen anzuleiten, zu den von ihr pflichtgemäß ermittelten Vorgängen und Erscheinungen Stellung zu nehmen und sich gutachterlich zu äußern, ob sie ausreichen, einen ursächlichen Zusammenhang als wahr anzunehmen bzw. aus welchen Gründen dies nicht anzunehmen sei. Das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen darf sich nicht darauf beschränken, den ursächlichen Zusammenhang bloß zu verneinen. Der ärztliche Sachverständige hat vielmehr sein Gutachten - schlüssig - zu begründen.

Gemäß § 7 Abs. 1 KOVG 1957 hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn und insolange seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung um mindestens 25 v.H. vermindert ist. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch die Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.

Für eine Anerkennung gemäß § 4 Abs 1 KOVG und eine Versorgung kommen auch mittelbare Folgen einer Dienstbeschädigung in Betracht. Eine mittelbare Dienstbeschädigung liegt nicht nur dann vor, wenn die als Dienstbeschädigung anerkannte Gesundheitsschädigung die unmittelbare Ursache einer anderen Gesundheitsschädigung bildet, sondern auch dann, wenn infolge der Dienstbeschädigung eine Verschlimmerung eines vorbestandenen Leidens eintritt. Dieselbe rechtliche Beurteilung hat auch Platz zu greifen, wenn eine Dienstbeschädigung ein erst danach entstandenes altersbedingtes oder schicksalsbedingtes akausales Leiden verschlechtert. Als Dienstbeschädigung sind weiters auch solche Gesundheitsschädigungen anzuerkennen, die ihre Ursache in einer bereits anerkannten Gesundheitsschädigung haben (mittelbare Dienstbeschädigung). Als Ursache gilt auch im Falle einer mittelbaren Dienstbeschädigung nur eine wesentliche Bedingung. Wirken mehrere Bedingungen für einen Erfolg zusammen, so kann nur jene Bedingung als wesentlich gewertet werden, die in der Wirkung neben anderen Bedingungen nach Bedeutung und Tragweite annähernd gleichwertig ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits mehrfach ausgesprochen, dass es im Falle der Auslösung einer bloßen "Anlagebereitschaft" darauf ankommt, ob der Leidenszustand ohne das Kriegsereignis existent geworden, oder ob er ohne das Kriegsereignis nicht aufgetreten wäre (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Jänner 1994, Zl. 93/09/0373, und vom 23. Februar 2000, Zl. 97/09/0113).

Der Beschwerdeführer hat in diesem Zusammenhang immer unter Hinweis auf den Operationsbericht Dris. W. behauptet, der Glutealabszess sei eine (mittelbare) Folge seiner kriegsbedingten Splitterverletzung gewesen. Auch in dem Gutachten der von der belangten Behörde beigezogenen Sachverständigen St. finden sich folgende - im Übrigen im angefochtenen Bescheid nicht wiederholte -

Ausführungen:

"Es ist unwahrscheinlich, daß es sich hier bei dem entfernten abgekapselten Glutealabszeß um einen Folgezustand nach der Kriegsverletzung handelt. Der Pat. bekam im Laufe der Jahre immer wieder Injektionen und Infiltrationen in diesem Bereich, sodaß die Abszeßbildung als Folgezustand nach Stecksplitterverletzung nicht mehr nachvollziehbar ist. Es könnte sich durchaus auch um einen Spritzenabszeß handeln, obgleich im Befund vom 9.1.98 Abl. 9 der Abszeß mit der Splitterverletzung im Krieg in Zusammenhang gebracht wurde.

Die Möglichkeit eines Spritzenabszeßes wurde auf jeden Fall nicht in Betracht gezogen. Der KT gibt ...selbst an, daß er immer wieder Injektionen und Infiltrationen in diesem Bereich bekam.

Ein Zusammenhang zwischen der stattgehabten Splitterverletzung mit nachfolgender Entfernung desselben und dem abgekapselten Abszeß in diesem Bereich, kann nicht nachvollzogen werden. Kausalität liegt somit nicht vor."

Das oben wiedergegebene Gutachten Dris. St. erscheint unschlüssig, weil es den Kausalzusammenhang zwischen der Kriegsverletzung und den Leidenszuständen zwar - ohne nähere Begründung ("somit") - verneint, aber gleichzeitig darauf Bezug nimmt, dass es sich bei dem Abszess um einen "Spritzenabszess" gehandelt haben könnte. Dies deshalb, weil dann, wenn die ständigen Infiltrationen und Spritzen eine Folge der erlittenen Dienstbeschädigung waren, auch ein dadurch ausgelöster Abszess eine Dienstverletzungsfolge und somit eine (mittelbare) Dienstbeschädigung wäre.

Insoweit die belangte Behörde diese ihrer Entscheidung zugrundelegte, ließ sie somit Verfahrensvorschriften außer Acht, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung der dargelegten Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 64 Abs. 2 KOVG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Dezember 2001

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