VwGH 2000/05/0276

VwGH2000/05/02766.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde

1. des Dr. Georg Edlinger und 2. der Inge Edlinger, beide in Wien, beide vertreten durch Dr. Erhard Hanslik, Rechtsanwalt in Wien IV, Brucknerstraße 2, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 18. Oktober 2000, Zl. MD-VfR - B XIX - 52 und 53/2000, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Gärtnerbank reg. GenmbH in Wien, vertreten durch CMS Strommer Reich-Rohrwig Karasek Hainz, Rechtsanwälte in Wien I, Ebendorferstraße 3),

Normen

BauO Wr §134a Abs1;
BauO Wr §69 Abs1;
BauO Wr §134a Abs1;
BauO Wr §69 Abs1;

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben zusammen der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 13.220,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit einem am 5. Juni 1998 bei der Behörde eingelangten Ansuchen beantragte die mitbeteiligte Partei die Erteilung einer Baubewilligung für ein Mehrfamilienhaus und den Umbau eines bestehenden Presshauses in Wien 19, Sieveringer Straße 112.

In der über dieses Ansuchen durchgeführten mündlichen Verhandlung brachten beide Beschwerdeführer Einwendungen gegen das Bauvorhaben vor. Insbesondere widerspreche das Bauvorhaben den Bestimmungen des Bebauungsplanes.

Mit Bescheid vom 14. April 2000 hat der Bauausschuss der Bezirksvertretung für den 19. Bezirk gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und n der Bauordnung für Wien Abweichungen von den Bauvorschriften insofern als zulässig erklärt, als der Neubau des Wohnhauses (Stiege 1) die seitliche Baufluchtlinie um 9 m überschreiten dürfe und die maximal zulässige Gebäudehöhe der Stiege 1 von 6,5 m um 1,9 m und an der Grundgrenze bzw. im Bereich bis zu 3 m von dieser um 2,5 m überschritten werden dürfe.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2000 hat der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, die beantragte Baubewilligung erteilt.

Gegen beide Bescheide erhob die Zweitbeschwerdeführerin Berufung, in welcher darauf hingewiesen wurde, dass sie nunmehr Alleineigentümerin der Liegenschaft in Wien 19, Schatzlsteig 4, sei. Diese Liegenschaft grenzt nördlich an die zu bebauende Liegenschaft an, das Presshaus hält zur Grundstücksgrenze der Beschwerdeführer einen Abstand von ca. 14 m, der Neubau einen Abstand von ca. 35 m ein. In der Berufung brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, nach der mündlichen Verhandlung seien Pläne geändert worden, die Voraussetzung gemäß § 69 Abs. 1 lit. a und n der Bauordnung lägen nicht vor, weil eine Abweichung von der Baulinie im Ausmaß von 9 m keine geringfügige Abweichung sei. Schließlich stelle das Bauvorhaben eine erhebliche Gefährdung des Gebäudes der Beschwerdeführerin dar, da sich unter beiden Grundstücken ein tiefer Keller befinde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die erstinstanzlichen Bescheide als unbegründet abgewiesen. Die zu bebauende Liegenschaft befinde sich in einer Schutzzone und sei als Bauland-Wohngebiet, Bauklasse 1, offene Bauweise, ausgewiesen. Die Gebäudehöhe sei mit 6,5 m begrenzt. Durch Baufluchtlinien sei ein bebaubarer Bereich festgesetzt, der mit 497,33 m2 gemäß § 76 Abs. 10 BO bebaut werden dürfe. Das Vordergebäude überschreite die rechte Baufluchtlinie um ca. 9 m und die festgesetzte Gebäudehöhe um 1,9 m. Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass an der besonderen Situierung des Baukörpers des Vordergebäudes sowie der Angleichung seiner Gebäudehöhe an jene des Nachbargebäudes ein öffentliches Interesse bestehe, insbesondere gehe aus dem Gutachten der MA 19 hervor, dass das alte Presshaus erhalten werden solle - was beim Bauvorhaben geschehe - und dass das vorliegende Planungskonzept die Schutzzonenbestimmungen in speziellen Aspekten besser erfülle als die Rahmenbedingungen der derzeit gültigen Bebauungsbestimmungen. Es würde durch den neuen Baukörper des Vordergebäudes die vorhandene Bebauung sinnvoll abgeschlossen und die störende Feuermauer an der Grundstücksgrenze abgedeckt werden. Die Höhe des Neubaues entspreche grundsätzlich den gegebenen gestalterischen Verhältnissen der Feuermauer und der Firsthöhe des benachbarten Hauses Sieveringer Straße 110, sodass der Neubau auf zeitgemäße Weise in das Stadtbild eingeordnet werde. Die Bestimmungen des § 69 Abs. 2 BO würden eingehalten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Ab- bzw. Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

ad 1.)

Der Erstbeschwerdeführer hat keine Berufung gegen die erstinstanzlichen Bescheide erhoben. Unabhängig davon, ob er im Grundbuch noch als Eigentümer angeführt ist, war daher seine Beschwerde mangels Erschöpfung des Instanzenzuges als unzulässig zurückzuweisen.

ad 2.)

In der Beschwerde wird gerügt, dass die Ausnahmebewilligung gemäß § 69 BO zu Unrecht erteilt worden sei. Bei einer Grundstücksbreite von 17 m sei eine Verschiebung um 9 m sehr wohl als wesentlich anzusehen, selbst wenn die zulässig bebaute Fläche eingehalten werde und die Verschiebung insgesamt im öffentlichen Interesse sei. Ähnliches gelte für die Überschreitung der festgesetzten Gebäudehöhe um 1,9 m. Diese Überschreitung könne objektiv nicht mehr als geringfügig angesehen werden; bei einer Mindesthöhe von Wohnräumen von 2,5 m entspreche die Überschreitung von 1,9 m mehr als zwei Drittel eines Geschoßes.

Gemäß § 134a Abs. 1 BO werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften (§ 134 Abs. 3) im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, durch folgende Bestimmungen, sofern sie ihrem Schutze dienen, begründet:

a) Bestimmungen über den Abstand eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche;

  1. b) Bestimmungen über die Gebäudehöhe;
  2. c) Bestimmungen über die flächenmäßige Ausnützbarkeit von Bauplätzen, Baulosen und Kleingärten;

    d) Bestimmungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Fluchtlinien;

    e) ...

    Gemäß § 69 Abs. 1 der Bauordnung für Wien in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 48/1992 hat die Behörde für einzelne Bauvorhaben nach Maßgabe des Abs. 2 über die Zulässigkeit näher bezeichneter Abweichungen von den Bebauungsvorschriften zu entscheiden. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung darf durch Abweichungen nach Abs. 1 die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen ohne nachgewiesene Zustimmung des betroffenen Nachbarn nicht vermindert werden; an Emissionen darf nicht mehr zu erwarten sein, als bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entsteht. Im Übrigen darf, abgesehen von den unter Abs. 1 lit. a bis o näher genannten Voraussetzungen, von den Bestimmungen des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes nur unwesentlich abgewichen werden; es dürfen das vom Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan beabsichtigte örtliche Stadtbild nicht störend beeinflusst und die beabsichtigte Flächennutzung sowie Aufschließung nicht grundlegend anders werden. Die Gründe, die für die Abweichung sprechen, sind mit den Gründen, die dagegen sprechen, abzuwägen. Insbesondere ist auf den konsensgemäßen Baubestand der betroffenen Liegenschaft und der Nachbarliegenschaften sowie auf den Umstand, dass die Ausnahmebewilligung nur für die Bestanddauer des Baues gilt, Bedacht zu nehmen. Vom Bauwerber geltend gemachte Verpflichtungen aus Bundes- oder anderen Landesgesetzen sind zu berücksichtigen, desgleichen, ob die Abweichung einer zeitgemäßen Ausstattung des konsensgemäßen Baubestandes oder des geplanten Baues dienlich ist.

    Im Beschwerdefall, in welchem vorgesehen ist, im südlichen, talseitigen Liegenschaftsteil mit dem Neubau 9 m von der festgesetzten Baufluchtlinie abzurücken, ist nicht erkennbar, inwiefern die Festsetzung dieser Baufluchtlinie im Sinne des § 134a Abs. 1 erster Satz BO dem Schutz der Beschwerdeführerin dienen könnte, ist doch ihre Liegenschaft im nördlichen Teil des zu bebauenden Grundstückes gelegen und vom beabsichtigten Neubau durch das dazwischen liegende Presshaus sowie jeweils eine Grünfläche südlich und nördlich des Presshauses getrennt. Es kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass der Ausnahmegenehmigung "eine den geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan unterlaufende Tendenz innewohne" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1994, Zl. 93/05/0298), weil der geltende Flächenwidmungs- und Bebauungsplan (Plandokument Nr. 5.525) im Bezug auf die zu bebauende Liegenschaft eine größere bebaubare Fläche vorsieht, als durch das Bauvorhaben verwirklicht wird. Die geplante "lockere Bebauung", von der auch die Beschwerdeführerin ausgeht, wird daher durch das beantragte Bauvorhaben auch eher realisiert als dies auf Grund der festgesetzten Baufluchtlinien der Fall wäre. Bei der Abwägung jener Gründe, die für die Abweichung sprechen, und jener, die dagegen sprechen, ist die belangte Behörde auf Grund des Gutachtens der für Stadtbildfragen zuständigen Magistratsabteilung 19 in nachvollziehbarer Weise zu dem Schluss gelangt, dass die Anordnung des Baukörpers an der rechten Grundstücksgrenze, bei gleichzeitiger Abdeckung einer ansonsten sichtbar bleibenden Feuermauer, dem Stadtbild zuträglicher sei als die Einhaltung der im Bebauungsplan festgesetzten Fluchtlinien.

    Der Verwaltungsgerichtshof teilt auch die Ansicht der belangten Behörde, wonach die Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe eine unwesentliche Abweichung vom Bebauungsplan darstelle, dies nicht zuletzt deshalb, weil die Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe nur im Bereich der "Stiege 1" erfolgen soll und dieses Gebäude keine der Liegenschaft der Beschwerdeführerin gegenüberliegende Gebäudefront aufweist. Damit kann aber dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdeführerin, die in ihrer Berufung nichts gegen die Gebäudehöhe vorgebracht hat, diesbezüglich präkludiert ist.

    Da sich die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

    Mit der Erledigung der Beschwerde ist der Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gegenstandslos geworden.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

    Das Mehrbegehren der Mitbeteiligten war abzuweisen, weil im pauschalierten Aufwandersatz nach der zitierten Verordnung bereits die Umsatzsteuer enthalten ist.

    Wien, am 6. März 2001

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