VwGH 99/05/0129

VwGH99/05/012920.4.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der Marktgemeinde Göllersdorf, vertreten durch Dr. Peter Kaupa, Rechtsanwalt in Baden, Hauptplatz 17, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 21. April 1999, Zl. RU1- V-96010/04, betreffend Kostenersatz in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: Dr. Wolfgang und Maria-Luise Löwenstein in Göllersdorf, Spitalgasse 156), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art119a Abs5;
B-VG Art119a Abs5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Gemeinde hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 8. Juni 1994 beantragten die mitbeteiligten Parteien die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Vogelvoliere für diverse Papageienarten auf ihrem Grundstück Nr. 747, KG Göllersdorf. Der Bürgermeister der beschwerdeführenden Marktgemeinde (in der Folge: Beschwerdeführerin) erteilte mit Bescheid vom 19. Dezember 1994 die beantragte Baubewilligung. Der dagegen erhobenen Berufung eines Nachbarn wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 3. Dezember 1997 keine Folge gegeben.

Beschwerdegegenständlich ist die mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 28. Oktober 1998 ausgesprochene Kostentragungspflicht der mitbeteiligten Parteien für die Verfahrenskosten in der Höhe von S 22.380,-- (Kosten der NÖ Umweltschutzanstalt für Lärmmessungen im Rahmen des durchgeführten Baubewilligungsverfahrens im Grunde des § 76 AVG).

Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Vorstellungsbescheid der NÖ Landesregierung vom 30. Jänner 1996 wurde der Vorstellung zweier Nachbarn gegen den baubehördlichen Bewilligungsbescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 20. September 1995 Folge gegeben. Der letztgenannte Bescheid wurde aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Beschwerdeführerin deshalb zurückverwiesen, weil zur Beurteilung der Lärm- und Staubauswirkungen bei Haltung von Papageien ein Gutachten eines Sachverständigen für technischen Umweltschutz und zusätzlich ein medizinisches Gutachten erforderlich sei. Diesen Anforderungen würden die von der Gemeinde eingeholten Gutachten hinsichtlich des Lärmschutzes in verschiedener Hinsicht nicht gerecht. Der zweifellos befähigte Sachverständige für Zoologie habe lediglich eine Stellungnahme abgegeben, wonach Belästigungen nicht zu befürchten seien. Die Aufsichtsbehörde könne kein Urteil darüber abgeben, ob es einem zoologischen Sachverständigen grundsätzlich möglich wäre, konkrete Aussagen über die (messbare) Intensität der Lärmerregung durch verschiedene Vogelarten zu treffen. "Sollte dies nicht möglich sein, müsste eine solche Beurteilungsgrundlage durch Messungen geschaffen werden (wobei es nützlich sein könnte, der Befundaufnahme durch einen Sachverständigen für Lärmtechnik auch einen Zoologen beizuziehen, um festzustellen, ob das dabei angetroffene Verhalten der Tiere dem Normalzustand entspricht)."

Im fortgesetzten Verfahren werde die Gemeinde "Gutachten zur Frage der Lärmbelästigung einzuholen haben, die entsprechend den dargestellten Angaben nachvollziehbare Angaben über die zu erwartende Lärmbelästigung sowie über deren Auswirkungen auf den Organismus eines gesunden, normal empfindenden Durchschnittsmenschen erhalten".

Mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 30. Juni 1998 wurde u. a. der Vorstellung der mitbeteiligten Bauwerber gegen den Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 2. Dezember 1997, mit welchem im Instanzenzug den mitbeteiligten Parteien der Ersatz der Verfahrenskosten in der Höhe von S 43.154,-

- auferlegt worden ist, aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Beschwerdeführerin mit folgender Begründung zurückverwiesen:

"Richtig ist nun, dass die Gemeindebehörden aufgrund der Bindungswirkung des Vorbescheides der NÖ Landesregierung vom 30. Jänner 1996 verpflichtet waren, zu Fragen der Belästigung der Nachbarschaft durch Lärmimmissionen ergänzende Ermittlungen durchzuführen. Zutreffend ist aber auch das Argument der Vorstellungswerber (mitbeteiligte Parteien), dass die Aufsichtsbehörde in diesem Bescheid nicht mit bindender Wirkung zum Ausdruck gebracht hat, dass jedenfalls Lärmmessungen durchzuführen seien.

Es erscheint durchaus nachvollziehbar, dass ein Zoologe wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, die Lautäußerungen von Vögeln in Dezibel (oder einer anderen Maßeinheit, die für den medizinischen Sachverständigen Grundlage für sein Gutachten sein kann) zu beurteilen (wovon die Baubehörde zweiter Instanz offenbar ausgeht).

Nicht verständlich ist aber, weshalb die Baubehörden von dieser Annahme ausgegangen sind, ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben, derartige Auskünfte von einem Zoologen oder Veterinärmediziner zu erhalten (Sachverständige dieser Fachrichtungen wurden nicht einmal dazu befragt, ob sie derartige Angaben machen können).

...

Die in § 58 Abs. 2 (AVG) normierte Begründungspflicht bezieht sich nämlich ausdrücklich auf den von der Behörde erlassenen Bescheid. Wenn dieser eine Begründung nicht enthält, obwohl dem Standpunkt einer Partei nicht Rechnung getragen wurde, ist diese an der entsprechenden Geltendmachung ihrer Rechte behindert worden, worin ein wesentlicher Mangel des Verfahrens erblickt werden muss (siehe Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, 1998, S. 968 ff, und die dort zitierte Judikatur).

Dem völligen Fehlen einer Begründung muss es zweifellos gleichgehalten werden, wenn auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines für die Rechtmäßigkeit des Spruches wesentlichen Sachverhaltselementes in der Begründung überhaupt nicht eingegangen wird.

...

Es zeigt sich somit, dass die Begründung, weshalb den Vorstellungswerbern (mitbeteiligten Parteien) die Bezahlung von S 42.180,-- für das Gutachten der NÖ Umweltschutzanstalt vorgeschrieben wurde, mit wesentlichen Mängeln behaftet ist; diese Mängel können nur zur Aufhebung des die Vorschreibung bestätigenden zweitinstanzlichen Bescheides führen.

..."

Mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 28. Oktober 1998 wurde der Berufung der mitbeteiligten Parteien gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom 16. Juli 1997 Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid dahin abgeändert, "dass er zu lauten hat, dass die Bauwerber (mitbeteiligte Parteien) an Verfahrenskosten einen Betrag von S 22.680,-- binnen acht Tagen nach Rechtskraft dieses Bescheides zu entrichten haben". In der Begründung wurde hiezu ausgeführt:

"Im gegenständlichen Verfahren mussten die Gemeindebehörden aufgrund der Bindungswirkung des Vorbescheides der NÖ Landesregierung vom 30.1.1997 (gemeint offenbar: 1996) zur Frage, welche Lärmimmissionen von den beantragten Bauvorhaben (= Vogelvoliere) ausgehen und welche Auswirkungen diese auf die Nachbarschaft haben, die Erstellung eines schalltechnischen Gutachtens und sohin auch die Vornahme von Lärmmessungen - als Grundlage des Gutachtens - in Auftrag geben."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der NÖ Landesregierung vom 21. April 1999 wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der mitbeteiligten Partei

"hinsichtlich der Vorschreibung der Verfahrenskosten für die Lärmmessung der NÖ Umweltschutzanstalt in der Höhe von S 22.380,-- Folge gegeben, der angefochtene Bescheid in dieser Hinsicht aufgehoben und diese Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der (Beschwerdeführerin) zurückverwiesen".

In der Begründung wurde hiezu ausgeführt, der Gemeinderat der Beschwerdeführerin habe zutreffend festgestellt, dass für die Feststellung der Schallemissionen auf Grund fehlender geeigneter Messgeräte und der dazu notwendigen Auswerteeinrichtung kein amtlicher Sachverständiger zur Verfügung gestanden sei. Wenn jedoch behauptet werde, dass die Gemeindebehörden aufgrund der Bindungswirkung des Vorbescheides der NÖ Landesregierung vom 30. Jänner 1996 zur Frage, welche Lärmemissionen von dem beantragten Bauvorhaben ausgingen und welche Auswirkungen diese auf die Nachbarschaft hätten, die Erstellung eines schalltechnischen Gutachtens und sohin auch die Vornahme von Lärmmessungen - als Grundlage des Gutachtens - in Auftrag gegeben hätten werden müssen, so seien dieser Behauptung die Ausführungen der NÖ Landesregierung in ihrem Bescheid vom 30. Juni 1998 (oben wörtlich wiedergegeben) entgegenzuhalten. Tragenden Aufhebungsgründen eines rechtskräftigen aufsichtsbehördlichen Bescheides komme für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu. Betreffend die Erforderlichkeit der Lärmmessungen durch die NÖ Umweltschutzanstalt habe jedoch der Gemeinderat der Beschwerdeführerin keine Ermittlungen durchgeführt, sodass er diesbezüglich trotz Bindungswirkung seiner Verpflichtung zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in oben beschriebener Form nicht nachgekommen sei; sein nunmehr zu beurteilender Bescheid enthalte in dieser Hinsicht eine verfehlte Begründung. Dadurch habe er die beiden mitbeteiligten Parteien in ihren Rechten verletzt und seinen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit belastet, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass er bei Vermeidung dieses wesentlichen Verfahrensmangels für die beiden mitbeteiligten Parteien zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Selbstverwaltung verletzt. Sie macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 119a Abs. 9 B-VG hat die Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren Parteistellung; sie ist berechtigt, gegen die Aufsichtsbehörde vor dem Verwaltungsgerichtshof (Art. 131 und 132) und vor dem Verfassungsgerichtshof (Art. 144) Beschwerde zu führen.

Jede Gemeinde ist sohin berechtigt, gegen sie belastende aufsichtsbehördliche Bescheide mittels Bescheidbeschwerde den Verwaltungsgerichtshof anzurufen. Das Beschwerderecht nach Art. 119a Abs. 9 B-VG stellt ein Beschwerderecht wegen Verletzung subjektiver Rechte dar und ist daher als Parteibeschwerde zu betrachten (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom 19. November 1996, Zl. 96/05/0152).

Gemäß § 61 Abs. 3 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000-9 (NÖ GO 1973), ist die Gemeinde bei der neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt (nur) den tragenden Aufhebungsgründen eines aufsichtsbehördlichen Bescheides für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. August 1996, Zl. 96/05/0078, mit weiteren Nachweisen). Die tragenden Aufhebungsgründe eines aufhebenden Bescheides der Gemeindeaufsichtsbehörde sind für das fortgesetzte Verfahren vor der Gemeindebehörde, vor der Aufsichtsbehörde und vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes bindend. Diese bindende Wirkung bestünde selbst bei einem Widerspruch mit der objektiven Rechtslage (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1998, Zl. 98/05/0003). Die bindende Wirkung kann sich sowohl auf Fragen des materiellen Rechtes als auch auf solche des Verfahrensrechtes beziehen. Im letzteren Fall kann die Aufsichtsbehörde der Gemeinde auch eine bestimmte Vorgangsweise im Verwaltungsverfahren auftragen (vgl. hiezu Fröhler-Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht, 3. 14. Gemeindeaufsicht, S. 50).

Der Verwaltungsgerichtshof vermag nun dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, im beschwerdegegenständlichen Verwaltungsverfahren betreffend die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung einer Vogelvoliere auf dem Grundstück der mitbeteiligten Parteien seien die - die hier zu beurteilenden Kosten verursachenden - Lärmmessungen erforderlich gewesen, nicht entgegenzutreten. Die Beschwerdeführerin übersieht aber, dass die NÖ Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde zur Kostentragungspflicht gemäß § 76 AVG im Beschwerdefall in ihrem (aufhebenden) Bescheid vom 30. Juni 1998 in bindender Weise ausgesprochen hat, dass der Gemeinderat der Beschwerdeführerin zu begründen hat, warum die Baubehörden die Lärmmessungen durch die NÖ Umweltschutzanstalt für erforderlich erachtet haben und warum die Baubehörden von dieser Annahme ausgegangen sind, ohne auch nur den Versuch unternommen zu haben, den Sachverständigen für Zoologie oder einen Sachverständigen für Veterinärmedizin darüber zu befragen, ob sie nachvollziehbar die Lautäußerungen von Vögeln in Dezibel oder in einer anderen Messeinheit selbst beurteilen könnten. Keinesfalls dürfe aber der Gemeinderat der Beschwerdeführerin bei Beurteilung dieser Frage davon ausgehen, dass die NÖ Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde im Beschwerdefall mit bindender Wirkung zum Ausdruck gebracht hätte, dass jedenfalls Lärmmessungen durchzuführen seien.

Dieser im Bescheid der NÖ Landesregierung vom 30. Juni 1998 enthaltene tragende Aufhebungsgrund wirkt - wie aus der oben wiedergegebenen Rechtslage folgt - absolut und ist auch vom Verwaltungsgerichtshof zu beachten. Die belangte Behörde war an die von ihr ausgesprochene Rechtsansicht im beschwerdegegenständlichen Bescheid gebunden. Sie durfte sich dieser Selbstbindung in ihrer Entscheidung über den Ersatzbescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 28. Oktober 1998 nicht entziehen und hatte ihrer bereits geäußerten Rechtsansicht dadurch zum Durchbruch zu verhelfen, dass sie diesen Bescheid des Gemeinderates, der ihrem bindenden (ersten) Vorstellungsbescheid vom 30. Juni 1998 insofern widerspricht, als der Gemeinderat der Beschwerdeführerin nunmehr von einer bindenden Rechtsansicht bezüglich der durchzuführenden Lärmmessungen ausgegangen ist, aufhebt. Dies gilt selbst dann, wenn die Rechtsauffassung, die im ersten Vorstellungsbescheid vertreten wurde, anlässlich der Prüfung des Ersatzbescheides als unrichtig erkannt wird (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 1972, Slg. Nr. 8.164/A). Die Beschwerdeführerin wurde daher durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Selbstverwaltung nicht verletzt; es wird an ihr liegen, eine allfällige neuerliche Kostenvorschreibung anders als durch den Hinweis auf den Bescheid vom 30. Jänner 1996 zu begründen. Die Beschwerde war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte im Hinblick auf die Regelung des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

Wien, am 20. April 2001

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