VwGH 98/13/0026

VwGH98/13/002628.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des ER in E, vertreten durch Dr. Ulrich Rapp, Rechtsanwalt in Eisenstadt, Johann Permayerstraße 9, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat X) vom 16. Dezember 1997, Zl. 17-96/4084/02, betreffend u.a. Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer 1992, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §147;
BAO §150;
BAO §303 Abs4;
UStG 1972 §11 Abs1;
UStG 1972 §12;
UStG 1972 §21 Abs1;
BAO §147;
BAO §150;
BAO §303 Abs4;
UStG 1972 §11 Abs1;
UStG 1972 §12;
UStG 1972 §21 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer erklärte - wie in den Vorjahren - mit den am 30. Juni 1992 beim Finanzamt eingelangten Steuererklärungen für das Jahr 1991 seine Einnahmen und Einkünfte aus einer Gastwirtschaft und einem Automatenhandel zur Umsatz- und Einkommensteuer. Die Veranlagung erfolgte mit Bescheid vom 27. Juli 1992 erklärungsgemäß.

Im Rahmen einer die Einkommensteuer für das Jahr 1991 betreffenden Berufung wegen Nichtberücksichtigung von Verlustvorträgen richtete das Finanzamt am 24. September 1992 an den Beschwerdeführer einen Vorhalt. Darin wurde festgehalten, der Beschwerdeführer habe aus dem Automatenhandel seit dem Jahr 1978 nur Verluste erwirtschaftet. Da bei der derzeitigen Form der Bewirtschaftung kein Gesamtgewinn zu erwarten sei, sei das Finanzamt der Auffassung, dass bezüglich des Automatenhandels keine Einkunftsquelle vorliege. In der nach Vorhaltsbeantwortung ergangenen Berufungsvorentscheidung vom 26. November 1992 ging das Finanzamt davon aus, dass der Automatenhandel "per 1.1.1991" keine Einkunftsquelle mehr darstelle und einkommensteuerrechtlich zu diesem Zeitpunkt eine Betriebsaufgabe zu unterstellen sei. Mit der Berufungsentscheidung der belangten Behörde vom 12. Juli 1993, Zl. 6/4 - 4077/93-2, in der die vom Finanzamt vorgenommene Beurteilung des Automatenhandels als Liebhaberei bestätigt wurde, wurde das Berufungsverfahren betreffend Einkommensteuer 1991 rechtskräftig abgeschlossen.

Nach dem Bericht vom 18. Jänner 1994 über das Ergebnis einer Buch- und Betriebsprüfung wurde beim Beschwerdeführer beginnend ab November 1993 eine Betriebsprüfung betreffend u.a. Umsatz- und Einkommensteuer 1990 bis 1991 durchgeführt. Nach Tz 13 des Prüfungsberichtes kam es zu keinen Feststellungen, die zu einer Änderung der veranlagten bzw. erklärten Besteuerungsgrundlagen führten. Unter Tz 12 des Prüfungsberichtes wird festgehalten, die Umsätze für die Voranmeldungszeiträume Jänner 1992 bis laufend und die darauf entrichtete Umsatzsteuer seien rechnerisch überprüft worden. Dabei hätten sich keine Beanstandungen ergeben. Durch diese Umsatzsteuernachschau werde das Recht einer späteren materiellen Prüfung der Besteuerungsgrundlagen der Umsatzsteuer nicht berührt.

Am 27. Jänner 1994 langten beim Finanzamt die Erklärungen zur Umsatz- und Einkommensteuer für das Jahr 1992 ein. In diesen waren wiederum die steuerlichen Ergebnisse sowohl aus der Gastwirtschaft als auch aus dem Automatenhandel enthalten. Die Veranlagung für 1992 erfolgte mit Bescheid vom 9. März 1994 erklärungsgemäß (bei der Umsatzsteuer ergab sich eine Zahllast von 123.770 S und als Einkünfte aus Gewerbebetrieb kam insgesamt ein negativer Betrag von 709.344 S zum Ansatz).

Am 20. April 1994 erging ein gemäß § 293b BAO berichtigter Bescheid für die Umsatz- und Einkommensteuer 1992. Dieser Bescheid war dahingehend begründet, dass in Anlehnung an die Berufungsentscheidung vom 12. Juli 1993 eine Berichtigung gemäß § 293b BAO durchzuführen gewesen sei. In dem berichtigten Bescheid blieben die auf den Automatenhandel entfallenden Entgelte und Vorsteuerbeträge bei der Umsatzsteuer und der entsprechende Verlust bei der Einkommensteuer unberücksichtigt. Der Berichtigungsbescheid vom 20. April 1994 wurde rechtskräftig.

Nach einer im Jahr 1995 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung betreffend die Umsatz- und Einkommensteuer 1992 bis 1993 kam es lt. Tz 14 des Prüfungsberichtes vom 20. Dezember 1995 zu keinen Feststellungen, die zu einer Änderung der veranlagten bzw. erklärten Besteuerungsgrundlagen führten. Unter Tz 12 des Berichtes findet sich weiters die Feststellung, der Automatenhandel sei mit 1. Jänner 1991 zum Liebhabereibetrieb geworden. Gemäß § 11 Abs. 12 UStG wäre für die Jahre 1991 und 1992 eine Rechnungsberichtigung durchzuführen, was bisher nicht geschehen sei. In einem Aktenvermerk der Prüferin vom 20. Dezember 1995 ist zu lesen, die Umsatzsteuer 1992 in Höhe von 236.826,30 S werde kraft Rechnungslegung geschuldet. Die geltend gemachte Vorsteuer 1991 aus dem Bereich des Automatenhandels wäre auszuscheiden. Im Zuge der gegenständlichen Betriebsprüfung (Prüfungszeitraum 1992 bis 1993) seien jedoch diese Berichtigungen nicht möglich, weil sie bereits bei der Vorprüfung mit dem Prüfungszeitraum 1991 und "USt-Nachschau ab 1/92" zu berücksichtigen gewesen wären.

Mit Bescheid vom 7. Februar 1996 nahm das Finanzamt das Verfahren betreffend Umsatzsteuer 1992 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und erließ zugleich einen neuen Umsatzsteuerbescheid 1992, in dem eine Nachforderung in Höhe von 236.826 S ausgewiesen wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, durch die Feststellungen der Betriebsprüfung, wonach beim Automatenhandel für 1992 Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis vorlägen und diese Rechnungen ab Bekanntwerden der Liebhaberei nicht gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1972 berichtigt worden seien, seien Tatsachen neu hervorgekommen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigten. Die Umsatzsteuer 1992 aus dem Bereich des Automatenhandels werde kraft Rechnungslegung geschuldet.

In der Berufung vom 16. Februar 1996 wurde unter einer Darstellung des "chronologischen Ablaufes der Ereignisse" geltend gemacht, dass ein Wiederaufnahmegrund nicht vorliege. Nach § 11 Abs. 12 UStG 1972 werde Umsatzsteuer kraft Rechnungslegung insoweit geschuldet, als tatsächlich Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis ausgestellt worden seien. Auf welche Teile des Umsatzes "dies zutrifft, wurde durch die Umsatzsteuernachschau im Rahmen der vom 22. November 1993 bis 18. Jänner 1994 durchgeführten Betriebsprüfung festgestellt". Da die Umsätze und die entrichtete Umsatzsteuer überprüft worden seien, sei dem Finanzamt spätestens zum Zeitpunkt der Nachschau bekannt gewesen, dass Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis vorhanden gewesen seien.

Der am 20. April 1994 nach § 293b berichtigte Umsatzsteuerbescheid 1992 vom 9. März 1994 sei nach den Feststellungen der Umsatzsteuernachschau (und damit mit ihrem Wissensstand) erlassen worden. Es seien also im Rahmen der vom 11. April bis 20. Dezember 1995 durchgeführten Betriebsprüfung keine neuen Tatsachen hervorgekommen. Auch sei der neu erlassene Umsatzsteuerbescheid mangelhaft, weil nicht für alle Umsätze Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis ausgestellt worden seien (in einer Vorhaltsbeantwortung im Berufungsverfahren zweiter Instanz gab der Beschwerdeführer in einem Schriftsatz vom 1. September 1997 u.a. bekannt, dass etwa für die Automateneinspielerlöse "naturgemäß" nur Handbelege, somit keine Rechnungen, vorhanden seien; die tatsächlich in Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer betrage insgesamt 118.849 S).

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung betreffend Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 1992 keine Folge. Sie vertrat dazu im Wesentlichen den Standpunkt, es stehe unzweifelhaft fest, dass bei der von November 1993 bis Jänner 1994 durchgeführten Betriebsprüfung eine Umsatzsteuernachschau stattgefunden habe, welche nur eine rechnerische Überprüfung der Umsätze und der darauf entrichteten Steuer beinhaltet habe. Bezüglich der auf den Automatenhandel entfallenden Umsatzsteuer habe das Finanzamt bzw. die Veranlagungsleitstelle, die die Veranlagung für das Jahr 1992 ohne Veranlagungsakte im Wege der so genannten "Sofort-Veranlagung" vorgenommen habe, nicht davon ausgehen können, dass der Beschwerdeführer Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis für den Automatenhandel ausgestellt hatte. Erst auf Grund der Feststellungen der Betriebsprüfung im Jahr 1995 habe das Finanzamt von diesem Umstand Kenntnis erlangt. In der Berufungserledigung betreffend den Umsatzsteuersachbescheid 1992 gab die belangte Behörde der Berufung insofern Folge, als sie die Umsatzsteuerschuld nach § 11 Abs. 14 UStG 1972 mit 118.849 S festsetzte.

In der Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht. Bei richtiger Gesetzesauslegung und -anwendung hätte die belangte Behörde nicht zu einer "Wiederaufnahme des Umsatzsteuerbescheides 1992" kommen dürfen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens derart zu beurteilen, dass es darauf ankommt, ob der Abgabenbehörde im wieder aufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wieder aufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln" im Sinn § 303 Abs. 4 BAO bezieht sich auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres; maßgebend ist allein der Wissensstand des Finanzamtes über die Verhältnisse der betreffenden Besteuerungsperiode (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1996, 94/13/0070, vom 22. März 2000, 99/13/0253, und vom 31. Oktober 2000, 95/15/0114).

Entscheidend für die in der Beschwerde bestrittene Berechtigung zur Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 1992 ist somit, ob beim Ergehen des nach § 293b BAO berichtigten Umsatzsteuerbescheides 1992 vom 20. April 1994 der Sachverhalt in Bezug auf das Bestehen einer Umsatzsteuerschuld kraft Rechnungslegung der Abgabenbehörde so vollständig bekannt war, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nach durchgeführter Wiederaufnahme erlassenen Entscheidung (der im Beschwerdeverfahren nicht mehr strittigen Festsetzung der Umsatzsteuer nach § 11 Abs. 14 UStG 1972) hätte gelangen können. Es ist unbestritten, dass die Abgabenerklärungen und ihre Beilagen dem Finanzamt einen derartigen Wissensstand nicht vermittelten. Es trifft zwar zu, dass bereits im Zeitpunkt der Veranlagung 1992 der Betriebsprüfungsbericht vom 18. Jänner 1994, der auf Grund einer Umsatzsteuernachschau auch Feststellungen für die Voranmeldungszeiträume Jänner 1992 bis laufend enthielt, vorlag und damit dem Wissensstand des Finanzamtes über die Verhältnisse der betroffenen Besteuerungsperiode angehörte. Allerdings betrafen diese Feststellungen ausdrücklich nur die rechnerische Richtigkeit der entrichteten Umsatzsteuer in den genannten Voranmeldungszeiträumen. Feststellungen über die rechnerische Richtigkeit von Umsatzsteuervoranmeldungen lassen noch nicht zwingend den Schluss zu, dass oder inwieweit für umsatzsteuerpflichtige Leistungen tatsächlich Rechnungen mit den Erfordernissen des § 11 Abs. 1 UStG 1972, insbesondere dem gesonderten Rechnungsausweis, ausgestellt worden sind (der Beschwerdeführer wies in der Vorhaltsbeantwortung vom 1. September 1997 beispielsweise auch selbst darauf, dass für den Bereich der Automateneinspielerlöse keine Rechnungen vorgelegen seien). Die im Prüfungsbericht enthaltene Aussage betreffend die rechnerische Richtigkeit der Umsatzsteuervorauszahlungen konnte damit auch nicht einer Feststellung, es lägen Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis vor, gleichgesetzt werden. Damit kann aber insgesamt keine Rede davon sein, dass dem Finanzamt bei der Erstveranlagung der Umsatzsteuer 1992 ein vollständiger Wissensstand in Bezug auf die Umsatzsteuerpflicht kraft Rechnungslegung zugekommen wäre.

Ob der Prüfer bereits im Rahmen der erwähnten Betriebsprüfung über die Jahre 1990 und 1991 (mit Umsatzsteuernachschau für die daran anschließenden Voranmeldungszeiträume) "eine eventuelle Berichtigung der Vorsteuer" hätte durchführen müssen, ist für die gegenständlich zu beurteilende Verfahrenswiederaufnahme ohne Belang. Abgesehen davon, dass einem Betriebsprüfungsbericht kein Bescheidcharakter zukommt, steht ein Verschulden des Finanzamtes an der Nichtfeststellung der maßgebenden Tatsachen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 4 BAO nicht entgegen (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. April 1998, 95/15/0108, und vom 27. April 2000, 97/15/0207).

Wenn die belangte Behörde somit im Einklang mit dem Finanzamt davon ausging, dass durch die Feststellungen der Betriebsprüfung im Jahr 1995 über das Vorliegen - nicht berichtigter - Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis u.a. für das Jahr 1992 gegenüber der Erstveranlagung Tatsachen neu hervorgekommen sind, die zu einer Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO berechtigten, war dies nicht rechtswidrig.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens hinderte auch nicht die im Bericht der Prüferin vom 20. Dezember 1995 vertretene Ansicht, auf Grund der vorgenommenen abgabenbehördlichen Prüfung komme es zu keiner Änderung der veranlagten Besteuerungsgrundlagen. Dieser offensichtlich als unrichtig erkannten Ansicht musste das Finanzamt nicht folgen (vgl. dazu auch das oben zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. Oktober 2000, 95/15/0114). Das Finanzamt konnte im Rahmen des Wiederaufnahmebescheides die Rechtslage anders beurteilen als die Prüferin in ihrem - keinerlei Rechtskraftwirkung zukommenden - Prüfungsbericht.

Die Beschwerde zeigt damit insgesamt keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 28. März 2001

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