VwGH 96/08/0104

VwGH96/08/010421.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der R in W, vertreten durch Dr. Georg Hesz, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf Starhemberggasse 39/15, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. März 1996, Zl. MA 15-II-P 6/96, betreffend Sicherstellungsauftrag (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1103 Wien), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §66;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
BAO §232;
BAO §233 Abs2;
BAO §93 Abs3 lita;
ASVG §66;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
BAO §232;
BAO §233 Abs2;
BAO §93 Abs3 lita;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 8. Jänner 1996 erließ die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 66 ASVG einen Sicherstellungsauftrag in das bewegliche und unbewegliche Vermögen zur Sicherung der der Gebietskrankenkasse voraussichtlich erwachsenden Ansprüche an Sozialversicherungsbeiträgen (allgemeine Beiträge für die Zeit vom November 1995 bis April 1996 und für eine Sonderzahlung) in Höhe von insgesamt S 77.000,--.

Nach der Begründung sei der Tatbestand für die voraussichtlich erwachsenden Sozialversicherungsbeiträge durch die Weiterführung des Betriebes und die Beschäftigung von Dienstnehmern verwirklicht. Die Einbringung der genannten Sozialversicherungsbeiträge sei gefährdet bzw. wesentlich erschwert, weil sich der Dienstgeber in Zahlungsschwierigkeiten befinde. Er sei nicht in der Lage gewesen, die in der letzten Zeit aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge termingerecht zu bezahlen, sodass habe Exekution geführt werden müssen. Es sei daher anzunehmen, dass auch die neuen aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge nicht rechtzeitig bezahlt werden könnten. Es bestehe Gefahr, dass die angeführten Beiträge keine pfandrechtliche Deckung finden würden, weil allenfalls andere Gläubiger Vorpfandrechte erwerben könnten. Eine Vollstreckung zur Hereinbringung sei noch nicht möglich. Es sei daher zu besorgen, dass bei nicht sofortigem Zugriff das Vermögen der Sicherungsstellungsschuldnerin sich erheblich vermindere und die Einbringung der Sozialversicherungsbeiträge vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Sicherstellungsauftrag Einspruch. Sie brachte im Wesentlichen vor, das "geschäftliche Tief überwunden und sämtliche Rückstände zwischenzeitig überwiesen zu haben".

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse vertrat in ihrem Vorlagebericht an die belangte Behörde die Auffassung, dass nachträgliche Zahlungen ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Sicherstellungsauftrages seien, weil nur das Vorliegen der sachlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt seiner Erlassung maßgeblich sei. Nach 33 Zwangsmaßnahmen gegenüber der Beschwerdeführerin sei zumindest der Tatbestand einer wesentlichen Erschwerung der Hereinbringung der Sozialversicherungsbeiträge gegeben gewesen.

Die Beschwerdeführerin brachte dazu in einer Stellungnahme im Wesentlichen vor, die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes habe sich "zum Vorteil geändert".

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bestätigt. Nach der Begründung habe der Gesetzgeber zwischen einer Gefährdung und einer wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Sozialversicherungsbeiträge unterschieden. Unter den Tatbestand der Gefährdung seien begriffsnotwendig alle jene Fälle zu subsumieren, in denen die Gefahr einer Uneinbringlichkeit der Beiträge bestehe. Der Tatbestand der wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Beiträge beziehe sich hingegen auf das Ausmaß, nicht aber auch auf den mangelnden Erfolg von Einbringungsmaßnahmen, weil letzterer ja schon unter den Begriff der Gefährdung fiele. Seien daher zur Einbringung der Beiträge Exekutionsmaßnahmen nicht nur fallweise, sondern in einem wesentlich vermehrten Umfang notwendig, so sei allein damit bereits die Voraussetzung einer wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Beiträge erfüllt und die Rechtfertigung der Sicherstellung gegeben, ohne dass es in einem solchen Fall auch noch einer Gefährdung der Einbringlichkeit bedürfte. Berücksichtige man im Beschwerdefall die Vielzahl der zuletzt zur Einbringung der Beiträge notwendig gewordenen Exekutionsführungen durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse, so sei - ungeachtet der Frage der Einbringlichkeit der Beiträge - zumindest der Tatbestand einer wesentlichen Erschwerung der Einbringung vorgelegen und die Sicherstellung daher schon aus diesem Grunde gerechtfertigt. Die Zahl der in der Vergangenheit notwendig gewordenen Zwangsmaßnahmen (insgesamt 33) seien der Beschwerdeführerin bekannt gegeben und vorgehalten worden. Sie habe sich dazu in ihrer Stellungnahme geäußert. Die Zulässigkeit eines Sicherstellungsauftrages für künftige Beitragszeiträume ergebe sich nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 23. Februar 1973, B 288/72) allein schon aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber die Sicherstellung für den Bereich der Sozialversicherung überhaupt vorgesehen habe und eine Sicherstellung naturgemäß nur dann sinnvoll sein könne, wenn auch erst später fällig werdende Beiträge im Vorhinein sichergestellt werden könnten. Da der Sicherstellungsauftrag darauf zu überprüfen sei, ob die im Zeitpunkt seiner Erlassung hiefür erforderlichen sachlichen Voraussetzungen gegeben gewesen seien, komme es auf nachträgliche Zahlungen nicht an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der mit "Sicherung der Beiträge" überschriebene § 66 ASVG

normiert:

"Die Bestimmungen der §§ 232 und 233 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, sind auf Beitragsforderungen nach diesem Bundesgesetz mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass anstelle der Abgabenbehörde der Versicherungsträger tritt, der nach § 58 Abs. 5 berufen ist, die Beitragsforderungen rechtlich geltend zu machen. Gegen den Sicherstellungsauftrag ist das Rechtsmittel des Einspruches (§ 412) gegeben."

Nach § 232 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabepflichtige kann durch Erlag eines von der Abgabebehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, dass die Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

Nach § 232 Abs. 2 BAO hat der Sicherstellungsauftrag unter anderem die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld (lit. a) und die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgabe ergibt (lit. b) zu enthalten.

Ein angefochtener Sicherstellungsauftrag ist ohne Rücksicht auf anspruchsaufhebende oder hemmende Tatsachen, die erst nach Entstehung des Exekutionstitels eingetreten sind, von der Rechtsmittelbehörde allein darauf zu prüfen, ob im Zeitpunkt seiner Erlassung hiefür die erforderlichen sachlichen Voraussetzungen gegeben waren oder nicht (vgl. etwa das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Dezember 1974, Zl. 746/73; in diesem Sinne auch: Stoll, Kommentar zur BAO, Band 3, 2402 f, mit Hinweis auf Rechtsprechung).

Die Beurteilung des verfahrensgegenständlichen Sicherstellungsauftrages durch die belangte Behörde entspricht nicht dem Gesetz.

Das Ziel des Sicherungsverfahrens besteht darin, dem Beitragsgläubiger bereits zu einem Zeitpunkt, in dem sein Anspruch zwar dem Grunde nach feststeht, aber noch nicht realisierbar ist, wegen Drohung der Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung ein Pfandrecht zu verschaffen, dessen Rang auch für die nachfolgende Exekution zur Einbringung maßgebend ist (vgl. zu den folgenden Ausführungen Stoll, aaO, 2396 ff; ferner Ritz, BAO, Kommentar2, 549 ff; sowie die wegen des Verweises in § 66 ASVG auf Bestimmungen der BAO heranzuziehende Rechtsprechung der Abgabensenate des Verwaltungsgerichtshofes). Da ein Sicherstellungsauftrag unter anderem nur ergehen darf, wenn die Beitragsschuld dem Grunde nach entstanden ist und wenn überdies Gründe vorliegen, die die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Beiträge befürchten lassen, muss auch die Begründung des Bescheides klare Aussagen darüber enthalten, dass und auf welche Weise ein bestimmter beitragsrechtlicher Tatbestand verwirklicht worden ist, welcher konkrete Sachverhalt als schuldbegründend angenommen wurde und welche schlüssigen Erwägungen für diese Annahmen im Rahmen der freien Beweiswürdigung maßgebend waren (vgl. das Erkenntnis vom 22. März 1991, Zl. 90/13/0074).

Ferner muss der Begründung des Bescheides entnommen werden können, aus welchen konkreten Gegebenheiten auf eine Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Beiträge zu schließen ist und aus welchen besonderen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden kann, dass nur bei raschem Zugriff der Behörde die Einbringung der Beiträge gesichert erscheint (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 27. August 1998, Zl. 98/13/0062). Solche Umstände liegen nach der Judikatur (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, Zl. 95/14/0130) vor allem bei drohendem Konkurs- oder Ausgleichsverfahren, bei Exekutionsführung von dritter Seite oder bei Vermögensverschleppung bzw. Vermögensverschiebung ins Ausland oder an Verwandte vor. Die abstrakte Möglichkeit von Vermögensverminderungen reicht allerdings nicht aus (vgl. dazu OGH vom 3. September 1996, 1 Ob 30/86 = JBl 1987, 244).

Ferner muss dem Sicherstellungsauftrag auch schlüssig zu entnehmen sein, weshalb die Behörde von der Verwirklichung von Beitragstatbeständen ausgeht. Aus der Natur der "Sofortmaßnahme" ergibt sich aber auch, dass die Ermittlung des genauen Ausmaßes der Beitragsschuld für die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages nicht erforderlich ist (vgl. dazu z.B.

das Erkenntnis vom 7. Februar 1990, Zl. 89/13/0047).

Schon diesen Voraussetzungen entspricht der vorliegend

angefochtene Sicherstellungsauftrag nicht.

Die belangte Behörde hat allein im Hinblick darauf das

Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages bejaht, dass zur Einbringung der Beiträge zuletzt eine Vielzahl von Exekutionsführungen gegen die Beschwerdeführerin notwendig gewesen sei. Damit verkennt die belangte Behörde den Begriff der wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Beitragsschuld, wie auch die vorerwähnte Rechtsprechung zeigt:

Es kann vor allem ein gesetzlich vorgesehener Weg für die Eintreibung von Geldforderungen (auch wenn es sich um Forderungen handelt, die in einer gewissen zeitlichen Abfolge fällig werden und hinsichtlich derer sich dann dementsprechend auch jeweils eigene Exekutionsschritte - und somit letztlich eine "Vielzahl" derselben - als erforderlich erwiesen haben) nicht als eine Erschwerung der Einbringung im hier maßgebenden Sinne angesehen werden. Es ist insbesondere nicht erkennbar, inwiefern mittels Sicherstellungsauftrages die zur tatsächlichen Einbringlichmachung erforderlichen Exekutionsschritte entbehrlich gemacht werden könnten (sodass die "Erschwerung" häufiger Exekutionsschritte nicht mehr gegeben wäre); ein Sicherstellungsauftrag ist gemäß § 66 ASVG iVm § 233 Abs. 2 BAO nämlich seinerseits nur Grundlage dafür, dass das Gericht auf Antrag ohne Bescheinigung der Gefahr und ohne Sicherheitsleistung die Exekution zur Sicherstellung der Beitragsschuld bis zu deren Vollstreckbarkeit zu bewilligen hat. Es ist somit keine Alternative zur exekutiven Einbringung; er hat vielmehr nur die Funktion, für die Forderung schon vor deren Vollstreckbarkeit jene Deckung sicherzustellen, auf welche sodann mittels exekutiver Verwertungsschritte gegriffen werden kann bzw. bei nicht freiwilliger Zahlung des Schuldners gegriffen werden muss. Die Annahme einer (gegenüber der Gefährdung bloßen) Erschwerung der Einbringung einer Beitragsschuld setzt aber zumindest voraus, dass der "normale" Verlauf eines zur Einbringung einer Beitragsforderung erforderlichen Exekutionsverfahrens durch in der Sphäre des Schuldners liegende Umstände in irgendeiner Weise (z. B. durch einen häufigen Wohnungswechsel des Schuldners oder durch eine drohende Übersiedlung ins Ausland) behindert (und damit "erschwert") wird, sodass ein objektives sachliches Bedürfnis nach rechtzeitiger Deckung des Anspruchs besteht.

Im Hinblick darauf, dass die Zulässigkeit eines Sicherstellungsauftrages die Verwirklichung des zur Beitragspflicht führenden Tatbestandes voraussetzt, kann er überdies nur für Beitragsschulden erlassen werden, hinsichtlich derer der Beitragszeitraum, für welchen diese Beiträge voraussichtlich fällig werden, im Zeitpunkt der Erlassung des Sicherstellungsauftrages zumindest begonnen und damit in Ansehung bestehender Beschäftigungsverhältnisse für diesen Monat ein zur Beitragspflicht am Monatsende führender Tatbestand bereits verwirklicht ist. Der am 10. Jänner 1996 zugestellte Sicherstellungsauftrag hätte daher - wäre er im Übrigen berechtigt - von vornherein nur für Beitragsschulden bis einschließlich Jänner 1996, nicht aber auch für solche der Monate Februar bis April 1996 erlassen werden dürfen, weil hinsichtlich der zuletzt genannten Monate der zur Beitragspflicht führende Tatbestand (nämlich das Bestehen von zur Beitragspflicht führenden Beschäftigungsverhältnissen in diesem Monat) im Zeitpunkt der Erlassung des Sicherstellungsauftrages noch nicht begonnen hatte.

Auf Grund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) nicht zuzuerkennen.

Wien, am 21. November 2001

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