VwGH 99/11/0154

VwGH99/11/015418.1.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der T in Dornbirn, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, Schulgasse 22, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 16. März 1999, Zl. IVa-340-225-1999, betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §947;
ASVG §293;
EO §291a;
SHG Vlbg 1971 §1 Abs3;
SHG Vlbg 1971 §10;
SHG Vlbg 1971 §11 Abs2;
SHG Vlbg 1971 §11 Abs3;
SHV Vlbg 1991 §5;
ABGB §947;
ASVG §293;
EO §291a;
SHG Vlbg 1971 §1 Abs3;
SHG Vlbg 1971 §10;
SHG Vlbg 1971 §11 Abs2;
SHG Vlbg 1971 §11 Abs3;
SHV Vlbg 1991 §5;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Notariatsakt vom 11. November 1993 übertrug die (im Jahre 1907 geborene) Beschwerdeführerin ihren Miteigentumsanteil von 5/8 an einer Liegenschaft zu gleichen Teilen an ihre drei Kinder. Der Verkehrswert der Liegenschaft betrug zum Zeitpunkt des Antrages auf Gewährung von Sozialhilfe S 2,500.000,--.

Im April 1998 wurde die Beschwerdeführerin nach einem Krankenhausaufenthalt infolge eines Oberschenkelhalsbruches in ein Pflegeheim überstellt. Die Kosten dafür betrugen täglich S 1.603,-- zuzüglich 10 % Umsatzsteuer. Die Beschwerdeführerin ist körperlich geschwächt und großteils bettlägerig. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes ist eine intensive pflegerische Betreuung erforderlich. Eine Betreuung und Pflege zu Hause ist nicht mehr möglich.

Mit Bescheid vom 24. November 1998 wurde gemäß den §§ 1, 4, 5 und 8 des (Vorarlberger) Sozialhilfegesetzes - SHG, LGBl. Nr. 18/1986, in Verbindung mit der Sozialhilfeverordnung - SHV, die Gewährung von Sozialhilfe in Form der Übernahme der Unterkunfts- und Verpflegskosten ab 1. Mai 1998 zum jeweils geltenden Verpflegskostensatz (derzeit S 1.603,-- zuzüglich Umsatzsteuer) gegen Inanspruchnahme von 80 % der monatlichen Pension und des Pflegegeldes bewilligt. Die Übernahme der Kosten erfolgt nach dem Spruch dieses Bescheides nur insoweit, als die Kosten nicht durch die privatrechtlichen Ansprüche nach § 947 ABGB in der Höhe von S 5.625,-- sowie durch die Leistungen unterhaltspflichtiger Angehöriger gedeckt werden können.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte die (anwaltlich vertretene) Beschwerdeführerin geltend, die Kosten hätten zur Gänze übernommen werden müssen, soweit sie nicht durch 80 % der Pensions- und Pflegegeldansprüche gedeckt seien. Ein Anspruch nach § 947 ABGB stehe der Beschwerdeführerin nicht zu, weil sie über ein monatliches Einkommen in der Höhe von derzeit S 17.688,45 verfüge. Dieser Betrag liege über dem Existenzminimum von rund S 8.000,-- monatlich. Die Beschwerdeführerin verfüge daher über die Mittel für den nötigen Unterhalt im Sinne des § 947 ABGB.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass die Höhe des monatlichen Anspruches gemäß § 947 ABGB auf S 5.208,-- herabgesetzt wurde. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe zur Zeit der Aufnahme in das Pflegeheim von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine monatliche Nettopension von S 5.347,40, von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten eine Witwenpension von S 5.136,80 und von der Deutschen Bundespost eine Nettopension von S 1.514,25 bezogen. Seit 1. Juni 1998 erhalte sie von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft Pflegegeld der Stufe 3 in der Höhe von monatlich S 5.690,--. Der Verkehrswert der übergebenen Liegenschaft betrage im Zeitpunkt der Antragstellung S 2,500.000,--. Im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Sozialhilfe sei bei der Bestimmung des Ausmaßes der Sozialhilfe der zumutbare Einsatz der eigenen Kräfte und Mittel zu berücksichtigen (§ 8 Abs. 1 SHG). Zu den eigenen Mitteln gehöre auch ein Anspruch nach § 947 ABGB. Dem Einwand der Beschwerdeführerin, ihr monatliches Einkommen übersteige wesentlich das Existenzminimum von ca. S 8.000,-- monatlich, sei zu erwidern, dass der "nötige Unterhalt" im Sinne des § 947 ABGB die Deckung der existentiellen und dringenden Lebensbedürfnisse umfasse, wozu nicht nur der allgemeine Grundbedarf in der Höhe des Existenzminimums sondern auch - wie im vorliegenden Fall - ein im Einzelfall vorliegender pflege- bzw. krankheitsbedingter Sonderbedarf gehöre. Der nötige Unterhalt der Beschwerdeführerin im Sinne des § 947 ABGB sei aufgrund der Notwendigkeit ihrer Unterbringung in einem Pflegeheim mit den monatlichen Heimkosten gleichzusetzen, weshalb die Voraussetzungen für den Anspruch gemäß § 947 ABGB gegeben seien. Soweit die Beschwerdeführerin geltend mache, es hätte zumindest die Differenz zwischen den monatlichen Pflegeheimkosten und den eigenen Mitteln im Rahmen der Sozialhilfe übernommen werden müssen, sei ihr zu erwidern, dass mit dem erstinstanzlichen Bescheid die beantragte Sozialhilfe ohnedies grundsätzlich bewilligt worden sei, jedoch vermindert um die Eigenerlagsanteile, die Leistungen aus dem gesetzlichen Anspruch nach § 947 ABGB sowie die Leistungen unterhaltspflichtiger Angehöriger.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass ein Anspruch nach § 947 ABGB nicht zu Recht bestehe, weshalb die Reduktion der zuerkannten Sozialhilfe um den Betrag von S 5.208,-- monatlich nicht zu Recht erfolgt sei. Außerdem wendet sich die Beschwerde dagegen, dass die Sozialhilfe auch (in nicht näher konkretisiertem Ausmaß) um die Leistungen unterhaltspflichtiger Angehöriger gekürzt worden sei.

Das zuletzt genannte Vorbringen führt die Beschwerde aus folgenden Gründen zum Erfolg:

Gemäß § 10 SHG haben die zum Unterhalt verpflichteten Angehörigen im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht die Kosten der Sozialhilfe einschließlich der Kosten im Sinne des § 13 Abs. 3 leg. cit. zu ersetzen.

Gemäß § 11 Abs. 2 leg. cit. können über den Kostenersatz nach § 10 mit den Ersatzpflichtigen Vergleiche abgeschlossen werden.

Wenn kein Vergleich zustande kommt, ist zufolge § 11 Abs. 3 über den Kostenersatz nach § 10 im Verwaltungsweg zu entscheiden.

Das aus diesen Vorschriften sich ergebende System besteht darin, dass einem im Sinne des § 1 Abs. 3 SHG Hilfsbedürftigen Sozialhilfe ungeachtet allfälliger Unterhaltsansprüche gegen unterhaltspflichtige Angehörige zu gewähren ist. Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Angehörige des Hilfsbedürftigen im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zur Ersatzleistung herangezogen werden können, ist nicht im Verfahren betreffend Gewährung von Sozialhilfe an den Hilfsbedürftigen zu klären, sondern - wenn kein Vergleich zustande kommt - in dem gegen den Ersatzpflichtigen geführten Verfahren nach § 11 Abs. 3 SHG. Daraus folgt, dass eine Einschränkung der zuzuerkennenden Leistung im Hinblick auf das Vorhandensein unterhaltspflichtiger Angehöriger rechtswidrig ist. Eine solche rechtswidrige Einschränkung enthält der angefochtene Bescheid, indem er den diesbezüglichen Ausspruch im erstinstanzlichen Bescheid ("Die Übernahme der Kosten erfolgt, soweit diese Kosten nicht ...durch Leistungen unterhaltspflichtiger Angehöriger gedeckt werden können") bestätigt hat.

Die belangte Behörde bringt dazu in der Gegenschrift vor, dieser Satz sei "vom Bescheidwillen der Behörde klar nicht mit umfasst" und verletze daher keine Rechte der Beschwerdeführerin, es handle sich vielmehr um einen ergänzenden Hinweis an die Hilfeempfängerin sowie deren Angehörige. Diesem Vorbringen ist zu erwidern, dass sich für diese Deutung im angefochtenen Bescheid kein Anhaltspunkt findet. Auf die nach außen nicht zum Ausdruck gekommene Absicht der Behörde bzw. des betreffenden Organwalters kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht an. Die Aufnahme der Einschränkung in den Spruch des Bescheides, noch dazu in den selben Satz, in dem auch die Reduktion der Kostenübernahme um den aus § 947 ABGB sich ergebenen Anspruch der Beschwerdeführerin enthalten ist, spricht gegen das in der Gegenschrift behauptete Fehlen eines normativen Inhaltes dieses Spruchteiles. Dies gilt auch für die Begründung des angefochtenen Bescheides, in welchem (im vorletzten Absatz) ausgeführt wird, dass die beantragte Sozialhilfe bewilligt werde, jedoch vermindert unter anderem um Leistungen unterhaltspflichtiger Angehöriger.

In der weiteren zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahren strittigen Frage, ob die Beschwerdeführerin gemäß § 947 ABGB einen Anspruch gegen die Geschenknehmer auf die gesetzlichen Zinsen aus dem Wert der geschenkten Sache hat, folgt der Verwaltungsgerichtshof aus folgenden Gründen der Auffassung der belangten Behörde:

Gemäß § 947 ABGB ist der Geschenkgeber, wenn er in der Folge in solche Dürftigkeit gerät, dass es ihm an dem nötigen Unterhalt gebricht, befugt, jährlich von dem geschenkten Betrage die gesetzlichen Zinsen, insoweit die geschenkte Sache, oder derselbe Wert noch vorhanden ist, und ihm der nötige Unterhalt mangelt, von dem Beschenkten zu fordern, wenn sich anders dieser nicht selbst in gleich dürftigen Umständen befindet.

Für die Beantwortung der im gegebenen Zusammenhang wesentlichen Frage, was unter dem "nötigen Unterhalt" im Sinne dieser Gesetzesstelle zu verstehen ist, ist das Ausmaß der Bedürfnisse maßgebend, die beim Geschenkgeber im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung einer menschenwürdigen Existenz unter einfachen Verhältnissen entstehen. Im Allgemeinen kann dabei eine Orientierung an gesetzlichen Vorschriften, aus denen eine Einschätzung des Gesetzgebers über das Ausmaß eines entsprechenden Mindestbedarfes zum Ausdruck kommt, hilfreich sein (vgl. dazu Schwimann/Binder, ABGB2 V, § 947 Rz 2). Ist es aber - wie im vorliegenden Fall - aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Geschenkgebers notwendig, dass dieser in einem Pflegeheim untergebracht wird, ist das Ausmaß des nötigen Unterhaltes im beschriebenen Sinn entscheidend durch die Höhe der Kosten für die Unterbringung im Pflegeheim bestimmt, sodass in solchen Fällen die in der Beschwerde herangezogene Bestimmung über die Höhe des unpfändbaren Freibetrages ("Existenzminimum") gemäß § 291a EO ebenso wenig maßgebend ist wie die Höhe des Ausgleichszulagen-Richtsatzes (§ 293 ASVG) oder der Sozialhilfe-Richtsätze (z.B. § 5 SHV).

Aus dem zuvor dargelegten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Jänner 2000

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