VwGH 98/18/0166

VwGH98/18/016614.11.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der N, (geboren am 10. Juli 1967), in Mayrhofen, vertreten durch Dr. Klaus Dengg, Rechtsanwalt in 6280 Zell am Ziller, Talstraße 4 A, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 7. April 1998, Zl. III 95/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AuslBG §28 Abs1 Z1 lita;
AuslBG §3 Abs1;
FrG 1997 §35 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
MeldeG 1991 §22 Abs1 Z1;
MeldeG 1991 §22;
MeldeG 1991 §3 Abs1;
AuslBG §28 Abs1 Z1 lita;
AuslBG §3 Abs1;
FrG 1997 §35 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
MeldeG 1991 §22 Abs1 Z1;
MeldeG 1991 §22;
MeldeG 1991 §3 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 7. April 1998 wurde gegen die Beschwerdeführerin, dem Beschwerdevorbringen zufolge eine kroatische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 2 iVm den §§ 37 bis 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die Beschwerdeführerin sei von der Bezirkshauptmannschaft Schwaz (der erstinstanzlichen Behörde) seit 1989 wegen zahlreicher Verwaltungsübertretungen (nach dem Passgesetz 1969, der Straßenverkehrsordnung, dem Kraftfahrgesetz, dem Meldegesetz und dem Ausländerbeschäftigungsgesetz) rechtskräftig bestraft worden, und zwar u.a.

3.1. Die Beschwerde bringt vor, dass die Beschwerdeführerin, wie aus der Meldebestätigung der Marktgemeinde Mayrhofen zu entnehmen sei, zumindest seit 20. Juni 1986 ständig in Österreich aufhältig sei, wobei mit Ausnahme von kürzeren Aufenthalten in Bosnien-Herzegowina kein Kontakt zu ihrer ehemaligen Heimat bestanden habe. Für einen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinn des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 FrG schadeten kurzfristige Auslandsaufenthalte, etwa zu Urlaubszwecken, nicht. Die Beschwerdeführerin erfülle daher sowohl die Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 als auch jene des § 35 Abs. 3 leg. cit., sodass die Verhängung des Aufenthaltsverbotes unzulässig sei.

3.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.

Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhalts unzulässig wäre. Eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 und 2 FrG ist (u.a.) in den Fällen des § 35 FrG unzulässig. Dessen Absätze 2 und 3 haben folgenden Wortlaut:

"(2) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn sie von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt wurden und ihr weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde.

(3) Hat der in Abs. 2 genannte Zeitraum bereits zehn Jahre gedauert, so dürfen Fremde wegen Wirksamwerden eines Versagungsgrundes nicht mehr ausgewiesen werden, es sei denn, sie wären von einem inländischen Gericht

1. wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 des Suchtmittelgesetzes - SMG, oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder

2. wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten

rechtskräftig verurteilt worden."

Nach der hg. Rechtsprechung ist unter dem Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 7. Mai 1999, Zl. 98/18/0206, mwN).

Im vorliegenden Fall hat das für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gesamt(Fehl-)verhalten der Beschwerdeführerin am 1. Februar 1996 (vgl. das in I.1. genannte Straferkenntnis vom 26. März 1996 wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes) begonnen. Wenn im angefochtenen Bescheid auf ein bereits zuvor gesetztes Fehlverhalten der Beschwerdeführerin ("beginnend 1989") Bezug genommen wird, so ist dem Bescheid nicht zu entnehmen, um welches Verhalten es sich dabei in concreto gehandelt habe, sodass das Aufenthaltsverbot darauf nicht gegründet werden kann. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde war der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich seit 1983 in der Zeit von 27. Februar 1984 bis 19. Juni 1986, von 11. Oktober 1987 bis 14. Dezember 1987, von 5. März 1988 bis 20. März 1988, von 22. April 1988 bis 18. Mai 1988 und von 20. Juli 1988 bis 15. Dezember 1988 unterbrochen. Ferner geht aus dem angefochtenen Bescheid hervor, dass der Beschwerdeführerin erstmals am 28. Februar 1989 eine Bewilligung zum Aufenthalt im Bundesgebiet in Form eines Sichtvermerks erteilt wurde, wobei diese Feststellung weder durch ein konkretisiertes Beschwerdevorbringen bestritten wird, noch mit dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten in Widerspruch steht. Demzufolge war die Beschwerdeführerin erst ab dem 28. Februar 1989 zur dauernden Niederlassung im Bundesgebiet berechtigt, sodass die vor diesem Zeitpunkt gelegenen Zeiten des Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet für die Beurteilung im Licht des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 FrG außer Betracht zu lassen sind.

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände (im Jahr 1996) nicht einmal acht Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen war, konnte ihr schon deshalb die Bestimmung des § 35 Abs. 2 FrG nicht zugute kommen. Von daher kommt eine Beurteilung einer allfälligen Aufenthaltsverfestigung gemäß § 35 Abs. 3 leg. cit. nicht mehr ins Blickfeld.

4. Aber auch mit dem Hinweis auf § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG ist für die Beschwerde nichts gewonnen. Nach dieser Gesetzesbestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" ist im selben Sinn zu verstehen wie die gleich lautende des § 35 Abs. 2 FrG (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 99/18/0179, mwN). Im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin u.a. (unbestrittenermaßen) bereits von 27. Februar 1984 bis 19. Juni 1986 im Ausland aufgehalten hatte und somit vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände noch nicht zehn Jahre im Bundesgebiet aufhältig war, erfüllte sie nicht die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 für die Verleihung der Staatsbürgerschaft, sodass auch § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG dem vorliegenden Aufenthaltsverbot nicht entgegensteht.

5.1. Die Beschwerde bringt weiters vor, dass die Beschwerdeführerin nach Beendigung der Pflichtschule bereits im Jahr 1983 zu ihrer Mutter nach Österreich gezogen sei und sich, nachdem sie von Anfang 1984 bis Juni 1986 in ihrer Heimat eine Lehre absolviert habe, seit 1986 mit kürzeren Unterbrechungen ständig hier aufgehalten habe. Seit 1989 sei sie in verschiedenen Gastronomiebetrieben unselbstständig beschäftigt. Darüber hinaus sei sie geschäftsführende Gesellschafterin einer GmbH und in zwei von dieser betriebenen Cafes in Achenkirch leitend tätig. Sie habe an Geschwistern nur eine Schwester, die sich seit Mai 1992 ebenfalls in Österreich aufhalte. Ferner erwarte sie von ihrem Lebensgefährten, mit dem sie sich seit März 1995 in einer Lebensgemeinschaft befinde, ein Kind. Zu ihrer ehemaligen Heimat Bosnien-Herzegowina habe sie keine Bindung mehr.

5.2. Dieses - von der Beschwerdeführerin bereits in ihrer Berufung vom 19. März 1998 erstattete - Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Bei der Prüfung des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 FrG fällt zu Gunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht, dass sie laut den im angefochtenen Bescheid getroffenen Ausführungen seit Februar 1989 in Österreich ununterbrochen und rechtmäßig aufhältig sowie im Gastgewerbe erlaubt beschäftigt ist. Darüber hinaus ist sie hier als Geschäftsführerin einer von ihr im Jahr 1994 zusammen mit ihrem Schwager gegründeten GmbH tätig. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten J.L., von dem sie ein Kind erwartet, im gemeinsamen Haushalt. Ferner leben hier ihre - einzige - Schwester und ihre Mutter. Diesen schwer wiegenden persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleiben im Bundesgebiet steht das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, der Verhinderung von Schwarzarbeit und der Verhinderung strafbarer Handlungen (vgl. II.2.) gegenüber.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kommt bei Abwägung der Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und der nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme den besagten persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin ein größeres Gewicht zu und erweist sich das vorliegende Aufenthaltsverbot deshalb als unzulässig.

6. Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. November 2000

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