VwGH 98/08/0222

VwGH98/08/022231.5.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des R in M, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager und Dr. Dieter Gallistl, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 29. Juli 1997, Zl. B1/12897/Nr.720/97-11, VNR: 5182 040363, betreffend Höhe der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §36 Abs6 idF 1996/411;
NotstandshilfeV §1 Abs2 idF 1996/240;
AlVG 1977 §36 Abs6 idF 1996/411;
NotstandshilfeV §1 Abs2 idF 1996/240;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der vom 15. August 1990 bis 31. Dezember 1995 in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stand, beantragte am 2. Jänner 1996 per 1. Jänner 1996 Arbeitslosengeld. Die angerufene zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anerkannte den Anspruch für die Zeit vom 1. Jänner bis 28. Juli 1996 in einer Höhe von täglich S 417,80.

Am 25. Juli 1996 beantragte der Beschwerdeführer Notstandshilfe per 29. Juli 1996. Die angerufene regionale Geschäftsstelle des AMS anerkannte diesen Anspruch für die Zeit vom 29. Juli 1996 bis 31. Jänner 1997 in einer Höhe von täglich S 384,40 und ab 1. Februar bis 27. Juli 1997 in einer Höhe von täglich S 303,30. Dieser Bezug wurde mit 1. August 1996 wegen Aufnahme eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses durch den Beschwerdeführer eingestellt. Dieses Beschäftigungsverhältnis endete am 30. November 1996, der daraus resultierende Entgeltanspruch am 9. Dezember 1996.

Über Antrag vom 7. November 1996 wurde dem Beschwerdeführer im Anschluss daran (d.h. ab 10. Dezember 1996) Notstandshilfe im festgesetzten Ausmaß gewährt.

Mit Bescheid vom 10. Juni 1997 stellte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice fest, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seines Antrages vom 25. Juli 1996 Notstandshilfe ab dem 29. Juli 1996 in der Höhe von täglich S 384,40 und ab 1. Februar 1997 in der Höhe von täglich S 303,30 gebühre. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des § 36 Abs. 1 und 6 AlVG ausgeführt, dem Beschwerdeführer sei ab 1. Jänner 1996 Arbeitslosengeld mit einer Bezugsdauer von 30 Wochen zuerkannt worden, ab 29. Juli 1996 habe er Notstandshilfe beantragt.

Der Beschwerdeführer erhob dagegen Berufung. Darin wendete er sich gegen die Herabsetzung der Notstandshilfe ab 1. Februar 1997 und führte aus, die von der regionalen Geschäftsstelle des AMS herangezogene Bestimmung des § 36 Abs. 6 AlVG könne nur bei einem ununterbrochenen Bezug der Notstandshilfe Gültigkeit haben, weil bei allen Bestimmungen des AlVG immer auf den Bezug der Leistung abgestellt werde. Eine Unterbrechung des Leistungsbezuges wegen Antrittes eines Dienstverhältnisses müsse zur Verlängerung des Sechs-Monats-Zeitraumes führen. Bei Festlegung des Sechs-Monats-Zeitraumes zur Herabsetzung der Notstandshilfe hätte daher auf den tatsächlichen Bezug abgestellt werden müssen; er stelle daher den Antrag, die Notstandshilfe bis 1. Juli 1997 in Höhe von S 384,40 "zu bezahlen".

Mit dem einleitend genannten Bescheid gab die belangte Behörde dieser Berufung nicht statt und stellte im Spruch fest, dass dem Beschwerdeführer ab 1. Februar 1997 eine tägliche Notstandshilfe von S 303,30 gemäß § 36 Abs. 6 AlVG gebühre.

In der Begründung wurde zunächst der - oben dargestellte - unstrittige Sachverhalt wiedergegeben und § 36 Abs. 1 und Abs. 6 AlVG zitiert. Sodann führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe Arbeitslosengeld in der Dauer von 30 Wochen bezogen und daran anschließend per 29. Juli 1996 den Anspruch auf Notstandshilfe geltend gemacht. Der Zeitraum von sechs Monaten nach dieser Antragstellung sei am 28. Jänner 1997 abgelaufen und daher sei der erste Tag des Monates, der auf den Zeitraum von sechs vollen Monaten folge, der 1. Februar 1997. Mit diesem Tag sei dem Beschwerdeführer die mit dem Betrag des Existenzminimums gemäß § 291a Abs. 3 EO begrenzte Notstandshilfe zur Anweisung gebracht worden. Nach Ansicht des Gesetzgebers sei der gegenständliche Sechs-Monats-Zeitraum starr und beginne mit dem erstmaligen Anfallstag der Notstandshilfe und umfasse die nachfolgenden sechs Monate zuzüglich der Resttage bis zum Ablauf des sechsten Monats. Unterbrechungen, sei es durch Krankenstand, Auslandsaufenthalt oder aber auch Beschäftigungszeiten, führten zu keiner Verlängerung dieses Zeitraumes. Für die vom Beschwerdeführer gewünschte Interpretation sei sowohl auf Grund der grammatikalisch eindeutigen Formulierung, die eine andere Deutung nicht zulasse, als auch auf Grund der klaren Absichtserklärung des Gesetzgebers kein Platz.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 9. Juni 1998, B 2363/97, die Behandlung dieser Beschwerde ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 23. Juli 1998 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Gewährung der Notstandshilfe in der "beantragten Höhe" verletzt; aus dem Gesamtzusammenhang des Beschwerdevorbringens ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine Rechtsverletzung darin erblickt, dass sein Notstandshilfeanspruch in Anwendung des § 36 Abs. 6 AlVG bereits ab 1. Februar 1997, und nicht erst nach einem tatsächlichen Bezug der Notstandshilfe im Ausmaß von 6 Monaten, in Anwendung des § 36 Abs. 6 AlVG auf die Höhe des Existenzminimums gemäß § 291a Abs. 3 EO gekürzt worden sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahren vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 36 Abs. 6 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201 (einschließlich einer mit Art. 4 Z. 6 des SRÄG 1996, BGBl. Nr. 411, rückwirkend zum 1. Mai 1996 vorgenommenen Ergänzung), lautet:

"(6) Abweichend von Abs. 1 ist bei der Festsetzung des Betrages der Notstandshilfe für Zuerkennungen auf Notstandshilfe bzw. Verlängerungen der Notstandshilfe ab 1. Mai 1996 wie folgt vorzugehen:

Wenn die Notstandshilfe an einen Bezug des Arbeitslosengeldes in der Dauer von 20 Wochen (§ 18 Abs. 1 erster Satz) anschließt, darf der Grundbetrag der Notstandshilfe nach Einkommensanrechnung mit keinem höheren Betrag als dem Ausgleichszulagenrichtsatz (§ 293 Abs. 1 lit. a lit. bb ASVG) festgelegt werden; wenn die Notstandshilfe an einen Bezug des Arbeitslosengeldes in der Dauer von 30 Wochen (§ 18 Abs. 1 zweiter Satz) anschließt, darf der Grundbetrag der Notstandshilfe nach Einkommensanrechnung mit keinem höheren Betrag als dem Existenzminimum gemäß § 291a Abs. 3 der Exekutionsordnung, RGBl. Nr. 79/1896, festgelegt werden. Bei Anschluss von Notstandshilfe an Karenzurlaubsgeld oder Arbeitslosengeld gemäß § 18 Abs. 8 ist jenes Ausmaß des Arbeitslosengeldes maßgeblich, das gebührt hätte, wenn an Stelle des Karenzurlaubsgeldes Arbeitslosengeld oder an Stelle des Arbeitslosengeldes gemäß § 18 Abs. 8 Arbeitslosengeld gemäß § 18 Abs. 1 beantragt worden wäre. Bei erstmaligen Anträgen auf Notstandshilfe im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Karenzurlaubsgeld ist diese Bestimmung erst ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Zeitraum von sechs Monaten nach dem Anfallstag folgt, anzuwenden. Der Beurteilung der Bezugsdauer des zugrundeliegenden Arbeitslosengeldes ist § 18 Abs. 1 bis 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 364/1989 zugrundezulegen."

Gemäß § 79 Abs. 28 AlVG ist u.a. § 36 Abs. 6 leg. cit. in dieser Fassung mit 1. Mai 1996 in Kraft getreten und gilt für Ansprüche, deren Anfallstag nach dem 30. April 1996 liegt. Auf Grund dieser Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 wurde die Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, durch die Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales, BGBl. Nr. 240/1996, ausgegeben am 29. Mai 1996, u.a. dahingehend geändert, dass dem § 1 folgender Abs. 2 angefügt wurde:

"(2) Für die Ermittlung des täglichen Grundbetrages der Notstandshilfe bei der Begrenzung gemäß § 36 Abs. 6 AlVG ist der jeweils anzuwendende Monatsbetrag durch 30 zu teilen."

Infolge dieser - gerade noch zu bejahenden - Rezeption des § 36 Abs. 6 AlVG durch die NHV ist diese Bestimmung ab 30. Mai 1996 anzuwenden.

Da der gegenständliche Notstandshilfeanspruch unbestrittenermaßen nach dem zuletzt genannten Datum angefallen ist, ist die genannte Novelle anzuwenden.

Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, die im Beschwerdefall vorzunehmende Kürzung der Höhe der Notstandshilfe habe jedenfalls mit dem 1. des Monates, der auf den Zeitraum von sechs vollen Monaten nach dem Anfallstag folgt, einzusetzen. Ob in diesem Zeitraum von sechs Monaten Notstandshilfe bezogen wurde, sei unerheblich.

Dem gegenüber vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, die Kürzung der Notstandshilfe gemäß § 36 Abs. 6 AlVG könne nur nach einem tatsächlichen Bezug der Notstandshilfe im Ausmaß von sechs Monaten stattfinden.

Der Auffassung der belangten Behörde kann nicht gefolgt werden: Sie beruft sich einerseits auf die grammatikalisch eindeutige Formulierung und andererseits auf die klare Absichtserklärung des Gesetzgebers. Beides trifft jedoch nicht zu. Dem oben wiedergegebenen Wortlaut der Bestimmung kann nicht entnommen werden, dass jedenfalls mit Beginn des siebten Monates nach Ende des Arbeitslosengeldbezuges nach dieser Bestimmung die Notstandshilfe einer Kürzung unterliegt. Nur bei einer solchen Bezugnahme auf das Ende des Arbeitslosengeldanspruches könnte von einem eindeutigen Wortlaut gesprochen werden. Dem gegenüber ist lediglich von "Anträgen auf Notstandshilfe" bzw. von "Zeitraum von sechs Monaten nach dem Anfallstag" die Rede. Diese Wortwahl lässt auch eine Auslegung im Sinne der Auffassung des Beschwerdeführers zu. Es kann daher nicht, wie die Behörde meint, von einem klaren Wortlaut des Gesetzes ausgegangen werden, der keine weitere Deutung zulässt. Es ist vielmehr die Bedeutung dieser Regel nicht nur durch den Wortsinn, sondern auch durch den Zusammenhang dieses Satzes mit der Gesamtregelung des § 36 Abs. 1 und 6 AlVG zu deuten. § 36 Abs. 1 i.V.m. § 1 der Notstandshilfeverordnung und § 36 Abs. 6 AlVG treffen Bestimmungen über das Ausmaß der Notstandshilfe. Die erstgenannten Regelungen betreffen die Bestimmung des Ausmaßes bei erstmaliger Antragstellung, während die letztgenannte Bestimmung - gleichfalls für "erstmalige Anträge" - eine Änderung des Ausmaßes nach einer bestimmten Dauer des Bezuges anordnet. Wenn § 36 Abs. 6 AlVG keine bestimmte tatsächliche Dauer des Notstandshilfebezuges voraussetzt, bleibt für bestimmte Fälle kein Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 bzw. § 1 der Notstandshilfeverordnung. Wird nämlich wie die belangte Behörde meint, die Sechs-Monats-Frist im Abs. 6 als absolute Frist behandelt, so kann es dazu kommen, dass innerhalb dieses Zeitraumes infolge von Ruhenstatbeständen oder Unterbrechungen durch Arbeitsverhältnisse es zu keinem tatsächlichen Leistungsbezug kommt. Dies etwa dann, wenn nach Antragstellung der Notstandshilfebezug infolge eines Krankengeldbezuges für ein paar Wochen ruht und in den übrigen Wochen - wie im Beschwerdefall - ein arbeitslosenversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, das zu keiner Anwartschaft für einen neuen Arbeitslosengeldbezug führt (§ 14 Abs. 2 AlVG), ausgeübt wird. Bei Richtigkeit der Auffassung der belangten Behörde würde in einem solchen Fall der erste Tag des tatsächlichen Notstandshilfebezuges bereits der Kürzung des § 36 Abs. 6 AlVG unterliegen. Dies war - entgegen der weiteren Begründungsvariante der belangten Behörde - nicht die Absicht des Gesetzgebers. In der Regierungsvorlage zum Strukturanpassungsgesetz 1996 (72 BlgNR XX. GP, Seite 237) ist dazu zu lesen: "Diese Regelungen sollen jedoch nicht sofort nach Eintritt des Notstandshilfebezuges wirken, sondern erst nachdem der Arbeitslose ein halbes Jahr Notstandshilfe bezogen hat (§ 36 Abs. 6 letzter Satz)". Die Absicht des Gesetzgebers war daher eindeutig darauf gerichtet, dass es zu einer Kürzung des Notstandshilfebezuges erst nach einer gewissen Dauer des tatsächlichen Bezuges dieser Leistung kommt. Diese Absicht erhellt aus dem Zusammenhang der genannten Bestimmungen.

Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. Mai 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte