VwGH 98/08/0073

VwGH98/08/007329.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der F in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 5. Dezember 1997, Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Widerruf und Rückforderung von Karenzurlaubsgeld, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs3 lita;
AlVG 1977 §12 Abs6 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
GewO 1994 §39 Abs2;
AlVG 1977 §12 Abs3 lita;
AlVG 1977 §12 Abs6 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §68 Abs1;
GewO 1994 §39 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte mit dem bundeseinheitlich aufgelegten Formblatt am 21. Juni 1995 bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice den Antrag auf Karenzurlaubsgeld. Im Antrag wurden die Fragen nach einer Beschäftigung und nach einem Einkommen verneint. Nach der angeschlossenen Arbeitsbescheinigung war die Beschwerdeführerin bis 28. Februar 1995 bei der T. Ges.m.b.H. beschäftigt. Auf Grund der Entbindung am 16. März 1995 bezog sie vom 1. März 1995 bis 21. Juni 1995 Wochengeld. Mit Zahlungsauftrag vom 3./4. Juli 1995 wurde der Beschwerdeführerin die beantragte Leistung vom 22. Juni 1995 bis 16. März 1997 zuerkannt.

Nach dem am 25. Oktober 1996 bei der regionalen Geschäftsstelle des AMS eingelangten Auszug aus der zentralen Datenspeicherung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger mit Stand vom 23. Oktober 1996 war die Beschwerdeführerin seit 18. Juli 1994 einer Pflichtversicherung nach dem ASVG auf Grund der Meldung des Dienstgebers S. Ges.m.b.H. bei der Salzburger Gebietskrankenkasse unterlegen. Nach einem weiteren Auszug vom 11. November 1996 sei die Beschwerdeführerin von der S. Ges.m.b.H. am 21. Oktober 1996 abgemeldet worden.

Die regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ersuchte daraufhin mit Schreiben vom 12. Dezember 1996 die Salzburger Gebietskrankenkasse um Mitteilung, ob die Beschwerdeführerin seit 22. Juni 1995 versicherungspflichtig gemeldet gewesen sei.

Diese Gebietskrankenkasse gab der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice mit Schreiben vom 19. Dezember 1996 bekannt, dass die Beschwerdeführerin vom 18. Juli 1994 bis 21. Oktober 1996 beim Dienstgeber S. Ges.m.b.H.

versicherungspflichtig gemeldet gewesen sei.

Mit Bescheid vom 28. Februar 1997 sprach daraufhin die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 AlVG werde das Karenzurlaubsgeld für den Zeitraum 22. Juni 1995 bis 30. November 1996 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und gemäß § 29 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 AlVG die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Karenzurlaubsgeldes von S 154.535,-- verpflichtet. In der Begründung ist nach auszugsweiser Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstellen zu lesen, die Beschwerdeführerin habe am 22. Juni 1995 ein Dienstverhältnis aufgenommen, jedoch das Karenzurlaubsgeld bis 30. November 1996 bezogen.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Darin führte sie aus, sie sei gewerberechtliche Geschäftsführerin der S. Ges.m.b.H. gewesen und habe dafür einen Nettobetrag von S 2.500,-- erhalten. Als Gegenleistung sei sie für die Einhaltung der Gewerbeordnung verantwortlich gewesen. Sie sei an keine Dienstzeit gebunden und bei der Gesellschaft nie beschäftigt gewesen. Sie habe nur einmal im Monat vorbeigeschaut, ob die Geschäftsführung die Gewerbeordnung einhalte. Es liege daher kein Dienstverhältnis vor. Sie habe nicht gewusst, dass die Gesellschaft sie für 20 Arbeitsstunden angemeldet habe.

In einer von der belangten Behörde aufgenommenen Niederschrift am 9. April 1997 gab die Beschwerdeführerin ergänzend an, sie sei seit Februar 1995 nicht mehr bei der S. Ges.m.b.H. beschäftigt gewesen. Es seien damals Komplikationen im Zuge ihrer Schwangerschaft aufgetreten. Sie habe dem Chef mitgeteilt, sie könne nicht mehr arbeiten. Danach sei sie bei ihren Kindern zu Hause gewesen. Schriftlich habe sie nicht gekündigt. Eine Abmeldung bei der Krankenkasse habe sie nicht erhalten und eine solche auch nicht verlangt. Sie habe nicht gewusst, dass sie bei der Krankenkasse gemeldet gewesen sei. Sie werde sich nochmals mit der Krankenkasse in Verbindung setzen und versuchen, die Richtigstellung des Versicherungsverlaufes zu erwirken. Sie betone nochmals, dass sie seit Februar 1995, also "zum selben Zeitpunkt", da ihr Dienstverhältnis zur T. Ges.m.b.H. beendet worden sei, auch nicht mehr für die S. Ges.m.b.H. tätig geworden sei.

Die belangte Behörde gab mit Schreiben vom 2. April 1997 der Beschwerdeführerin bekannt, dass gewerberechtliche Geschäftsführer nach den gesetzlichen Bestimmungen grundsätzlich nicht als arbeitslos gelten, weil sie gemäß den Bestimmungen der Gewerbeordnung zumindest 20 Wochenstunden beschäftigt sein müssten. Für das Arbeitsmarktservice sei daher nicht die Tatsache relevant, wie viel die Beschwerdeführerin tatsächlich verdient habe, sondern lediglich der Umstand, dass sie als zumindest halbtags beschäftigte Geschäftsführerin Anspruch auf entsprechendes Entgelt gehabt hätte (sog. Anspruchslohn). Ob die Beschwerdeführerin tatsächlich entsprechend entlohnt worden sei, sei dabei nicht zu berücksichtigen. Da die Beschwerdeführerin diese Tätigkeit als gewerberechtliche Geschäftsführerin dem Arbeitsmarktservice nicht gemeldet habe, habe sie einen Rückforderungstatbestand verwirklicht.

Abschließend wurde der Beschwerdeführerin für eventuelle Äußerungen zu diesen Ausführungen eine Frist bis 30. April 1997 eingeräumt.

Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 9. April 1997 der Salzburger Gebietskrankenkasse mit, dass die Beschwerdeführerin erklärt habe, seit Februar 1995 nach einer mündlichen Kündigung nicht mehr für die S. Ges.m.b.H. tätig gewesen zu sein. Die belangte Behörde ersuchte um Bekanntgabe, ob der Versicherungsverlauf der Beschwerdeführerin aufrecht bleibe.

Die Salzburger Gebietskrankenkasse teilte der belangten Behörde mit Schreiben vom 14. Oktober 1997 zum Versicherungsverlauf der Beschwerdeführerin mit, dass sich auf Grund der Beitragsprüfung keine Änderung ergebe.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Begründung ist nach Wiedergabe der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen und Darstellung des Verwaltungsgeschehens zu lesen, die Beschwerdeführerin sei seit 18. Juli 1994 bei der S. Ges.m.b.H.

arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt und fungiere dort als gewerberechtliche Geschäftsführerin. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung (§ 39 GewO) müsse ein gewerberechtlicher Geschäftsführer einer Ges.m.b.H. entweder ein Organ der Ges.m.b.H. oder ein im Ausmaß von mindestens der Hälfte der Normalarbeitszeit Beschäftigter nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein. Ob die Beschwerdeführerin, wie in der Gewerbeordnung vorgesehen, tatsächlich in der vom Gesetz geforderten Form im Betrieb beschäftigt gewesen sei, sei hiebei unerheblich.

Auch die Gebietskrankenkasse habe keine Veranlassung gesehen, den Versicherungsverlauf, der eine arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung der Beschwerdeführerin während des gesamten Karenzurlaubsgeldbezuges ausweise, zu berichtigen. Im Antrag auf Gewährung von Karenzurlaubsgeld habe die Beschwerdeführerin die diesbezüglichen Fragen nach dem Vorliegen einer Beschäftigung bzw. einer selbstständigen Tätigkeit verneint und somit durch Verschweigung maßgeblicher Tatsachen einen Rückforderungstatbestand gesetzt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 6. März 1998, B 106/98).

Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erkennt zutreffend, dass die belangte Behörde nicht wie die regionalen Geschäftsstelle davon ausging, dass die Beschwerdeführerin am 22. Juni 1995 ein Dienstverhältnis aufgenommen habe, sondern davon, dass sie seit 18. Juli 1994 bei der S. Ges.m.b.H. arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen und dort als gewerberechtliche Geschäftsführerin fungiert habe. Soweit die Beschwerdeführerin darauf hinweist, dass sie nicht vor dem 12. September 1994 über eine Gewerbeberechtigung verfügte, ist darauf nicht einzugehen, weil der Widerruf der gewährten Leistung erst ab 22. Juni 1995 ausgesprochen wurde. Die Beschwerde ist aber im Ergebnis deshalb berechtigt, weil dem angefochtenen Bescheid eine dem § 60 AVG entsprechende Begründung nicht zu entnehmen ist. Die belangte Behörde meint, auf Grund der Anmeldung zur Sozialversicherung als gewerberechtliche Geschäftsführerin sei gemäß § 39 Gewerbeordnung davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin in einem vollversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis im Ausmaß von mindestens der Hälfte der Normalarbeitszeit gestanden sei. Dem ist zu entgegnen, dass § 39 Abs. 2 Gewerbeordnung für einen gewerberechtlichen Geschäftsführer einer juristischen Person unter anderem normiert, dass dieser dem zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organ der juristischen Person angehören oder ein mindestens zur Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit im Betrieb Beschäftigter, nach den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechtes vollversicherungspflichtiger Arbeitnehmer sein muss. Die Erfüllung dieser Voraussetzung kann entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht durch die Anmeldung der Sozialversicherung allein nachgewiesen werden. Da die Beschwerdeführerin darüber hinaus im Verwaltungsverfahren darauf beharrte, ab Februar 1995 überhaupt nicht mehr für die S. Ges.m.b.H. tätig gewesen zu sein, hätte sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen auseinander setzen und prüfen müssen, ob die Beschwerdeführerin während des gemeldeten Beschäftigungsverhältnisses tatsächlich einen die Geringfügigkeitsgrenze übersteigenden und daher im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. a i.V.m. Abs. 6 lit. a AlVG Arbeitslosigkeit ausschließenden Entgeltanspruch hatte. Sie wäre von eigenen Ermittlungen nur dann enthoben gewesen, wenn das Bestehen eines die Voll- und die Arbeitslosenversicherungspflicht für den genannten Zeitraum begründenden Beschäftigungsverhältnisses bescheidmäßig rechtskräftig festgestellt worden wäre (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 1998, 98/08/0129). Die belangte Behörde hat jedoch weder eigene Ermittlungen angestellt, noch Tatsachenfeststellungen getroffen. Diese können auch nicht durch den Hinweis ersetzt werden, dass die Gebietskrankenkasse keine Veranlassung gesehen habe, den gemeldeten Versicherungsverlauf zu berichtigen. Im fortzusetzenden Verfahren wird sich die belangte Behörde mit den Behauptungen der Beschwerdeführerin auseinander zu setzen haben und nach einem entsprechenden Ermittlungsverfahren Tatsachenfeststellungen zu treffen haben. Hiebei wird auch zu berücksichtigen sein, dass der Widerruf der Leistung bis 30. November 1996 ausgesprochen wurde, während zumindest nach Mitteilung der Salzburger Gebietskrankenkasse ein Beschäftigungsverhältnis lediglich bis 21. Oktober 1996 gemeldet gewesen ist.

Auf Grund der aufgezeigten Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes bereits hinsichtlich des ausgesprochenen Widerrufes des Karenzurlaubsgeldes ist der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der pauschaliert durch Verordnung festgesetzte Schriftsatzaufwand auch die Umsatzsteuer umfasst und auch bei Abtretung einer Beschwerde vom Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof nur einmal gebührt.

Wien, am 29. März 2000

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte