VwGH 97/08/0168

VwGH97/08/016829.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der G in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 29. April 1997, Zl. LGS600/LA2/1218/1997-Mag.Ed/S, betreffend Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
NotstandshilfeV §2 Abs2;
AVG §37;
NotstandshilfeV §2 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die in Graz wohnhafte, 1944 geborene Beschwerdeführerin, die zuletzt vom 4. März 1991 bis zum 31. Mai 1996 beschäftigt gewesen war, bezog nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes bis zum 4. März 1997 Arbeitslosengeld. Im Antrag auf Arbeitslosengeld gab sie als Familienstand "verheiratet" mit der handschriftlichen Beifügung "getrennt lebend" an. In der Spalte für die Angabe des Namens und - wenn nicht gemeinsam wohnhaft - des Wohnorts von Angehörigen führte sie ihren Ehegatten und dessen Anschrift in Haselsdorf an. In dieser Spalte sind nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Angehörige nach den näheren Erläuterungen in der Überschrift nur anzugeben, wenn der Antragsteller für sie sorgt. Der Prüfer brachte bei der Eintragung des Ehegatten der Beschwerdeführerin die Vermerke "getrennt lebend" und "Scheidung wurde nicht eingereicht" an. Einen Familienzuschlag zum Arbeitslosengeld bezog die Beschwerdeführerin nicht.

Am 3. März 1997 beantragte die Beschwerdeführerin Notstandshilfe. Sie gab als Familienstand diesmal nur "getrennt" und in der Spalte für die Eintragung im gemeinsamen Haushalt lebender oder solcher Angehöriger, für die der Antragsteller sorgt, ihren Ehegatten ohne Beifügung einer Adresse an. Vom Prüfer wurde vermerkt, dass "keine Scheidung anhängig" und die Beschwerdeführerin zur Beibringung einer Lohnbescheinigung des Ehegatten für die Monate Dezember 1996 bis Februar 1997 aufgefordert worden sei.

Nach der Lohnbescheinigung des Arbeitgebers des Ehegatten der Beschwerdeführerin, einer Versicherungsgesellschaft, war der Ehegatte der Beschwerdeführerin, als dessen Wohnadresse die Anschrift der Beschwerdeführerin in Graz angegeben war, seit 1988 als Außendienstangestellter im Betrieb beschäftigt. Er hatte während des Auskunftszeitraumes eine schwankende Entlohnung von netto S 59.501,50 (Dezember 1996), S 48.467,38 (Jänner 1997) und S 24.291,34 (Februar 1997) erhalten.

Mit Bescheid vom 2. April 1997 wies die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Graz den Antrag auf Notstandshilfe ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Ehegatte der Beschwerdeführerin verfüge über ein Einkommen, welches unter Berücksichtigung der gesetzlichen Bestimmungen den Bezug der Notstandshilfe ausschließe.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe seit ihrem 14. Lebensjahr Beiträge entrichtet und nehme nun zum ersten Mal "Geld der Öffentlichkeit" in Anspruch. Von ihrem Ehegatten lebe sie seit 1991 getrennt. Sie wolle nicht "dafür büßen", dass er mehr verdiene als dem Arbeitsmarktservice recht sei. Die Beschwerdeführerin habe Zahlungsverpflichtungen, denen sie monatlich nachkommen müsse, widrigenfalls sie auf der Straße stünde. Selbst wenn sie ihren Ehegatten klagen würde, würde es Monate dauern, bis das Finanzielle geregelt sei.

In einem ergänzenden Schriftsatz brachte die Beschwerdeführerin - nun unter Bezugnahme auf § 2 Abs. 2 der Notstandshilfeverordnung - vor, zwischen ihr und ihrem Ehegatten bestehe kein gemeinsamer Haushalt. Wie aus dem beigefügten Meldezettel vom 24. März 1991 zu sehen sei, wohne ihr Ehegatte an einer näher bezeichneten Adresse in Haselsdorf. Es sei zwar richtig, dass er auch noch an der Adresse der Beschwerdeführerin gemeldet sei, der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen liege aber ganz eindeutig an seinem Wohnsitz in Haselsdorf. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe "seine Postadresse aus rechtlichen Überlegungen noch nicht geändert", was aber "kein Beweis" für den aufrechten Bestand des ehelichen Haushaltes sei. Als Beweis für die Auflösung des gemeinsamen Haushaltes biete die Beschwerdeführerin die beigefügte schriftliche Erklärung ihres Ehegatten an. Außerdem sei die Tatsache der Trennung bei den Nachbarn ihres Ehegatten in Haselsdorf bekannt.

Nach dem dieser Eingabe in Kopie angeschlossenen Meldezettel des Ehegatten der Beschwerdeführerin handelte es sich bei dessen Anschrift in Haselsdorf nicht um den "ordentlichen Wohnsitz". Unter "allfällige weitere Wohnsitze" war im Meldezettel die Anschrift der Beschwerdeführerin in Graz angeführt.

In der mit dem Schriftsatz weiters vorgelegten handschriftlichen Erklärung des Ehegatten der Beschwerdeführerin führte dieser aus, er lebe "seit Jahren" von ihr getrennt und führe seinen eigenen Haushalt. Da seine Gattin "seit Kindheit" verdient habe, hätten sie eine Ehe gelebt, in der jeder für sich selbst aufgekommen sei. Eine Unterstützung der Beschwerdeführerin sei ihm aus näher dargestellten finanziellen Gründen nicht möglich. In den Ausführungen zu diesem Thema und dazu, wie er sich "über Wasser halte", nahm der Ehegatte der Beschwerdeführerin auch auf den "Holzverschlag", wo er wohne und auch gemeldet sei, Bezug.

Die belangte Behörde nahm von weiteren Ermittlungen Abstand und gab der Berufung der Beschwerdeführerin mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Die Beweiswürdigung, auf die die belangte Behörde dabei die für die Einkommensanrechnung erforderliche Annahme eines gemeinsamen Haushaltes stützte, lautet ungekürzt wie folgt:

"Sie bestreiten in Ihrer Berufung das Vorliegen eines

gemeinsamen Haushaltes. Aus dem beigelegten Meldezettel Ihres

Gatten, mit dem Sie nach wie vor in aufrechter Ehe leben und auch

kein Scheidungsverfahren anhängig ist, geht hervor, dass er zwar

seit 24.3.1995 (könnte auch 1991 heißen) in ... Haselsdorf ...

gemeldet ist. Dies ist jedoch nicht sein ordentlicher Wohnsitz,

sondern die ... (Anschrift der Beschwerdeführerin in) Graz, die als

allfälliger weiterer Wohnsitz eingetragen ist und nicht als ordentlicher Wohnsitz angegeben wurde.

Dies geht auch aus der vom Arbeitgeber Ihres Ehegatten ausgestellten Lohnbescheinigung hervor, in der Ihr Ehegatte nach wie vor als in '8041 Graz, ... (Anschrift der Beschwerdeführerin) ...' wohnhaft angeführt ist.

Aufgrund dieser Beweisergebnisse ist davon auszugehen, dass Ihr Gatte nach wie vor mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt lebt."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

§ 2 Abs. 2 der insoweit auf § 36 Abs. 2 AlVG beruhenden Notstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 352/1973, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 388/1989, lautet:

"(2) Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen."

Die belangte Behörde hat keine vorübergehende Abwesenheit des Ehegatten der Beschwerdeführerin festgestellt und ist auch nicht davon ausgegangen, die Hausgemeinschaft sei nur zum Zweck einer Vermeidung der Einkommensanrechnung aufgegeben worden. Sie hat - gestützt auf die oben wiedergegebene Beweiswürdigung - angenommen, die Beschwerdeführerin und ihr Ehegatte lebten "nach wie vor" im gemeinsamen Haushalt (vgl. zur Anrechnungsvoraussetzung eines gemeinsamen Haushaltes zwischen Ehegatten zuletzt etwa das Erkenntnis vom 17. Februar 1998, Zl. 96/08/0342; aus der früheren Judikatur etwa die Erkenntnisse vom 26. September 1989, Zl. 88/08/0116, vom 7. Juli 1992, Zlen. 92/08/0021, 0022, vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0019, und vom 16. März 1993, Zlen. 92/08/0177, 0179).

Die Begründung dieser Annahme im angefochtenen Bescheid entspricht schon deshalb nicht dem Gesetz, weil sich die belangte Behörde über die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Erklärung ihres Ehegatten, wonach er von ihr seit Jahren getrennt lebe, stillschweigend hinweggesetzt hat. Diese von der Beschwerdeführerin vorgelegte Erklärung kommt im angefochtenen Bescheid - auch in der Darstellung des Schriftsatzes, mit dem die Beschwerdeführerin "einen Meldezettel" ihres Ehegatten vorgelegt habe - nicht vor. Die völlige Nichtbeachtung eines Ermittlungsergebnisses, dessen Würdigung für das Verfahrensergebnis von ausschlaggebender Bedeutung sein kann, lässt die Beweiswürdigung der belangten Behörde als unschlüssig erscheinen und belastet den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel. Ein solcher liegt im vorliegenden Fall auch darin, dass die belangte Behörde über die tatsächliche Gestaltung des von ihr angenommenen Zusammenlebens der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten oder darüber, dass derartige Feststellungen mangels ausreichender Mitwirkung der Beschwerdeführerin nicht möglich seien, keinerlei nähere Feststellungen getroffen hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde - worauf angesichts der Ausführungen in der Gegenschrift hinzuweisen ist - unter anderem zu berücksichtigen haben, dass die Beschwerdeführerin ihren Ehegatten im Antrag auf Notstandshilfe nicht ohne Weiteres als "im gemeinsamen Haushalt lebend" angeführt, sondern sich ausdrücklich als (von ihm) "getrennt lebend" bezeichnet hat, und dass dies - unter Angabe der von der Adresse der Beschwerdeführerin verschiedenen Wohnadresse ihres Ehegatten in Haselsdorf - schon im Antrag auf Arbeitslosengeld der Fall gewesen war, wo die Beschwerdeführerin aus einer solchen Behauptung keinen Vorteil ziehen konnte. Zu berücksichtigen wird weiters sein, dass ein gezielt auf das Fehlen eines "gemeinsamen Haushaltes" abstellendes Vorbringen erst im Ergänzungsschriftsatz zur Berufung erstattet wurde, eine ausdrückliche Erwähnung der getrennten Lebensführung aber - noch ohne Bezugnahme auf die Entscheidungswesentlichkeit dieses Umstandes - schon in der Berufung enthalten gewesen war. In Bezug auf die in der Lohnbescheinigung aufscheinende Anschrift des Ehegatten der Beschwerdeführerin wird der Umstand, dass bei Begründung dieses Dienstverhältnisses die eheliche Lebensgemeinschaft auch nach den Angaben der Beschwerdeführerin noch aufrecht war und der Ehegatte der Beschwerdeführerin seine "Postadresse" nach der Trennung beibehalten haben soll, in die Abwägung einzubeziehen sein. Überhaupt wird sich die belangte Behörde - gegebenenfalls auch durch Erhebungen an Ort und Stelle, wie sie von der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Nachbarn ihres Ehegatten angeregt worden waren - in redlicher Weise darum zu bemühen haben, sich von den entscheidungswesentlichen Tatsachen ein vollständiges Bild zu machen. Dass die Beschwerdeführerin nicht bereit sei, daran in der erforderlichen Weise mitzuwirken, lässt der bisherige Verfahrensverlauf nicht erkennen.

In der Gegenschrift führt die belangte Behörde noch aus, die Beschwerdeführerin hätte "selbst unter der Prämisse, dass die Hausgemeinschaft aufgehoben ist, einen Unterhaltsanspruch". Dies wird von der belangten Behörde mit der Bemerkung verbunden, es sei "daher zunächst die Aufgabe des Ehegatten, den Lebensunterhalt des Ehepartners abzudecken und nicht, diese Verpflichtung auf die öffentliche Hand abzuwälzen".

Diese Ausführungen scheinen auf der fehlerhaften Annahme zu beruhen, bei der Notstandshilfe handle es sich um eine mildtätige Zuwendung der "öffentlichen Hand" und nicht um eine Versicherungsleistung, der - im Fall der Beschwerdeführerin langjährige - Beitragsleistungen zugrunde liegen. Die belangte Behörde verkennt aber auch, dass nach der hier anzuwendenden Rechtslage Unterhaltszahlungen des getrennt lebenden Ehegatten auf die Notstandshilfe gar nicht anzurechnen wären (vgl. dazu das Erkenntnis vom 16. März 1999,Zl. 97/08/0554). Auf diesen Gesichtspunkt wird sich eine neuerliche Abweisung der Berufung im fortgesetzten Verfahren daher nicht stützen lassen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 29. März 2000

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