VwGH 97/03/0081

VwGH97/03/00815.7.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Gruber und Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde des JP in M, vertreten durch Dr. Johann Buchner & Mag. Ingeborg Haller, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Paris-Lodron-Straße 17/1/14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 3. Februar 1997, Zl. UVS-3/3824/2-1997, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
StVO 1960 §18 Abs1;
VStG §31 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
StVO 1960 §18 Abs1;
VStG §31 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §32 Abs2;
VStG §44a Z1;
VStG §44a Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Abspruches über die Verwaltungsübertretung nach § 18 Abs. 1 StVO 1960 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und hinsichtlich des Abspruches über die Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Gegen den Beschwerdeführer erging folgendes Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg vom 3. Mai 1996 (Spruchteile gemäß § 44a Z. 1 bis 3 VStG):

"1. Sie haben am 14.07.1994 um 23.40 Uhr als Lenker des PKWs, Kennzeichen, keinen solchen Abstand vom nächsten vorausfahrenden Fahrzeug auf der Gemeindestraße auf Höhe des Hauses Sampl in Muhr Nr. 17 in Muhr eingehalten, dass Ihnen jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich war. Sie übersahen auf Höhe des Hauses Vordermuhr 17 den auf der rechten Fahrbahnseite zum Abbiegen angehaltenen PKW des deutschen Staatsangehörigen JB, Kennzeichen (D) und fuhren diesem von hinten auf, wobei beide Fahrzeuge beschädigt worden sind.

2. Sie haben sich am 14.07.1994 um 00.30 Uhr in St. Michael/Lg. trotz Aufforderung durch ein ermächtigtes Organ der Straßenaufsicht geweigert, die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl vermutet werden konnte, dass Sie sich beim vorhergehenden Lenken des Fahrzeuges auf der Gemeindestraße auf Höhe des Hauses Sampl in Muhr in Fahrtrichtung Hintermuhr in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden haben.

Dadurch übertretene Verwaltungsvorschriften, verhängte Strafen und entstandene Verfahrenskosten:

1. Übertretung gemäß

§ 18 (1) Straßenverkehrsordnung

Geldstrafe gemäß

§ 99 (3) a Straßenverkehrsordnung 1.500,00 S

Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Tage

2. Übertretung gemäß

§§ 99 (1) b und 5 (2) Straßenverkehrsordnung

Geldstrafe gemäß

§ 99 (1) b Straßenverkehrsordnung 10.000,00 S

Ersatzfreiheitsstrafe: 10 Tage

..."

Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass der "vorgeworfene Tattag zu Spruchteil 2) '15.07.1994' zu lauten hat".

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der mit "Hintereinanderfahren" überschriebene § 18 StVO 1960 bestimmt im Abs. 1, dass der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten hat, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

Tatbestandsmerkmal für eine Verwaltungsübertretung nach § 18 Abs. 1 StVO 1960 ist somit (auch), dass zu einem vorausfahrenden Fahrzeug ("... vor ihm fahrenden Fahrzeug ...") der im Gesetz umschriebene Sicherheitsabstand nicht eingehalten wird. Das Auffahren auf ein angehaltenes (oder überhaupt abgestelltes) Fahrzeug erfüllt nicht den Tatbestand des § 18 Abs. 1 StVO 1960, wenn sich dieser Vorgang nicht im Zuge eines "Hintereinanderfahrens" (vgl. die Paragraphenüberschrift) ereignet hat.

Die Begründungen sowohl des angefochtenen Bescheides als auch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses enthalten keine Ausführungen darüber, ob es sich um ein im dargestellten Sinn vorausfahrendes Fahrzeug gehandelt habe, gegenüber dem der vom Gesetz geforderte Abstand nicht eingehalten worden sei. Auch in der Anzeige heißt es lediglich, der Beschwerdeführer "übersah", dass der Unfallgegner "mit seinem Pkw auf der rechten Fahrbahnseite zum Abbiegen angehalten hatte und fuhr diesem von hinten auf".

Schon in diesem Verstoß gegen die Begründungspflicht gemäß §§ 58 Abs. 2 und 60 i.V.m. § 67 AVG liegt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides - soweit damit der Spruchpunkt 1 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bestätigt wurde - infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG, weil die belangte Behörde bei Einhaltung derselben zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Die Beschwerde ist aber auch hinsichtlich des durch den angefochtenen Bescheid rezipierten Spruchpunktes 2 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses begründet.

Das Beschwerdevorbringen geht zunächst dahin, dass die belangte Behörde als Tatzeitpunkt den 15. Juli 1994, 00.30 Uhr, angenommen habe, obwohl während des gesamten Verfahrens als Tatzeitpunkt der Verweigerung der 14. Juli 1994 angeführt worden sei. In rechtlicher Hinsicht folgert der Beschwerdeführer daraus, dass Verfolgungsverjährung eingetreten sei, weil hinsichtlich der von der belangten Behörde angenommenen Tatzeit eine Verfolgungshandlung innerhalb der Verjährungsfrist nicht stattgefunden habe.

Die belangte Behörde bringt in ihrer Gegenschrift dazu vor, die Berichtigung der Tatzeit auf 15. Juli 1994, 00.30 Uhr, habe von Amts wegen deswegen erfolgen müssen, weil die fälschliche Anführung der Tatzeit mit 14. Juli 1994, 00.30 Uhr, auf Grund eines offensichtlichen Schreibfehlers des anzeigelegeneden Beamten erfolgt sei, der sich leider auch im erstinstanzlichen Verfahren fortgesetzt habe. Vom Beschwerdeführer selbst sei nicht bestritten worden, dass sich der dem Alkomattest vorangegangene Verkehrsunfall am 14. Juli 1994 um 23.40 Uhr (also kurz vor Mitternacht) ereignet habe. Bereits aus der Anzeige, die dem Beschwerdeführer anlässlich der ersten Verfolgungshandlung am 12. August 1994 vorgehalten worden sei und in die in weiterer Folge auch der Vertreter des Beschwerdeführers Einsicht genommen habe, ergebe sich eindeutig, dass die ihm vorgeworfene Alkomattestverweigerung unmittelbar im Anschluss an die Unfallaufnahme um 00.30 Uhr während der Fahrt zum Gendarmerieposten St. Michael erfolgt sei. Es habe sich somit für den Beschwerdeführer schon damals unzweifelhaft ergeben, dass es sich bei der Tatzeit der Alkomattestverweigerung um den 15. Juli 1994, 00.30 Uhr, und nicht um den 14. Juli 1994, 00.30 Uhr, (einen Zeitpunkt, der 23 Stunden vor dem Unfall gelegen wäre) gehandelt haben müsse.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 27. Juni 1984, Slg. Nr. 11.478/A, ausgesprochen hat, kann der Umstand, dass bei der Angabe der Tatzeit im Spruch eines im Instanzenzug bestätigten Straferkenntnisses ein Schreibfehler unterlaufen sein mag, keine berichtigende Auslegung des Schuldspruches zu Lasten des Beschuldigten (Verurteilten) bewirken. Die im Erkenntnis vom 14. März 1977, Slg. Nr. 9273/A, zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung, bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines - im Instanzenzug getroffenen - Schuldspruches sei eine auf einem für jedermann erkennbaren Schreibfehler beruhende unrichtige Angabe der Tatzeit unter dem Blickwinkel der Vorschrift des § 44a lit. a VStG 1950 (nunmehr: § 44a Z. 1 VStG) unerheblich, vermochte der Verwaltungsgerichtshof nicht aufrecht zu halten.

Von dieser Rechtsprechung (neuerlich in einem verstärkten Senat) abzugehen, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst.

Da die Verfolgungshandlung gegen einen Beschuldigten das ihm zur Last gelegte Handeln unter Berücksichtigung sämtlicher gemäß § 44a Z. 1 VStG in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmenden Tatbestandselemente der verletzten Verwaltungsvorschrift gemäß § 44a Z. 2 VStG näher konkretisieren und individualisieren muss (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1989, Zl. 87/17/0152, und die dort zitierte Vorjudikatur), ist aus der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes im Sinne des zitierten Erkenntnisses vom 27. Juni 1984 für den Beschwerdefall zu folgern, dass auch eine Verfolgungshandlung einer "berichtigenden" Auslegung (mag, wie im Beschwerdefall, bei der Angabe der Tatzeit auch ein Schreibfehler unterlaufen sein) nicht zugänglich ist.

Da somit die von der belangten Behörde spruchgemäß als erwiesen angenommene Tat hinsichtlich der Tatzeit nicht Gegenstand einer im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG tauglichen Verfolgungshandlung war, ist der Beschwerdeführer mit der von ihm erhobenen Verjährungseinrede im Recht.

Schon im Hinblick auf die Nichtbeachtung der Bestimmungen über die Verfolgungsverjährung ergibt sich - soweit damit der Spruchpunkt 2 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses bestätigt wurde - die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides.

Der angefochtene Bescheid war daher wie im Spruch ersichtlich gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 und Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 5. Juli 2000

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