Normen
ARB1/80 Art7;
AufG 1992;
FrG 1993 §17 Abs1;
ARB1/80 Art7;
AufG 1992;
FrG 1993 §17 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die vorliegende Beschwerde ist gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 11. Juli 1996 gerichtet, mit dem der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsbürger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen wurde.
Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich der Beschwerdeführer zuletzt bis zum 14. Februar 1996 auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe; seit dem 15. Februar 1996 sei sein Aufenthalt im Bundesgebiet rechtswidrig. Die österreichische Rechtsordnung messe der Beachtung der fremdengesetzlichen Vorschriften ein solches Gewicht bei, dass selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwer wiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliege. Der Vater des Beschwerdeführers sowie sein Bruder hielten sich rechtmäßig in Österreich auf. Obgleich diese familiären Bindungen bestünden, sei dennoch die Ausweisung des Beschwerdeführers zu verfügen, weil er auf Grund seines seit dem 15. Februar 1996 währenden illegalen Aufenthaltes in Österreich gegen die österreichische Rechtsordnung, insbesondere die gesetzlichen Bestimmungen, die den Aufenthalt von Fremden in Österreich regeln, verstoßen habe.
In der Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 FrG sind Fremde mit Bescheid auszuweisen, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten; hiebei ist auf § 19 Bedacht zu nehmen. Nach letzterer Bestimmung ist eine Ausweisung, durch welche in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Die Beschwerde hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil zumindest seit dem 10. Februar 1996 ein durchgehend vierjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich gegeben sei. Der angefochtene Bescheid widerspreche dem Assoziationsratsbeschluss EWG-Türkei Nr. 1/80. Auch sei die Ausweisung des Beschwerdeführers nicht gemäß § 19 FrG dringend geboten, weil der Beschwerdeführer durch seinen Vater vollkommen abgesichert sei und er den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich habe. Die belangte Behörde habe die durch § 19 FrG gebotene Interessensabwägung nur ansatzweise durchgeführt.
Nach der Aktenlage war der Beschwerdeführer in Österreich auf Grund eines zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Fremden erteilten Sichtvermerks mit der Gültigkeit vom 7. September 1992 bis zum 3. Februar 1994 und auf Grund zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Fremden erteilter Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz mit der Gültigkeit vom 9. Dezember 1993 bis zum 14. Februar 1996 zum Aufenthalt berechtigt. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren auch vorgebracht, dass sein Vater seit 1988 in Österreich lebe und arbeite. Für seinen Lebensunterhalt sorge seit seiner Einreise sein Vater, der bei einer namentlich angeführten Firma beschäftigt sei.
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) lautet:
"Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
- haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
- haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben."
Das in Art. 7 ARB anerkannte Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, beinhaltet notwendigerweise die Anerkennung eines Aufenthaltsrechts (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1998, Zl. 97/09/0009, mwN). Die Begriffe der "Familienangehörigen" und "Kinder" enthalten keine altersmäßige Begrenzung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Oktober 1999, Zl. 97/09/0019, mwN).
Mit Erteilung des zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Fremden, also der Familiengemeinschaft mit seinem Vater ausgestellten Sichtvermerks vom 7. September 1992 hat der Beschwerdeführer im Sinn des Art. 7 ARB die Genehmigung erhalten, zu seinem Vater zu ziehen. Der Beschwerdeführer hat nach Erteilung dieser Bewilligung mehr als drei Jahre bei seinem Vater in Österreich gewohnt und war dazu auch auf Grund weiterer ihm erteilter Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz berechtigt. Aktenkundig ist auch das Angebot eines österreichischen Dienstgebers, den Beschwerdeführer zu beschäftigen.
Die belangte Behörde hat daher die Rechtslage verkannt, indem sie sich ungeachtet der Tatsache, dass die Gültigkeit der dem Beschwerdeführer erteilten Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz abgelaufen war, nicht mit der Frage beschäftigte, ob der Beschwerdeführer nicht trotz dieses Umstandes schon auf Grund des Art. 7 erster Gedankenstrich ARB als Familienangehöriger eines gemäß Art. 6 Abs. 1 leg. cit. dem regulären Arbeitsmarkt angehörigen türkischen Arbeitnehmers (seines Vaters) zum Aufenthalt berechtigt, und daher seine Ausweisung im Grund des § 17 Abs. 1 FrG unzulässig war.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 1. August 2000
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)