VwGH 96/08/0262

VwGH96/08/026220.12.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des M in P, vertreten durch Philipp & Partner, Rechtsanwälte und Strafverteidiger OEG in Mattersburg, Brunnenplatz 5c, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Burgenland vom 9. August 1996, Zl. LGS-IV/1241-2/1996, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §914;
AlVG 1977 §11;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12;
AlVG 1977 §18 Abs8;
AlVG 1977 §9 Abs1;
ABGB §914;
AlVG 1977 §11;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12;
AlVG 1977 §18 Abs8;
AlVG 1977 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.340,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 2. Mai 1996 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberwart Arbeitslosengeld und legte eine Arbeitsbescheinigung der K.- Polstermöbel GmbH vor, wonach er bei dieser vom 17. August 1995 bis zur Lösung im beiderseitigen Einverständnis zum 30. April 1996 ("arbeitsrechtliches Ende des Dienstverhältnisses") als Lkw-Chauffeur beschäftigt gewesen sei. Vor diesem Dienstverhältnis war der Beschwerdeführer etwa 15 Jahre lang bei einem anderen Dienstgeber beschäftigt gewesen.

Weiters legte der Beschwerdeführer eine zwischen ihm und der K.-Polstermöbel GmbH abgeschlossene "Vereinbarung-Aussetzungsvertrag-Wiedereinstellungszusage" vom 30. April 1996 vor, in der Folgendes vereinbart worden war:

"1. Die derzeit ungünstige Auftrags- und Beschäftigungslage erzwingt leider die vorübergehende Beendigung Ihrer Beschäftigung. Wir bieten Ihnen daher die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 1.05.1996 an.

2. Gleichzeitig bieten wir Ihnen die Wiedereinstellung zu den gleichen Bedingungen, die vor der Auflösung bestanden haben (unter Berücksichtigung einer etwaigen KV-Änderung) bis 10.06.1996 an. Aus der derzeitigen Sicht rechnen wir mit einer maximale 5 Wöchigen Pause.

3. Bei Ausscheiden werden neben den laufenden Bezügen die noch offenen Sonderzahlungen anteilmäßig abgerechnet. Alle durch die einvernehmliche Auflösung entstehenden Entgeldansprüche, Abfertigung, sowie unverbrauchter Urlaub des Arbeitnehmers, werden dem Arbeitgeber gestundet.

4. Bei Wiedereintritt rechnen wir Ihnen die bisher zugebrachte Dienstzeit, für alle arbeitszeitabhängigen Ansprüche (Abfertigung, Weihnachtsremuneration, Entgeldfortzahlung, Urlaub) voll an und kann der offen gebliebene Urlaub ohne Wartezeit im beiderseitigen Einverständnis verbraucht werden.

5. Erklärt der Dienstnehmer während der Freistellung sein Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen zu wollen, werden alle seine Ansprüche wie bei einer Arbeitgeberkündigung sofort fällig.

6. Bei einer Insolvenz ist die Vereinbarung sofort nichtig, so als ob nie eine Vereinbarung gegeben hätte.

7. Diese Vereinbarung wird intergrierter Bestandteil eines allfälligen neu auszustellenden Dienstzettels."

Mit Schreiben vom 10. Mai 1996 ersuchte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberwart die belangte Behörde um Auskunft über den Aussetzungsvertrag der K.- Polstermöbel GmbH. Es werde um Mitteilung ersucht, "ob zu o.a. Aussetzungsverträgen (laut Angabe ca. 22 Mitarbeiter) die Zustimmung des Herrn Bundesministers vorliegt". In einem Aktenvermerk vom 13. Mai 1996 wurde festgehalten, laut Auskunft eines Mitarbeiters der belangten Behörde liege "keine Zustimmung des Herrn Bundesministers" vor.

Mit Bescheid vom 21. Mai 1996 gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberwart dem Antrag des Beschwerdeführers "mangels Arbeitslosigkeit" keine Folge. Dass er nicht arbeitslos sei, wurde dem Beschwerdeführer - im Anschluss an einige Gesetzeszitate - in der Bescheidbegründung wie folgt erklärt:

"Wie das Ermittlungsverfahren ergab, liegt in Ihrem Fall Arbeitslosigkeit nicht vor."

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer geltend, seine Entgeltansprüche, Abfertigung sowie unverbrauchter Urlaub seien gestundet worden. Weiters legte er Mitteilungen der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Mödling vor, mit denen zwei Arbeitskollegen des Beschwerdeführers, die gleichlautende Vereinbarungen mit der K.-Polstermöbel GmbH geschlossen hatten, das Arbeitslosengeld zuerkannt worden war.

Bei der belangten Behörde wurden nun Ermittlungen über die Leistungsgewährung an die Arbeitskollegen des Beschwerdeführers angestellt. In einem Aktenvermerk vom 27. Juni 1996 wurde festgehalten, es habe nicht festgestellt werden können, "ob Bewilligung des Bundesministeriums für die beiden Personen vorliegt". In einem langen Aktenvermerk vom 1. August 1996 wurde ausgeführt, es sei "festzuhalten, dass zur Aussetzung des Dienstverhältnisses" des Beschwerdeführers bei der K.- Polstermöbel GmbH "keine Zustimmung seitens des BMAS erteilt" worden sei. In näher beschriebenen Kontakten mit der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Mödling sei der Eindruck entstanden, dass auch hinsichtlich der Arbeitskollegen des Beschwerdeführers keine "Zustimmungserklärung zu dieser Aussetzung vom Dienstverhältnis seitens des Bundesministeriums" erteilt worden sei. Bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Mödling habe man sich an diesem Problem aber nicht interessiert gezeigt.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung dieser Entscheidung wurde dem Beschwerdeführer entgegengehalten, sein Dienstverhältnis sei nicht mit 30. April 1996 beendet, sondern es sei zwischen ihm und dem Dienstgeber "ein Aussetzungsvertrag für die Zeit vom 1.5.1996 bis 9.6.1996 vereinbart" worden. Es sei daher eine telefonische Anfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales erfolgt, ob seitens des Bundesministeriums die "Zustimmung zur Aussetzung des Dienstverhältnisses" erteilt worden sei. Gemäß der telefonischen Mitteilung des Bundesministeriums sei keine Zustimmung für die Aussetzung erteilt worden. Der Antrag des Beschwerdeführers sei "somit mangels Vorliegen von Arbeitslosigkeit" abgewiesen worden, "zumal" das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers zur K.- Polstermöbel GmbH dem Grunde nach aufrecht sei. Zum Inhalt der Vereinbarung vom 30. April 1996 sei in rechtlicher Hinsicht auszuführen, dass dem Beschwerdeführer danach die Wiedereinstellung zugesichert worden sei und ihm (gemeint wohl: dem Dienstgeber) "bis zu (seinem) Wiedereintritt alle Ansprüche (Urlaubs-, Abfertigungs-, Sonderzahlungsansprüche usw.) gestundet" worden seien. Von der Beendigung eines Dienstverhältnisses könne aber nur dann gesprochen werden, wenn die Endigungsansprüche abgewickelt worden seien und "jedenfalls" eine Abmeldung beim zuständigen Sozialversicherungsträger erfolgt sei. Aus der Vereinbarung vom 30. April 1996 gehe jedoch eindeutig hervor, dass das Dienstverhältnis bei Wahrung aller Ansprüche für die Zeit vom 1. Mai 1996 bis zum 9. Juni 1996 "unterbrochen" worden "und somit

dem Grunde nach ... aufrecht" gewesen sei. Hieran schlossen sich

in der Begründung des angefochtenen Bescheides noch folgende Ausführungen:

"Zu dem im gegenständlichen Fall verfahrensrelevanten Aussetzungsvertrag, den Sie mit Ihrem Dienstgeber, der K.- Polstermöbel Ges.m.b.H. am 30.4.1996 abgeschlossen haben, ist auszuführen, dass derartige Aussetzungsverträge der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bedürfen. Dies bedeutet, dass Ihr Dienstgeber verpflichtet gewesen wäre, noch vor Beginn der Aussetzung diese dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu melden und die Zustimmung des Bundesministers abzuwarten. Nur wenn die ausdrückliche Zustimmung des Bundesministers zur Aussetzung von Dienstverhältnissen erteilt wird, besteht für die Leistungswerber die Möglichkeit, auch während der Zeit der Aussetzung des Dienstverhältnisses Arbeitslosengeld für eben diesen Zeitraum zu beziehen.

Zum gegenständlichen Fall ist nunmehr festzuhalten, dass eine telefonische Anfrage beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ergeben hat, dass für die Aussetzung Ihres Dienstverhältnisses bei der K.-Polstermöbel Ges.m.b.H. keine Zustimmung seitens des Bundesministers erteilt wurde, sodass auch für die Zeit der Aussetzung, vom 1.5.1996 bis 9.6.1996, Arbeitslosigkeit nicht vorgelegen ist und Ihr Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes vom 2.5.1996 abzuweisen war."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Anspruch auf Arbeitslosengeld hat gemäß § 7 AlVG nur, wer (u.a.) arbeitslos ist. Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG ist nur arbeitslos, wer "nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses" keine neue Beschäftigung gefunden hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit dem Erfordernis der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses im Zusammenhang mit den sogenannten Aussetzungsvereinbarungen und den im Schrifttum dazu vertretenen Meinungen grundlegend in den Erkenntnissen vom 29. November 1984, Zl. 83/08/0083, Slg. Nr. 11.600/A, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0047, Slg. Nr. 13.723/A, auseinandergesetzt und davon ausgehend zuletzt in dem Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 98/08/0164, an der Ansicht festgehalten, durch die bloße Karenzierung eines Arbeitsverhältnisses, an das die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpfte, werde die Anspruchsvoraussetzung der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht erfüllt. Bei der Lösung der privatrechtlichen Vorfrage, ob eine Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses oder eine bloße Karenzierung vorliege, komme es auf den Inhalt der zwischen den Arbeitsvertragsparteien abgeschlossenen Vereinbarung an, die nach den Regeln der §§ 914 ff ABGB auszulegen sei. Dabei sei nicht nur auf den Gebrauch bestimmter Wendungen, wie z.B. die Bezeichnung des Vertrages als "Aussetzungsvertrag" oder die Verwendung des Wortes "Unterbrechung" oder "Wiederaufnahme des Dienstverhältnisses" abzustellen, sondern in erster Linie die Absicht der Parteien zu erforschen. Maßgeblich sei nicht so sehr die Wortwahl der Parteien, sondern die von ihnen bezweckte Regelung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen (vgl. in diesem Zusammenhang aus jüngerer Zeit auch die hg. Erkenntnisse vom 20. April 1993, Zl. 91/08/0184, vom 21. September 1993, Zl. 92/08/0157, vom 21. März 1995, Zl. 93/08/0126, und vom 26. Jänner 2000, Zl. 95/08/0153; in dem zuletzt genannten Erkenntnis auch die Bezugnahmen auf die neuere, im Wesentlichen auf die Entscheidung vom 15. Mai 1996, 9 Ob A 105/95, zurückgehende Rechtsprechung des OGH; diese und das Schrifttum dazu zusammenfassend RdW 1998, 468; aus der Rechtsprechung des OGH zuletzt etwa die Entscheidung vom 17. Mai 2000, 9 Ob A 82/00z; vgl. auch Brodil, DRdA 2000, 522 ff).

Ob die Absicht der Parteien auf eine bloße Karenzierung des Arbeitsverhältnisses gerichtet war, lässt sich regelmäßig nur an den Begleitumständen des Einzelfalles beurteilen (vgl. in diesem Sinn aus der neueren Rechtsprechung des OGH etwa dessen zuletzt erwähnte Entscheidung). Es bedarf - über die Feststellung des Wortlautes der von den Parteien des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Vereinbarung hinaus - einer Ermittlung der Umstände, unter denen die Vereinbarung zustande gekommen ist, und der Art ihrer Durchführung im Besonderen bei der Abwicklung des bisherigen Arbeitsverhältnisses (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 29. März 2000, Zl. 98/08/0164, mit weiteren Nachweisen).

Die belangte Behörde hat von derartigen Ermittlungen - im Besonderen also einer Befragung des Beschwerdeführers über die der Vereinbarung konkret zugrunde liegenden Umstände und den mit ihr verfolgten Zweck - abgesehen und sich ausgehend vom Text der Vereinbarung nur mehr mit der Frage beschäftigt, ob der nach Ansicht der belangten Behörde dafür zuständige Bundesminister der Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und der K.- Polstermöbel GmbH "zugestimmt" habe. Die Ergebnisse dieses Ermittlungsverfahrens sind für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht verwertbar, weil die Zustimmung eines Mitglieds der Bundesregierung keine Voraussetzung für die Deutung einer Vereinbarung als einer solchen über die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses und Letztere eine Anspruchsvoraussetzung ist, deren Fehlen auch durch eine derartige Zustimmung nicht ersetzt werden könnte.

Ginge man nur vom Text der vorliegenden Vereinbarung aus, so handelte es sich nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dies ergibt sich nicht nur aus der Textierung des ersten Punktes der Vereinbarung und der in Punkt 3. vorgesehenen anteilsmäßigen Abrechnung von Sonderzahlungen, sondern vor allem auch daraus, dass die gemäß Punkt 3. der Vereinbarung bloß gestundeten Ansprüche aus der einvernehmlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nach Punkt 5. der Vereinbarung durch eine Erklärung des Beschwerdeführers, das Arbeitsverhältnis nicht "fortsetzen" zu wollen, "wie bei einer Arbeitgeberkündigung sofort fällig" werden sollten. Das darin zum Ausdruck kommende - von weiteren Voraussetzungen unabhängige - Fehlen einer vertraglichen Bindung des Beschwerdeführers in Bezug auf die Wiederaufnahme der Beschäftigung bei der K.-Polstermöbel GmbH spricht nicht für die Annahme, die Vereinbarung habe auf eine bloße Karenzierung des Arbeitsverhältnisses abgezielt. Die den Beschwerdeführer für den Fall des Zustandekommens einer weiteren Beschäftigung begünstigende Regelung in Punkt 4. der Vereinbarung würde zu keinem gegenteiligen Ergebnis führen (vgl. insoweit das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Zl. 92/08/0047, Slg. Nr. 13.723/A). Sollte sich aus den Begleitumständen nichts anderes ergeben, so wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren daher davon auszugehen haben, dass das Beschäftigungsverhältnis des Beschwerdeführers - der der Aktenlage nach bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet worden war - beendet war und die K.- Polstermöbel GmbH in der vom Beschwerdeführer vorgelegten Arbeitsbescheinigung nicht wahrheitswidrig bestätigte, das Dienstverhältnis habe am 30. April 1996 geendet.

Da die belangte Behörde keine zweckdienlichen Ermittlungen gepflogen und den maßgeblichen Sachverhalt nicht festgestellt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Dezember 2000

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