Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 14. September 1988 anerkannte die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt den Unfall des Beschwerdeführers (beim Äpfelpflücken im landwirtschaftlichen Betrieb seiner erkrankten Ehegattin) vom 4. November 1987 gemäß §§ 175 und 176 ASVG als Arbeitsunfall. Ein Anspruch auf Versehrtenrente wurde gemäß § 203 ASVG abgelehnt. Nach der Begründung habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass der Beschwerdeführer wegen verschiedener Leidenszustände bereits vor dem Unfall auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr erwerbsfähig gewesen sei. Durch den Unfall habe daher keine Minderung der Erwerbsfähigkeit mehr bewirkt werden können.
Der Bescheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Am 16. September 1992 und am 27. Oktober 1992 stellte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf eine Verschlimmerung der Unfallfolgen neuerlich Anträge auf Gewährung einer Versehrtenrente.
Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt wies diese Anträge mit Bescheid vom 26. November 1992 wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt 1); das Begehren auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG wurde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt 2).
Gegen die Ablehnung des Antrages auf Gewährung einer Versehrtenrente erhob der Beschwerdeführer Klage beim Landesgericht R. Das Gericht wies die Klage mit Beschluss vom 24. März 1993 als unzulässig zurück, weil die Sache nicht auf den Rechtsweg gehöre. Lehne der Versicherungsträger die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG ab, liege eine Verwaltungssache vor. Gegen die Ablehnung des Begehrens auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes erhob der Beschwerdeführer Einspruch an den Landeshauptmann von Oberösterreich. Dieser wies den Einspruch mit Bescheid vom 6. Mai 1993 gleichfalls als unzulässig zurück; seiner Ansicht nach liege eine Leistungssache vor.
Unter Hinweis auf diese Entscheidungen machte der Beschwerdeführer beim Verfassungsgerichtshof einen negativen Kompetenzkonflikt zwischen Gericht und Verwaltungsbehörde geltend. Mit Erkenntnis vom 25. Juni 1994, K I-5/93, stellte der Verfassungsgerichtshof die Zuständigkeit des Landeshauptmannes zur Entscheidung über den Einspruch des Beschwerdeführers fest; der entgegenstehende Bescheid vom 6. Mai 1993 wurde aufgehoben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt 2 des Bescheides der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt vom 26. November 1992 keine Folge gegeben und deren Bescheid bestätigt.
Nach der Begründung sei im gegenständlichen Verfahren entscheidend, ob dem Bescheid der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt vom 14. September 1988, mit dem ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Versehrtenrente abgelehnt worden sei, ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen zu Grunde liege. Dieser Entscheidung seien zwei "amtliche Gutachten" der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter aus Vorverfahren zu Grunde gelegt worden: Im Gutachten vom 19. Oktober 1982 (zum Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung einer Invaliditätspension) sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer für eine geregelte mittelschwere Arbeit auf dem Arbeitsmarkt nicht belastbar sei. Da vorübergehende Invalidität vorliege, sei er als Maurer arbeitsunfähig. Im Rahmen einer Nachuntersuchung am 30. Oktober 1984 sei ausgeführt worden, dass eine Verschlechterung gegenüber dem Vorgutachten (vorwiegend des kardialen Befundes) eingetreten sei. Der Beschwerdeführer sei weiterhin für keine geregelte Tätigkeit mehr verwendungsfähig. Eine Frist für eine Nachuntersuchung sei nicht angeordnet worden.
Auf Grund des Unfalles im landwirtschaftlichen Betrieb der Ehegattin am 4. November 1987 sei von der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt keine ärztliche Begutachtung mehr vorgesehen worden. Dabei habe es sich um kein Versehen gehandelt. Diese Vorgangsweise habe der zum Entscheidungszeitpunkt gängigen Spruchpraxis des OLG Wien entsprochen. Nach dieser Judikatur sei im Rahmen der Unfallversicherung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der Beeinträchtigung der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, sohin nach einem generellen Maßstab, zu beurteilen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Unfallversicherung sei folglich nur dann denkbar, wenn Erwerbsfähigkeit, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, vorhanden gewesen sei (SV-Slg. 32.896 und 35.034). Aus den zitierten Gutachten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter sei eindeutig hervorgegangen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seines Antrages auf Gewährung einer Versehrtenrente auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr einsetzbar gewesen sei und somit nach der damaligen Spruchpraxis keine Erwerbsminderung mehr habe erleiden können. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt habe erstmals im Jahr 1990 durch die Entscheidung des OGH vom 25. September 1990, 10 Ob S 318/90 = SSV-NF 4/122,von der neuen Spruchpraxis Kenntnis erlangt, wonach auch in derartigen Fällen geprüft werde, ob zum Zeitpunkt des (neuerlichen) Arbeitsunfalles noch eine Resterwerbsfähigkeit vorhanden gewesen sei. Eine frühere Kenntnis der Judikatur sei auf Grund des Umstandes, dass diese jährlich erst im Nachhinein veröffentlicht werde, objektiv nicht zumutbar. Eine geänderte Rechtsprechung berechtige im Übrigen nicht zur Anwendung des § 101 ASVG. Die vom Vertreter des Beschwerdeführers vorgelegte Entscheidung des OLG Wien vom 24. Oktober 1983, 32 R 147/83 = SSV-NF 23/112, zum Beweis dafür, dass sich aus dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitspension nicht unbedingt die Annahme ableiten lasse, dass kein Rest einer minderbaren Erwerbsfähigkeit vorhanden sei, sei für den Erfolg seines Standpunktes nicht geeignet. Bei dieser Entscheidung handle es sich um einen Fall, in dem der Kläger vor dem Unfall offensichtlich eine Berufserwerbsunfähigkeitspension gemäß § 124 Abs. 2 BSVG in der damaligen Fassung bezogen habe. Im Beschwerdefall liege daher weder ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt noch ein offenkundiges Versehen des Versicherungsträgers bei Erlassung des Bescheides vom 14. September 1988 vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Auch die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen die Auffassung vertreten, die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt hätte vor Erlassung des Bescheides vom 14. September 1988 ein ärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einholen müssen. Aus dem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitspension habe sich bereits nach der damaligen Rechtsprechung (OLG Wien vom 24. Oktober 1983, SSV-NF 23/112) nicht unbedingt die Annahme ableiten lassen, dass kein Rest einer minderbaren Erwerbsfähigkeit mehr vorhanden sei. Unter Berufung auf diese Entscheidung habe der Oberste Gerichtshof diese Judikatur nahtlos fortgesetzt (OGH vom 25. September 1990, SSV-NF 4/117, sowie SSV-NF 4/122). Der Beschwerdeführer könne im Übrigen nur dann einen Arbeitsunfall erleiden, wenn er einer gewissen Erwerbstätigkeit nachkomme. Aus diesen Gründen liege sowohl ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt als ein offenkundiges Versehen der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt im Sinne des § 101 ASVG vor.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer nicht im Recht.
Gemäß dem nach § 148 BSVG in der damaligen Fassung anwendbaren § 101 ASVG ist dann, wenn sich nachträglich ergibt, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.
Ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann vor, wenn der Sozialversicherungsträger unbewusst Sachverhaltsmerkmale angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmen (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 18. März 1997, Zl. 96/08/0079, und vom 29. Juni 1999, Zl. 97/08/0588). Es darf sich nicht um einen Irrtum über den anzuwendenden Rechtssatz, also nicht um einen Rechtsirrtum handeln (vgl. Teschner/Widlar, Allgemeine Sozialversicherung, Anm. 3 zu § 101).
Versehen bedeutet mangelnde Sorgfalt, die sich sowohl auf die Ermittlung des Sachverhaltes wie auch auf die rechtliche Beurteilung beziehen, also auch einen Rechtsirrtum bedeuten kann. Ein offenkundiges Versehen liegt aber nur dann vor, wenn eine klare und eindeutige gesetzliche Bestimmung unrichtig ausgelegt wurde und dies redlicher Weise nicht bestritten werden kann (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 22. Oktober 1996, Zl. 96/08/0057; ferner Teschner/Widlar, aaO, Anm. 4 zu § 101).
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt nur mangelnde Sorgfalt bei der rechtlichen Beurteilung seines Antrages auf Gewährung einer Versehrtenrente vorwerfen könnte. Dass sie unbewusst Sachverhaltsmerkmale angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten, ist nicht ersichtlich.
Bestand im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles bereits eine gänzliche Erwerbsunfähigkeit des Versicherten, so durfte der Versicherungsträger auf Grund der auch vom Beschwerdeführer zitierten Rechtsprechung davon ausgehen, dass eine weitere Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht anzunehmen sei.
Auf dem Boden der wiedergegebenen Rechtslage erweist sich daher die Auffassung der belangten Behörde, der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt könne kein offenkundiges Versehen bei der rechtlichen Beurteilung des Antrages des Beschwerdeführers auf Gewährung einer Versehrtenrente vorgeworfen werden, nicht als rechtswidrig. Ob die Auffassung der Sozialversicherungsanstalt der damaligen Rechtslage in jeder Hinsicht entsprochen hat, ist im Rahmen eines Antrages nach § 101 ASVG nicht zu prüfen.
Dem Beschwerdeführer ist auch nicht zu folgen, wenn er die Auffassung vertritt, jemand könne nur dann einen Arbeitsunfall erleiden, wenn er einer gewissen Erwerbstätigkeit nachkomme. In einem land- oder fortwirtschaftlichen Betrieb gelten nämlich gemäß § 175 Abs. 3 Z. 1 ASVG als Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich bei der Arbeit im Haushalt des Betriebsinhabers ereignen. Ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht hingegen gemäß § 203 Abs. 1 ASVG nur, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder eine Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v. H. vermindert ist.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. September 2000
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