Normen
ADNSchV §1 Abs1 idF 1962/032;
ADNSchV §1 Abs2;
ADNSchV §105 Abs1 idF 1962/032;
ADNSchV §107 Abs3;
ADNSchV §108 Abs8;
ASchG 1972 §1 Abs1;
ASchG 1972 §1 Abs2;
ASchG 1972 §1 Abs5;
ASchG 1972 §18 Abs1;
ASchG 1972 §19 Abs1;
ASchG 1972 §19 Abs5;
ASchG 1972 §33 Abs1 Z10;
ASchG 1972 §7 Abs1;
ASchG 1972 §7 Abs3;
ASVG §101;
ASVG §213a idF 1989/642;
ADNSchV §1 Abs1 idF 1962/032;
ADNSchV §1 Abs2;
ADNSchV §105 Abs1 idF 1962/032;
ADNSchV §107 Abs3;
ADNSchV §108 Abs8;
ASchG 1972 §1 Abs1;
ASchG 1972 §1 Abs2;
ASchG 1972 §1 Abs5;
ASchG 1972 §18 Abs1;
ASchG 1972 §19 Abs1;
ASchG 1972 §19 Abs5;
ASchG 1972 §33 Abs1 Z10;
ASchG 1972 §7 Abs1;
ASchG 1972 §7 Abs3;
ASVG §101;
ASVG §213a idF 1989/642;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Die Beschwerdeführerin nahm am 23. September 1978 als Arbeitnehmerin an einem Betriebsausflug mit ihrem Arbeitgeber und sechs weiteren Personen teil. Die Belegschaft benützte bei ihrer Vergnügungsfahrt einen pferdegezogenen landwirtschaftlichen Anhänger, der keine der sonst üblichen Sicherheitsvorkehrungen für Personentransporte aufwies und bei dem lediglich durch Bretter, die über die Ladefläche gelegt wurden, Sitzplätze geschaffen worden waren. Der Anhänger hatte überdies nur eine unter der Ladefläche gelegene, jedoch keine vom Bock aus zu bedienende Bremse. Die im Wagen mitfahrenden Personen waren gut aufgelegt und infolge des Genusses des auf dem Wagen mitgeführten Bieres auch bereits leicht angeheitert. Nur die Beschwerdeführerin, welche sich nicht wohl fühlte, hatte sich am Boden des Wagens niedergelegt und schlief. Auf einem abschüssigen Straßenstück geriet das Fuhrwerk über den linken Straßenrand hinaus, stürzte fünf Meter tief ab und kippte um. Die Beschwerdeführerin kam unter dem Anhänger zu liegen und erlitt schwere Verletzungen.
Mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. Februar 1980 wurde der Arbeitgeber der Beschwerdeführerin wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung wie folgt verurteilt:
"Er hat am 23.9.1978 in Meiningen als Fuhrmann dadurch, dass er es unterließ, den mit sieben sich unruhig verhaltenden Personen besetzten, von einem Pferd gezogenen Vierradanhänger mit einer nicht vom Sitz aus bedienbaren Bremse auf einer auch für den Kraftfahrzeugverkehr zugelassenen öffentlichen abschüssigen Straße einzubremsen, wodurch es dazu kam, dass das Gewicht des Wagens das Pferd über den linken Straßenrand hinausdrängte, sodass der Zweiachsanhänger umkippte, fahrlässig (die Beschwerdeführerin) am Körper verletzt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (...) zur Folge hatte, (...) nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand (1,3 %o) versetzte, obwohl er vorhergesehen hat, dass ihm die Lenkung eines Pferdefuhrwerkes, mithin eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet war."
Die Beschwerdeführerin hat bei dem Unfall schwere Verletzungen erlitten, insbesondere eine schwere Gehirnerschütterung, einen Schädeldachbruch, einen Jochbeinbruch links, multiple Kieferbrüche, eine Kiefergelenksköpfchenfraktur rechts, einen Schlüsselbein- und einen Nasenbeinbruch. Auf Grund dieser schweren Verletzungen musste die Beschwerdeführerin operiert werden und anschließend mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen. Die Beschwerdeführerin war im Unfallszeitpunkt 16 Jahre alt. Ihr Gesicht war durch den Unfall völlig entstellt.
2. Die mitbeteiligte Partei hat mit Schreiben vom 30. November 1979 den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt, jedoch mit dem - unangefochten ins Rechtskraft erwachsenen - Bescheid vom 9. April 1980 die Gewährung einer Rente gemäß § 203 ASVG abgelehnt. Ein Antrag der Beschwerdeführerin auf Neufeststellung der Rente hatte insoweit Erfolg, als die mitbeteiligte Partei mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Mai 1990 verpflichtet wurde, ihr vom 15. September 1987 bis zum 21. September 1988 eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. zu gewähren.
Der Antrag der Beschwerdeführerin vom 13. August 1996 auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes in Bezug auf den die Gewährung einer Rente ablehnenden Bescheid vom 9. April 1980 war Gegenstand der hg. Verfahren, Zl. 98/08/0002 und 98/08/0006.
Mit Schriftsatz vom 2. März 1999 legte die Beschwerdeführerin einen Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 9. Februar 1999 vor, wonach der Bescheid vom 9. April 1980 gemäß § 101 ASVG richtiggestellt und der Beschwerdeführerin für die Zeit vom 25. November 1978 bis über den 1. Jänner 1999 hinaus eine Unfallrente zuerkannt werde. Die mitbeteiligte Partei ging in diesem Bescheid davon aus, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Erwerbsfähigkeit vom 25. November 1978 bis zum 26. September 1980 um 60 %, vom 27. September 1980 bis zum 14. September 1987 um 50 %, vom 15. September 1987 bis zum 21. September 1988 um 60 % und ab 22. September 1988 bis auf weiteres um 35 % vermindert sei.
3. Mit dem Schreiben vom 15. Juli 1991 beantragte die Beschwerdeführerin, ihr aus dem Arbeitsunfall vom 23. September 1978 eine Integritätsabgeltung zuzuerkennen. Mit dem - unangefochten in Rechtskraft erwachsenen - Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 10. September 1991 wurde die Gewährung einer Integritätsabgeltung mit folgender Begründung abgelehnt:
"Gemäß § 213a Abs. 1 ASVG gebührt eine Integritätsabgeltung, wenn der Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden ist und eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität zur Folge hat. Eine solche Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Grad des Integritätsschadens zum 1.1.1990 mindestens 50 v.H. beträgt (...).
Nach den Ergebnissen unserer Erhebungen sowie der ärztlichen Begutachtung wurde Ihr Arbeitsunfall nicht durch eine grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht und hat auch keinen Grad des Integritätsschadens von mindestens 50 v.H. zum 1.1.1990 zur Folge."
Am 19. April 1995 beantragte die Beschwerdeführerin in Bezug auf diesen Bescheid die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes und die Zuerkennung einer Integritätsabgeltung. Diesen Antrag lehnte die mitbeteiligte Partei mit Bescheid vom 27. April 1995 mit der Begründung ab, dass ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen nicht vorlägen.
Dem von der Beschwerdeführerin erhobenen Einspruch gab die im Devolutionsweg zuständig gewordene Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid nicht Folge und begründete dies folgendermaßen:
"Gem. 213a ASVG ist für die Gewährung einer Integritätsabgeltung erforderlich, dass erstens ein Arbeitsunfall oder eine Betriebskrankheit vorliegt, der/die zweitens durch grob fahrlässige Außerachtlassung von
drittens Arbeitnehmerschutzvorschriften viertens verursacht wurde und fünftens eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität (im Sinne der genannten Richtlinien ein Integritätsschaden von mindestens 50 %) zur Folge hatte sowie sechstens wegen der Folgen des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht. Da aber nur bei gleichzeitigem Vorliegen dieser Tatbestandselemente ein Anspruch auf Integritätsabgeltung besteht, muss ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen gem. § 101 ASVG jedenfalls bezüglich jedes einzelnen Tatbestandselementes vorliegen. Ein Irrtum bezüglich eines Sachverhaltsmerkmales, das nur einem dieser Tatbestandselemente zu Grunde gelegt wurde oder ein Versehen, das nur bezüglich einem Tatbestandselement besteht, reicht nicht aus, eine anderslautende Entscheidung herbeizuführen. Denn nur dann, wenn bezüglich jedes einzelnen Tatbestandsmerkmales ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen vorliegt, kann dem Antrag gem. § 101 ASVG Erfolg beschieden sein.
(...)
(...) Bezüglich des Nichbestellens eines Gutachtens durch die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt lag schon deshalb kein Irrtum vor, da bereits im Gerichtsverfahren (vor dem Landesgericht
Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht) zu 35 Cgs 1/90 ... ein
ausführliches Gerichtsgutachten erstellt wurde und dies dem Bescheid vom 10.9.1991 zu Grunde gelegt wurde. (...) Wenn die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt davon ausging, dass gem. § 2 Abs. 1 Z. 2 bis 4 der Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung gem. § 213a ASVG kein den Hundertsatz erhöhender Sachverhalt (...) vorliege, unterlag sie jedenfalls keinem wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt. Denn selbst dann, wenn man davon ausgehen würde, dass eine schwere Beeinträchtigung der Körperfunktionen, eine schwere Verunstaltung des äußeren Erscheinungsbildes und eine schwere seelische Störung vorliegen würden, wäre der Grad des Integritätsschadens jedenfalls unter 50 % und der Irrtum nach den Bestimmungen der genannten Richtlinie somit nicht wesentlich. Der Vollständigkeit halber wird noch darauf hingewiesen, dass die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt bezüglich ihrer Sachverhaltsannahme, dass keine schwere seelische Störung (zum maßgeblichen Stichtag) vorgelegen sei, jedenfalls keinem Irrtum über den Sachverhalt unterlag, da (die Beschwerdeführerin) im Verfahren zu 35 Cgs 1/90 selbst angab, dass sie sich nach den ersten Wiederherstellungsoperationen subjektiv nicht mehr in ihrem gesellschaftlichen und beruflichen Leben behindert fühle, was zumindest das Vorliegen einer schweren seelischen Störung ausschließt und sich aus den gesamten Akten kein Hinweis darauf ergibt, dass diese Sachverhaltsannahme unrichtig ist. Insbesondere jedoch ist zu berücksichtigen, dass es sich beim bezeichneten Gutachten um ein Gesamtgutachten (siehe oben) handelt und deshalb sämtliche Unfallaspekte berücksichtigt wurden, womit wiederum von einem wesentlichen Irrtum der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt über das Ausmaß der eingetretenen Unfallfolgen nicht gesprochen werden kann.
Zu prüfen ist weiters, ob ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt darin gelegen ist, dass die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in ihrem Bescheid (vom 10. September 1991) davon ausging, dass der Arbeitsunfall vom 23.9.1978 nicht durch die grob fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde. Wie oben bereits dargestellt, unterlief der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt jedoch insofern ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt, als sie die im Strafurteil als kausal für die leichtfertige Situationseinschätzung und die Unaufmerksamkeit - somit als kausal für den Unfall - festgestellte Alkoholisierung nicht berücksichtigte. Der Behörde unterlief somit in der Frage der Kausalität der Alkoholisierung für den Arbeitsunfall offensichtlich ein Irrtum über den Sachverhalt, der dazu geeignet ist, in der Frage der Kausalität zu einem anderen Ergebnis zu gelangen. Dasselbe gilt aber auch in der Frage der groben Fahrlässigkeit. Wenn die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt anführt, dass die zwar festgestellte, aber nicht kausale Alkoholisierung bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit außer Betracht zu lassen sei, so ist auch hier erkennbar, dass sie von einem falschen Sachverhalt (nicht kausale Alkoholisierung) ausging und somit ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt vorliegt. Dieser Irrtum ist nämlich durchaus geeignet, eine anderslautende Beurteilung der groben Fahrlässigkeit herbeizuführen. Weiters ist zu beachten, dass die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt unter Zugrundelegung dieses Sachverhaltes (unfallkausale Alkoholisierung) auch in der Frage, ob (primär) Arbeitnehmerschutzvorschriften oder Verkehrsvorschriften verletzt wurden, zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können und somit der Irrtum auch in dieser Frage wesentlich war."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde abzuweisen.
Von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.
Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift, in der
sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 101 ASVG bestimmt, dass der gesetzliche Zustand herzustellen
ist, wenn sich nachträglich ergibt, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, und zwar mit der Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens.
Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. das hg., die Beschwerdeführerin als mitbeteiligte Partei betreffende Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 98/08/0002 mwN). Demgemäß hat sich der mit Einspruch angerufene Landeshauptmann (hier im Devolutionsweg die belangte Behörde) auf die Frage der Zulässigkeit der Herstellung des gesetzlichen Zustandes zu beschränken und dem Sozialversicherungsträger bejahendenfalls die Herstellung, und das heißt die Erlassung eines neuen Leistungsbescheides aufzutragen.
Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Der Irrtum ist dann als wesentlich im Sinn des § 101 ASVG anzusehen, wenn er für die rechtliche Beurteilung des den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Leistungsanspruches Bedeutung erlangt. Es kommt darauf an, ob die vom Irrtum betroffenen und nunmehr richtiggestellten Sachverhaltselemente im Zusammenhalt mit den vom Irrtum nicht betroffenen Feststellungen des seinerzeitigen Bescheides den Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Integritätsabgeltung begründet hätten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 1999, Zl. 97/08/0061, und das bereits zitierte Erkenntnis vom 21. April 1998, Zl. 98/08/0002).
Die Beschwerdeführerin vertritt nun die Auffassung, die belangte Behörde sei unrichtig davon ausgegangen, dass hinsichtlich sämtlicher Tatbestandselemente, die für die Gewährung einer Integritätsabgeltung vorliegen müssen, ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen vorliegen müsste. Es werde unrichtig verlangt, dass eine positive Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch zu treffen wäre. Auch wenn nur hinsichtlich eines Tatbestandsmerkmals die Voraussetzungen nach § 101 ASVG vorliegen, könne dies ausreichend sein, dass eine anders lautende Entscheidung getroffen werde.
Mit diesen Ausführungen ist die Beschwerdeführerin aber nur insofern im Recht, als nicht sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs vom Irrtum betroffen sein müssen. Die von § 101 ASVG geforderte Wesentlichkeit eines Irrtums in Bezug auf ein Tatbestandselement liegt jedoch im Sinne der obigen Ausführungen nur dann vor, wenn sich der richtiggestellte Sachverhalt rechtlich dahin auswirkt, dass die geforderte Geldleistung zuzuerkennen wäre.
Der mit der 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989, am 1. Jänner 1990 in Kraft getretene § 213a ASVG lautet auszugsweise:
"(1) Wurde der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht und hat der Versicherte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten, so gebührt, wenn wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls oder dieser Berufskrankheit auch ein Anspruch auf Versehrtenrente (§ 203 Abs. 1) besteht, eine angemessene Integritätsabgeltung.
...
(3) Die näheren Bestimmungen zur Durchführung der Abs. 1 und 2, insbesondere über das Ausmaß der Leistung, sind in vom Vorstand im Einvernehmen mit dem Überwachungsausschuss des Versicherungsträgers zu erlassenden Richtlinien zu regeln, die der Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Soziales bedürfen. Die Richtlinien haben auf das wirtschaftliche Bedürfnis der Versicherten sowie auf den Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, den Grad der Verunstaltung des äußerlichen Erscheinungsbildes des Versicherten sowie den Grad einer unfall- oder berufskrankheitsbedingten seelischen Störung Bedacht zu nehmen."
Art. VI Abs. 10 der dazu ergangenen Übergangsbestimmungen lautet:
"Die Bestimmungen des § 213a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz in der Fassung des Art. III Z. 3 sind auf Antrag auch auf Versicherungsfälle anzuwenden, die vor dem 1. Jänner 1990 eingetreten sind, wenn seit dem Versicherungsfall keine wesentliche Besserung des körperlichen oder geistigen Zustandes des Versicherten erfolgt ist."
Die mit dem 1. Jänner 1990 in Kraft getretenen, verfassungsrechtlich unbedenklichen (VfGH E 27. Juni 1996, G 187/94 = SozSi 1996, 961) Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213a ASVG (Soziale Sicherheit, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1991) lauten auszugsweise:
"§ 2 Ermittlung des Integritätsschadens
(1) Der Grad des Integritätsschadens ist zum Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Dauerrente gemäß Z. 1 bis 4 zu ermitteln; er ergibt sich aus:
- 1. dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit;
2. dem Grad der Beeinträchtigung von Körperfunktionen, soweit
diese Beeinträchtigung nicht für die Bemessung der Minderung der
Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist; der gemäß Z. 1 zur
ermittelnde Hundertsatz erhöht sich danach
a) bei schwerer Beeinträchtigung ... um 10 vH
b) bei mittlerer Beeinträchtigung ... um 5 vH;
3. dem Grad der Verunstaltung des äußerlichen
Erscheinungsbildes; der gemäß Z. 1 zur ermittelnde Hundertsatz
erhöht sich danach
a) bei schwerer Verunstaltung ... um 10 vH
b) bei mittlerer Verunstaltung ... um 5 vH;
4. dem Grad der unfall- oder berufskrankheitsbedingten
seelischen Störung; der gemäß Z. 1 zu ermittelnde Hundertsatz
erhöht sich danach
a) bei schwerer seelischer Störung ... um 10 vH
b) bei mittlerer seelischer Störung... um 5 vH.
(2) Der Grad des Integritätsschadens beträgt höchstens 100 vH."
§ 4 Übergangsbestimmungen
(1) Die Bestimmungen dieser Richtlinien sind auf Antrag auch für Versicherungsfälle anzuwenden, die vor dem 1. Jänner 1990 eingetreten sind, wenn entweder zum 1. Jänner 1990 oder zum Zeitpunkt einer späteren erstmaligen Feststellung der Dauerrente der Grad des Integritätsschadens aus diesem Versicherungsfall mindestens 50 v.H. beträgt. (...)
(2) Wenn die Dauerrente vor dem 1. Jänner 1990 festgestellt wurde, so ist Stichtag für die Ermittlung der Höhe der Integritätsabgeltung der 1. Jänner 1990, ansonsten der Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Dauerrente.
(...)."
Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die belangte Behörde nicht weitere Sachverständigengutachten zum Beweis dafür hätte einholen müssen, dass sich die mitbeteiligte Partei geirrt hat, indem sie ihrem Bescheid vom 10. September 1991 einen Sachverhalt zu Grunde legte, aus dem sich ein Integritätsschaden von weniger als 50 % ergab (aus dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 9. Februar 1999 ergibt sich, dass bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 10. September 1991 allein der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit ursprünglich 60 % und ab dem 22. September 1988 35 % betragen haben könnte, wozu noch die in der Richtlinie genannten Hundertsätze für die Beeinträchtigung von Körperfunktionen, für den Grad der Verunstaltung und für den Grad der seelischen Störung hinzuzurechnen wären). Denn eine weitere Voraussetzung für die Zuerkennung einer Integritätsabgeltung kann - ganz abgesehen von den behaupteten Irrtümern - insofern nicht erfüllt werden, als der Dienstgeber der Beschwerdeführerin bei dem Arbeitsunfall - selbst wenn er im Übrigen grob fahrlässig gehandelt haben sollte - keine Arbeitnehmerschutzvorschriften im Sinn des § 213a Abs. 1 ASVG verletzt hat.
Wie den Gesetzesmaterialien zu § 213a ASVG zu entnehmen ist, werden durch den Ausdruck "Arbeitnehmerschutzvorschriften" alle Normen des österreichischen Arbeitnehmerschutzrechtes erfasst. Das sind insbesondere das Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl. Nr. 234/1972, das Arbeitszeitgesetz, BGBl. Nr. 461/1969, das Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen, BGBl. Nr. 599/1987, die Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl. Nr. 218/1983, und die Verordnung über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl. Nr. 527/1981 (1142 BlgNR 17. GP, 2). Der Gesetzgeber versteht demnach unter Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht das gesamte Arbeitsrecht in seiner Funktion als Schutzrecht der Arbeitnehmer, sondern bloß jenes Segment an arbeitsrechtlichen Normen, das von der Lehre als Arbeitnehmerschutzrecht im engeren Sinn bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um öffentlich-rechtliche Arbeitsrechtsnormen, die dem Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung dienen, auf unmittelbaren staatlichen Eingriffen basieren und typischerweise als Sanktion die Verwaltungsstrafe vorsehen. Allgemeine Fahrregeln der Straßenverkehrsordnung und Bestimmungen des Kraftfahrgesetzes gehören demnach nicht zum Kreis der Arbeitnehmerschutzvorschriften, weil sie einen für jedermann geltenden Sorgfaltsmaßstab und von jedermann einzuhaltende Schutznormen darstellen, also prinzipiell nicht auf den Kreis der Arbeitnehmer beschränkt sind. Die Generalklauseln des Arbeitnehmerschutzrechtes, die nicht unter Strafsanktion stehen und denen der Gesetzgeber des Arbeitnehmerschutzgesetzes auch so wenig vertraut, dass es sie in eine Fülle einzelner, unter Strafsanktion stehender Verhaltenspflichten aufsplittert, sind keine Arbeitnehmerschutzvorschriften im Sinn des § 213a ASVG. Es hätte nämlich dann keine besondere Bedeutung, dass im § 213a ASVG der Anspruch auf Integritätsabgeltung von der Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften abhängig gemacht wird, weil jede (grob) fahrlässige Verursachung eines Verkehrsunfalles oder einer Berufskrankheit unter diese Generalklauseln fiele. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, eine überflüssige und damit inhaltslose Regelung getroffen zu haben (OGH 15. September 1992, 10 ObS 169/92 = RdA 1993/31 (Ivansits); OGH 26. Mai 1992, 10 ObS 97/92 = SSV-NF 6/61; OHG 5. November 1996, 10 ObS 2338/96p = RdA 1997/38 (Windisch-Grätz)). Im vorliegenden Fall käme es überdies darauf an, ob Arbeitnehmerschutzvorschriften verletzt wurden, die bereits im Zeitpunkt des gegenständlichen Arbeitsunfalls vom 23. September 1978 dem Rechtsbestand angehörten. Der im Unfallzeitpunkt geltende § 1 des Bundesgesetzes vom 30. Mai 1972 über den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer (Arbeitnehmerschutzgesetz), BGBl. Nr. 234, lautet auszugsweise:
"(1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes regeln den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer bei der beruflichen Tätigkeit sowie den im Rahmen dieser Tätigkeit mit Rücksicht auf Alter und Geschlecht der Arbeitnehmer gebotenen Schutz der Sittlichkeit.
(2) Soweit sich aus dem Abs. 3 und 4 nicht anderes ergibt, gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für Betriebe aller Art. Zu einem Betrieb gehören auch die außerhalb seines Standortes gelegenen Arbeitsstellen, sofern in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird.
...
(5) Arbeitnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes sind alle Personen, die in Betrieben nach Abs. 2 im Rahmen eines Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnisses tätig sind. Ausgenommen sind Heimarbeiter im Sinne des Heimarbeitsgesetzes 1960, BGBl. Nr. 105/1961."
Der § 7 Abs. 1 und 3 dieses Bundesgesetzes lautet:
"(1) Der Verkehr innerhalb der Betriebe ist mit entsprechender Umsicht so abzuwickeln, dass ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht wird. Für Straßen ohne öffentlichen Verkehr sowie für den sonstigen Verkehr im Bereich von Betrieben sind die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159, soweit sinngemäß maßgebend, als diese die Sicherheit des Verkehrs betreffen. Abweichungen von den genannten Bestimmungen sind zulässig, soweit dies mit Rücksicht auf zwingende betriebliche Notwendigkeiten unbedingt erforderlich ist. Solche Abweichungen müssen im Betrieb entsprechend bekannt gegeben werden.
(3) Für Fahrzeuge gelten die grundsätzlichen Anforderungen des § 5 Abs. 1. Kraftfahrzeuge und Anhänger, für die eine Typen- oder Einzelgenehmigung im Sinne der kraftfahrrechtlichen Vorschriften für den Verkehr auf öffentlichen Straßen vorliegt, müssen auch im Betriebsbereich in einem dieser Genehmigung entsprechenden Zustand verwendet werden. Änderungen dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn die Fahrzeuge und Anhänger nur im Betriebsbereich verwendet werden, hiedurch die Sicherheit des Verkehrs und die Belange des Arbeitnehmerschutzes nicht beeinträchtigt werden sowie betriebliche Notwendigkeiten solche Änderungen verlangen."
Der § 18 Abs. 1 dieses Bundesgesetzes lautet:
"Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, auf seine Kosten dafür zu sorgen, dass der Betrieb so eingerichtet ist und so unterhalten sowie geführt wird, dass die notwendige Vorsorge für den Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sittlichkeit der Arbeitnehmer gegeben ist. Darüber hinaus hat sich der Arbeitgeber so zu verhalten, dass im Betrieb eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Beschäftigten soweit als möglich vermieden wird."
Der § 19 Abs. 1 und 5 dieses Bundesgesetzes lautet:
"(1) Jeder Arbeitnehmer hat die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer durch dieses Bundesgesetz und die auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen gebotenen Schutzmaßnahmen anzuwenden sowie sich entsprechend diesen Anordnungen zu verhalten bzw. die ihm im Zusammenhang damit erteilten Weisungen zu befolgen. Darüber hinaus hat sich der Arbeitnehmer so zu verhalten, dass im Betrieb eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Beschäftigten soweit als möglich vermieden wird.
...
(5) Arbeitnehmer dürfen sich durch Alkohol, Medikamente oder Suchtgifte nicht in einen Zustand versetzen, in dem sie sich selbst oder andere im Betrieb Beschäftigte gefährden, wie beim Lenken von Fahrzeugen und beim Führen von Kranen."
Die gemäß § 33 Abs. 1 Z. 10 des genannten Bundesgesetzes weiter geltende Verordnung vom 10. November 1951, BGBl. Nr. 265, über allgemeine Vorschriften zum Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Dienstnehmer (Allgemeine Dienstnehmerschutzverordnung) in der Fassung der Verordnung vom 29. Dezember 1961, BGBl. Nr. 32/1962, und der Kundmachung von 9. Februar 1965, BGBl. Nr. 31, lautet in § 1 Abs. 1 und 2:
"(1) Die Bestimmungen dieser Verordnung gelten für alle Betriebe, die gemäß den Bestimmungen des Arbeitsinspektiongesetzes, BGBl. Nr. 194/1947, in der jeweils geltenden Fassung der Aufsicht der Arbeitsinspektion unterliegen, mit Ausnahme der Betriebe, die der Aufsicht des Binnenschifffahrtsinspektorates unterstehen.
(2) Als Betriebe gelten auch außerhalb des Standortes des Betriebes gelegene Arbeitsstätten."
§ 105 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:
"Die jeweils für den öffentlichen Straßenverkehr geltenden
gesetzlichen Vorschriften sind, soweit sie der Verkehrssicherheit
dienen, in Betrieben sinngemäß anzuwenden."
§ 107 Abs. 3 dieser Verordnung lautet:
"Der Dienstgeber darf Betrunkene im Betriebe nicht dulden."
§ 108 Abs. 8 dieser Verordnung lautet:
"Der übermäßige Genuss alkoholischer Getränke während der Arbeitszeit, einschließlich der Pausen, ist verboten. Betrunkene dürfen die Betriebsstätten nicht betreten."
Sowohl die Bestimmungen über den Geltungsbereich als auch die übrigen zitierten Bestimmungen des ASchG stellen auf die jeweilige berufliche Tätigkeit und demgemäß auf die Verhältnisse im Betrieb ab und erstrecken sich nicht auf das Verhalten von Dienstnehmern und Dienstgebern bei Betriebsausflügen, die naturgemäß nicht in einem Betrieb (vgl. hiezu den Betriebsbegriff gemäß § 34 Abs. 1 des Arbeitsverfassungsgesetzes) durchgeführt werden, und die - wie auch im vorliegenden Falle - dem Ziel geselligen Zusammenseins, nicht aber der Entfaltung der beruflichen Tätigkeit dienen. Soweit der Dienstgeber der Beschwerdeführerin beim Lenken des Pferdefuhrwerkes Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 oder des Kraftfahrgesetzes 1967 verletzt hat, werden diese nicht allein dadurch, dass sie im Rahmen eines Betriebsausfluges verletzt wurden, in den Rang von Arbeitnehmerschutzbestimmungen erhoben (vgl. die bereits zitierten Erkenntnisse des Obersten Gerichtshofes vom 15. September 1992, 10 ObS 169/92, und vom 26. Mai 1992, 10 ObS 97/92).
Bei dieser Sachlage kann die Frage unerörtert bleiben, ob nicht auch in Bindung an die Verneinung des Anspruchs auf Versehrtenrente durch den Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 9. April 1980 (§ 213a Abs. 1 ASVG) ein Ausspruch auf Integritätsabgeltung zu verneinen wäre.
Weil selbst unter Zugrundelegung eines von den behaupteten Irrtümern über den Integritätsschaden und über die Alkoholisierung des Dienstgebers der Beschwerdeführerin bereinigten Sachverhaltes die begehrte Integritätsabgeltung nicht zuerkannt werden könnte, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 29. Juni 1999
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)