Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 30.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 26. März 1998 wurde der Beschwerdeführerin eine Übertretung des § 84 Z. 5 iVm § 11 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes zur Last gelegt. Über die Beschwerdeführerin wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 25.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 3 Tagen) verhängt.
Mit einem weiteren Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 18. März 1998 wurde der Beschwerdeführerin ferner eine Übertretung des § 84 Z. 9 iVm § 50 Abs. 1 Z. 1 des Arzneimittelgesetzes vorgeworfen. Über die Beschwerdeführerin wurde diesbezüglich eine Geldstrafe in Höhe von S 9.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 2 Tagen) verhängt.
Die Straferkenntnisse wurde der Beschwerdeführerin zu Handen ihres anwaltlich ausgewiesenen Vertreters, Rechtsanwalt Dr. Peter L., am 10. April 1998 zugestellt.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 6. Mai 1998 durch ihren nunmehrigen anwaltlichen Vertreter Berufungen, die mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbunden waren. Begründet wurden diese Anträge im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin das Vollmachtsverhältnis mit Dr. L., zu dessen Handen die Straferkenntnisse zugestellt worden seien, bereits am 29. Oktober 1997 aufgelöst habe. Die Bekanntgabe der Vollmachtskündigung gegenüber der Behörde sei auf Grund eines Versehens der Kanzlei von Dr. L. unterblieben. Wegen der bereits erfolgten Vollmachtskündigung habe Dr. L. die Straferkenntnisse nicht weiter in Behandlung genommen, sondern an die Beschwerdeführerin weitergeleitet. Auf Grund eines bei der Post ordnungsgemäß bekannt gegebenen Auslandsaufenthaltes (Ortsabwesenheit) habe sie die Straferkenntnisse nicht sofort erhalten. Erst am 29. April 1998 habe der Sohn der Beschwerdeführerin, nachdem er den Briefkasten geleert habe, diese von den Straferkenntnissen unterrichtet. Zu diesem Zeitpunkt sei jedoch die Berufungsfrist bereits abgelaufen gewesen. Die Beschwerdeführerin treffe jedenfalls an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden, da die Fristversäumnis einzig auf den Umstand zurückzuführen sei, dass Dr. L. die Bekanntgabe der schon im Jahre 1997 erfolgten Vollmachtskündigung an die Behörde unterlassen habe. Der Beschwerdeführerin könne das Verschulden ihres seinerzeitigen Parteienvertreters nicht zugerechnet werden, da dieser zum Zeitpunkt der Zustellung der Straferkenntnisse an seine Kanzleianschrift die Beschwerdeführerin gar nicht mehr vertreten habe.
Der Magistrat der Stadt Wien wies die Wiedereinsetzungsanträge der Beschwerdeführerin mit Bescheiden vom 24. September 1998 zurück, da bloß eine Ortsabwesenheit, somit ein Zustellmangel, geltend gemacht worden sei. Über die Wiedereinsetzungsanträge könne daher nicht meritorisch abgesprochen werden.
Den dagegen erhobenen Berufungen wurde mit den angefochtenen Bescheiden vom 24. Februar 1999 bzw. 22. Februar 1999 keine Folge gegeben, die Bescheide der Behörde erster Instanz jedoch insofern abgeändert, als der Spruch (Spruchpunkt I) nunmehr - jeweils - zu lauten habe:
"Der am 06.05.1998 gestellte Antrag der Frau (Beschwerdeführerin), ...., auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, ....., vom 26.03.1998, Zl. ..., (vom 18. 03. 1998, Zl. ...)wird gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen."
Mit Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide wurden die Berufungen der Beschwerdeführerin gegen die Straferkenntnisse des Magistrates der Stadt Wien gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.
In den Begründungen vertrat die belangte Behörde im Wesentlichen (wortgleich) die Auffassung, dass ein zulässiger Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt worden sei. Dieser Antrag sei allerdings deshalb nicht begründet, da die Beschwerdeführerin das Verschulden ihres (früheren) Rechtsvertreters gegen sich gelten lassen müsse. Dr. L. habe in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 11. Mai 1998 die Unterlassung der Bekanntgabe der Vollmachtskündigung an die Behörde auf ein nicht näher umschriebenes "kanzleiinternes Versehen" zurückgeführt, ohne darzulegen, welche Vorkehrungen bzw. Aufsichtsmaßnahmen er allenfalls getroffen habe, um ein derartiges Versehen möglichst hintanzuhalten. Es sei daher im Beschwerdefall von einem den Grad eines bloßen minderen Versehens übersteigenden Verschulden des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin auszugehen.
Gegen diese Bescheide richten sich die zu den Zlen. 99/10/0060, 0061, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobenen Beschwerden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung von Gegenschriften Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und darüber erwogen:
Mit den erstinstanzlichen Bescheiden vom 24. September 1998 wurden die Wiedereinsetzungsanträge der Beschwerdeführerin gemäß § 71 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin eine Ortsabwesenheit und einen damit verbundenen Zustellmangel geltend gemacht. Dies stelle jedoch keinen Wiedereinsetzungsgrund nach § 71 AVG dar, weshalb über den Antrag (jeweils) nicht meritorisch zu entscheiden gewesen sei.
Die Erstbehörde hat somit über die Wiedereinsetzungsanträge der Beschwerdeführerin formale Entscheidungen getroffen. Damit war die Entscheidungsbefugnis der belangten Behörde insofern eingeschränkt, als ihr ein meritorischer Abspruch über die Wiedereinsetzungsanträge verwehrt war.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ("Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG) konnte lediglich die Rechtmäßigkeit des verfahrensrechtlichen Ausspruches der Erstbehörde sein. Statt selbst über den Wiedereinsetzungsantrag meritorisch zu entscheiden, müsste die Berufungsbehörde im Falle der Unhaltbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung diese aufheben, um so den Weg zur meritorischen Behandlung des Wiedereinsetzungsantrages frei zu machen. Durch eine meritorische Entscheidung verletzt die belangte Behörde die Wiedereinsetzungswerberin auch in Rechten, da ihr damit eine Instanz genommen wird (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 22. November 1994, Zl. 94/11/0227; vgl. weiters - allgemein zur Frage der "Sache" bei verfahrensrechtlichen Entscheidungen der Unterinstanz - die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 66 AVG, E. 162-165 wiedergegebene Rechtsprechung).
Aus diesen Erwägungen waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. September 1999
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