VwGH 98/11/0322

VwGH98/11/032224.3.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Ing. J in S, vertreten durch Dr. Hans Pritz, Rechtsanwalt in Wien I, Herrengasse 5, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach § 13a BEinStG vom 29. Oktober 1998, Zl. 42.024/61-7/97, betreffend Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten (mitbeteiligte Partei: Eduard H, R-Gasse, S), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §52;
BEinstG §8 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
AVG §37;
AVG §52;
BEinstG §8 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Mitbeteiligte ist als Steinmetz Arbeitnehmer des Beschwerdeführers in dessen Bau- und Steinmetzmeisterbetrieb. Er gehört seit dem 12. September 1996 dem Kreis der begünstigten Behinderten nach dem BEinStG auf Grund einer Behinderung von 70 v.H. an.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 10. Februar 1997 auf nachträgliche Zustimmung zu der per 3. Dezember 1996 ausgesprochenen Kündigung sowie auf Zustimmung zu einer künftig auszusprechenden Kündigung des Mitbeteiligten abgewiesen.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 2 BEinStG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 17/1999) darf die Kündigung eines begünstigten Behinderten von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuß nach Anhörung näher bezeichneter Stellen zugestimmt hat. Dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.

Die belangte Behörde hat nicht nur wie die Erstbehörde, der Behindertenausschuß beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland, in ihrem Bescheid vom 20. August 1997 die zusätzlichen Voraussetzungen für die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung des Mitbeteiligten verneint; sie hat vielmehr ihre Zustimmung zu einer erst auszusprechenden künftigen Kündigung versagt. Da letzteres von einem Antrag auf Erteilung der nachträglichen Zustimmung zu einer Kündigung miterfaßt ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1989, Slg. Nr. 12.922/A), und an zusätzliche Bewilligungskriterien geknüpft ist, ist zunächst zu prüfen, ob die Versagung der Zustimmung zu einer erst auszusprechenden Kündigung dem Gesetz entspricht (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zl. 98/11/0021). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung eines Behinderten erteilt werden soll, im freien Ermessen der Behörde. Bei dieser Ermessensentscheidung ist es Aufgabe der Behörde, das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung eines Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann (vgl. das Erkenntnis vom 27. April 1989, Slg. Nr. 12.921/A).

Der Beschwerdeführer hatte als Grund für die ausgesprochene Kündigung ins Treffen geführt, der Mitbeteiligte sei nach dem im Jahr 1996 erlittenen Herzinfarkt in seinem Steinmetzbetrieb nicht mehr einsetzbar, da er zu den größtenteils schweren körperlichen Arbeiten nicht mehr herangezogen werden könne.

Die belangte Behörde hat zu dieser Frage, die sie (wie bereits ausgeführt) anders als die Erstbehörde entschieden hat, folgende Gutachten eingeholt: Ein Allgemein-Arbeitsmedizinisches Gutachten vom 26. Februar 1998, ein Berufskundliches Gutachten vom 9. Juni 1998, eine mit 17. Juni 1998 datierte Ergänzung des Gutachtens vom 26. Februar 1998 sowie ein Arbeitsmedizinisches Gutachten vom 14. Oktober 1998.

Das erstgenannte Gutachten vom 26. Februar 1998 war zu dem Ergebnis gekommen, der Mitbeteiligte werde zu einer zufriedenstellenden Tätigkeit im Betrieb des Beschwerdeführers in der Lage sein, wenn die zu erfüllenden Aufträge und Arbeiten als Team bewerkstelligt werden können, hiefür adäquate technische Hilfsmittel, wie Hebezeuge, zur Verfügung stünden, keine Arbeiten unter einem nicht nachvollziehbaren Zeitdruck erledigt werden müßten sowie "zur Bewältigung der Arbeiten der Einsatz der langjährigen beruflichen Erfahrung nicht nur akzeptiert, sondern gefördert und auch nicht behindert wird". Das Berufskundliche Gutachten kam einerseits zu dem Ergebnis, daß die vom Mitbeteiligten vor seiner Erkrankung im Betrieb des Beschwerdeführers überwiegend ausgeübte Tätigkeit nicht mehr zum Tragen komme, weil diese Leistungen nicht mehr angeboten würden; andererseits wird in der Zusammenfassung dieses Gutachtens ausgeführt, daß fallweiser Zeitdruck bei den Arbeiten unvermeidbar sei; im übrigen kämen beim Aufstellen von Grabsteinen oftmals Tätigkeiten vor, zu denen der Mitbeteiligte körperlich nicht mehr in der Lage sei. Ein Arbeitsplatz am Lagerplatz sei infolge der Staubentwicklung (im Hinblick auf das Lungenleiden des Mitbeteiligten) nicht zumutbar; für eine zumutbare Änderung der Arbeitsorganisation sei der Betrieb des Beschwerdeführers zu klein; ein Arbeitsplatz, den der Mitbeteiligte in diesem Betrieb noch sinnvoll ausfüllen könnte, könne nicht genannt werden.

Der Allgemein-Arbeitsmedizinische Gutachter blieb in seiner Ergänzung vom 17. Juni 1998 bei seiner Beurteilung; dies insbesondere unter dem Hinweis darauf, daß der Mitbeteiligte die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit erkannt und richtig einzuschätzen gelernt habe; durch sinnvolle Verwendung von technischen Hilfsmitteln oder Inanspruchnahme von Hilfe durch andere Mitglieder des Arbeitsteams könne er die entstehenden Belastungen so abarbeiten, daß die daraus resultierenden Beanspruchungen keine wesentliche Gesundheitsgefährdung darstellten.

Die belangte Behörde erblickte einen Widerspruch zwischen diesen beiden Gutachten und ordnete die Einholung eines (weiteren) Arbeitsmedizinischen Gutachtens eines anderen Sachverständigen an.

Dieser Arbeitsmedizinische Gutachter verwertete in seinem Gutachten vom 14. Oktober 1998 alle im Verfahren eingeholten bzw. vorgelegten Befunde und Gutachten und untersuchte den Mitbeteiligten persönlich. Er ergänzte, daß ein fortbestehendes Lungenleiden, welches die Arbeit am Lagerplatz als nicht zumutbar erscheinen ließe, nicht mehr erkennbar sei (was er damit erklärte, daß der früher als starker Raucher zu wertende Mitbeteiligte das Rauchen aufgegeben habe). Zur Häufigkeit der eine mittelschwere Belastung übersteigenden Hebeleistungen fehlten Feststellungen; im übrigen seien die Widersprüche zwischen den Gutachten teilweise nur scheinbar, nämlich soweit sich das Allgemein-Arbeitsmedizinische Gutachten vom 26. Februar 1998 auf Arbeiten bezog, die laut Berufskundlichem Gutachten nicht mehr zum Tragen kämen. Abschließend kam der Gutachter zu dem Ergebnis, der Mitbeteiligte sei bedingt arbeitsfähig. Voraussetzung dafür sei die Einhaltung der Auflagen und Bedingungen, die im Gutachten vom 26. Februar 1998 genannt seien, und daß eine weitere medizinische Überwachung mittels Fahrrad-Leistungs-Elektrokardiogramm kein schlechteres Ergebnis als zuletzt erbringe; lediglich die Arbeiten auf Gerüsten über 2 Meter sollten in den ersten sechs Monaten unterlassen werden.

In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vom 29. Oktober 1998 wurden die Anträge des Beschwerdeführers auf mündliche Erörterung des Gutachtens vom 14. Oktober 1998 und auf Einholung eines weiteren Berufskundlichen Gutachtens abgewiesen und der angefochtene Bescheid verkündet.

Damit hat die belangte Behörde Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können. Das im wesentlichen den angefochtenen Bescheid tragende Gutachten vom 14. Oktober 1998 wurde den Parteien des Verwaltungsverfahrens, somit auch dem Beschwerdeführer, gemeinsam mit der Ladung zur fortgesetzten mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 1998 zugestellt. Der Beschwerdeführer konnte daher davon ausgehen, daß ihm in der mündlichen Verhandlung zum Gutachten Parteiengehör gewährt werde. Dies wurde durch die Abweisung des Antrages auf mündliche Erörterung des Gutachtens in der Verhandlung verweigert. Die Beschwerde enthält auch Vorbringen zum Thema, was in der Verhandlung vorgebracht worden wäre, um die Schlüssigkeit und Richtigkeit des Gutachtens zu erschüttern.

Die Einholung eines Arbeitsmedizinischen Gutachtens bei vermeintlichem Widerspruch zwischen einem Allgemein-Arbeitsmedizinischen Gutachten und einem Berufskundlichen Gutachten als "Obergutachten" ist im übrigen schon im Ansatz verfehlt. Der ärztliche Gutachter ist nicht berufen, die berufskundlichen Fragen zu beantworten. Dazu kommt, daß sich auf Grund des Arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 14. Oktober 1998, in dem eine völlig neue Einschätzung des Lungenleidens des Mitbeteiligten vorgenommen wurde, die berufskundliche Frage nach Beschäftigung des Mitbeteiligten im Betrieb des Beschwerdeführers ("am Lagerplatz") neu gestellt hat und einer sachverständigen Beantwortung bedurft hätte. Das Gutachten vom 14. Oktober 1998 erscheint dem Verwaltungsgerichtshof auch im Hinblick auf die Frage der sich für den Mitbeteiligten ergebenden neuen Arbeitssituation im Betrieb des Beschwerdeführers (Einstellung der "Grüfte-Herstellung", mit der der Mitbeteiligte vor seiner Erkrankung überwiegend beschäftigt war) in Verbindung mit den Ausführungen über Streßvermeidung - wobei sich der Streß eben aus der neuen Aufgabenstellung ergeben könne - ergänzungsbedürftig. In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, daß der Gutachter selbst den von ihm beurteilten Sachverhalt in Bezug auf zu erbringende Hebeleistungen für unvollständig befunden hat, aber dennoch zum Schluß kam, der Mitbeteiligte sei bedingt arbeitsfähig; speziell in diesem Zusammenhang zeigt sich, daß eine Ergänzung des Berufskundlichen Gutachtens vom 9. Juni 1998 unumgänglich gewesen wäre.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Auf die Frage der Versagung der nachträglichen Zustimmung zur Kündigung des Mitbeteiligten, die sich bei Rechtmäßigkeit der Versagung der Zustimmung zu einer künftigen Kündigung nicht mehr stellte, brauchte nicht weiter eingegangen zu werden. Erst wenn feststünde, daß einer künftigen Kündigung die Zustimmung zu erteilen gewesen wäre, wäre zu prüfen, ob nicht darüber hinaus auch die nachträgliche Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung zu erteilen gewesen wäre.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. März 1999

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