VwGH 98/11/0066

VwGH98/11/006612.4.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerden des H in E, vertreten durch Dr. Ulf Zmölnig, Rechtsanwalt in Weiz, Schulgasse 5, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Steiermark 1.) vom 20. Jänner 1998, Zl. 11 - 39 Ke 14 - 97, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung und Aufforderung gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967, und 2.) vom 30. März 1998, Zl. 11 - 39 - 137/98-3, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

KFG 1967 §66 Abs2 liti;
KFG 1967 §73 Abs3;
KFG 1967 §66 Abs2 liti;
KFG 1967 §73 Abs3;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 30.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hartberg vom 31. Oktober 1997 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 3 KFG 1967 für zwei Wochen entzogen. Gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 wurde er aufgefordert, sich vor Wiederausfolgung des Führerscheins einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

Die Behörde nahm ausgehend von dem gegen den Beschwerdeführer erlassenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 16. Oktober 1997 als erwiesen an, der Beschwerdeführer habe am 3. Dezember 1996 auf konkret bezeichneten Abschnitten der B 63 wiederholt die zulässigen Höchstgeschwindigkeiten überschritten, und zwar

1. die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 60 km/h,

2. eine durch Verkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h um 130 km/h,

3. eine durch Verkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h um 90 km/h (zweimal) und

4. die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 110 km/h (zweimal).

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er bestritt, am 3. Dezember 1996 die jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeiten in dem von der Behörde angenommenen Ausmaß überschritten zu haben. Die Berufung wurde mit dem erstangefochtenen Bescheid abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 98/11/0066 protokollierte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.

1.2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Hartberg vom 3. Februar 1998 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 3 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B für sechs Wochen entzogen. Anlass dafür war die rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Hartberg vom 3. November 1997. Die Behörde nahm an, dass der Beschwerdeführer am 6. Oktober 1997 auf der B 146 im Gemeindegebiet M. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 51 km/h überschritten habe. Damit liege bereits die zweite Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 vor.

Die dagegen erhobene Berufung wurde mit dem zweitangefochtenen Bescheid abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu Zl. 98/11/0131 protokollierte Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes dieses Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und über sie erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn jemand im Ortsgebiet die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 km/h überschritten hat oder außerhalb des Ortsgebiets die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 50 km/h überschritten hat und die Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde.

Gemäß § 73 Abs. 3 KFG 1967 ist bei der erstmaligen Begehung einer Übertretung im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i, sofern die Übertretung nicht unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern begangen worden ist, die im Abs. 2 angeführte Zeit mit zwei Wochen, bei der zweiten Begehung einer solchen Übertretung mit sechs Wochen festzusetzen.

2.1. Zur Beschwerde Zl. 98/11/0066:

In der Begründung des erstangefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des von der Erstbehörde unter Pkt. 1. bis 4. dargelegten Sachverhaltes und der Einwände des Beschwerdeführers zu den Pkt. 2. bis 4. aus, diese Einwände müssten im Zug des Verwaltungsstrafverfahrens vorgebracht und auch dort geprüft werden. Da der Beschwerdeführer lediglich die Pkt. 2. bis 4. bekämpft habe, habe er den Tatbestand nach Pkt. 1. zugegeben. Dies sei Grund genug, ihm die Lenkerberechtigung für zwei Wochen zu entziehen.

Daraus ergibt sich, dass die belangte Behörde im Gegensatz zur Erstbehörde nur das unter Pkt. 1. angeführte strafbare Verhalten des Beschwerdeführers als bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 als erwiesen angenommen und ihrer Entscheidung zugrundegelegt hat.

Die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung Pkt. 1 des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides nicht bekämpft, ist aktenwidrig. Tatsächlich hat er in der Berufung (unter Hinweis auf sein Vorbringen im Strafverfahren) ausgeführt, er habe sein Fahrzeug mit nicht mehr als 120 km/h gelenkt, wobei das von ihm überholte (Gendarmerie)Fahrzeug nicht mehr als 60 km/h gefahren sei. Die aktenwidrige Annahme der belangten Behörde hatte zur Folge, dass eine Auseinandersetzung mit dem Berufungsvorbringen unterblieb. Dieser Begründungsmangel hat zur Aufhebung des erstangefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu führen.

2.2. Zur Beschwerde Zl. 98/11/0131:

In der Begründung des zweitangefochtenen Bescheides geht die belangte Behörde davon aus, dass in Ansehung der Tat vom 6. Oktober 1997 zweifelsfrei eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 vorliege. Sie verweist dazu auf die von ihr als zutreffend erachtete (oben unter 1.2. wiedergegebene) Begründung des erstinstanzlichen Bescheides.

Dieser Hinweis vermag schon deshalb keine hinreichende Begründung darzustellen, weil im erstinstanzlichen Bescheid noch gar keine Auseinandersetzung mit den erst in der Berufung vorgetragenen Einwänden enthalten sein konnte, er habe die mit 125 km/h gemessene Geschwindigkeit erst außerhalb des von der Geschwindigkeitsbeschränkung erfassten Straßenabschnittes erreicht, sowie, es handle sich bei der Tat vom 6. Oktober 1997 um die erste mit einem technischen Hilfsmittel festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung.

Zu diesen Begründungsmängeln kommt: Bei ihrer Annahme, es handle sich bei dieser Tat um die zweite bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967, ging die belangte Behörde von der dem erstangefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Annahme aus, der Beschwerdeführer habe bereits am 3. Dezember 1996 eine solche Tatsache gesetzt. Da mit der Aufhebung des erstangefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 3 VwGG die Rechtssache in die Lage zurück tritt, in der sie sich vor Erlassung dieses Bescheides befunden hat (sogenannte ex tunc-Wirkung), hat bei der Prüfung des zweitangefochtenen Bescheides der aufgehobene erstangefochtene Bescheid außer Betracht zu bleiben. So gesehen fehlt im zweitangefochtenen Bescheid eine Begründung für die Annahme, es liege bereits die zweite bestimmte Tatsache gemäß § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 vor.

Aus diesen Gründen war auch der zweitangefochtene Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 12. April 1999

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