Normen
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 17. Februar 1997 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass er in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.
Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des erstinstanzlichen Bescheides und nach Zitierung der maßgeblichen fremdengesetzlichen Bestimmungen aus, dass der Beschwerdeführer am 27. Dezember 1995 nach Österreich eingereist sei und einen Asylantrag eingebracht habe. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme habe er im Wesentlichen angegeben, dass ihn am 25. November 1995 sechs Polizisten in seinem Elternhaus zur Abgabe von Schusswaffen aufgefordert hätten. Er hätte wahrheitsgemäß geantwortet, keine Waffen zu besitzen, woraufhin er zur Polizeistelle eskortiert worden wäre. Dort hätte man ihn abermals aufgefordert, Schusswaffen abzugeben, und nach der Herkunft und dem Aufenthaltsort solcher Waffen bzw. nach Personen, die Schusswaffen besäßen, gefragt. Er wäre schließlich angewiesen worden, am "31.11.1995" (richtig: 30. November 1995) neuerlich zu erscheinen. Dieser Aufforderung hätte der Beschwerdeführer Folge geleistet, er hätte jedoch weder eine Waffe abgeben noch einen Waffenbesitzer nennen können. (Daraufhin) hätten ihn zwei Polizisten mit den Händen geschlagen. Nach zwölf Stunden wäre er freigelassen worden, wobei man ihm aufgetragen hätte, am 15. Dezember 1995 abermals auf der Polizeistelle zu erscheinen. Er (der Beschwerdeführer) hätte sich daraufhin in ein anderes Dorf zu seinem Onkel begeben und sich dort bis 26. Dezember 1995 aufgehalten. (Bei seiner Ersteinvernahme durch das Bundesasylamt hatte der Beschwerdeführer außerdem angegeben, dass er am 25. November 1995 nach fünf Stunden freigelassen worden sei, dass man ihm am 30. November 1995 gesagt habe, man werde kein weiteres Mal tolerieren, dass er keine Schusswaffen abgebe, und dass gemäß einer Mitteilung seines Vaters Polizisten am 20. Dezember 1995 in seinem Elternhaus nach ihm gesucht und seinen Vater 24 Stunden inhaftiert hätten.)
Das Bundesasylamt habe den Asylantrag des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde weiter - mit Bescheid vom 5. Jänner 1996 abgewiesen. Einer dagegen erhobenen Berufung sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. März 1996 keine Folge gegeben worden. Zum einen sei dies damit begründet worden, dass die in der Berufung erwähnten Berichte von amnesty international und einer Menschenrechtsorganisation in Prishtina ebenso wenig wie Urteile bundesdeutscher Gerichte zur Glaubhaftmachung des Vorbringens des Beschwerdeführers bzw. zu seiner Anerkennung als Flüchtling führen könnten, weil darin "in keinster Weise" auf seine individuelle Situation eingegangen würde. Zum anderen habe der Bundesminister für Inneres den Ausführungen des Beschwerdeführers bezüglich seines Fluchtgrundes keinen Glauben geschenkt und dargelegt, dass Kosovo-Albanern trotz der schlechten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedingungen bei unauffälligem, nicht qualifiziert politischem Verhalten noch keine Gruppenverfolgung drohen würde.
In seinem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Jugoslawien habe der Beschwerdeführer keine über das Asylverfahren hinausgehenden Angaben gemacht. In der Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden habe er ausgeführt, dass 1994 nach Berichten der International Helsinki Federation for Human Rights 17 Angehörige der albanischen Volksgruppe getötet und dass bei über 3550 Familien Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durchgeführt worden wären. Weiters habe er darin behauptet, dass amnesty international täglich Berichte über Misshandlungen und Folterungen von Angehörigen der albanischen Volksgruppe erhalten würde, und dass er selbst am 30. November 1995 von Polizisten mittels schwerer Schläge auf den Kopf und im Bereich der Lenden- und Genitalregion gefoltert und misshandelt worden wäre. Zum Beweis der Richtigkeit seiner Angaben habe er ein ärztliches Attest vorgelegt.
Der Behörde sei es auf Grund des im § 46 AVG verankerten Grundsatzes der Unbeschränktheit der Beweismittel nicht verwehrt, die Ergebnisse des Asylverfahrens zu berücksichtigen. Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer angegeben, zweimal auf der Polizeistelle gewesen zu sein. Am 30. November 1995 wäre er mit den Händen geschlagen worden, eine Verletzung habe er (im Asylverfahren) nicht behauptet. Nunmehr lege er ein ärztliches Attest vor, das jedoch über die Darstellung eines Krankheitsbildes/Verletzungszustandes hinausgehe. Soweit darin von einer Festnahme und Misshandlung bereits im Jahr 1993 sowie davon die Rede sei, dass die festgestellten Verletzungen mit bekannten Foltermethoden übereinstimmten, sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ersteinvernahme weder eine Verfolgung schon im Jahr 1993 noch eine Folterung behauptet habe. Bei der niederschriftlichen Ersteinvernahme würden jedoch von einem Asylwerber jene Angaben gemacht, die der Wahrheit am nächsten kämen. Darin sei von Schlägen anlässlich der Befragung durch die Polizisten gesprochen worden, der Beschwerdeführer habe (aber) weder eine politische Tätigkeit behauptet noch seien bei ihm Waffen gefunden worden. Die Asylbehörde habe bereits ausgeführt, dass die Verantwortung des Beschwerdeführers "über eine dritte Bestellung zur Polizei" nicht nachvollziehbar sei. Es sei demnach nicht glaubhaft, dass er nach einer Hausdurchsuchung und langen Befragung neuerlich zur Polizei vorgeladen worden wäre. Wenngleich dieses Vorbringen nicht denkunmöglich sei, so sei es doch als nicht schlüssig und wenig glaubhaft zu beurteilen. Bei der Suche nach Waffen handle es sich "um ein strafrechtliches Delikt, das jeden Staatsangehörigen Ihres Heimatlandes betrifft und nicht die Angehörigen einer bestimmten Volksgruppe".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn gemäß § 42 Abs. 2 VwGG zur Gänze zu beheben.
Über diese Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, m.w.N.).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer eine maßgebliche Gefährdung daraus abgeleitet, dass er - ohne erkennbaren Grund - am 25. November 1995 zur Abgabe von Schusswaffen aufgefordert worden sei; er habe wahrheitsgemäß geantwortet, keine Waffen zu besitzen, und sei daraufhin von den Polizisten zur Polizeistelle eskortiert worden. Dort habe er wiederum wahrheitsgemäß erklärt, keine Schusswaffen zu besitzen, bzw. - ebenso wahrheitsgemäß - angegeben, niemanden zu kennen, der Waffen habe. Er sei schließlich nach fünf Stunden freigelassen und aufgefordert worden, am 30. November 1995 auf einer anderen Polizeistelle zu erscheinen. Dieser Aufforderung habe er Folge geleistet und erneut verneint, Waffen zu besitzen oder Waffenbesitzer zu kennen. Daraufhin sei er - so seine Angaben bei der Ersteinvernahme - mit den Händen geschlagen bzw. - so das Vorbringen in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden - mittels schwerer Schläge auf den Kopf und im Bereich der Lenden- und Genitalregion gefoltert und misshandelt worden. Man habe ihm außerdem gesagt, dass man kein weiteres Mal tolerieren werde, dass er keine Schusswaffen abgebe, und ihn aufgefordert, am 15. Dezember 1995 abermals auf der betreffenden Polizeistelle zu erscheinen. Nach zwölf Stunden sei er schließlich freigelassen worden. Die neuerliche Ladung habe er aus Angst vor Misshandlungen nicht befolgt. Er habe sich zu seinem Onkel begeben und sich dort bis 26. Dezember 1995 aufgehalten. Am 25. Dezember 1995 habe er von seinem Vater erfahren, dass er (der Beschwerdeführer) am 20. Dezember 1995 in seinem Elternhaus gesucht und dass sein Vater 24 Stunden inhaftiert worden wäre.
Dass diese vom Beschwerdeführer geschilderte Vorgangsweise der jugoslawischen Sicherheitskräfte (unabhängig davon, ob man von seinem Vorbringen im Asylverfahren oder von den Behauptungen in der Berufung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden ausgeht) die begründete Annahme rechtfertigte, er müsse für den Fall seiner Abschiebung nach Jugoslawien eine unmenschliche Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) befürchten, kann nicht zweifelhaft sein; die behauptete mehrmalige Vorladung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Suche nach seiner Person nach dem dritten Termin (dem er gemäß seinen Angaben nicht Folge geleistet hatte) dokumentiert, dass er gegebenenfalls mit weiteren Behördenkontakten rechnen müsste; dass er dabei zumindest Schläge und Misshandlungen zu erwarten hätte, ergibt sich aus dem von ihm geschilderten Vorfall vom 30. November 1995 und der dabei geäußerten Drohung, künftighin nicht mehr "tolerieren" zu wollen, dass er keine Schusswaffen abgebe.
Die belangte Behörde versagte dem Beschwerdeführer jedoch die Glaubwürdigkeit. Dabei machte sie sich erkennbar die Überlegungen des Bundesministers für Inneres im Asylverfahren zu Eigen, die sie bei Darstellung seines Bescheides nahezu wörtlich wiedergibt und auf die sie im Rahmen ihrer eigenen Erwägungen verweist. Demnach sei es "doch gerade widersinnig, dass jemand, der behauptet, er habe fünf Stunden auf einer Polizeidienststelle zugebracht und hiebei den Polizisten immer wieder auf ihre Fragen dargelegt, dass er weder Schusswaffen besitze noch jemanden kenne, der Schusswaffen besitze, trotzdem fünf Tage später auf Aufforderung - ohne dass Zwang oder Druck ausgeübt worden sei, zumindest haben Sie Derartiges nicht behauptet - wiederum zur Polizeidienststelle gehe, wo er jedoch keine anders lautenden Auskünfte erteilen konnte. Abgesehen davon ist es auch nicht glaubhaft, dass die Behörden Ihres Heimatstaates Verfolgungshandlungen im Sinne des § 1 Ziffer 1 Asylgesetz 1991 gegen Sie gesetzt haben oder Derartiges beabsichtigt hätten. Hätte man tatsächlich in Verfolgungsabsicht gegen Sie vorgehen wollen, dann hätte man Sie nicht nur fünf Stunden befragt und zu einem neuerlichen Termin aufgefordert, wieder zu erscheinen. Behörden, die einer Person habhaft werden, die sie zu verfolgen beabsichtigen, bieten dieser nicht - oder wie im von Ihnen geschilderten Sachverhalt sogar zweimal - die Chance, sich dieser Verfolgungshandlung bereits vorher zu entziehen, indem sie gleichsam zum Auftakt und als Warnung zuerst nur eine Befragung durchführen und sodann die Intensität der Verfolgungshandlungen steigern. Ihrem Vorbringen lassen sich auch keinerlei Anhaltspunkte oder auslösende Ursachen entnehmen, weshalb die Behörden Ihres Heimatstaates gerade gegen Sie Verfolgungshandlungen setzen sollten". Es sei demnach - so fährt die belangte Behörde mit eigenen Worten fort - nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer nach einer Hausdurchsuchung und langen Befragung neuerlich zur Polizei vorgeladen worden sei; wenngleich dieses Vorbringen nicht denkunmöglich sei, so sei es doch als nicht schlüssig und wenig glaubhaft zu beurteilen.
In der Beschwerde tritt der Beschwerdeführer - gerade noch erkennbar - dieser Beweiswürdigung entgegen. Tatsächlich vermögen die von der belangten Behörde angestellten (weitgehend aus dem Asylverfahren übernommenen) Erwägungen - im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Sachverhaltskontrolle (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) - die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht zu tragen. Zunächst läge die konstatierte "Widersinnigkeit" (siehe oben) schlichtweg darin, dass der Beschwerdeführer einer behördlichen Ladung Folge geleistet hätte. Was daran widersinnig sein soll, ist freilich nicht nachvollziehbar, zumal der Beschwerdeführer gemäß seinen Angaben zum Erscheinen vor einer anderen Polizeidienststelle aufgefordert wurde. Dem weiteren Argument, behördliche Verfolgung spiele sich regelmäßig nicht in der vom Beschwerdeführer dargestellten Form ab, ist zu erwidern, dass staatlicher Terror vielschichtig in Erscheinung treten kann. Er muss nicht primär darauf gerichtet sein, einer Person "habhaft" zu werden, sondern könnte etwa auch darauf abzielen, sie einzuschüchtern oder zu vertreiben. Von daher wäre eine ständig steigende Intensität von Verfolgungshandlungen keineswegs unplausibel. Schließlich lässt sich aber auch daraus nichts gewinnen, dass sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte entnehmen ließen, weshalb die Behörden seines Heimatstaates gerade gegen ihn Verfolgungshandlungen setzen sollten. Derartige Maßnahmen können auch unabhängig von individuellen Momenten - im vorliegenden Fall etwa wegen Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe - vorgenommen werden. Gerade in diese Richtung weisen die vom Beschwerdeführer seiner Berufung beigelegten Berichte des Council for the Defence of Human Rights and Freedoms in Prishtina, auf die die belangte Behörde im Übrigen in keiner Weise eingegangen ist (vgl. zur gebotenen Auseinandersetzung mit derartigen Berichten abermals das zuvor genannte hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999).
Nach dem Gesagten erweist sich die Beweiswürdigung der belangten Behörde als unschlüssig. Sie hat damit ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, sodass dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Bei diesem Ergebnis konnte von der beantragten Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 30. April 1999
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