VwGH 97/21/0371

VwGH97/21/03715.3.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde der RP in Berndorf, geboren am 22. Jänner 1973, vertreten durch Dr. Gerda Mahler-Hutter, Rechtsanwalt in 2560 Berndorf, Hernsteinerstraße 2/1/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. März 1997, Zl. Fr 72/1997, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 6. März 1997 wurde auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin, einer jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß sie in Jugoslawien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

In ihrer Begründung gab die belangte Behörde zunächst die Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt wieder. Demnach wäre sie albanischer Abstammung, hätte bei ihren Eltern in Prishtina gelebt und seit 1993 an der Fakultät für Biologie studiert. Am 12. April 1996 wäre ihr von der Familie mitgeteilt worden, daß die Polizei nach ihr gesucht hätte. Die Polizisten hätten gesagt, daß sie mit ihrem politisch tätigen Bruder zusammenarbeiten würde, deshalb befragt werden müßte und sich sofort bei der Polizei in Prishtina zu melden hätte. Demgegenüber hätte sich die Beschwerdeführerin bei ihrer Tante versteckt, weil sie befürchtet hätte, inhaftiert zu werden. Sie hätte später erfahren, daß die Polizei noch zweimal nach ihr gesucht hätte. Sie wäre ebenso wie ihr Bruder Mitglied der LDK gewesen und hätte mit diesem - insgesamt siebenmal - Aufrufe zur Teilnahme an Versammlungen der LDK verteilt. Die Flugblätter hätten die Beschwerdeführerin und ihr Bruder von wichtigeren Mitgliedern der LDK erhalten.

Das Bundesasylamt habe den Asylantrag der Beschwerdeführerin abgewiesen, weil die Suche durch die Polizei zum Zweck der Befragung der Beschwerdeführerin aus objektiver Sicht keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung erkennen ließe. Eine gegen den Bescheid des Bundesasylamtes erhobene Berufung sei erfolglos geblieben.

Im Verfahren nach § 54 FrG habe die erstinstanzliche Behörde gemäß § 46 AVG auch die Erhebungsergebnisse und die niederschriftliche Einvernahme aus dem Asylverfahren in ihrer Entscheidung einfließen lassen. (Auch) sie sei - nach der Feststellung, daß im Kosovo die Gleichheit vor dem Gesetz garantiert und daß die Bevölkerungsmehrheit in erlaubten politischen Bewegungen (u.a. der LDK) organisiert wäre - zu dem Ergebnis gelangt, daß aus objektiver Sicht keine konkret gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgungshandlung "zu verifizieren" gewesen sei. Die Behauptung, die Beschwerdeführerin hätte eine Verhaftung zu befürchten, stelle eine Vermutung dar, deren Eintritt nicht ohne weiteres angenommen werden könne.

Der Berufungsbehörde sei es nicht verwehrt, die im Asylverfahren oder im Verfahren der Erstbehörde erfolgten Sachverhaltsfeststellungen in ihre Beweiswürdigung miteinfließen zu lassen. Sie stützte sich (im übrigen) auf eine Aussendung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 5. Dezember 1996, wonach lokale Vertreter der LDK wohl Zielscheibe von Verfolgungshandlungen durch die jugoslawischen Behörden sein könnten. Erst kürzlich hätte die LDK - so die Aussendung weiter - von Schikanen berichtet, es wäre zu Verhören und zu den üblichen Beschuldigungen hinsichtlich illegalen Waffenbesitzes gekommen; in den genannten Fällen wären die Häftlinge nach dem Verhör wieder freigelassen worden; in diesem Zusammenhang wäre es wahrscheinlich, daß unbedeutendere Aktivitäten wie das Verteilen von Flugzetteln als Vorwand für Übergriffe benützt würden, doch wären keine bestimmten Zwischenfälle bekanntgeworden. Diese Aussendung bringe also zum Ausdruck, daß es zu Übergriffen kommen könne, doch erreichten diese gemäß der Mitteilung des UNHCR bei weitem nicht die von der Beschwerdeführerin befürchtete Intensität (Inhaftierung auf unbestimmte Zeit). Die Beschwerdeführerin selbst habe keinerlei Beweise bezüglich der Verfolgungsgefahr vorbringen können. Sie behaupte lediglich, daß ihr auf Grund politischer Aktivitäten für den Fall ihrer Abschiebung nach Jugoslawien die Gefahr drohe, ohne ordentliches Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit inhaftiert und/oder mißhandelt zu werden. Dabei stütze sie sich darauf, daß sie gemäß der Mitteilung ihrer Familie von der Polizei zum Zweck einer Befragung wegen ihrer politischen Tätigkeit bzw. der Zusammenarbeit mit ihrem Bruder in der LDK gesucht worden sei, sodaß sie befürchte, genauso wie ihr Bruder inhaftiert zu werden. "Aus dieser lediglichen Befürchtung heraus" könne "nicht automatisch auf eine Inhaftierung bzw. sogar auf eine Inhaftierung auf unbestimmte Zeit geschlossen werden", diese Annahme würde auch der Aussendung des UNHCR widersprechen. Unter Berücksichtigung dieser Aussendung und in Gesamtbetrachtung des Vorbringens der Beschwerdeführerin und der "Einbeziehung der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens" gelange die belangte Behörde daher zu dem Ergebnis, daß es im Fall der Beschwerdeführerin diverse Übergriffe geben könne, die jedoch keinesfalls die geforderte Intensität des § 37 Abs. 1 und 2 FrG erreichten. Dabei sei auch miteinzubeziehen, daß sich die Beschwerdeführerin bereits in einem sicheren Drittland (Ungarn) befunden habe, woraus der Schluß abgeleitet werden könne, daß bei ihrer Flucht nicht so sehr die Verfolgungsangst in ihrer Heimat, sondern allenfalls ein Verbleib in einem westlichen Wohlfahrtsstaat im Vordergrund gestanden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn "gem. § 42 Abs. 2 VwGG" zur Gänze aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 97/21/0286, m.w.N.).

Im vorliegenden Fall läßt der angefochtene Bescheid an keiner Stelle erkennen, daß konkrete Angaben der Beschwerdeführerin über die tatsächlichen Geschehnisse in ihrem Heimatland für unrichtig erachtet würden. Im einzelnen hat die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren ihre Mitgliedschaft bei der LDK, ihre in diesem Rahmen entfaltete Tätigkeit (Verteilung von Flugblättern), die Verhaftung ihres im wesentlichen dieselbe Tätigkeit ausübenden Bruders im Frühjahr 1996 und die mehrfache Suche ihrer Person durch die Polizei zum Zweck der Befragung über die Zusammenarbeit mit ihrem politisch tätigen Bruder ins Spiel gebracht. Es ist zwar richtig, daß aus all dem - wie die belangte Behörde meint - nicht "automatisch" (im Sinn von zwangsläufig) auf eine Inhaftierung der Beschwerdeführerin geschlossen werden kann. Eine derartige "Automatik" setzt das Gesetz für eine positive Feststellung im Sinn des § 54 Abs. 1 FrG aber auch nicht voraus, vielmehr ist es ausreichend (und zugleich erforderlich), daß stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, der Fremde wäre im Fall der Abschiebung in den in seinem Antrag genannten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht. Zieht man sämtliche vorgenannten Umstände ins Kalkül, so kann der Beschwerdeführerin nicht abgesprochen werden, daß stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß sie für den Fall ihrer Abschiebung nach Jugoslawien wegen ihrer Nationalität oder wegen ihrer politischen Ansichten in ihrer Freiheit bedroht wäre (§ 37 Abs. 2 FrG). Zutreffend verweist die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde vor allem auf das Schicksal ihres in gleicher Weise politisch aktiven Bruders, zumal sie von der Polizei gerade wegen der Zusammenarbeit mit diesem gesucht wurde. Solange nicht feststeht, daß Frauen und Männer grundsätzlich unterschiedlich behandelt werden, läßt dessen Inhaftierung bei den genannten Umständen tatsächlich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verhaftung auch der Beschwerdeführerin befürchten. Die von der belangten Behörde auszugsweise zitierte Aussendung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge vom 5. Dezember 1996 steht dieser Annahme nicht entgegen; wenngleich dort davon die Rede ist, daß die Häftlinge "in den genannten Fällen" nach dem Verhör wieder freigelassen worden seien, so wird weiter ausgeführt, daß es wahrscheinlich sei, daß unbedeutendere Aktivitäten wie das Verteilen von Flugzetteln als Vorwand für Übergriffe benützt würden. Der Fall des Bruders der Beschwerdeführerin ist ein Beleg für eine solche Vorgangsweise, weshalb sie auch vor dem Hintergrund der genannten Aussendung ein gleiches Schicksal befürchten muß. In Anbetracht des Umstandes, daß die Inhaftierung ihres Bruders keine bloß kurzfristige Maßnahme darstellte - nach den Angaben der Beschwerdeführerin in ihrem Antrag auf Feststellung gemäß § 54 FrG vom 21. Oktober 1996 befand er sich damals nach wie vor in Haft -, kann aber entgegen der Ansicht der belangten Behörde auch nicht davon gesprochen werden, daß es an der geforderten Intensität des § 37 Abs. 1 und 2 FrG fehle. Auch von daher erweist sich der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand nicht zu.

Wien, am 5. März 1999

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