VwGH 95/21/0435

VwGH95/21/043518.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des DS in Dornbirn, geboren am 29. Oktober 1975, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Vorarlberg vom 24. Februar 1995, Zl. 1-0702/94/E2, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes und des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §15;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
FrPolG 1954 §14b Abs1 Z4;
FrPolG 1954 §2 Abs1;
VStG §31 Abs2;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §82 Abs1 Z4;
FrPolG 1954 §14b Abs1 Z4;
FrPolG 1954 §2 Abs1;
VStG §31 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass der Spruch wie folgt zu lauten habe:

"DS, Dornbirn, ein türkischer Staatsangehöriger (geb. 29.10.1975), hielt sich ab dem 3.6.1992 bis zum 5.7.1994 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Er war in diesem Zeitraum nicht im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz und auch nicht im Besitz eines Sichtvermerks. Eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 kam ihm während dieses Zeitraumes auch nicht zu.

Der Beschuldigte hat dadurch eine Verwaltungsübertretung begangen, indem er gegen den § 14b Abs. 1 Z. 4 des Fremdenpolizeigesetzes, in der Fassung BGBl. Nr. 406/1991 (hinsichtlich des Zeitraumes vom 3.6.1992 bis 31.12.1992) bzw. gegen § 82 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) (hinsichtlich des Zeitraumes vom 1.1.1993 bis 5.7.1994) verstoßen hat. Es wird daher über ihn eine Geldstrafe in Höhe von 3.000 S (im Uneinbringlichkeitsfall 72 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Rechtsgrundlage dafür ist der § 14b Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (hinsichtlich des Zeitraumes vom 3.6.1992 bis 31.12.1992) bzw. der § 82 Abs. 1 FrG (hinsichtlich des Zeitraumes vom 1.1.1993 bis 5.7.1994).

Gemäß § 64 Abs. 2 VStG hat der Beschuldigte einen Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens in Höhe von 10 % der über ihn verhängten Geldstrafe, somit 300 S, zu bezahlen."

Zur Begründung führt die belangte Behörde aus, dem Beschwerdeführer werde im erstinstanzlichen Straferkenntnis vorgeworfen, er halte sich als Fremder seit dem 3. Juni 1992 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil ihm von der Sicherheitsbehörde kein Sichtvermerk erteilt worden sei und weil er weder eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz besitze noch ihm eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz zustehe. Gegen dieses Straferkenntnis habe der Beschwerdeführer vorgebracht, es könnte ihm der objektiv gegebene Tatbestand der Übertretung subjektiv nicht vorgeworfen werden. Er habe vorgebracht, dass er nur in die Türkei ausreisen könnte, dort aber verfolgt würde.

Nach § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG begehe eine Verwaltungsübertretung, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15 FrG). Fremde hielten sich gemäß § 15 Abs. 1 Z. 2 und 3 leg. cit. rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde (Z. 2) oder solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 zukommt (Z. 3).

Wörtlich führte die belangte Behörde weiter aus:

"Der oben wiedergegebene Sachverhalt wurde nicht in Abrede gestellt. Da der Verwaltungssenat in den Fremdenpolizeiakt Einsicht genommen hat und überdies die im Zusammenhang mit den Bestimmungen der §§ 37 und 54 aufgeworfenen Fragen nicht Hauptfrage in diesem Strafverfahren sind, erachtet der Verwaltungssenat die Aufnahme weiterer Beweise - namentlich die Einvernahme der im Schreiben des Beschuldigten vom 1.6.1994 angeführten Personen - für nicht erforderlich. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf dieses Vorbringen, wonach er in der Türkei verfolgt werde, anzumerken, dass diese Frage allenfalls in einem Schubhaftbeschwerdeverfahren bzw. in einem gesonderten Verfahren nach den Bestimmungen der §§ 37 und 54 FrG zu prüfen wäre."

Im vorliegenden Fall handle es sich um ein Ungehorsamsdelikt. Die Behörde habe daher ohne Weiteres Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Täter nicht glaubhaft mache, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden treffe. In diesem Zusammenhang seien dem Berufungsvorbringen, abgesehen von dem Hinweis, dass er in der Türkei verfolgt werde, keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen, die ein derartiges Verschulden ausschließen könnten. Zum genannten Einwand, mit dem möglicherweise auch der Schuldausschließungsgrund des Notstandes geltend gemacht werde, sei anzumerken, dass eine dem Beschuldigten unmittelbar drohende Gefahr, zufolge der er die Verwaltungsübertretung zur Abwendung eben dieser Gefahr zwanghaft hätte begehen müssen, jedenfalls nicht erkennbar sei.

Die Strafbemessung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass inbesondere der lange Zeitraum des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers als schwerwiegend zu berücksichtigen sei. Als Verschuldensform werde Vorsatz angenommen. Erschwerungsgründe seien keine hervorgekommen, als mildernd sei seine verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit zu werten. Wenn auch der Beschwerdeführer über kein Einkommen verfüge und weder Vermögen noch Kraftfahrzeuge habe, sei trotz dieser ungünstigen Verhältnisse die verhängte Geldstrafe unter Berücksichtigung des Unrechtsgehaltes der Tat sowie aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses sei deshalb präzisiert worden, weil die Übertretung im zeitlichen Geltungsbereich zweier Rechtsvorschriften begangen worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15).

Gemäß der letztgenannten Bestimmung halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des zweiten Teiles und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind (Z. 1), oder wenn ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde (Z. 2), oder solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991 zukommt (Z. 3).

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Vorweg ist festzuhalten, dass eine Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts rechtens nur in Betracht kommt, wenn keine der in § 15 Abs. 1 (Z. 1 bis 3) FrG angeführten Voraussetzungen eines rechtmäßigen Aufenthalts gegeben ist. Demnach kann als übertretene Norm (§ 44a Z. 2 VStG) - außer § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG - nicht eine der Z. 1 bis 3, sondern allein § 15 Abs. 1 FrG (insgesamt) herangezogen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 96/21/0507). Die Behörde erster Instanz zitierte als verletzte Rechtsvorschriften "§ 82/1 Z. 4 i.V.m. § 15/1 Z. 2 + 3 Fremdengesetz". Dies steht mit dem Gesetz nicht in Einklang, weil die Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts nur aus der Verneinung von zwei der im § 15 Abs. 1 FrG genannten drei alternativen Voraussetzungen für eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abgeleitet wurde. Hingegen zitierte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid - wie oben dargestellt - als übertretene Norm § 14b Abs. 1 Z. 4 Fremdenpolizeigesetz bzw. § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG. Da § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG auf § 15 leg. cit. verweist, hatte es schon deshalb der Aufnahme des Abs. 1 der letztgenannten Norm in den Spruch nicht bedurft. Mit diesem Strafbescheid wird auf Grund der bereits im Gesetz hergestellten Verbindung der §§ 82 Abs. 1 Z. 4 und 15 FrG eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, weil keiner der in § 15 Abs. 1 FrG genannten Gründe für eine Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes vorliege. Gleiches gilt für § 14b Abs. 1 Z. 4 FrPolG in Bezug auf § 2 Abs. 1 leg. cit. Das Beschwerdevorbringen, es sei (teilweise) eine Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 und 2 VStG eingetreten, ist nicht zielführend. Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist die Verjährungsfrist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat. Bei Dauerdelikten beginnt die Verjährungsfrist somit von dem Zeitpunkt an zu laufen, an dem das strafbare Verhalten aufgehört hat (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, unter § 31 Abs. 2 VStG/E 12 angeführte Rechtsprechung). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein in § 82 Abs. 1 Z. 4 FrG genannter unrechtmäßiger Aufenthalt ein Dauerdelikt darstellt. Demnach kann der in der Beschwerde vertretenen Auffassung, es handle sich bei der genannten Übertretung um ein sogenanntes Zustandsdelikt, bei dem sich das strafbare Verhalten im Herbeiführen eines rechtswidrigen Zustands erschöpft, dessen Aufrechterhaltung aber nicht mehr strafbar ist, nicht beigepflichtet werden.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Der Beschwerdeführer verweist nämlich auf den Umstand, dass ihm die Aufenthaltsberechtigung für die Bundesrepublik Deutschland bis zum 2. Mai 1992 verlängert worden sei. Dieser Umstand wurde von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn in den Bescheid vom 19. April 1994 betreffend die Versagung der beantragten Aufenthaltsbewilligung aufgenommen und in rechtlicher Hinsicht dahin gewertet, dass sich der Beschwerdeführer bis zum 2. August 1992 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Die belangte Behörde unterließ es, über diesen aus dem Verwaltungsakt ersichtlichen Umstand Feststellungen zu treffen. Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich, weil türkische Staatsangehörige gemäß § 2 der Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1990, BGBl. Nr. 1990/95a, von der Sichtvermerkspflicht befreit sind, wenn sie einen gültigen gewöhnlichen türkischen Reisepass und einen gültigen Sichtvermerk der Bundesrepublik Deutschland vorweisen. Die belangte Behörde hätte daher zu dem Ergebnis gelangen können, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich nicht schon ab dem 3. Juni 1992, sondern erst ab dem 3. August 1992 unrechtmäßig war.

Weiters brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den Bescheid, mit dem sein Antrag nach § 54 Abs. 1 FrG abschlägig beschieden worden war, vor, er gehöre der von den Behörden des türkischen Staates verfolgten Volksgruppe der Aleviten an. Er sei in der Türkei für die politischen Ziele der PKK eingetreten, ohne sich an irgendeiner Gewaltaktion zu beteiligen. Seine politische Tätigkeit für die Volksgruppe habe dazu geführt, dass er in der Türkei von den türkischen Behörden wiederholt schikaniert und misshandelt worden sei. Dazu beantragte der Beschwerdeführer die Vernehmung namentlich genannter Zeugen. Weiters gab er an, dass er auch durch die PKK bedroht sei, weil diese von seinen Familienangehörigen und ihm personelle und finanzielle Unterstützung verlange. Da er nach Österreich geflohen sei, müsse er bei einer Rückkehr auch mit Misshandlungen und Folterungen durch Mitarbeiter der PKK rechnen. Der türkische Staat sei nicht in der Lage, dies zu unterbinden. Auch dazu berief sich der Beschwerdeführer auf die von ihm genannten Zeugen.

Es ist nicht ersichtlich, dass das Verfahren nach § 54 Abs. 1 FrG für den Beschwerdeführer rechtskräftig abgeschlossen gewesen wäre - weshalb sich die Frage einer Bindung der belangten Behörde an einen derartigen Ausspruch nicht stellt. Die belangte Behörde führte lediglich aus, eine dem Beschuldigten unmittelbar drohende Gefahr, zufolge der er die Verwaltungsübertretung zur Abwendung eben dieser Gefahr zwanghaft hätte begehen müssen, sei jedenfalls nicht erkennbar. Diese Ansicht ist mangels einer weiteren Begründung nicht überprüfbar, wodurch der angefochtene Bescheid mit einem weiteren Verfahrensmangel behaftet ist. Der Vollständigkeit wegen sei bemerkt, dass zwar die oben in der Sachverhaltsdarstellung zitierte Begründung des angefochtenen Bescheids, wonach eine Gefährdung oder Bedrohung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland nicht zu prüfen sei, auf eine Verkennung der Rechtslage deutet, die belangte Behörde aber trotzdem die behauptete Notstandssituation des Beschwerdeführers prüfte, weshalb der angefochtene Bescheid nicht mit einem sekundären - eine inhaltliche Rechtswidrigkeit begründenden -, sondern einem primären Verfahrensmangel belastet ist.

Nach dem Gesagten war der Bescheid somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der beantragten Durchführung der Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 18. Mai 1999

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