VwGH 98/18/0083

VwGH98/18/008321.4.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des P, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in Wien VI, Mariahilfer Straße 47/5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. Jänner 1998, Zl. SD 1104/97, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
SGG §12 Abs1;
SGG §12 Abs2;
SGG §12 Abs3 Z3;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
SGG §12 Abs1;
SGG §12 Abs2;
SGG §12 Abs3 Z3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 15. Jänner 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer, der im Alter von 22 Jahren im Jahr 1970 nach Österreich gekommen sei, sei mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Juni 1997 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 12 Abs. 1, 2 und 3 Z. 3 SGG, §§ 15, 12 StGB) und des Vergehens des Suchtgiftbesitzes (§ 16 Abs. 1 SGG) sowie wegen Hehlerei (§ 164 Abs. 1, 2 und 3 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Damit sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt. Der Verurteilung sei zugrundegelegen, daß der Beschwerdeführer im Zeitraum von Jänner 1995 bis März 1997 Heroin und Kokain erworben und besessen sowie eine große Menge Heroin in Verkehr gesetzt bzw. zu setzen versucht habe. Durch den Suchtgifthandel habe sich der Beschwerdeführer - so die Feststellung des Gerichtes - eine fortlaufende Einnahme verschaffen wollen. Es liege auf der Hand, daß dieses Fehlverhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität die öffentliche Ordnung und Sicherheit in hohem Maß gefährde. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher (auch) im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG - vorbehaltlich der Zulässigkeit nach den §§ 37 und 38 leg. cit. - gerechtfertigt.

Aufgrund des langjährigen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und im Hinblick darauf, daß auch seine Familie (Ehegattin und Kinder) im Bundesgebiet lebe, liege zweifellos ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener schwerwiegender Eingriff in sein Privat- und Familienleben vor. Dessen ungeachtet sei das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit - dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, daß er offenbar nicht in der Lage oder nicht willens sei, die strafgesetzlichen Normen seines Gastlandes einzuhalten. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgift- und Eigentumskriminalität könne eine Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer keinesfalls positiv ausfallen. Art und Schwere der der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten ließen jedenfalls die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer insbesondere zum Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dringend geboten und daher nach § 37 Abs. 1 FrG zulässig erscheinen. Im Rahmen der gemäß § 37 Abs. 2 FrG erforderlichen Interessenabwägung sei auf den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei aber zu berücksichtigen, daß der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Es sei dazu auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Fall von Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht rechtswidrig sei. Allfälligen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Angehörigen könne der Beschwerdeführer - wenn auch möglicherweise eingeschränkt - vom Ausland nachkommen. Daß er aufgrund des Aufenthaltsverbotes nicht mehr mit seiner Familie in Österreich zusammenleben könne, müsse er angesichts des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in Kauf nehmen. Allerdings könne der Beschwerdeführer den Kontakt mit seiner Familie dadurch aufrecht erhalten, daß er im Ausland von seiner Familie besucht oder dorthin begleitet werde.

Die belangte Behörde sei jedenfalls der Auffassung, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Da der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden sei, stünden dem Aufenthaltsverbot weder die Bestimmung des § 35 noch jene des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG entgegen. Der Beschwerdeführer könne sich auch nicht mit Erfolg auf § 38 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. berufen, weil er erst im Alter von 22 Jahren nach Österreich gekommen und daher nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Ansicht der belangten Behörde, daß vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (erster Fall) FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittene rechtskräftige gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren bestehen gegen diese Beurteilung keine Bedenken.

2.1. Die Beschwerde vertritt indes die Meinung, daß ein Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle, also entgegen der Auffassung der belangten Behörde die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme nicht gerechtfertigt sei. Der Beschwerdeführer sei "in der Zwischenzeit" von seiner Drogensucht befreit, er habe die Tat zutiefst bereut und sei auch für die Zukunft geläutert. Er sei gewillt, nach Verbüßung seiner Haftstrafe ein ordentliches Leben zu führen; er habe zwar eine schwere Straftat begangen, könne jedoch auf ein "tadelloses Vorleben" verweisen. Gerade die gerichtliche Strafe diene dazu, daß der Beschwerdeführer "ein ordentliches Leben in der Republik Österreich fortführen würde".

2.2. Dieses Vorbringen ist nicht zielführend. Vielmehr ist unter Zugrundelegung der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, insbesondere des langen Zeitraumes (Jänner 1995 bis März 1997), auf den sich der Suchtgifthandel erstreckte, und der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung, der Ansicht der belangten Behörde beizupflichten, daß das Fehlverhalten des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ein Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit begründet erscheinen lasse, weshalb die Annahme nach § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt sei (vgl. dazu etwa das zu § 18 Abs. 1 FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ergangene hg. Erkenntnis vom 6. September 1996, Zl. 96/18/0246, das aufgrund der insoweit unveränderten Rechtslage auch hier zum Tragen kommt). Daß der Beschwerdeführer - behauptetermaßen - ein "tadelloses Vorleben" geführt habe, nicht mehr drogenabhängig und gewillt sei, nach Verbüßen der Haftstrafe ein "ordentliches" Leben zu führen, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Wenn die belangte Behörde von dem ihr im § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessen, ungeachtet des Gerechtfertigtseins der in dieser Bestimmung umschriebenen Annahme von der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes abzusehen, keinen Gebrauch gemacht hat, so kann darin angesichts der mit Suchtgifthandel verbundenen Rechtsgütergefährdung erheblichen Ausmaßes keine Rechtswidrigkeit erblickt werden.

3.1. Die Beschwerde hält den angefochtenen Bescheid überdies im Grunde des § 37 FrG für rechtswidrig. Zum einen weist sie darauf hin, daß der Beschwerdeführer sich "bereits seit 17 Jahren in Österreich befinde und davon 15 Jahre ununterbrochen bei ein und derselben Firma beschäftigt war", und sich auch seine Gattin und seine Kinder im Bundesgebiet aufhielten. Zum anderen rügt sie, daß die belangte Behörde nicht ausreichend die familiäre Situation des Beschwerdeführers "recherchiert" habe, insbesondere nicht, wie alt die Kinder seien; es sei auch nicht erhoben worden, wie lange der Beschwerdeführer sich in Österreich aufhalte. Außerdem hätte die Behörde das "derzeitige Suchtverhalten" des Beschwerdeführers überprüfen und feststellen müssen, daß er selbst nicht mehr suchtgiftabhängig sei. Erst bei Kenntnis der "gesamten persönlichen, gesundheitlichen und familiären Situation und der sich daraus ergebenden sozialen Bindung und Integration in Österreich wäre eine rechtlich richtige Beurteilung im Sinne einer Interessenabwägung möglich gewesen".

3.2.1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat die belangte Behörde den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers - nach der Feststellung im bekämpften Bescheid seit dem Jahr 1970 - ebenso wie die Tatsache, daß auch seine Gattin und seine Kinder in Österreich leben, berücksichtigt und daraus den zutreffenden Schluß gezogen, daß mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes ein "schwerwiegender Eingriff" in sein Privat- und Familienleben verbunden sei. Wenn sie trotzdem die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG bejaht hat, so kann diesem Ergebnis nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, weil sie zu Recht die Auffassung vertreten hat, daß im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität diese Maßnahme auch unter Bedachtnahme auf die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers aus den im Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen (konkret: mit Rücksicht auf die Verhinderung von strafbaren Handlungen und den Schutz der Gesundheit) dringend geboten ist (vgl. dazu aus der in Ansehung von Suchtgiftdelikten zu § 19 FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die auch auf dem Boden des § 37 Abs. 1 FrG volle Gültigkeit hat, etwa die Erkenntnisse vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/0896, vom 21. Dezember 1995, Zl. 95/18/1313, vom 30. Jänner 1997, Zl. 97/18/0024, und das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 96/18/0246, jeweils mwN). Diese Notwendigkeit wird im vorliegenden Fall noch dadurch unterstrichen, daß dem Beschwerdeführer ein Verstoß gegen § 12 Abs. 3 Z. 3 SGG, also der Handel mit Suchtgift in einer Menge zur Last liegt, die zumindest das Fünfundzwanzigfache der im Abs. 1 angeführten großen Menge ausmacht, wobei die zuletzt genannte Menge eine solche ist, deren Weitergabe geeignet ist, eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen in großem Ausmaß herbeizuführen (vgl. dazu etwa das vorzitierte hg. Erkenntnis Zl. 97/18/0024).

3.2.2. Im Lichte dieser Erwägungen erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Interessenabwägung als unbedenklich. Das nach dieser Bestimmung primär zu berücksichtigende Kriterium der Integration des Beschwerdeführers aufgrund der Dauer seines Aufenthaltes hat vorliegend nicht das Gewicht, das man ihm dem ersten Anschein nach - auf der Grundlage eines inländischen Aufenthaltes seit dem Jahr 1970 - zubilligen würde. Denn die aus dem langjährigen Aufenthalt ableitbare Integration hat - von der belangten Behörde richtig erkannt - in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die vom Beschwerdeführer begangenen schweren Straftaten (vor allem das Verbrechen des Suchtgifthandels in Form der gewerbsmäßigen Begehung während eines langen Zeitraumes, aber auch die Vermögensdelikte nach § 164 Abs. 1, 2 und 3 StGB) eine ganz erhebliche Minderung erfahren, was auch durch eine - behauptete - mehrjährige Beschäftigung des Beschwerdeführers bei derselben "Firma" nicht annähernd ausgeglichen wird. Unbeschadet dessen ist mit der belangten Behörde festzuhalten, daß aufgrund der in hohem Maß sozialschädlichen Suchtgiftdelikte selbst eine ansonsten völlige soziale Integration des Beschwerdeführers der Erlassung des Aufenthaltsverbotes aus der Sicht des § 37 Abs. 2 FrG nicht entgegenstünde (vgl. aus der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch dazu die Erkenntnisse Zl. 96/18/0246, und Zl. 97/18/0024, die zu § 20 Abs. 1 FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ergangen sind, aber auch in Ansehung der insoweit inhaltsgleichen Bestimmung des § 37 Abs. 2 FrG Gültigkeit beanspruchen). Von daher gesehen hat die belangte Behörde, auch unter Berücksichtigung beachtlicher familiärer Interessen des Beschwerdeführers, der durch sein gravierendes Fehlverhalten bewirkten nachhaltigen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zutreffend größeres Gewicht beigemessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine und seiner Familie Lebenssituation.

4. Da nach dem Gesagten die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Beschwerdeinhalt erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegündet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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