VwGH 98/04/0142

VwGH98/04/014216.12.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Urban, über die Beschwerde der Dr. M L, der Mag. G L und des R L, alle in G, alle vertreten durch S, S & W, Rechtsanwälte in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 19. Juni 1998, Zl. 314.761/2-III/A/2a/97, betreffend Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: H K in G), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §3;
B-VG Art49 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;
ABGB §3;
B-VG Art49 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zum Gang des Verfahrens bis zur Erlassung des hg. Erkenntnisses vom 8. Oktober 1996, Zlen. 96/04/0175, 0176 und 0177, wird auf die diesbezüglichen Darlegungen in diesem und im hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1993, Zl. 93/04/0013, verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof legte in dem erstgenannten Erkenntnis dar, daß die Bestimmung des § 148 Abs. 1 GewO 1994 (in der damals in Kraft stehenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 116/1998) nichts daran ändert, daß ein dieser Bestimmung unterliegender Gastgartenbetrieb unter den Voraussetzungen des § 74 GewO 1994 genehmigungspflichtig ist und er daher gemäß § 77 Abs. 1 leg. cit. "erforderlichenfalls" - wenn auch nicht hinsichtlich der durch § 148 Abs. 1 leg. cit. festgelegten Betriebszeiten - unter Auflagen zu genehmigen ist. Das bedeutet, daß der Betrieb eines solchen Gastgartens nur genehmigt werden kann, wenn durch die gleichzeitige Vorschreibung allenfalls erforderlicher Auflagen sichergestellt ist, daß ausgehend von den im Gesetz festgelegten Betriebszeiten die im § 74 Abs. 2 Z. 1 bis 5 leg. cit. genannten Gefährdungen, Belästigungen, Beeinträchtigungen und sonstigen nachteiligen Einwirkungen vermieden werden können. Da die belangte Behörde mit dem Bescheid vom 15. November 1994 in Verkennung dieser Rechtslage der mitbeteiligten Partei die in Rede stehende gewerbebehördliche Genehmigung ohne Rücksicht auf die vom Terrassenbetrieb ausgehenden Lärmimmissionen erteilte, belastete sie, wie der Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis ausführte, den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben wurde.

Mit dem nunmehr als Ersatzbescheid für den Bescheid vom 1. Juni 1995 ergangenen Bescheid vom 19. Juni 1998 erteilte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten der mitbeteiligten Partei neuerlich die gewerbebehördliche Bewilligung zur Errichtung und zum Betrieb der in Rede stehenden gastgewerblichen Betriebsanlage unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen. Zur Begründung führte der Bundesminister u.a. aus, gemäß § 148 GewO 1994 dürften Gastgärten, die sich auf öffentlichem Grund befänden oder an öffentliche Verkehrsflächen angrenzten, von Rechts wegen jedenfalls von 8.00 Uhr bis 22.00 Uhr, vom 15. Juni bis einschließlich 15. September bis 23.00 Uhr betrieben werden, wenn sie ausschließlich der Verabreichung von Speisen und dem Ausschank von Getränken dienten, lautes Sprechen, Singen und Musizieren vom Gastgewerbetreibenden untersagt sei und auf dieses Verbot hinweisende Anschläge dauerhaft und von allen Zugängen zum Gastgarten deutlich erkennbar angebracht seien. Der verfahrensgegenständliche Gastgarten entspreche diesen Voraussetzungen. An diese gesetzliche Betriebszeitenregelung seien auch die Gewerbebehörden bei Erteilung einer gewerblichen Betriebsanlagengenehmigung gebunden. Dies ergebe sich auch aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Gewerberechtsnovelle 1992, wo es heiße, daß mit dieser Regelung der Betrieb von Gastgärten mit einer "Betriebsgarantie" ausgestattet werden solle, in die nicht durch betriebsanlagenrechtliche Vorschreibungen eingegriffen werden könne. Es dürften daher weder im Betriebsanlagengenehmigungsbescheid bezüglich dieser Immissionsart betriebszeitenbeschränkende oder sonstige lärmmindernde Auflagen vorgeschrieben werden noch dürfe das Genehmigungsansuchen aus diesem Grunde versagt werden. Da die der Betriebsanlage zugehörige Terrasse (Gastgarten) laut Betriebsbeschreibung den gesetzlichen Erfordernissen entspreche, hätten durch die Behörde keine beschränkenden oder sonstigen lärmmindernden Auflagen vorgeschrieben werden dürfen. Darüber hinaus gehe auch aus dem gewerbetechnischen Gutachten eindeutig hervor, daß die im Rahmen der Lärmmessungen durchgeführten Gesprächssimulationen auf der Terrrasse am Meßpunkt Kinderzimmer nicht meßbar gewesen seien. Eine Belästigung der Beschwerdeführer durch den Terrassenbetrieb sei daher auszuschließen und wäre daher auch die Vorschreibung von Auflagen zur Wahrung der Schutzinteressen des § 74 GewO 1994 nicht notwendig.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Auch die mitbeteiligte Partei beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in den Rechten verletzt, daß von einer bewilligten Betriebsanlage keine Gefährdung der Gesundheit keine unzumutbare Belästigung der Beschwerdeführer durch Lärm, Geruch, Rauch und ähnliches ausgeht. In Ausführung des so formulierten Beschwerdepunktes bringen sie u.a. vor, obwohl die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides festhalte, sie habe gemäß § 63 VwGG einen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Ersatzbescheid zu erlassen gehabt, meine sie erneut, der verfahrensgegenständliche Gastgarten erfülle die Voraussetzungen des § 148 GewO 1994, sodaß er von Rechts wegen jedenfalls innerhalb der im Gesetz genannten Zeiträume betrieben werden dürfe. Der Bundesminister habe demnach keine ergänzenden Erhebungen, insbesondere gezielte Messungen jener Lärmimmissionen durchgeführt, die dadurch bedingt seien, daß die Betriebsanlage auch auf der Terrasse betrieben werde. Hätte der Bundesminister dem angefochtenen Bescheid die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes zugrunde gelegt und Feststellungen über die vom Betrieb auf der Terrasse ausgehenden Lärmimmissionen getroffen, so hätte er allein schon wegen der unmittelbaren Nähe zur Liegenschaft der Beschwerdeführer einen Betrieb im Freien untersagen müssen. Im angefochtenen Bescheid werde festgestellt, daß im Rahmen der Lärmmessungen durchgeführte Gesprächssimulationen am Meßpunkt Kinderzimmer nicht meßbar gewesen seien. Diese vor Jahren an einem Vormittag, einem Ruhetag oder einem Regentag durchgeführte Simulation lasse keinen Rückschluß darauf zu, daß bei Echtbetrieb mit Gästen auf der Terrasse von dieser nicht gravierende Lärmimmissionen ausgingen, zumal den Beschwerdeführern auch nicht bekannt sei, wie viele Personen sich an dieser Simulation beteiligt hätten und welche Lautstärke simuliert worden sei. Die belangte Behörde hätte sich daher nicht mit Gesprächssimulationen begnügen, sondern Messungen an Wochenenden und an Abenden, also in Anwesenheit von Gästen, durchführen müssen, um die echte direkte Übertragung feststellen zu können.

Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsbehörden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde gemäß Art. 131 B-VG stattgegeben hat, verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Die belangte Behörde belastete daher schon deshalb den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weil sie in ausdrücklicher Mißachtung der vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 8. Oktober 1996, Zlen. 96/04/0175, 0176 und 0177, geäußerten Rechtsansicht davon ausging, die in Rede stehende gewerbebehördliche Genehmigung habe neuerlich ohne Rücksicht auf die vom Terrassenbetrieb ausgehenden Lärmimmissionen erteilt werden müssen. Daran vermag die mit Bundesgesetz BGBl. I Nr. 116/1998 erfolgte Änderung der Bestimmung des § 148 Abs. 1 GewO 1994 nichts zu ändern. Zwar ist diese Rechtsänderung nach Art. III dieses Bundesgesetzes mit rückwirkender Kraft ab 1. Juni 1998 ausgestattet, während der angefochtene Bescheid erst mit seiner Zustellung an die Parteien des Verwaltungsverfahrens am 25. Juni 1998 erlassen wurde. Das ändert aber nichts daran, daß der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf der Grundlage jener Rechtslage zu prüfen hat, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides in Geltung stand. Wird - wie im vorliegenden Fall - das die Rechtsgrundlage eines Bescheides bildende Gesetz nach der Erlassung des Bescheides mit rückwirkender Kraft, bezogen auf einen vor der Erlassung des Bescheides gelegenen Zeitpunkt, geändert, dann ist daher bei der Prüfung des Bescheides die rückwirkende Änderung des Gesetzes dennoch außer Betracht zu lassen und die Rechtmäßigkeit des Bescheides auf der Grundlage der früheren Rechtslage zu beurteilen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 1986, Slg. N. F. Nr. 12.197/A - nur Rechtssatz, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Soweit der Bundesminister aber "darüber hinaus" meint, daß eine Belästigung der Beschwerdeführer durch den Terrassenbetrieb auszuschließen sei, weil aus dem gewerbetechnischen Gutachten eindeutig hervorgehe, daß die im Rahmen der Lärmmessungen durchgeführten Gesprächssimulationen auf der Terrasse am Meßpunkt Kinderzimmer nicht meßbar gewesen seien, ist er auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem in dieser Verwaltungssache ergangenen hg. Erkenntnis vom 25. Mai 1993, Zl. 93/04/0013, zu verweisen, wo der Verwaltungsgerichtshof in Erwiderung gleichartiger Ausführungen im im ersten Rechtsgang ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 9. November 1992 ausführte, daß sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer auseinandersetzen hätte müssen, wonach in einer Gastwirtschaft, insbesondere in einem Bierlokal, um das es sich bei der gegenständlichen Betriebsanlage handle, nicht erwartet werden könne, daß die Unterhaltung der Gäste nur "in normaler Lautstärke" stattfinden werde.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 16. Dezember 1998

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