VwGH 97/19/1574

VwGH97/19/157422.5.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der 1966 geborenen KD in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1996, Zl. 100.324/3-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §66;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §63 Abs1;
AVG §66 Abs4;
AVG §66;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schriftsatz vom 15. Juli 1996 unter Hinweis darauf, daß ihr Ehegatte im Sinne des Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei geschaffenen Assoziatsrates (ARB) in Österreich in den Arbeitsmarkt integriert sei, festzustellen, daß sie (als Angehörige) in Österreich gemäß Art. 7 ARB aufenthaltsberechtigt sei, in eventu, ihr eine Aufenthaltsbewilligung für das Bundesgebiet zu erteilen.

Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz wies den Antrag "auf Feststellung des Aufenthalts" mit Bescheid vom 1. August 1996 gemäß den §§ 1, 3, 4, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) ab.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, in eventu den Bundesministers für Inneres. Sie beantragte, den angefochtenen Bescheid dahin anzuändern, daß festgestellt werde, daß sie in Österreich aufenthaltsberechtigt sei, in eventu, ihr eine Aufenthaltsbewilligung für das Bundesgebiet zu erteilen. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 14. Oktober 1996, Frb-4250c-17/96 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Die Zustellung dieses Bescheides erfolgte am 23. Oktober 1996; dieser Bescheid ist zu hg. Zl. 96/21/1044 in Beschwerde gezogen.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Dezember 1996 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 sowie Z. 6 FrG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei mit einem Touristensichtvermerk (mit Gültigkeitsdauer bis 17. April 1996) eingereist und habe ihren damit begonnenen Aufenthalt mit dem vorliegenden Antrag auf Aufenthaltsbewilligung verlängern wollen. Da sie sich seit Ablauf ihres Touristensichtvermerkes entgegen dem § 15 FrG unerlaubt und ohne jegliche Aufenthaltsberechtigung im österreichischen Bundesgebiet aufhalte, liege eine Gefährdung für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit vor, da die Beschwerdeführerin offenbar nicht gewillt sei, bedeutsame fremdenrechtliche Vorschriften zu beachten. Ein Eingehen auf eventuelle private und familiäre Interessen erübrige sich im Hinblick auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, weil das Vorliegen des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG einen zulässigen Eingriff in das durch Art. 8 MRK geschützte Grundrecht darstelle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die nach Abtretung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof ergänzte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe niemals die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung beantragt, weshalb der angefochtene Bescheid insofern "aktenwidrig" sei. Darüberhinaus sei die belangte Behörde nicht "Zweitbehörde" nach dem Fremdengesetz und sei somit zur Erlassung des angefochtenen Bescheides unzuständig. Der Verwaltungsgerichtshof sei angesichts der mangelnden Gerichtsqualität seiner Vorinstanzen Erstgericht und habe sohin alle Pflichten eines Gerichts wahrzunehmen, so insbesondere eine eigenständige Prüfung des Sachverhaltes vorzunehmen und autonom festzustellen, daß der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung nach Art. 7 ARB zukomme. Im übrigen beantrage die Beschwerdeführerin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung oder Anordnung und rege eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Auslegung der Art. 6 und 7 ARB an.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wies die Berufung mit (nach Zustellung an die Beschwerdeführerin am 23. Oktober 1996) rechtskräftigem Bescheid vom 14. Oktober 1996 mangels Zuständigkeit zurück. Damit liegt eine rechtskräftige Entscheidung über die Berufung vom 21. August 1996 vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370, ausgesprochen, daß ein auf Zurückweisung einer Berufung (wegen Unzuständigkeit) lautender Spruch eines Bescheides nicht in der Weise umgedeutet werden kann, daß er eine bloße Feststellung der Unzuständigkeit der Berufungsbehörde darstellt, die nicht als abschließende Entscheidung über die Berufung qualifiziert werden könnte. Mit einer Zurückweisung einer Berufung wegen Unzuständigkeit wird über die Berufung endgültig entschieden, der erstinstanzliche Bescheid erwächst dadurch in formelle Rechtskraft.

Wenn aber eine bescheidmäßige Erledigung der Berufung durch deren Zurückweisung vorliegt, besteht für den Berufungswerber keine Möglichkeit mehr, auf einer (dann: neuerlichen) Entscheidung über die Berufung zu beharren, weil im Hinblick auf die Berufung bereits entschiedene Sache vorliegt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 97/21/0016). Es liegt in einem solchen Fall überhaupt keine Berufung mehr vor, jede dennoch ergehende Entscheidung über die ursprüngliche Berufung erweist sich demnach infolge Unzuständigkeit der entscheidenden Behörde als rechtswidrig.

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, daß bereits durch die rechtskräftige Zurückweisung der Berufung der Beschwerdeführerin durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg über diese endgültig entschieden wurde. Im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (8. Jänner 1997) gehörte der Bescheid der Sicherheitsdirektion bereits dem Rechtsbestand an. Der belangten Behörde lag keine Berufung mehr zur Entscheidung vor.

Berufungsentscheidungen sind, wie sich aus § 63 AVG und aus § 66 AVG ergibt, antragsbedürftige Verwaltungsakte. Entscheidet die Behörde über eine Berufung, ohne daß eine solche vorliegt, so belastet sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1997, Zl. 95/19/1825).

Sollte der Bescheid der Sicherheitsdirektion vom 14. Oktober 1996 aus dem Rechtsbestand beseitigt werden und eine Weiterleitung unter Beachtung des Erkenntnisses des verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370, vorgenommen werden, stünde das vorliegende Erkenntnis einer neuerlichen Entscheidung des Bundesministers für Inneres nicht entgegen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben. Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung wurde aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen.

Angesichts des vorliegenden Verfahrensergebnisses erübrigte sich sowohl die von der Beschwerdeführerin angeregte Einholung einer Vorabentscheidung zur Auslegung der Art. 6 und 7 ARB, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung oder Anordnung zur vorläufigen Sicherung von - nach Ansicht der Beschwerdeführerin - unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ableitbaren Rechten ebenso wie der Abspruch über den Antrag, eine Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführerin festzustellen. Auch die Entscheidung des Berichters über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, konnte angesichts dieses Verfahrensergebnisses entfallen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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