VwGH 97/18/0648

VwGH97/18/064818.6.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des E S in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Prader, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Seidengasse 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. August 1997, Zl. SD 389/97, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6 Abs1;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
VwRallg;
ARB1/80 Art6 Abs1;
AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 29. August 1997 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 30. September 1991 in das Bundesgebiet eingereist und habe am 2. Oktober 1991 einen Asylantrag gestellt, welcher von der belangten Behörde mit Bescheid vom 19. März 1992 und im Instanzenzug vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 10. April 1996 - rechtskräftig seit dem 19. April 1996 - abgewiesen worden sei.

Ein vom Beschwerdeführer gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 22. Oktober 1996 abgewiesen worden; der dagegen erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres mittlerweile mit Bescheid vom 28. Februar 1997 keine Folge gegeben. Der Beschwerdeführer, der während des anhängigen Asylverfahrens über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 7 des Asylgesetzes 1991 verfügt hätte, halte sich demnach seit Beendigung dieses Verfahrens - somit seit dem 20. April 1996 - nicht mehr rechtmäßig in Österreich auf. Da der Beschwerdeführer über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge, sei die Erstbehörde zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß in seinem Fall die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG gegeben sei.

Was die Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 19 FrG betreffe, so sei im Hinblick auf den mehrjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, seiner aufrechten Beschäftigung als Hilfskoch sowie aufgrund der Tatsache, daß er mit seiner Gattin und einer minderjährigen Tochter in Wien lebe, von einem mit dieser Maßnahme verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen gewesen.

Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit der Ausweisung aufgrund des Dringend-geboten-seins dieser Maßnahme zu bejahen, komme doch den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 MRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Dieses maßgebliche öffentliche Interesse sei durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, der sich nunmehr bereits für die Dauer von 16 Monaten unrechtmäßig in Österreich aufhalte und diesen unrechtmäßigen Aufenthalt trotz rechtskräftiger Abweisung seines Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung fortgesetzt habe, erheblich beeinträchtigt worden. Hinzu komme, daß der Beschwerdeführer bloß aufgrund seines Asylantrages zum vorläufigen Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen sei, wobei sich dieser Antrag mittlerweile als unbegründet erwiesen habe. Damit erfahre aber auch die Ehe des Beschwerdeführers in ihrem Gewicht eine nicht unwesentliche Minderung, zumal der Beschwerdeführer diese Ehe nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages, somit zu einem Zeitpunkt eingegangen sei, als er rechtens nicht mit einem längeren Aufenthalt in Österreich habe rechnen dürfen. Die vom Beschwerdeführer bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses sei von einem solchen Gewicht, daß die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien, als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet. Bekräftigt werde dieses Abwägungsergebnis durch den Umstand, daß der Beschwerdeführer rechtens nicht in der Lage sei, seinen Aufenthalt in Österreich von hier aus zu legalisieren.

Daran vermöge auch der Feststellungsbescheid des Arbeitsmarktservice vom 26. Juni 1997, wonach der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 zum Abkommen EWG-Türkei erfülle, nichts zu ändern, da dieser Bescheid nur in Verbindung mit einer gültigen Aufenthaltsberechtigung gelte, über die der Beschwerdeführer jedoch nicht verfüge.

2. Gegen diesen Bescheid richtete der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese - nach Ablehnung ihrer Behandlung - dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluß vom 27. November 1997, B 2552/97).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren macht die Beschwerde Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde wendet gegen den angefochtenen Bescheid ein, daß der (in Punkt I.1. genannte) Feststellungsbescheid des Arbeitsmarktservice Wien klarstelle, daß dem Beschwerdeführer "Niederlassungsfreiheit" in Österreich zukomme und daher der von der belangten Behörde angenommene unrechtmäßige Aufenthalt nicht vorliege.

2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

2.1. Der belangten Behörde wurde vom Beschwerdeführer vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ein Schreiben der "Regionale(n) Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices Persönliche Dienste/Gastgewerbe 1160 Wien ..." vom 26. Juni 1997 übermittelt (vgl. Blatt 50 der vorgelegten Verwaltungsakten). Dieses Schreiben lautet auszugsweise:

"Feststellung

gemäß Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses

1/1980 des Assoziationsrates vom 19.9.1980 über die

Entwicklung der Assoziation

Aufgrund Ihres Antrages vom 26.6.97 wird festgestellt, daß Sie die Voraussetzungen des Artikel 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19.9.1980 erfüllen und damit in Österreich

freien Zugang zu jeder von Ihnen

gewählten unselbständigen Beschäftigung haben.

B e g r ü n d u n g

Das Arbeitsmarktservice Persönliche Dienste/Gastgewerbe hat Ihren Antrag geprüft und festgestellt, daß Sie als ein/e dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehörende/r türkische/r Staatsangehörige/r seit vier Jahren ordnungsgemäß in Österreich beschäftigt sind und Ihnen daher gemäß der o.a. Bestimmungen das Recht auf freien Zugang zu jeder von Ihnen gewählten Beschäftigung zusteht.

H i n w e i s

Dieser Bescheid gilt nur in Verbindung mit einer gültigen Aufenthaltsberechtigung. Für die Annahme einer unselbständigen Beschäftigung ist eine weitere Bewilligung nach den Vorschriften des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, BGBl. Nr. 218/75 idgF, nicht erforderlich. Dieser Bescheid verliert seine Gültigkeit bei Aufgabe des Wohnsitzes im Bundesgebiet und bei Verlust der Aufenthaltsberechtigung.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

..."

Nach übereinstimmender Auffassung der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens handelt es sich bei dieser "Feststellung" um einen Feststellungsbescheid. In Anbetracht seines Inhaltes wie auch seiner Form (§ 58 AVG) besteht - trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid - auch nach Auffassung des Gerichtshofes kein Zweifel daran, daß dieses Schreiben als Bescheid zu qualifizieren ist (vgl. etwa Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S. 964, E 35 zu § 58 AVG).

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zl. 96/09/0088 = Slg. 14.483/A, festgehalten hat, kommt einem türkischen Arbeitnehmer, der die in dem besagten (auf das Assoziationsabkommen EWG-Türkei aus dem Jahr 1963 gestützten) Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 normierten Voraussetzungen erfüllt, die Assoziationsfreizügigkeit (in Anbetracht der unmittelbaren Wirkung dieses Assoziationsratsbeschlusses als integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung) unmittelbar nach Maßgabe des Assoziationsratsbeschlusses selbst zu, ohne daß dies von einem konstitutiven österreichischen Rechtsakt abhängig gemacht werden dürfte.

Die normative Bedeutung eines Feststellungsbescheides der vorliegenden Art besteht, wie sich aus dem genannten hg. Erkenntnis ergibt, in der - deklarativen - Klärung der Frage, ob im Einzelfall die vom Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 geforderten Voraussetzungen für die Assoziationsfreizügigkeit eines türkischen Arbeitsnehmers in Österreich erfüllt sind.

2.3. Ist ein solcher - klarstellender - Feststellungsbescheid - wie unbestritten der vorliegende - rechtskräftig geworden, so ist er verbindlich (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes6, Rz 406) und entfaltet somit im Umfang des Spruches, also nicht auch der "Begründung" und des "Hinweises", eine normative Bindung auch für die belangte Behörde, gibt es doch vorliegend keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich die für die bescheidmäßige Feststellung maßgebende Sach- und Rechtslage (derart) geändert hätte, daß diese Feststellung für die belangte Behörde nicht (mehr) verbindlich wäre, zumal der Beschwerdeführer nach Ausweis der Verwaltungsakten (vgl. Blatt 68) unmittelbar vor Erlassung des angefochtenen Bescheides als Arbeitnehmer beschäftigt war und von daher ein (allenfalls denkbarer) Wegfall der festgestellten Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 des in Rede stehenden Assoziationsratsbeschlusses nach Erlassung des Feststellungsbescheides nicht in Betracht kommt.

Da somit dem Beschwerdeführer im Lichte des genannten Feststellungsbescheides im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides ein unmittelbar im Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 (und damit im Gemeinschaftsrecht) gründendes Aufenthaltsrecht zukam, durfte sein Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt nicht als unrechtmäßig qualifiziert werden.

3. Da die belangte Behörde sohin die Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigte es sich, auf das weitere - auf § 19 FrG gerichtete - Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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