VwGH 97/01/0630

VwGH97/01/063022.4.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde

1.) des M in Wien und 2.) des A in Mezökövesd, Ungarn, beide vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien I, Johannesgasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. Mai 1997,

Zlen. UVS-02/11/00102/96 und UVS-02/11/00103/96, betreffend Richtlinienbeschwerde gemäß § 89 Sicherheitspolizeigesetz, zu Recht erkannt:

Normen

SPG 1991 §89 Abs1;
SPG 1991 §89 Abs2;
SPG RichtlinienV 1993 §5 Abs1;
SPG RichtlinienV 1993 §5 Abs2;
SPG 1991 §89 Abs1;
SPG 1991 §89 Abs2;
SPG RichtlinienV 1993 §5 Abs1;
SPG RichtlinienV 1993 §5 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt I (betreffend den Erstbeschwerdeführer) im Kostenausspruch insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, als der Erstbeschwerdeführer zu einem S 2.871,-- übersteigenden Kostenersatz verpflichtet wurde.

In seinem Spruchpunkt II (betreffend den Zweitbeschwerdeführer) wird der angefochtene Bescheid, soweit damit festgestellt wurde, daß eine Verletzung von § 5 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinienverordnung nicht gegeben sei, und im Kostenausspruch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 25. Juli 1996 wurde der Zweitbeschwerdeführer vom Sicherheitswachebeamten Revierinspektor G. wegen des Verdachtes einer Übertretung nach dem Fremdengesetz überprüft. Im Zuge dieser Amtshandlung tauchte der Verdacht auf, daß der Erstbeschwerdeführer den Zweitbeschwerdeführer entgegen den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes beschäftige.

In der bei der belangten Behörde am 27. August 1996 eingelangten Richtlinienbeschwerde gemäß § 89 Sicherheitspolizeigesetz machten die Beschwerdeführer, vertreten durch den nunmehrigen Beschwerdevertreter geltend, sie seien bei der Amtshandlung mit "Du" angesprochen worden, gegenüber dem Erstbeschwerdeführer habe der Sicherheitswachebeamte die Worte: "Halt" die Goschn" verwendet und die Bekanntgabe der Dienstnummer verweigert; den Zweitbeschwerdeführer habe das einschreitende Organ nicht davon in Kenntnis gesetzt, daß er berechtigt sei, eine Vertrauensperson oder einen Rechtsbeistand beizuziehen.

Diese Beschwerde wurde von der belangten Behörde am 5. September 1996 gemäß § 89 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz der Bundespolizeidirektion Wien, Generalinspektorat der Sicherheitswache, zugeleitet. Diese Behörde richtete nach entsprechenden Erhebungen je eine Mitteilung gemäß § 89 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz an die Beschwerdeführer, wobei sie hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers eine Verletzung des § 5 Abs. 2 der Richtlinienverordnung durch die Verwendung des "Du-Wortes" als gegeben erachtete, während sie im übrigen zu dem Ergebnis kam, daß eine Richtlinienverletzung nicht vorliege. Diese Mitteilungen wurden am 15. November 1996 an den Erstbeschwerdeführer und am 28. November 1996 an den Zweitbeschwerdeführer zugestellt. Eine Zustellung an den einschreitenden Rechtsanwalt erfolgte nicht. Am 29. November 1996 stellten die Beschwerdeführer den Antrag an die belangte Behörde, gemäß § 89 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden sei.

Mit Bescheid vom 15. Mai 1997 hat die belangte Behörde die Beschwerden hinsichtlich beider Beschwerdeführer abgewiesen und die Beschwerdeführer zu einem Kostenersatz von je S 4.621,-- verpflichtet.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat

der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 89 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl. Nr. 566/1991 (SPG) haben Menschen, die in einer binnen sechs Wochen, wenn auch beim unabhängigen Verwaltungssenat, eingebrachten Aufsichtsbeschwerde behaupten, beim Einschreiten eines Organes des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von dem sie betroffen waren, sei eine gemäß § 31 SPG erlassene Richtlinie verletzt worden, Anspruch darauf, daß ihnen die Dienstaufsichtsbehörde den von ihr schließlich in diesem Punkte als erwiesen angenommenen Sachverhalt mitteilt und sich hiebei zur Frage äußert, ob eine Verletzung vorliegt.

Nach dem Abs. 4 dieser Bestimmung hat jeder, dem gemäß Abs. 2 mitgeteilt wurde, daß die Verletzung einer Richtlinie nicht festgestellt worden sei, das Recht, binnen 14 Tagen die Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates zu verlangen, in dessen Sprengel das Organ eingeschritten ist; dasselbe gilt, wenn eine solche Mitteilung (Abs. 2) nicht binnen drei Monaten nach Einbringung der Aufsichtsbeschwerde ergeht. Der unabhängige Verwaltungssenat hat festzustellen, ob eine Richtlinie verletzt worden ist.

Die Bundespolizeidirektion Wien hat die Sachverhaltsmitteilungen gemäß § 89 Abs. 2 SPG nicht an den bereits in der Richtlinienbeschwerde ausgewiesenen Vertreter der beiden Beschwerdeführer, sondern - entgegen der Vorschrift des § 9 Abs. 1 Zustellgesetz, welche gemäß § 1 leg. cit. für die Zustellung aller "in Vollziehung der Gesetze" zu übermittelnden Schriftstücke, somit auch für Mitteilungen gemäß § 89 Abs. 2 SPG gilt - an die Beschwerdeführer selbst zugestellt. Die Zustellung der Mitteilungen gemäß § 89 Abs. 2 SPG ist somit nicht wirksam erfolgt. Die an die belangte Behörde gerichtete Beschwerde ist daher gemäß § 89 Abs. 4 SPG zulässig, weil eine (wirksame) Mitteilung gemäß § 89 Abs. 2 SPG nicht binnen drei Monaten nach Einlangen der Aufsichtsbeschwerde erfolgte. Sollte man demgegenüber die Ansicht vertreten, der Zustellmangel sei hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers - wie sich dies aus dem Verhandlungsprotokoll ergibt - durch tatsächliches Zukommen an den Vertreter am 15. November 1996 gemäß § 9 Abs. 1 zweiter Satz Zustellgesetz geheilt worden, änderte dies nichts an der Zulässigkeit der Richtlinienbeschwerde, weil der Antrag gemäß § 89 Abs. 4 SPG jedenfalls innerhalb von 14 Tagen nach (Heilung der) Zustellung an den Erstbeschwerdeführer erhoben wurde.

Gegen den inhaltlichen Abspruch der belangten Behörde über die Richtlinienbeschwerde richtet sich die vorliegende Beschwerde nur insofern, als der Zweitbeschwerdeführer die Abweisung seiner Beschwerde insoweit bekämpft, als diese eine Verletzung von § 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinienverordnung durch die Verwendung des "Du-Wortes" relevierte.

Zu diesem Punkt führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheid aus, daß gemäß § 5 Abs. 2 der Richtlinienverordnung Personen grundsätzlich nur über Verlangen mit "Sie" anzusprechen seien. Da der Zweitbeschwerdeführer nicht persönlich am Verfahren mitgewirkt habe, könne nicht mit ausreichender Sicherheit geklärt werden, ob er gegenüber dem Sicherheitswachebeamten verlangt hatte, nicht mit "Du" angesprochen zu werden. Des weiteren erscheine die Verantwortung des einschreitenden Organes, gegenüber Fremden manchmal auf das "Du-Wort" zurückzugreifen, um eine Verständigung überhaupt zu ermöglichen, nicht "den Gepflogenheiten und der Erfahrenheit des täglichen Lebens abträglich".

Gemäß § 5 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden, BGBl. Nr. 266/1993 (Richtlinienverordnung - RLV) haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der Erfüllung der Aufgaben alles zu unterlassen, das geeignet ist, den Eindruck von Voreingenommenheit zu erwecken oder als Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, der Rasse oder Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses, der politischen Auffassung oder sexuellen Orientierung empfunden zu werden. Gemäß dem Abs. 2 dieser Verordnung haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes alle Menschen, bei denen dies dem üblichen Umgang entspricht oder die es verlangen, mit "Sie" anzusprechen.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sind gemäß § 5 Abs. 2 RLV Personen nicht grundsätzlich nur über Verlangen mit "Sie" anzusprechen. Vielmehr sind nach dem ersten Fall dieser Norm Personen, bei denen dies dem üblichen Umgang entspricht, jedenfalls - auch ohne ausdrückliches Verlangen - mit "Sie" anzusprechen. Lediglich gegenüber Personen, bei denen dies nicht üblich ist, ist diese Anrede nach dem zweiten Fall nur auf Verlangen zu gebrauchen. Dies ergibt sich schon aus dem Wort "oder", mit dem die beiden Fälle dieser Verordnungsstelle miteinander verknüpft sind.

Da es in Österreich dem üblichen Umgang entspricht, Erwachsene mit "Sie" anzureden, haben sich auch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Erfüllung ihrer Aufgaben im Umgang mit erwachsenen Personen dieser Anrede zu bedienen, ohne daß es hiefür einer ausdrücklichen Aufforderung bedürfte. Diesbezüglich zwischen Inländern und Ausländern zu unterscheiden würde dem in § 5 Abs. 1 der zitierten Verordnung normierten Gebot, nicht den Anschein einer Voreingenommenheit bzw. einer Diskriminierung nach der nationalen oder ethnischen Herkunft zu erwecken, widersprechen.

Soweit man die Begründung des angefochtenen Bescheides so verstehen kann, daß die Verwendung des "Du-Wortes" gegenüber dem Zweitbeschwerdeführer notwendig gewesen sei, um eine Verständigung überhaupt möglich zu machen, ist der belangten Behörde zu entgegnen, daß auf ein Ermittlungsverfahren gestützte Feststellungen über die Sprachkenntnisse des Zweitbeschwerdeführers fehlen. Hiezu sei angemerkt, daß der einschreitende Sicherheitswachebeamte in der von ihm unmittelbar nach dem Vorfall verfaßten Anzeige ausgeführt hat, der Zweitbeschwerdeführer habe ein "deutlich zu verstehendes" Deutsch gesprochen.

Die Ansicht der belangten Behörde, daß hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers keine Verletzung des § 5 Abs. 1 und 2 RLV durch die Verwendung des "Du-Wortes" vorliegt, beruht daher auf einer Verkennung der Rechtslage.

Die Kostenentscheidung begründete die belangte Behörde wie folgt:

Die Bundespolizeidirektion Wien habe in den Verfahren betreffend die beiden Beschwerdeführer nur einmal den Schriftsatz- und Vorlageaufwand verzeichnet. Davon hätten die Beschwerdeführer je die Hälfte (das sind jeweils S 1.121,--) zu ersetzen. Der Verhandlungsaufwand sei hingegen für jeden Beschwerdeführer gesondert verzeichnet worden. Da es sich um getrennte Verfahren handle, hätten die Beschwerdeführer jeweils den gesamten Pauschalbetrag von S 3.500,-- zu ersetzen. Insgesamt entfiele daher auf jeden Beschwerdeführer ein zu ersetzender Betrag von S 4.621--.

Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, daß jeder von ihnen zum Ersatz des gesamten Pauschalbetrages für den Verhandlungsaufwand verpflichtet wurde und bringen dazu vor, daß sich ihre an die belangte Behörde gerichtete Beschwerde nur gegen einen Verwaltungsakt gewendet habe und daher der belangten Behörde gemäß § 53 Abs. 1 VwGG der Ersatz für den Verhandlungsaufwand insgesamt nur einmal zustehe.

Gemäß § 89 Abs. 5 SPG i.d.F. BGBl. Nr. 201/1996 sind in Verfahren gemäß dem Abs. 4 dieser Gesetzesstelle vor dem unabhängigen Verwaltungssenat die §§ 67c bis 67g und 79a AVG, welche das Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt regeln, anzuwenden. Gemäß § 79a Abs. 1 AVG hat die obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen, wozu gemäß dem Abs. 4 Z. 3 dieser Bestimmung auch ein Pauschalbetrag für den Verhandlungsaufwand zählt, welcher im Falle des Obsiegens der Behörde gemäß § 1 Z. 5 der Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl. Nr. 855/1995 S 3.500,-- beträgt.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 48 Abs. 2 Z. 4 VwGG, welche Bestimmung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren eine analoge Regelung vorsieht, gebührt der belangten Behörde der Ersatz für den Verhandlungsaufwand nur einmal, wenn über mehrere Beschwerden gemeinsam verhandelt wurde (vgl. etwa die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 693 f zitierte Judikatur). Aufgrund der gleichen Ausgangslage ist diese Judikatur auch auf die hier zu lösende Frage des Ersatzes von Verhandlungsaufwand gemäß § 79a AVG zu übertragen. Vorliegend hat die belangte Behörde über die Beschwerde der beiden Beschwerdeführer nur eine Verhandlung am 6. Mai 1997 um 9.00 Uhr durchgeführt, welche nach dem Verhandlungsprotokoll die "Richtlinienbeschwerde gemäß § 31 iVm § 89 SPG des Herrn M und des Herrn A ..." zum Gegenstand hatte. Der Ersatz des Verhandlungsaufwandes gebührt der belangten Behörde daher schon deshalb für beide Beschwerdeführer nur in der Höhe des einfachen Pauschalbetrages, weil über die Beschwerde nur eine Verhandlung durchgeführt wurde. Die belangte Behörde hätte daher - ausgehend von der gänzlichen Abweisung der Beschwerde - jeden Beschwerdeführer nur dazu verpflichten dürfen, die Hälfte des Verhandlungsaufwandes, somit jeweils einen Betrag von S 1.750,-- zu tragen.

Es braucht somit nicht auf die Frage eingegangen zu werden, ob sich die an die belangte Behörde gerichtete Beschwerde hinsichtlich beider Beschwerdeführer nur gegen einen Verwaltungsakt richtet, was für die gemäß § 79a Abs. 7 AVG anzuwendenden Bestimmungen der §§ 52 und 53 VwGG von Bedeutung wäre.

Die Verpflichtung der beiden Beschwerdeführer je zum Ersatz des vollen Verhandlungsaufwandes beruht somit ebenfalls auf einer Verkennung der Rechtslage.

Hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers war der angefochtene Bescheid daher in seinem Kostenausspruch gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, als die belangte Behörde den Erstbeschwerdeführer zu einem Aufwandersatz von mehr als S 2.871,-- (Vorlage- und Schriftsatzaufwand entsprechend der - insoweit nicht bekämpften - Begründung des angefochtenen Bescheides:

S 1.121,--; Verhandlungsaufwand nach den obigen Ausführungen:

S 1.750,--) verpflichtete.

Hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers war der angefochtene Bescheid im Ausmaß des Abspruches über die behauptete Verletzung von § 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinienverordnung und daher jedenfalls auch im Kostenausspruch wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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