VwGH 97/01/0407

VwGH97/01/040723.9.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der H in Wien, vertreten durch Dr. Benno Wageneder und Dr. Claudia Schoßleitner, Rechtsanwälte in 4910 Ried/Innkreis, Adalbert-Stifter-Straße 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 11. Juli 1996, Zl. VwSen-420105/9/Gf/Atz, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §39 Abs2;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1;
AVG §67c Abs2 Z1;
AVG §67c Abs2 Z4;
AVG §67c Abs2;
AVG §67c Abs4;
AVG §67d;
B-VG Art144 Abs3;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §28 Abs1 Z4 impl;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
AVG §39 Abs2;
AVG §67a Abs1 Z2;
AVG §67c Abs1;
AVG §67c Abs2 Z1;
AVG §67c Abs2 Z4;
AVG §67c Abs2;
AVG §67c Abs4;
AVG §67d;
B-VG Art144 Abs3;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §28 Abs1 Z4 impl;
VwGG §28 Abs1 Z4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin hat an der Besetzung der Kraftwerksbaustelle Lambach im Winter/Frühjahr 1996 teilgenommen. In ihrer, gemeinsam mit drei weiteren Beschwerdeführern an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) gerichteten Beschwerde gemäß Art. 129a Abs. 1 Z. 2 B-VG in Verbindung mit § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG brachte sie - im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung - vor, daß am 11. März 1996 die Flußcamps von einer großen Zahl von Gendarmeriebeamten umstellt worden seien und daß sich verschiedene Besetzer (daraufhin) in Betonröhren mit Karabinern "zusammengehängt" hätten. Bezüglich der hier beschwerdeführenden Partei war in der Beschwerde weiters nur mehr davon die Rede, daß sie ebenfalls wegen Übertretung des Versammlungsgesetzes festgenommen und inhaftiert und daß über sie eine Strafverfügung verhängt worden sei. Überdies seien die in den Flußlagern befindlichen Ausrüstungsgegenstände mit einem Bagger weggeschoben und zum Teil unter der Erde begraben worden.

Gemäß den Beschwerdebehauptungen erachtete sich die Beschwerdeführerin durch die Festnahme in ihrem Recht auf persönliche Freiheit, durch die Räumung und Vergrabung von Ausrüstungsgegenständen in ihrem Recht auf Eigentum verletzt. Begründend führte sie hiezu im wesentlichen aus, daß keine Festnahmebefugnis bestanden habe.

Aufgrund der Beschwerde führte die belangte Behörde am 1. Juli 1996 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge ihrer Einvernahme gab die Beschwerdeführerin dabei u.a. an, daß sie (mit anderen) "zu einem GP geschleift" worden sei, "wo uns ein etwas älterer Gendarm alle ziemlich hefig in die Seite zwickte". Dies sei sehr schmerzhaft gewesen, wodurch einige hätten aufschreien müssen. Vor allem sei hiefür kein Grund ersichtlich gewesen. Über Befragen ihres Vertreters führte sie weiters aus, daß die drei Frauen beim Einsteigen in den Dienstbus in die Brust gezwickt worden seien und daß der Gendarm genau diese Stelle absichtlich habe "erwischen" wollen.

Mit Bescheid der belangte Behörde vom 11. Juli 1996 wurde (auch) die Beschwerde der hier beschwerdeführenden Partei als unbegründet abgewiesen "bzw. teilweise als unzulässig" zurückgewiesen. Der Begründung des Bescheides zufolge (Punkt 4.4.) bezog sich die Zurückweisung insbesondere auf das Vorbringen der hier beschwerdeführenden Partei, sie sei beim Einsteigen in das Gendarmeriedienstfahrzeug heftig in die Seite bzw. absichtlich in die Brust gekniffen worden. Diesbezüglich sei sie darauf zu verweisen, daß sie diese Behauptung erstmals in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 1. Juli 1996 und daher mit Blick auf den Vorfallstag, 11. März 1996, gemäß § 67c Abs. 1 AVG offenkundig verspätet aufgestellt habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser sprach mit Erkenntnis vom 26. Februar 1997, Zl. B-2728/96, aus, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid, soweit mit diesem über ihren Freiheitszug entschieden wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden sei. Soweit sich die Beschwerde gegen die weitere Anhaltung der Beschwedeführerin im Anschluß an die auf das Versammlungsgesetz gestützte Festnahme und die Zurückweisung ihrer Beschwerde gegen ihre Behandlung beim Einsteigen in das Gendarmeriefahrzeug richte, werde sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten; im übrigen werde der Abtretungsantrag abgewiesen.

Im auftragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof erstatteten ergänzenden Schriftsatz erklärte die Beschwerdeführerin, daß sie in ihrem einfach-gesetzlichen Recht verletzt sei, daß ein unabhängiger Verwaltungssenat im Verfahren die Offizialmaxime und den Grundsatz der materiellen Wahrheit berücksichtige. Weiters sei sie "im einfach gewährleisteten Recht" verletzt, daß der unabhängige Verwaltungssenat den Verwaltungsakt in jede Richtung prüfe, ohne an die von ihr vorgebrachten Gründe gebunden zu sein. Aufgrund der Verletzung dieses Rechtes habe die belangte Behörde ihre Beschwerde darüber, daß sie von einem Gendarmen heftig in die Seite bzw. absichtlich in die Brust gekniffen worden sei, als verspätet abgetan. Sie beantrage, den angefochtenen Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auszugehen ist zunächst vom oben dargestellten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 1997. Mit diesem wurde die gegenständliche Beschwerde nur insoweit an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten, als sie "sich gegen die weitere Anhaltung der Beschwerdeführerin im Anschluß an die auf das Versammlungsgesetz gestützte Festnahme und die Zurückweisung ihrer Beschwerde gegen ihre Behandlung beim Einsteigen in das Gendarmeriefahrzeug richtet"; derjenige Teil des bekämpften Bescheides, der die Festnahme der Beschwerdeführerin zum Gegenstand hat, kann daher nicht mehr vom Verwaltungsgerichtshof überprüft werden.

In der rechtzeitig erstatteten Beschwerdeergänzung hat die Beschwerdeführerin den Umfang des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens darüber hinaus weiter eingegrenzt. Wohl wird darin - im Hinblick auf das eben genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes in jedem Fall überschießend - der Antrag gestellt, der Verwaltungsgerichtshof möge "das

angefochtene Erkenntnis des belangten UVS ....... aufheben";

aus der oben wiedergegebenen Darstellung des Beschwerdepunktes und der daran anschließenden Ausführung der Beschwerdegründe ergibt sich jedoch zweifelsfrei, daß es der Beschwerdeführerin nur mehr um die Zurückweisung ihrer Beschwerde (als verspätet) im Punkt "Kneifen in die Seite bzw. in die Brust" geht.

Durch die von der beschwerdeführenden Partei vorgenommene Bezeichnung des Beschwerdepunktes wird der Prozeßgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festgelegt und der Rahmen abgesteckt, an den der Verwaltungsgerichtshof bei Prüfung des angefochtenen Bescheides gemäß § 41 Abs. 1 VwGG gebunden ist. Danach hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei, sondern ob jenes verletzt wurde, dessen Verletzung sie behauptet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juli 1998, Zl. 97/01/0764). Nach dem eben Gesagten bedeutet das, daß hier nur mehr darauf einzugehen ist, ob die belangte Behörde zu Recht von einer meritorischen Entscheidung bezüglich der behaupteten Mißhandlung der Beschwerdeführerin beim Einsteigen in das Gendarmeriefahrzeug abgesehen hat.

Gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes. Beschwerden nach § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG sind gemäß § 67c Abs. 1 leg. cit. innerhalb von sechs Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat, sofern er aber durch sie behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, ab dem Wegfall dieser Behinderung, bei dem unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde. Gemäß § 67c Abs. 2 AVG hat die Beschwerde zu enthalten:

  1. 1. die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes,
  2. 2. soweit dies zumutbar ist, eine Angabe darüber, welches Organ den angefochtenen Verwaltungsakt gesetzt hat und welcher Behörde er zuzurechnen ist (belangte Behörde),
  3. 3. den Sachverhalt,
  4. 4. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
  5. 5. das Begehren, den angefochtenen Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären,
  6. 6. die Angaben, die erfoderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.

    Mit diesen Inhaltserfordernissen orientiert sich § 67c Abs. 2 AVG an § 28 VwGG und übernimmt die für Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof getroffene Regelung mit einer wesentlichen Ausnahme: Anders als bei Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof muß nicht ausdrücklich angegeben werden, in welchem Recht sich der Beschwerdeführer verletzt erachtet (Beschwerdepunkt). Daraus ist zu folgern, daß sich der unabhängige Verwaltungssenat bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht auf die vom Beschwerdeführer allenfalls als verletzt bezeichneten einfach-gesetzlich oder verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte oder auf die vorgebrachten Gründe beschränken darf. Vielmehr obliegt ihm - und nur insoweit ist die Beschwerde im Recht - eine umfassende Prüfungsverpfichtung, sodaß er den angefochtenen Verwaltungsakt ohne Bindung an die in der Beschwerde vorgebrachten Gründe nach jeder Richtung hin zu untersuchen hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 9. September 1997, Zl. 96/06/0096).

    Diese Prüfungspflicht bezieht sich freilich nur auf "den angefochtenen Verwaltungsakt". Diesen zu umschreiben ist hingegen alleine Sache des Beschwerdeführers, der in der Beschwerde den angefochtenen Verwaltungsakt zu bezeichnen (§ 67c Abs. 2 Z. 1 AVG) und den Sachverhalt darzustellen (Z. 3 der vorgenannten Bestimmung) hat. Durch diese tatsächlichen Angaben gibt er den Gegenstand des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat vor. Erst auf dem Boden dieser sachverhaltsmäßigen Vorgabe durch den Beschwerdeführer entfaltet sich die allseitige rechtliche Prüfungspflicht des unabhängigen Verwaltungssenates. Das folgert schon zwingend daraus, daß der unabhängige Verwaltungssenat nur aufgrund einer Beschwerde über die Rechtmäßigkeit der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erkennt.

    Im vorliegenden Fall beschränkte sich die sachverhaltsmäßige Darstellung in der Beschwerde, soweit sie die hier beschwerdeführende Partei betraf, auf deren Festnahme und Inhaftierung sowie auf die Vergrabung diverser Ausrüstungsgegenstände. Wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend ausführt, war dagegen von einer bedenklichen Behandlung durch die einschreitenden Gendarmeriebeamten - anders als bei einem weiteren der ursprünglichen Beschwerdeführer - nicht einmal ansatzweise die Rede. Ein entsprechendes Faktum konnte daher nicht als in Beschwer gezogen betrachtet werden.

    Eine andere Sicht der Dinge ergäbe sich nur, wenn man unter dem "angefochtenen Verwaltungsakt" auch das gesamte Umfeld eines bestimmten Verwaltungsgeschehens begreifen wollte, sodaß von der hier unstrittigen Bekämpfung der Festnahme auch alle deren Begleitumstände mitumfaßt wären. Das liefe freilich darauf hinaus, dem unabhängigen Verwaltungssenat ohne jegliche Anhaltspunkte in einer Beschwerde eine gleichsam inquisitorische Erfassung aller mit dem betreffenden Vorgang nur denkmöglich einhergehenden Beeinträchtigungen aufzutragen, was sich dem Gesetz freilich - ungeachtet dessen, daß auch im Verfahren nach § 67c AVG zufolge § 39 AVG die Grundsätze der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit zu beachten sind (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 1997, Zlen. B 35/97 und B 122/97) - nicht entnehmen läßt. Tatsächlich ist der Verwaltungsgerichtshof nie von einem derartig weitem Verständnis des "angefochtenen Verwaltungsaktes" ausgegangen, hat er doch etwa ausgesprochen (so im Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 94/01/0741), daß im Fall der Abgabe einzelner Schüsse auf einen Fliehenden, wenn nur die Abgabe dieser Schüsse in Beschwerde gezogen wurde, nicht die gesamte Verfolgungshandlung, in deren Verlauf die einzelnen Schüsse gefallen sind, als angefochtene sogenannte faktische Amthandlung angesehen werden könne (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zl. 94/05/0355).

    War nach dem Ergebnis der eben angestellten Überlegungen eine allenfalls zu beanstandende Behandlung der Beschwerdeführerin beim Einsteigen in das Gendarmeriefahrzeug nicht von der ursprünglichen Beschwerde mitumfaßt, so konnte die belangte Behörde insoweit, wie sie zutreffend erkannt hat, jedenfalls keine meritorische Entscheidung fällen: Eine allfällige "Ergänzung" der Beschwerde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 1996 stellte sich als eine, nach Ablauf der Beschwerdefrist nicht zulässige Erweiterung des Beschwerdegegenstandes dar (siehe zur vergleichbaren Situation nach der alten, vor Einrichtung der unabhängigen Verwaltungssenate geltenden Rechtslage etwa den hg. Beschluß vom 24. September 1990, Zl. 90/19/0140). Ob die Beschwerdeführerin überhaupt eine entsprechende "Ergänzung" - wie beidseits im verwaltungsgerichtichen Verfahren unterstellt - vorgenommen hat (jedenfalls wurde kein ergänzender Schriftsatz erstattet), kann dahingestellt bleiben, weil die Beschwerdeführerin im anderen Fall durch die Zurückweisung nicht in Rechten verletzt wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. Mai 1992, Zl. 91/01/0200). Da sich die gegenständliche Beschwerde somit in jedem Fall als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

    BGBl. Nr. 416/1994.

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