Normen
AlVG 1977 §39 Abs1 Z2 idF 1995/297;
AlVG 1977 §39 Abs1 Z2 idF 1996/201;
AlVG 1977 §39 Abs5 idF 1996/201;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
SondernotstandshilfeV 1995 §1;
AlVG 1977 §39 Abs1 Z2 idF 1995/297;
AlVG 1977 §39 Abs1 Z2 idF 1996/201;
AlVG 1977 §39 Abs5 idF 1996/201;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
SondernotstandshilfeV 1995 §1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte am 25. März 1996 bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Lienz die Gewährung von Sondernotstandshilfe, wobei sie angab, von Beruf Diplomkrankenschwester zu sein und mit ihrem am 22. März 1994 geborenen Sohn in Dölsach wohnhaft zu sein. Dem Antrag lag eine "Bestätigung der Gemeinde" (Dölsach) mit folgendem wesentlichen Inhalt bei:
"Eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für das Kind ...
ist sofort verfügbar.
...
sonstige (Name + Adresse:
MOBEDI (Mobiler Betreuungsdienst) 9900 Lienz
Öffnungszeiten o.a. Unterbringungsmöglichkeiten
von MO bis SA
Kosten S 4.000,-- mtl.
Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln Ja"
Mit Bescheid vom 11. April 1996 gab die regionale Geschäftsstelle dem Antrag keine Folge und begründete diesen Bescheid (nach Wiedergabe von Inhalten des § 39 AlVG und des § 1 SNH-VO) wie folgt:
"In Ihrer Gemeinde ist eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für Ihren Sohn ... vorhanden."
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung im wesentlichen mit der Begründung, daß ihr aufgrund einer Vereinbarung während ihres Karenzurlaubes in Aussicht gestellt worden sei, im nächsten Jahr die Arbeit wieder aufnehmen zu können. Der Zeitpunkt sei nicht genau fixiert worden, weshalb sich die Beschwerdeführerin an ihrem Wohnsitz zur Betreuung ihres Kindes aufhalte. In der Gemeinde gebe es keine Unterbringungsmöglichkeit für die Beaufsichtigung von Kleinkindern, weshalb ihr vorgeschrieben worden sei, ihr inzwischen 25 Monate altes Kind in den "MOBEDI" Lienz zu bringen. Aus diesem Grund müßte sie täglich ein öffentliches Verkehrsmittel in Anspruch nehmen, was ihr aufgrund ihres Wohnsitzes nicht zumutbar sei.
Nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens gab die belangte Behörde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens sei festgestellt worden, daß sich das Wohnhaus der Beschwerdeführerin ca. fünf Minuten Gehzeit von der Postautohaltestelle entfernt befinde. Die "Straßenkilometerentfernung" zwischen dem Wohnort der Beschwerdeführerin und Lienz betrage 5 km und die Fahrzeit mit dem Bus dauere 15 Minuten. In den Morgenstunden fahre ein Postautobus um 6.12, 7.23 oder 7.55 Uhr von ihrem Wohnort ab. Am Nachmittag fahre ein Postautobus jeweils um 16.15, 16.35, 16.55 und 17.55 Uhr in die Gemeinde zurück. Nach Zitierung von Teilen des § 39 AlVG und des § 1 der Sondernotstandshilfeverordnung führte die belangte Behörde weiter aus, daß die Gemeinde eine Unterbringungsmöglichkeit beim Mobilen Betreuungsdienst Lienz zur Verfügung gestellt habe. Im Hinblick darauf, daß die Beschwerdeführerin ca. 5 Gehminuten von einer Postautohaltestelle entfernt wohne und ein Postauto "in etwa halbstündig" mit einer Fahrzeit von ca. 15 Minuten nach Lienz fahre, erscheine die Inanspruchnahme dieses öffentlichen Verkehrsmittels als durchaus zumutbar. Inklusive Gehzeiten, Wartezeiten und Fahrzeit bräuchte die Beschwerdeführerin ca. eine halbe Stunde, um den Mobilen Betreuungsdienst zu erreichen. Die Zurücklegung dieser Entfernung erscheine im Hinblick auf die "Sondernotstandshilfe-Verordnung" in jedem Fall als zumutbar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Beschwerde wendet sich unter zwei Gesichtspunkten gegen den angefochtenen Bescheid: Zunächst habe die belangte Behörde bei Erlassung ihres Bescheides vom 19. Juli 1996 die ab 1. Mai 1996 eingetretene Änderung des § 39 Abs. 1 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 201/1996 und die Novellierung der Sondernotstandshilfe-Verordnung mit BGBl. Nr. 264/1996 vom 18. Juni 1996 nicht beachtet und es dadurch unter anderem unterlassen, im Berufungsverfahren eine "ergänzende Stellungnahme der Gemeinde als Entscheidungsgrundlage" im Sinne des § 2a Abs. 2 letzter Satz SNH-VO (in der Fassung BGBl. Nr. 264/1996) einzuholen. Auch sei die Beschwerdeführerin nicht an die "die Bescheinigung ausstellende Stelle" im Sinne des § 2a Abs. 3 SNH-VO verwiesen worden. Die Öffnungszeiten der angeblichen Unterbringungsstelle seien im bekämpften Bescheid nicht festgestellt. Ebensowenig die "auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten für Krankenschwestern, die "bekanntlich, ohne daß dies eines weiteren Vorbringens bedürfte, Tages- und Nachtdienste, aber auch Wochenenddienste" zu verrichten hätten.
In ihrer Gegenschrift räumt die belangte Behörde ein, "irrtümlicherweise die alten Textbausteine der vorherigen gesetzlichen Fassung" verwendet zu haben und verteidigt im übrigen die rechtliche Begründung des angefochtenen Bescheides. Hinsichtlich der "üblichen Arbeitszeiten für Krankenschwestern" bringe die Beschwerdeführerin in unzulässiger Weise Neuerungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist der Beschwerdeführerin (und insoweit auch der Auffassung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift) entgegenzuhalten, daß die belangte Behörde den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Sondernotstandshilfe zeitraumbezogen zu beurteilen hatte. Im Hinblick auf die Antragstellung am 25. März 1996 hatte die belangte Behörde - hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Sondernotstandshilfe - zunächst noch die Fassung des § 39 AlVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 201/1996, ab 1. Mai 1996 hingegen die Änderungen durch BGBl. Nr. 201/1996 zu berücksichtigen. Analoges gilt für die Fassung der Sondernotstandshilfe-Verordnung BGBl. Nr. 361/1995 bis 18. Juni 1996 und ihrer Änderung durch BGBl. Nr. 264/1996 ab 19. Juni 1996.
Gemäß § 39 Abs. 1 Z. 2 AlVG hängt der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Sondernotstandshilfe unter anderem davon ab, daß sie
"wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzurlaubsgeldes war, keine Beschäftigung annehmen (kann), weil erwiesenermaßen für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht."
Gemäß § 39 Abs. 5 AlVG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 201/1996) war zur Frage, ob eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit vorliegt, der Regionalbeirat anzuhören. Die Überprüfung der Unterbringungsmöglichkeit war ab dem Jahr 1996 halbjährlich vorzunehmen. Gemäß § 1 der Sondernotstandshilfe-Verordnung, BGBl. Nr. 361/1995, gilt als geeignete Unterbringungsmöglichkeit eine Einrichtung, die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften für Kinder im dritten Lebensjahr entweder vom Land oder der Gemeinde selbst oder von Rechtsträgern geführt wird, denen sich das Land oder die Gemeinde zur Erreichung dieser Ziele bedient. Eine private Einrichtung (wie Privatkindergarten, Pfarrkindergarten, Kindergruppe u.dgl.) ist einer solchen Einrichtung gleichzuhalten.
Weiters müssen gemäß § 1 Abs. 2 SN-VO in dieser Fassung die Öffnungszeiten den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten einschließlich der Zeit, die für die Hinbringung bzw. Abholung des Kindes erforderlich ist, angepaßt sein, der Betreuungsort mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderweitig bereitgestellten Beförderungsmitteln (Kindergartentransporte) bei zumutbarem Zugang entsprechend den Öffnungszeiten erreichbar sein und das Entgelt für die Unterbringung angemessen sein. Gemäß § 2 SN-VO ist die Gemeinde verpflichtet, binnen zwei Wochen nach Aufforderung durch das Arbeitsmarktservice zu bestätigen, ob eine Unterbringungsmöglichkeit für das Kind besteht. Die Bestätigung für das Arbeitsmarktservice gilt für den Fall, daß keine geeignete Unterbringungsmöglichkeit gegeben ist, gleichzeitig als Voranmeldung für die Abrechnung der Kosten der Sondernotstandshilfe mit der Gemeinde (§ 2 Abs. 4 der Verordnung).
Dies bedeutet für das vorliegende Verfahren, daß das Arbeitsmarktservice zur Frage, ob eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit vorliegt, gemäß § 39 Abs. 5 AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 297/1995 vor Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides den Regionalbeirat anzuhören gehabt hätte.
Diese Bestimmung wurde noch vor Erlassung des angefochtenen Berufungsbescheides durch Art. 23 Z. 41 des Strukturanpassungsgesetzes BGBl. Nr. 201/1996 geändert, wobei diese Änderung - ohne Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Antragstellung - gemäß § 79 Abs. 25 AlVG (Art. 23 Z. 52 leg. cit.) am 1. Mai 1996 in Kraft getreten ist: dadurch, daß diese Bestimmung nunmehr ein Formerfordernis des Antrages normiert, nämlich, daß diesem eine Bescheinigung der Hauptwohnsitzgemeinde über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit beizulegen und die Hauptwohnsitzgemeinde verpflichtet ist, eine solche Bescheinigung auszustellen, war sie auf Antragstellungen vor ihrem Inkrafttreten nicht anzuwenden, sodaß die belangte Behörde in Ermangelung einer Verpflichtung nach § 39 Abs. 5 AlVG in beiden genannten Fassungen von Amts wegen zu ermitteln gehabt hätte, ob in Ansehung der Beschwerdeführerin eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit für deren Kind vorhanden war.
Die belangte Behörde durfte sich dabei zwar auf die aktenkundige Bescheinigung der Gemeinde stützen, hatte diese aber anhand der Kriterien des § 1 der Sondernotstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 361/1995, zu würdigen und insbesondere von Amts wegen die Eignung dieser Unterbringungsmöglichkeit und die zu deren Beurteilung erforderlichen Umstände, wie zB die Eignung von Öffnungszeiten einer Kinderbetreuungseinrichtung in Beziehung auf die Erfordernisse des Arbeitsmarktes und die Möglichkeit, diese Kinderbetreuungseinrichtung zweimal täglich unter zumutbaren zeitlichen Bedingungen zu erreichen, zu prüfen.
§ 1 Abs. 1 der SNHV normiert in diesem Zusammenhang (und insoweit ist durch die noch vor Erlassung des angefochtenen Bescheides erfolgte Novellierung dieser Verordnung durch BGBl. Nr. 264/1996, in Kraft getreten mit Ablauf des Tages der Kundmachung, d.h. am 19. Juni 1996, keine Änderung eingetreten), daß als geeignete Unterbringungsmöglichkeit jedenfalls eine Einrichtung gilt, die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften (zB Kindergartengesetz, Kindertagesheimgesetz, Jugendwohlfahrtsgesetz u.dgl.) für Kinder im dritten Lebensjahr entweder vom Land oder von der Gemeinde selbst oder von Rechtsträgern geführt wird, "denen" (gemeint offenbar: deren) sich das Land oder die Gemeinde zur Erreichung dieser Ziele bedient. Eine private Einrichtung (wie Privatkindergarten, Pfarrkindergarten, Kindergruppe u.dgl.) ist einer solchen Einrichtung gleichzuhalten.
Die belangte Behörde hat in Außerachtlassung dieser rechtlichen Anforderungen nicht begründet, aus welchen Gründen sie die in Aussicht genommene Betreuungsstelle entweder für "jedenfalls geeignet" im Sinne des § 1 Abs. 1 SNH-VO gehalten oder - falls die Kriterien dieser Verordnungsstelle nicht zutreffen sollten - aus welchen besonderen Gründen sie die Stelle für dennoch geeignet gehalten hat. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage ist schon deshalb angezeigt gewesen, weil die in dieser Verordnung verwiesenen Rechtsvorschriften des Landes, soweit sie das Kindergartenwesen betreffen, Vorschriften enthalten, welche eine Eignung im Sinne der genannten Bestimmung ausschließen: so dürfen gemäß § 24 Abs. 3 des Tiroler Kindergartengesetzes, LGBl. Nr. 14/1973 idF der Novelle LGBl. Nr. 50/1991 (welches gemäß seinem § 1 für öffentliche Kindergärten und für Privatkindergärten gilt) nur Kinder in einen Kindergarten aufgenommen werden, die das dritte Lebensjahr vollendet haben. Überdies besteht eine Verpflichtung zur Aufnahme von Kindern in den Kindergarten einer Gemeinde oder eines Gemeindeverbandes nur für Kinder, die in der betreffenden Gemeinde oder in einer der verbandsangehörigen Gemeinden ihren ordentlichen Wohnsitz haben (§ 24 Abs. 6 leg. cit.).
Die belangte Behörde hätte daher insbesondere Feststellungen darüber zu treffen gehabt, auf welcher Rechtsgrundlage die in Aussicht genommene Betreuungsstelle beruht, ob sie nach den danach in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen zur Kinderbetreuung berechtigt ist, und der Aufnahme des Kindes der Beschwerdeführerin keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen.
Da auf der Grundlage der Feststellungen der belangten Behörde vom Vorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit nicht ausgegangen werden kann, hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Hinsichtlich ihres weiteren Beschwerdevorbringens, die Arbeitszeiten als Krankenschwester seien bei der Eignung des Betreuungsplatzes zu berücksichtigen, ist die Beschwerdeführerin allerdings nicht im Recht; in diesem Zusammenhang wird auf das Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 96/08/0208, bzw. auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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