VwGH 95/08/0056

VwGH95/08/005617.2.1998

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerde der A K in 1210 Wien, vertreten durch DDDr. Franz Langmayr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Weihburggasse 4/2/27, gegen den aufgrund des Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 16. Jänner 1995, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §9 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 27. Juli 1994 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien unter Berufung auf § 10 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG) aus, daß die Beschwerdeführerin für die Zeit vom 22. Juni bis 19. Juli 1994 den Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe. Nach der Begründung sei von ihr das Zustandekommen einer vom Arbeitsamt zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung "durch ihr Verhalten vereitelt" worden. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht lägen nicht vor.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Sie brachte dabei im wesentlichen vor, sich bei der vom Arbeitsamt zugewiesenen Firma vorgestellt zu haben. Deren Chefin, Frau H., habe alles über ihre bisherigen Tätigkeiten wissen wollen und eine wie hohe Leistung sie vom Arbeitsamt monatlich erhalte. Danach habe sie erklärt, daß die zugewiesene Tätigkeit keine Arbeit für die Beschwerdeführerin sei und diese wieder in ihren erlernten Beruf zurückkehren solle. Es sei daher Frau H. gewesen, die die Arbeitsaufnahme der Beschwerdeführerin abgelehnt habe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben und der Bescheid des Arbeitsamtes bestätigt. Nach der Begründung sei der Beschwerdeführerin vom Arbeitsamt am 21. Juni 1994 eine Beschäftigung als Lagerarbeiterin bei der Firma H. in 1050 Wien mit Arbeitsbeginn 22. Juni 1994 (Nettolohn: S 11.000,--) zugewiesen worden. Die Beschwerdeführerin habe diese Beschäftigung "nicht angenommen". Laut Mitteilung von Frau H. sei das Beschäftigungsverhältnis deshalb nicht zustande gekommen, weil die Beschwerdeführerin angegeben habe, bei ihrer letzten Stelle mit S 20.000,-- entlohnt worden zu sein. Weiters beziehe sie derzeit S 10.000,-- Notstandshilfe, weshalb ihr die gebotenen S 11.000,-- netto zu wenig wären. Frau H. habe im Berufungsverfahren diese Aussage nochmals bestätigt. Ferner sei von der belangten Behörde festgestellt worden, daß die Beschwerdeführerin den Anspruch auf die Gewährung von Arbeitslosengeld bereits im April 1994 erschöpft habe; das Arbeitsamt habe ihr bereits mehrere Arbeitsmöglichkeiten genannt. Der Beschwerdeführerin seien bei einer persönlichen Vorsprache am 5. Oktober 1994 die Ermittlungsergebnisse zur Kenntnis gebracht worden, sie sei jedoch bei ihrem Standpunkt geblieben. Die belangte Behörde erachte die Auskünfte von Frau H. für zutreffend und glaubwürdiger als die der Beschwerdeführerin, da Frau H. bei stärkerem Interesse der Beschwerdeführerin keinen Grund gehabt hätte, diese nicht als Lagerarbeiterin, wofür sie keine höhere Qualifikation benötige, sofort einzustellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wenn sich der Arbeitslose (unter anderem) weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, so verliert er für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Gemäß § 38 AlVG sind auf die Notstandshilfe grundsätzlich die Bestimmungen über das Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden.

Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen (sieht man vom Fall der Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen, ab) auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden: Nämlich dadurch, daß der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (z.B. Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit), oder aber, daß er den Erfolg seiner (nach außen zutage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung z.B. die Erkenntnisse vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0268, und vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0135).

Unter einer "Vereitelung" im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ist ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das - bei Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt; das Nichtzustandekommen muß in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest im Kauf nehmenden Verhalten des Vermittelten seinen Grund haben (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0219, und vom 4. Juli 1995, Zlen. 95/08/0099).

Allerdings ist es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch zulässig, anläßlich eines Bewerbungsgespräches bestimmte Wunschvorstellungen bezüglich der Entlohnung zu äußern. Erfolgt im Hinblick darauf eine sofortige Absage des potentiellen Dienstgebers oder erklärt dieser, sich erst nach der Vorstellung anderer Bewerber entscheiden zu wollen, so liegt es am Arbeitslosen, bezüglich der von ihm genannten Beträge eine Klarstellung in der Richtung vorzunehmen, daß es sich dabei lediglich um eine Wunschvorstellung, nicht jedoch um eine konkrete Lohnforderung handelt und er auch bereit sei, zur angebotenen kollektivvertraglichen Entlohnung zu arbeiten. Bei Unterlassung einer solchen Klarstellung nimmt der Arbeitslose allerdings das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses in Kauf (vgl. dazu das Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 94/08/0054).

Die Beschwerde rügt zunächst, die belangte Behörde habe aktenwidrig angenommen, das Arbeitsamt sei davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführerin die ihr zugewiesene Beschäftigung "nicht angenommen" habe. Es sei unzulässig, eine ihre Rechte beschränkende Entscheidung in zweiter Instanz auf einen anderen Rechtsgrund zu stützen als in erster Instanz angeführt worden sei.

Auf dieses Vorbringen ist zu erwidern, daß die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und den Bescheid des Arbeitsamtes bestätigt hat. Damit wurde die vom Arbeitsamt ausgesprochene "Vereitelung" übernommen. Daß in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Rede davon ist, das Arbeitsamt sei davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin habe die ihr zugewiesene Beschäftigung "nicht angenommen", verletzt diese in keinen Rechten. Im übrigen ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach darin, daß die belangte Behörde das Verhalten des Arbeitslosen zu Unrecht als Weigerung, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen, wertet, keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Rechtswidrigkeit liegt, wenn ein Fall der Vereitelung der Beschäftigungsaufnahme vorliegt, weil der Anspruchsverlust gemäß § 10 Abs. 1 AlVG sowohl im Falle einer Weigerung als auch im Fall einer Vereitelung auszusprechen ist (vgl. das Erkenntnis vom 26. März 1996, Zl. 94/08/0087).

Vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Rechtslage sind allerdings präzise Feststellungen über den Verlauf eines Vorstellungsgespräches erforderlich. In der Begründung des angefochtenen Bescheides heißt es diesbezüglich, die Beschwerdeführerin habe beim Vorstellungsgespräch angegeben, bei ihrer letzten Stelle S 20.000,-- verdient zu haben. Sie habe auch jetzt S 10.000,-- Notstandshilfe, weshalb ihr die gebotenen S 11.000,-- netto zu wenig wären. Hätte sich die Beschwerdeführerin tatsächlich so verhalten, so bestünde vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Zweifel daran, daß die Beschwerdeführerin die Beschäftigungsaufnahme vereitelt hätte (vgl. etwa das Erkenntnis vom 5. September 1995, Zl. 95/08/0178). Die belangte Behörde hat bei ihren Feststellungen aber ausschließlich die fernmündlichen Angaben von Frau H. zugrundegelegt, ohne sich mit den gegenteiligen Aussagen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren auseinanderzusetzen (vgl. diesbezüglich die in den Verwaltungsakten erliegenden Niederschriften vom 30. Juni 1994 und vom 5. Oktober 1994). Die belangte Behörde hat im übrigen auch nicht schlüssig dargelegt, weshalb sie die Auskünfte der nicht als Zeugin vernommenen Frau H. für "zutreffend und glaubwürdiger" als die Angaben der Beschwerdeführerin erachtet. Die Vermutung der belangten Behörde, Frau H. hätte bei stärkerem Interesse der Beschwerdeführerin keinen Grund gehabt, diese nicht sofort einzustellen, ist zum einen nicht näher begründet, spricht aber auch für sich alleine weder für noch gegen die Glaubwürdigkeit dieser Auskunftsperson.

Aufgrund dieser Verfahrensmängel ist dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde entzogen, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz konnte nur für drei Beschwerdeausfertigungen und eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zuerkannt werden.

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