VwGH 94/08/0054

VwGH94/08/00543.6.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der H in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Unterausschusses des zuständigen Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 28. Jänner 1994, Zl. IVb/7022/7100 B, betreffend Bemessung des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §16 Abs1;
AlVG 1977 §19 Abs1;
AlVG 1977 §46 Abs1;
AlVG 1977 §16 Abs1;
AlVG 1977 §19 Abs1;
AlVG 1977 §46 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin stellte am 21. Dezember 1992 beim Arbeitsamt Metall-Chemie in Wien einen Antrag auf Arbeitslosengeld. Nach der dabei vorgelegten Arbeitsbescheinigung der S GesmbH war sie dort bis 31. Dezember 1992 beschäftigt und erzielte in den letzten sechs Kalendermonaten ein durchschnittliches Bruttoentgelt (inkl. anteiliger Sonderzahlungen) von S 35.486,83. Da die Beschwerdeführerin eine Urlaubsentschädigung für 46 Werktage erhielt, sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste mit Bescheid vom 1. Februar 1993 das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Jänner bis 22. Februar 1993 aus.

Am 1. Februar 1993 nahm die Beschwerdeführerin bei der Wigast AG eine Beschäftigung auf, welche bis 30. Juni 1993 dauerte.

Am 21. Juni 1993 stellte die Beschwerdeführerin daraufhin beim Arbeitsamt Angestellte in Wien einen neuerlichen Antrag auf Arbeitslosengeld.

Das Arbeitsamt Versicherungsdienste zog zur Bemessung der Höhe des Arbeitslosengeldes das Entgelt der letzten sechs Kalendermonate vor dem ersten Tag der neuerlich eingetretenen Arbeitslosigkeit (1. Juli 1993) heran. Das durchschnittliche monatliche Bruttoentgelt in der Höhe von S 27.687,60 wurde in die Lohnklasse 97 eingeordnet, wodurch sich ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von S 369,30 ergab.

Die Beschwerdeführerin erachtete die Höhe des ihr zuerkannten Arbeitslosengeldes als zu gering und verlangte deshalb am 16. Juli 1993 die bescheidmäßige Feststellung der Berechnung ihres Arbeitslosengeldes.

Mit Bescheid vom 6. August 1993 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste aus, daß die Höhe des Arbeitslosengeldes der Beschwerdeführerin S 369,30 pro Tag betrage. Nach der Begründung habe die Beschwerdeführerin erstmals am 21. Dezember 1992 einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Durch den daraus resultierenden Ruhenszeitraum bis 22. Februar 1993 und die Aufnahme einer Beschäftigung ab 1. Februar 1993 habe die Beschwerdeführerin das Arbeitslosengeld nicht in Anspruch nehmen können. Deshalb seien aufgrund des neuerlichen Antrages der Beschwerdeführerin vom 21. Juni 1993 die letzten sechs Kalendermonate vor dem ersten Tag der zuletzt eingetretenen Arbeitslosigkeit zur Berechnung der Lohnklasse herangezogen worden.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, wobei sie im wesentlichen die Auffassung vertrat, daß ihr Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld vom 21. Dezember 1992 eine erfolgreiche Geltendmachung darstelle, zumal auch alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt gewesen seien. Daran ändere das Ruhen des Arbeitslosengeldes nichts, da dies ja bedeute, daß der Anspruch dem Grunde nach bestehe. Der Beschwerdeführerin sei daher gemäß § 19 AlVG der Fortbezug des Arbeitslosengeldes zu gewähren.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben. Die belangte Behörde vertrat dabei im wesentlichen die Auffassung, daß die erste Geltendmachung auf Gewährung von Arbeitslosengeld am 21. Dezember 1992 insofern keine erfolgreiche Geltendmachung darstelle, als unter "Inanspruchnahme" des Arbeitslosengeldes nur eine konkrete Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld und der Bezug des Arbeitslosengeldes - also Minderung des Anspruches durch Bezug von Arbeitslosengeld in der Dauer von mindestens einem Tag - zu verstehen sei (Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 22. Juni 1987, B 485/85, und vom 6. Dezember 1988, B 603/87). Gemäß § 19 Abs. 1 AlVG sei ein Fortbezug nur dann zu gewähren, wenn das zuerkannte Arbeitslosengeld nicht bis zur zulässigen Höchstdauer in Anspruch genommen worden sei. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung sei zu erkennen, daß "Inanspruchnahme" nur bedeuten könne, daß das Arbeitslosengeld tatsächlich zuerkannt worden und auch bezogen worden sei, d.h. also zumindest ein Tag der zuerkannten Bezugsdauer konsumiert worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist ausschließlich die Frage strittig, ob der Beschwerdeführerin ab 1. Juli 1993 Arbeitslosengeld aufgrund ihrer (letzten) Beschäftigung bei der W AG entsprechend dem durchschnittlichen Bruttobezug von S 27.687,60 oder aufgrund des bereits früher (21. Dezember 1992) geltend gemachten, aber wegen des Ruhens nicht effektuierten Anspruches aufgrund der Beschäftigung bei der S GmbH entsprechend dem durchschnittlichen Bruttobezug in Höhe von S 35.486,83 zu gewähren ist.

Gemäß § 7 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer

  1. 1. arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist,
  2. 2. die Anwartschaft erfüllt und
  3. 3. die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

    Gemäß § 14 Abs. 1 AlVG ist bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

    Gemäß § 14 Abs. 2 AlVG ist bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 20 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

    Gemäß § 19 Abs. 1 AlVG idF BGBl. Nr. 416/1992 ist Arbeitslosen, die das zuerkannte Arbeitslosengeld nicht bis zur zulässigen Höchstdauer in Anspruch nehmen, der Fortbezug des Arbeitslosengeldes für die restliche zulässige Bezugsdauer zu gewähren,

    a) wenn die Geltendmachung innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren gerechnet vom Tag des letzten Bezuges des Arbeitslosengeldes, erfolgt und

    b) wenn, abgesehen von der Anwartschaft, die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind.

    Gemäß § 21 Abs. 1 AlVG idF der Novelle BGBl. Nr. 290/1987 wird der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes nach Lohnklassen bemessen. Für die Festsetzung der Lohnklasse ist das Entgelt im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 Abs. 1 ASVG) der letzten 26 Kalenderwochen (182 Kalendertage) bzw. bei monatlicher Auszahlung das Entgelt der letzten sechs Kalendermonate vor dem ersten Tag der zuletzt eingetretenen Arbeitslosigkeit bzw. vor dem Ende der Versicherungspflicht maßgebend. Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind anteilsmäßig zu berücksichtigen. Zeiten, in denen der Arbeitslose infolge Kurzarbeit oder Erkrankung (Schwangerschaft) nicht das volle Entgelt oder wegen Beschäftigungslosigkeit kein Entgelt bezogen hat, sowie Zeiten einer Lehrlingsentschädigung, wenn das Lehrverhältnis während des Berechnungszeitraumes geendet hat und es für den Arbeitslosen günstiger ist, bleiben bei der Berechnung des für die Festsetzung der Lohnklasse maßgebenden Entgeltes außer Betracht. In diesem Fall ist das Entgelt durch die Zahl der Versicherungstage zu teilen und mit 30 zu multiplizieren. Dies stellt das Monatsentgelt dar.

    Die belangte Behörde vertritt im wesentlichen die Auffassung, daß im Beschwerdefall die erste Geltendmachung auf Gewährung von Arbeitslosengeld am 21. Dezember 1992 keine "erfolgreiche Geltendmachung" darstelle. Ein Fortbezug nach § 19 AlVG sei nur dann zu gewähren, wenn das zuerkannte Arbeitslosengeld nicht bis zur zulässigen Höchstdauer in Anspruch genommen wurde. "Inanspruchnahme" könne nur bedeuten, daß das Arbeitslosengeld tatsächlich zuerkannt und auch bezogen worden sei, d.h., also zumindest ein Tag der zuerkannten Bezugsdauer konsumiert worden sei.

    Diese Auffassung steht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes: Danach ist davon auszugehen, daß das Vorliegen eines Ruhenstatbestandes nach § 16 AlVG ab dem Tag, ab dem die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes begehrt wird, nur ein Hinausschieben des Beginnes des (an sich gebührenden) Bezuges, nicht aber eine zeitliche Verlagerung des Entstehens des Anspruches bewirkt und es sich daher - unter Bedachtnahme auf den Zweck des § 19 AlVG - auch in einem solchen Fall um eine "Inanspruchnahme" von Arbeitslosengeld im Sinne der eben zitierten Bestimmung handelt. Unter den sonstigen Voraussetzungen des § 19 AlVG (die im Beschwerdefall offenkundig gegeben sind) ist deshalb ein Fortbezugsanspruch (im Beschwerdefall ab 1. Juli 1993) zu bejahen (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 30. September 1994, Zl. 93/08/0122, mit Besprechung von

    Dirschmied, ZAS 1996, Seite 96 ff (102 f), sowie

    Zl. 93/08/0178).

    Die von der belangten Behörde für ihre Auffassung zitierten Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes besagen diesbezüglich nichts Gegenteiliges, weil eben die Antragstellung auf Arbeitslosengeld als "Inanspruchnahme" zu werten ist, während in den vom Verfassungsgerichtshof behandelten Fällen eine Nichtinanspruchnahme eines gesetzlichen Rechtes gemeint ist (vgl. das Erkenntnis vom 22. Juni 1987, VfSlg 11.389, und vom 6. Dezember 1988, VfSlg 11.922).

    Aufgrund ihrer verfehlten Rechtsansicht belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

    Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte